Mob Wife vs. Trad Wife

Zwei TikTok-Trends und ihre Parallelen zur Kunstgeschichte

„Mob Wife Aesthetic“ und „Trad Wife Life“ heißen zwei Trends, die aktuell auf TikTok kursieren. Julia vergleicht die Modeerscheinung mit stereotypen Frauenbildern aus der Kunstgeschichte – und macht eine spannende Beobachtung

Auf meinem Handydisplay ist eine großräumige und erschreckend saubere Küche zu sehen, warme Klänge tönen aus dem Lautsprecher und Nara Smith bereitet in lässig-eleganter Garderobe Cornflakes für ihre Kinder zu. Sie greift dafür nicht zu den klassischen Kartons aus dem Supermarkt, sondern legt selbst Hand an: Aus Mehl, Ahornsirup und Erdnussbutter formt sie winzig kleine Bällchen, die sie im Ofen backt und anschließend mit ebenfalls selbstgemachten Cocoa Puffs und Milch serviert. Die Kids sind happy. Ein ausgewogenes Frühstück an einem perfekten Morgen. „Wann habe ich eigentlich zum letzten Mal etwas gebacken?“, schießt es mir durch den Kopf, „Und wie zum Teufel kriegt die ihre Backbleche so sauber?“

Während ich den folgenden Text schreibe, frage ich mich mehrmals, ob meine Kritik eine Berechtigung hat. Oft komme ich mir antifeministisch vor, wenn ich Frauen* für ihre freien Entscheidungen kritisiere. Vielleicht bin ich auch einfach neidisch auf das, was ich dort auf dem Bildschirm sehe. Gleichzeitig erkenne ich Muster, die schon seit Jahrhunderten in unseren Köpfen existieren und klischeehafte Kategorisierungen aufrechterhalten. Diese Kolumne ist also nicht als persönliche Kritik an den genannten Influencerinnen, sondern als Dekonstruktion von zwei stereotypen Frauenbildern zu verstehen. Los geht's:

@naraazizasmith1

its the simple things #cereal #cookies #easyrecipes #fypシ #toddlersoftiktok #home

♬ original sound - Nara Smith

Das Trad Wife in der Clean Kitchen

Smiths TikTok-Videos zeigen die gebürtige Südafrikanerin, die in Deutschland aufgewachsen ist, wie sie ihren Kindern und ihrem Ehemann Speisen kredenzt. Letzterer ist Lucky Blue Smith, Model und bekennender Mormone. In den Kommentaren wird Nara Smith als sogenanntes „Trad Wife“ bezeichnet. Aber was ist das eigentlich? In den sozialen Medien erscheinen immer mehr Influencerinnen auf der Bildfläche, die einen ganz speziellen Lebensstil propagieren: Während ihr Ehemann der Lohnarbeit nachgeht, arbeiten sie zu Hause und kümmern sich dort um Haushalt und Familie. 

Unter den Namen @herblessedhome oder @ballerinafarm backen sie Kekse, spülen das Geschirr oder hauchen zu Pianomusik Lebensweisheiten in die Kamera. Einige von ihnen leben auf einer Farm, haben zahlreiche Kinder und christliche Werte. Häufig verteidigen Trad Wives „traditionelle“ Geschlechterrollen und einen konservativen Lebensstil. Nun könnte man sagen: „Cool, meine Oma war ihrer Zeit voraus, die war ganz eindeutig auch ein Trad Wife“. Das stimmt allerdings nicht ganz. Denn obwohl die Überzeugungen der Trad Wives in einigen Fällen sicher mit denen mancher Großmütter zu vergleichen sind, sind Trad Wives nicht einfach nur Frauen, die zu Hause arbeiten. Stattdessen gilt diese Bezeichnung für Influencerinnen, die genau diesen Lebensstil als Trend verkaufen wollen. Das Lebensgefühl, das sie zwischen Knoblauchbrot und Küchenmaschine verherrlichen, ist sorgfältig kuratiert. Wenn man so will, ist das, was wir dort sehen, eine gut eingeübte Performance.

@herblessedhome we’re not talking about mental illness or never telling our husbands how we feel here 🥴 use some discernment pls #christianwife #christianencouragement #christianwomen #elisabethelliot #homemaker #homemakingmama #wearethehomemakers #happyhome ♬ Roam - Andrew Gialanella

„Schön für sie, wenn sie an diesem Leben Spaß hat. Leben und leben lassen“, wäre an dieser Stelle sicherlich auch ein valider Kommentar. Auch hier gilt: Ja, aber … Klar soll jede*r leben, wie es ihm oder ihr beliebt. Problematisch wird es dann, wenn ein Ungleichgewicht verharmlost oder eine Abhängigkeit glorifiziert wird. Häufig propagieren Trad Wives ein Leben, das sie in völliger Unterordnung zeigt. Einige Videos suggerieren, der Trad Wife Lifestyle wäre der Schlüssel zu Glück und Erfüllung. Ein Lebensstil ist aber kein Trend, viele Kinder keine Selbstvermarktungsstrategie und all das, was wir sehen, ist in der Realität sicher nicht so schön wie auf dem Bildschirm.

Das Mob Wife und der Pelzmantel

Im Gegensatz zum ruhigen Trad Wife Life schwingen beim „Mob Wife“ kriminelle Energien mit. Vorbilder für die „Mob Wife Ästhetik“, die seit einigen Monaten in zahlreichen sozialen Medien die Runde macht, sind die Ehefrauen berühmter Mafiosi. Auch Filme oder Serien gelten als Inspiration, so zum Beispiel Jennifer Lawrence in „American Hustle”, Lorraine Bracco in „Good Fellas“ oder Sharon Stone in „Casino“. Der Fokus liegt natürlich auf den Looks: Hier ist eine Menge (Kunst-)Pelz und Leder im Spiel. Auch auffälliger, goldener Schmuck, viel Make-up, Sonnenbrille und Designer-Handtasche gehören zum perfekten Mob Wife Outfit. „Wenn du aussiehst, als würdest du eine Beerdigung besuchen, machst du es richtig“, sagt Influencerin und Mob Wife Amber Huang.

Zu dick auftragen kann ein Mob Wife nicht. Prunk und Protz stehen im Vordergrund. Ein waschechtes Mob Wife fährt einen dicken Schlitten und pfeift auf Moralvorstellungen – klar, wenn man mit einem Gangster verheiratet ist. Es wirkt, als seien die ebenso zweifelhaften Trend-Stile „Clean Girl“ und „Vanilla Girl“ endgültig erwachsen geworden, hätten ihre beige-grauen Klamotten und ihr zurückhaltendes Make-up in die Tonne geworfen und seien nun auf die dunkle Seite des Lebens getreten. Dort leben sie jetzt neben ihrem kriminellen Ehemann und mit einer unübersichtlich großen Menge Geld ihr „best life”. Wie in den guten, alten Mafia-Filmen eben.

Passend dazu hat sich auch Francis Ford Coppola, Regisseur der „Der Pate”-Trilogie, zu diesem Thema geäußert. Auf Instagram teilte er eine Hommage an Connie und Kay Corleone, zwei Figuren seiner berühmten Filmreihe. „I hear the mob wife aesthetic is making a come back …”, witzelte er. Wie passend: Denn nicht nur hinter Coppolas Filmen, auch hinter all den TikTok-Videos steht ein Skript. Jemand, in den meisten Fällen wahrscheinlich die Protagonistin selbst, hat sich genau überlegt, wie ihre Geschichte aussehen soll. Die Kamera läuft nicht zufällig, während die Trad Wives ideal ausgeleuchtet in der heimelig gefliesten Superküche rumoren. Das 5-Saaten-Brot, das aus drei verschiedenen Perspektiven gezeigt wird, die Musik, das Licht – all das fußt auf einem gut durchdachten Drehbuch, das uns glauben machen soll, wir wären hier bei einem zufälligen Moment zugegen. Stattdessen war das kurze Video wahrscheinlich lange in Planung.

Wir vergessen oft, dass in den sozialen Medien so gut wie alles inszeniert ist und nicht der Realität entspricht. Es ist schön, wenn man sich online Inspiration holen oder über neue Trends informieren kann. Problematisch wird es dann, wenn man einem Ideal nacheifert, das so nicht existiert. Und auch dann, wenn diese Darstellungen eigentlich hauptsächlich Männerfantasien bedienen. Und diesen Eindruck könnte man durchaus bekommen, wenn von „maskulinen und femininen Energien“ gesprochen wird und das erklärte Ziel lautet, dem Ehemann das Leben zu erleichtern – koste es, was es wolle.

Auch wenn man sich natürlich als Mob Wife verkleiden darf, wie es einem beliebt, lautet das Narrativ: Such dir einen reichen Typen und verprass' seine Kohle! Dass die Protagonistinnen hinter der Mafia-Ästhetik vielleicht gar nicht verheiratet sind und ihren Pelzmantel von Oma geliehen haben, ist dabei egal. Abgesehen davon, dass eine kriminelle Organisation keinerlei Romantisierung verdient, ist auch das Tragen von Tierfellen kein Trend, dem man nacheifern sollte. TikTok lebt davon, kreative Filmchen zu erstellen und mit wenig Zeit große Gefühle hervorzurufen. Nur welche Botschaft sendet dieses kuratierte Lebensgefühl?

Und wo bleibt die Kunstgeschichte?

Wer den Teaser aufmerksam studiert hat, wird sich spätestens an dieser Stelle die Frage stellen, wo er denn nun bleibt, der Bezug zur Kunstgeschichte. Wir sind schon mittendrin: Denn obwohl es sich bei Mob Wife und Trad Wife um aktuelle Trends handelt, sind diese Stereotype keinesfalls neu. Sie hießen einfach nur anders. Und zwar „Femme Fatale“ und „Femme Fragile“. Blicken wir in die Vergangenheit, ist die Romantisierung zweier vermeintlich gegensätzlicher Frauentypen auch dort deutlich zu sehen. Besonders um das Jahr 1900 herum lassen sich viele Darstellungen von Frauen identifizieren, die in eines der beiden Muster fallen.

Die Femme Fatale entspricht in diesem Fall den Mob Wives: Sie ist sexy, elegant und unberechenbar. Oft wird sie rauchend oder in erotischen Posen oder Outfits gezeigt. Verführerisch und geheimnisvoll, gleichzeitig geht eine gewisse Gefahr von ihr aus.

Der Begriff der Femme Fragile hingegen bezeichnet einen zurückhaltenden, ja sogar schutzbedürftigen Frauentyp. Im Kontrast zur lasterhaften Femme Fatale verknüpfte man dieses Frauenbild mit Reinheit und Unterwürfigkeit. Dargestellt wurden die Protagonistinnen häufig mit gesenktem Blick, bei einer als anständig konnotierten Tätigkeit und in gesellschaftlich akzeptierter Kleidung. Wer in den sozialen Medien ein Trad Wife mimt, kommt diesem Typus oft sehr nahe.

Diese altbekannte Polarisierung zweier Extreme lässt vermuten, Frauen* könnten nur so oder so sein: verführerisch und frivol oder tugendhaft und rein. Natürlich wissen wir, dass Menschen ein angenehmes Gemisch aus verschiedenen Werten, Ansichten und Positionen sind. Dennoch führt ein solches Schubladendenken seit Jahrhunderten zu Stigmatisierung und Vorurteilen.

Was außerdem auffällt, ist die klare Ausrichtung aller genannten Typen an einer Person: dem Mann. Ein Mob Wife ist die Frau des Mafiabosses, das Trad Wife dient dem Versorger, die Femme Fatale verführt die Männer um sie herum und die Femme Fragile lässt sich von ihnen beschützen. Wer (zu Recht) die Formulierungen „Girl Boss“ oder „Powerfrau“ kritisiert, findet hier weitere Beispiele für Nebendarstellerinnen in einer Männerwelt.

Inzwischen ist mir wieder eingefallen, wann ich das letzte Mal etwas gebacken habe. Meine Backbleche sind immer noch so dreckig, wie zuvor. Vielleicht schlüpfe ich später in Leoprint-Leggings und Kittelschürze, bevor ich sie ordentlich schrubbe – am besten mit selbst verdienten Geldscheinen. Denn das wäre wohl die perfekte Symbiose beider Welten und ein deutliches Zeichen gegen Schubladendenken. Oder was meint ihr?

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