Corona in den USA: Ein Reisebericht

Corona in den USA: Ein Reisebericht

Der Urlaub abgebrochen, die Rückreise dauerte drei Tage. Marie berichtet über die unfreiwilligen Abenteuer der letzten Woche

Der Urlaub abgebrochen, die Rückreise über drei Tage. Marie berichtet über die Situation in den USA und auf den Flughäfen

Ich bin wieder da. Das hatte ich euch schon gestern in unseren Beige News verkündet, aber ich wollte mich auch noch einmal ein bisschen ausführlicher zu meinem abgebrochenen Urlaub äußern. So wie uns erging es sehr vielen Familien, Paaren und Alleinreisenden: Sie mussten ihren Urlaub abbrechen und viel zu früh wieder nach Hause kommen. Die lange und beschwerliche Heimreise und der kurze, aber dennoch schöne Urlaub, hatten aber auch ihren Vorteil: Ich kann aus einem anderen Land, ja sogar von einem anderen Kontinent, von der Corona-Krise berichten. Sagen, wie es einem geht, wenn man so weit weg von der Familie und Freunden ist und alles nur über Schlagzeilen der Medien mitbekommt. Ich weiß mein Homeoffice jetzt noch einmal ganz anders zu schätzen. Aber kommen wir mal zum Anfang:

Wir hätten es wissen sollen. Wochenlang planten wir unseren Urlaub in Kalifornien, recherchierten tolle Ausflugsziele, buchten die schönsten Unterkünfte – und dann das. Das Coronavirus in China schien so weit weg, wir dachten nicht mal in unseren kühnsten Träumen daran, dass es unseren Urlaub in irgendeiner Art und Weise hätte beeinträchtigen können. Doch schon bevor wir einen Fuß in den Flieger setzten, merkten wir: Irgendwas ändert sich hier gerade.

Am Vorabend des Fluges, ich alleine zu Hause im Homeoffice, mein Freund noch bei einer anstrengenden und zeitaufwendigen Urlaubsübergabe mit Deadline im Büro, bekamen wir eine Nachricht von Lufthansa: Ihr Flug wurde storniert. Nicht mal 24 Stunden vor dem Abflug. Schweiß, Panik, Warteschlange der Kundenhotline. Doch schnell war ein Ersatzflug mit passendem Anschlussflug in die USA gefunden, wir konnten dadurch sogar noch ein bisschen länger schlafen und mussten nicht um 4 Uhr morgens aufstehen.

Erst am nächsten Morgen lasen wir in der Zeitung, was unsere Flugstornierung verursacht hatte: Corona. 8000 Maschinen strich die Lufthansa aufgrund einer verminderten Flugnachfrage. „Die Leute wollen nicht mehr fliegen und verreisen?“ „Die übertreiben doch alle!“ Noch glaubten wir, dass die meisten Menschen völlig überreagierten und traten den Flug ohne Ängste und mit großer Vorfreude an.

Keine Krankenversicherung aber einen Rollstuhl am Strand. Die Amerikaner haben ein komisches Gesundheitssystem

Auch am Flughafen bot sich ein ganz normales Bild. Kein Mensch trug eine Atemschutzmaske, keiner desinfizierte sich außergewöhnlich oft die Hände. Alles schien ganz normal. Der Flug verging – wie das immer auf dem Hinflug ist – sehr langsam und dann waren wir da: in Los Angeles!

Auch hier fanden wir bis auf ein paar zusätzliche Desinfektionsspender in den Geschäften und am Flughafen, nichts außergewöhnlich. Wir holten unseren Mietwagen ab und fuhren zur ersten Unterkunft. Unser Gastgeber: ein Arzt, der in Deutschland viele Jahre studiert hatte und sich freute, mit uns mal wieder auf Deutsch zu plaudern. Nur habe er einen komischen Husten, den er seit seinen Reisen in Europa einfach nicht mehr loswerde.

Lukas riss einen Witz, dass das bestimmt Corona sei, wir drei lachten und gingen wieder unserer Wege. Sorgen machte sich keiner von uns.

Der Wocheneinkauf bei Wholefoods fiel üppig aus. Eine Woche später sah das anders aus

Doch dann fiel der erste Dominostein um und die Kette folgte. Aus den deutschen Medien hörten wir, dass die ersten Corona-Fälle sich verschlimmerten und immer mehr Menschen sich infizierten. Doch in den USA? War Corona einfach gar kein Thema.

So fuhren wir zu Wholefoods und kauften dort für fünf Tage in einem kleinen Haus drei Stunden entfernt von Los Angeles im Yucca Valley ein, der Supermarkt war so übervoll, wie man es von amerikanischen Supermarktketten kannte. Massenpanik und Hamsterkäufe? Nicht mit den Amerikanern. Dachten wir. Doch ein Regal war erstaunlich leer: das mit den Desinfektionsmitteln.

Angekommen im Yucca Valley, begann es drei Tage ohne Unterbrechung zu regnen. Ein willkommener Entschleuniger im Urlaub. Schließlich will man sonst immer so viel entdecken und sehen in einer tollen Umgebung, dass es einem schwerfällt mal einen Tag die Beine hochzulegen.

Das taten wir dann auch mit der Folge, dass wir auf einmal Zeit hatten, zu lesen. Und leider lasen wir nicht nur Bücher, sondern eben auch viele Nachrichten. Immer mehr „Geht es dir gut? Bei uns in Deutschland geht es richtig ab!“-Nachrichten bekam ich auf WhatsApp, doch fernab von der Zivilisation, mitten in der Wüste, mit vollen amerikanischen Supermärkten, dachte ich nur: „Die sollen mal alle runterkommen und nicht so übertreiben!“.

„ „Wir sahen uns schon als das Cast von der Neuverfilmung von 'Lost in Translation'.“ “

Zudem stand ich in ständigem Kontakt mit meiner Mutter, die Hausärztin mit einer großen Praxis in Berlin ist. Auch sie versicherte mir, dass es okay sei, wenn wir weiter in den USA blieben, an einem Tag schrieb sie mir sogar: „Bleibt bloß weg in den USA und genießt euren Urlaub, hier drehen alle am Rad!“. Als dann klar wurde, dass in Deutschland alle Schulen und Kindergärten schließen würden, wurde uns alles klar: Egal, wie gefährlich der Virus ist, die Regierung nimmt es ernst. Nur einen Tag später schloss Trump die Grenze für Ausländer. Da lachten wir uns noch ins Fäustchen und dachten: Gut, dass wir hier sind. Vielleicht werden die touristischen Attraktionen jetzt angenehm leer. Doch im Hinterkopf war da diese Angst, die Angst, dass nicht nur die Einreise verboten, sondern vielleicht auch die Ausreise in kürzester Zeit erzwungen werden würde, so wie andere Länder es zu dem Zeitpunkt beschlossen hatten. Alle Touristen aus den USA innerhalb von drei Tagen ausfliegen. Wir wussten, das würde der Albtraum werden. Wir sahen uns schon als das Cast von der Neuverfilmung von „Lost in Translation.“

Doch von Ausreise war nirgends zu lesen, also beschlossen wir, dass wir bleiben würden. Vielleicht war es ja sogar ganz gut, dass wir in dieser chaotischen Zeit im entspannten Kalifornien sind, wo die Supermärkte voll und die Panik der Menschen noch nicht allzu groß war. Wir genossen die fünf Tage in der Wüste und fuhren weiter nach San Diego. Alle Restaurants waren offen und während in Deutschland alle zur selben Zeit am Montag in die freiwillige Quarantäne ins Homeoffice zogen, saßen wir zur gleichen Zeit in San Diego beim Sonntagsbrunch im vollen Restaurant.

Doch am Montag änderte sich die Situation schlagartig. Wir fuhren von San Diego wieder nach Los Angeles und kehrten in eine komplett andere Stadt, als die, die wir exakt vor einer Woche verlassen hatten, zurück. Alle Restaurants waren geschlossen, kein Laden hatte mehr auf (ich orderte zum Glück noch schnell online bei Glossier), die Hotels waren leer, ebenso wie sämtliche Regale in den Supermärkten.

Der Urlaub war vorbei, jedenfalls mental. Wir überlegten tatsächlich, was wir machen sollten, würden wir aus den USA nicht mehr ausreisen können, stellten dann aber schnell fest, dass das mit dem schlechten Gesundheitssystem und den extrem hohen Lebenshaltungskosten in Los Angeles alles andere als ein Kinderspiel werden würde.

Nur noch nach Hause. Nach einem beratenden Gespräch mit meiner Mutter war dann klar, wir können keine Minute mehr warten und müssen so schnell es geht in den Flieger steigen. Europa schließt seine Grenzen, Deutschland eh, es gibt kaum noch Flüge, in den USA schwebte das eventuelle Verbot von touristischen Übernachtungsmöglichkeiten wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen.

Warteschlangen am Flughafen

Einen Flug zu kriegen? Das war leider alles andere als ein Kinderspiel. Online konnte man zu horrenden Preisen (bis zu 8.000 Euro für ein Economy-Ticket) zwar noch alles buchen, aber ebenso schnell wurden die Flugverbindungen auch wieder annulliert. Wir entschieden uns also zum Flughafen zu fahren und dort am Schalter zu versuchen, unsere bereits gebuchten Rückflüge in drei Wochen umzubuchen. Die Stimmung in der sehr langen Warteschlange könnt ihr euch vorstellen: Es kursierten absurde Gerüchte, sehr viele deutsche Urlauber klagten lautstark darüber, dass sie von der Airline eine Rückerstattung für ihren gesamten Urlaub wollen – was kann Lufthansa denn für den Ausbruch von Corona?! – und Familien mit Kindern war die Angst ins Gesicht geschrieben. Ich glaube wir standen vier oder fünf Stunden in der Warteschlange, bis wir endlich dran waren.

Uns erwartete ein sichtlich müder, angestrengter, aber auch sehr netter und höflicher Lufthansa-Mitarbeiter, Kompliment an dieser Stelle dafür! Für den gleichen Tag gab es keine Flüge mehr, aber für den Morgen des nächsten Tages. Wir buchten kostenlos um und drückten uns die Daumen, dass der Flug (oder einer von den dreien) nicht storniert werden würde.

Roomservice war die einzige Versorgungsmöglichkeit

Wir fuhren zurück ins Hotel, bei dem wir eine zusätzliche Nacht gebucht hatten, aber denen wir auch sagen mussten: „Wir fahren jetzt zum Flughafen, vielleicht kommen wir zurück, vielleicht auch nicht.“ Die Nacht war kurz, wir schliefen nur ein paar Stunden und fuhren dann in der Dunkelheit zum Autovermieter, der mehr als verständnisvoll reagierte und uns das zu viel gezahlte Geld zurück überwies. Damit hatten wir nicht gerechnet.

Am Flughafen bot sich uns dann ein Bild, was verängstigte und so ganz anders war als der Eindruck bei unserem Hinflug in die USA: Jeder, wirklich jeder, trug eine Atemmaske und wischte die kleinste Oberfläche, die er oder andere berührten, mit Desinfektionstüchern ab. Ich sage euch, so gründlich wurde am Flughafen oder in den Fliegern schon seit Jahren nicht mehr geputzt.

Unsere Flüge in den USA, von Los Angeles nach Chicago und dann von Chicago nach Amsterdam starten pünktlich, auch wenn der erste Flug sich anfühlte wie eine Filmszene aus „Contagion.“ Wir saßen in der vorletzten Reihe und kurz nach dem Start wurde medizinisches Personal ausgerufen. Das ist ja nie ein schönes Gefühl, aber in dieser Situation war es noch unangenehmer. Und tatsächlich. Nach wenigen Minuten wurde ein Mann auf der Mini-Bord-Toilette isoliert, eine verängstigte Frau wedelte mit einem ominösen Teststreifen (es gibt keinen Corona-Schnelltest, das wusste ich schon zu dem Zeitpunkt und verdrehte genervt die Augen) und der gesamte hintere Teil des Flugzeugs wurde vom Flugzeugpersonal, das auf einmal Atemmasken und Handschuhe trug, evakuiert.

Der Vorteil? Auf einmal saßen wir in der Premium-Economy. Der Nachteil? Wir sahen uns schon in Chicago in einem kleinen Hotelzimmer am Flughafen für 14 Tage in Quarantäne.

Aber nichts da! Nach dem Flug durften wir ganz normal das Flugzeug verlassen, mussten nicht einmal Aussteigekarten ausfüllen, es wurde keine Temperatur gemessen, nix! In Mailand sah das Anfang Februar bei meinem Wochenendtrip mit meiner Mama schon ganz anders aus – da wurde jedem ein Fieberthermometer an die Stirn gehalten. Geholfen hats wohl trotzdem nicht.

In Amsterdam angekommen, wurde uns dann schlagartig die kritische Situation in Europa klar. Gestrandete Urlauber, überfordertes Personal, geschlossene Läden am Flughafen, Massen an besitzerlosem Gepäck und überall endlose Warteschlangen. Natürlich wurde unser Flug von Amsterdam nach Berlin gestrichen und nach einem kurzen Blick auf die Anzeigen wurde uns klar: Mit dem Flugzeug kommen wir hier heute nicht mehr weg.

Bahn oder Auto? Bahn oder Auto? Nach einem kurzen Krisengespräch waren wir uns einig, dass wir der Deutschen Bahn an sich schon nicht vertrauen. Mit einem Notfallplan also noch viel weniger. Und nachher landen wir in Buxtehude und kommen von dort nicht weg. Ne ne, nicht mit uns! Das Mietauto für knappe 1000 Euro sollte oder musste es also sein.

Doch da war noch ein Problem: unsere Koffer. Die lagen mit dem stornierten Flug von Amsterdam nach Berlin nämlich irgendwo im nirgendwo am Amsterdamer Flughafen und warteten darauf, weiter geflogen oder abgeholt zu werden. Nach einem sehr netten Gespräch mit den Damen vom Gepäckband war klar: Wir bekommen unsere Koffer nach oben aufs Kofferband geliefert, nur das kann dauern. Zwei Stunden.

Nach fünf Stunden und mit nur einem von zwei Koffern warfen wir das Handtuch und stiegen in das Mietauto mit dem Wissen, dass wir den Koffer wohl nie wieder sehen sollten – dabei waren dort doch zwei Packungen Spaghetti, die wir noch ergattern konnten, eingepackt.

Nach sechs Stunden Autofahrt (mit ständigem Fahrerwechsel und Powernaps, weil wir seit drei Tagen unterwegs waren), kamen wir dann in Berlin an. Ohne Grenzkontrolle by the way.

Und jetzt sind wir hier und wer jetzt Angst vor uns Keimschleudern auf zwei Beinen hat, der sei ganz beruhigt: Wir sind nach dieser aufregenden Reise in freiwilliger Quarantäne.

Und ziemlich froh über ein bisschen Ruhe nach den letzten zwei Wochen. Vielleicht sind wir nach diesem Urlaub auch noch urlaubsreifer als zuvor. Aber wir machen weiter, damit ihr hier auf Beige unterhalten werdet. Denn ein bisschen Schönheit, gute Laune und Ablenkung können wir alle gebrauchen.

Ein Regenbogen am Tag der Abreise. Ein gutes Omen?

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