Das Auge isst mit
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Das Auge isst mit

Das Auge isst mit

„Identitätslos kann man sich heutzutage nicht leisten.“

Im Interview mit Markus Günther von büro bungalow sprechen wir über die Verantwortung von Design – und das eben auch im Supermarktregal. Packaging ist ein wichtiges Mittel bei der Kaufentscheidung – manchmal vielleicht zu wichtig?!

Im Interview mit Markus bin ich mir ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr sicher: Spreche ich gerade mit einem Grafikdesigner – oder doch mit einem (Hobby)Winzer?! Vielleicht ja irgendwie beides. Denn bei büro bungalow, dem multidisziplinären Büro für Creative Content und Design, darf jede*r seine Stärke miteinbringen. Und bei Markus ist das nun mal unter anderem seine Vorliebe für gute Weine.

Kein Wunder also, dass zwei seiner Projekte auch damit zu tun haben, zum einen hat er gerade erst für Dominik Held ein neues Branding und Packaging entwickelt, davor designte er die Flaschenetiketten für Andi Weigand. Was man im Interview mit Markus auch merkt? Er macht Dinge nicht einfach, er hinterfragt den Sinn und Zweck dahinter, philosophiert gerne und daher kann man sich bei seiner Gestaltung absolut sicher sein, dass immer mehr dahinter steckt, als man auf den ersten Blick vielleicht vermutet.

Er war also genau der richtige Gesprächspartner, um über das große Thema „Das Auge isst mit“ zu sprechen. Denn ein Produkt ist nicht einfach ein Produkt, Wein nicht gleich Wein und Packaging nicht gleich Packaging. Warum sehen die Supermarktregale immer bunter aus? Warum ist manch eine Schokolade ästhetischer gebrandet als ein Coffee Table Book und wie beeinflusst das Design unsere Kaufentscheidung?

Markus hat uns Rede und Antwort gestanden und auch darüber gesprochen, wie er seine Liebe für Gestaltung gefunden hat.

Markus, warum hast du dich für ein das Studium Kommunikationsdesign entschieden?

Für mich war relativ früh in meiner Jugend klar, dass ich nach der Schulzeit etwas Kreatives, Angewandtes machen will. Der Kunstunterricht war mein Lieblingsfach und neben dem Sport habe ich meine freie Zeit mit Zeichnen und Kunst verbracht. Ich wuchs in einem kreativen Umfeld und Haushalt, mit zwei selbstständigen Eltern, in Tanz und Grafikdesign auf. Von klein auf wurden mir Konzeptionen und Gestaltungsprozesse vorgelebt, an denen ich ein Stück weit immer mit partizipiert habe.

Letztlich wollte meine ich Kreativität professionalisieren, neue Tools lernen und meine Fähigkeiten ausbauen. Das konnte ich nur durch eine Ausbildung oder ein Studium und ein paar Mappen später landete ich unverhofft in Würzburg.

Wie und wann hast du herausgefunden, dass du etwas mit Design machen möchtest?

Mein erster, bewusster Kontakt und meine Auseinandersetzung mit Design bzw. Gestaltung waren Comics, Taschenbücher und im TV. Später kamen dann noch Magazine jeglicher Art dazu. Zurück zu den Comics, die knalligen Print-Cover der Neunziger, mit dreidimensionaler Typografie und viele der Serien-Intros, wie Turtles, Power Ranger oder Prince of Belair, hatten eine magische Anziehung auf mich. Sie waren nicht nur schön anzuschauen, viel mehr wollte ich verstehen, wie Menschen in der Lage waren diese Kunst/Design umzusetzen.

Anfang der 2000er kam dann Graffiti in mein Leben – für mich absolut mind blowing. Mein Interesse und die Faszination für Buchstaben, Farben und Formsprache erlangten ein neues Level. Aus dem Sprühen entstanden erste kleine Anfragen und Aufträge meiner Arbeit. Zuerst in Form von Letterings und Graffitis für Freunde, später auch für ganzheitliche Konzeptionen und richtige Jobs.

Was ist deine Rolle bei büro bungalow?

Als Founder und Creative Director, leite und begleite ich vor allem die Branding-Projekte im büro bungalow. Von der Entwicklung neuer Identitäten und Touchpoints von Brands, über Kampagnen und Creative Content. Dabei behandle ich ganzheitliche Designprozesse mit meinen Teams, beginnend mit der Strategie und Ideenfindung – begleitet von Workshops, vom Konzept, in die Kreation, Umsetzung und Art Direction. Neben den Projekten und dem Tagesgeschäft arbeite und gestalte ich intern unter anderem an unserer Social Communication und Außenwahrnehmung.

Was ist das größte Vorurteil, das du als Designer immer wieder zu hören bekommst?

Es kommt auf die Runde und auf die Gesellschaft an, in der wir über Design sprechen. Ich glaube, der Status Designer in der breiten Masse immer noch als arrogant und oberflächlich verrufen. Oftmals verschwimmt auch die Bedeutung von Design mit Werbung, wo es für mich immer Aufklärungsbedarf gibt.

Was hat dich büro bungalow gelehrt?

Teamwork makes the dream work. Die eigene Eitelkeit hinten anstellen und in die Gruppe vertrauen. Als Designer ist es unheimlich wichtig, gespiegelt zu werden und Kritik konstruktiv zu verstehen und nicht persönlich zu nehmen. Auch wenn es manchmal weh tun kann. Man kann viel mehr aus seinen Ideen und Gedanken rausholen, wenn man sie teilt.

Es wird immer besser, wenn man zusammen an etwas arbeitet. Dafür braucht es Vertrauen für einander, in die gemeinsame Vision und realistische Ziele und ganz viel Respekt für die Arbeit. Das ist die Basis für alles Weitere.

Wie würdest du deinen eigenen Stil beschreiben?

Das liegt im Auge des Betrachters. Ich selbst beschreibe meinen Stil als ein Zusammenspiel von humorvoll-simpel und straight, also leicht verspielt und semibold. Ich möchte mit meiner Gestaltung mit der Norm brechen und das Projekt herausfordern, um aus der eigenen Komfortzone auch mal auszubrechen. In der Regel arbeite ich sehr konzeptorientiert, mit kleinen Ausnahmen. So kann aus „form follows function“, auch „form feels funky“ werden, je nach Auftrag.

Mein persönliches Ziel ist es, den Betrachter*innen mehr als nur einen Gedanken mitzugeben und auch immer etwas Interpretationsspielraum zu lassen, ohne die Botschaft dabei zu vernachlässigen.

Kann man etwas übergestalten, ganz nach dem Motto: zu viel des Guten?

Definitiv ja! Viel hilft viel, hat selten einer Sache gutgetan. Es sei denn, es ist das Konzept. Die meisten Sachen sind übergestaltet und oft nicht richtig durchdacht, unkonzipiert und folgen losgelöst Trends oder entstehen in Zeitnot.

Design hat die Möglichkeit, Kommunikation und Marken zu individualisieren. Wo wir bei dem Punkt sind, welche Chance die Gestaltung für die Identität hat. Hier sollte jedem bewusst sein, dass Design an jedem Touchpoint die Kommunikation übernimmt und die Identität einer jenen Sache vertritt, ohne Menschen, die es noch genauer erläutern könnten. Bei der Frage der Gestaltung, muss man also alle Parameter der Kommunikation wohl überlegen, von der der Botschaft, den Bedürfnissen der Zielgruppe, sowie Marken-Touchpoints, Gesellschaft, Kultur und Co. und nicht einfach drauflos gestalten.

Was ist das Besondere am Designprozess bei Wein-Etiketten?

Die große Herausforderung in jedem Projekt – beispielhaft bei Wein – ist es, zum einen der Materie und zum anderen meinem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Ein so komplexes, charakterstarkes und emotionales Produkt funktioniert nicht mit Standard-Marketing-Briefings.

Gerade bei Weinen behandele ich im Designprozess der Etiketten auch immer gleich die Marke bzw. den Personenkult hinter dem Wein. Das Besondere bei Wein und seiner Ästhetik ist es, das Design, den Neuanfang oder auch Generationenwechsel in das Hier und Jetzt zu holen, ohne mit einer Tradition zwanghaft brechen zu wollen. Es gibt wenige Projekte, die so emotional und dadurch so echt sind. Wein muss authentisch und kontemporär zugleich sein.

Nach welchem Kriterium kaufst du selbst Wein? Etikett, Preis oder Region/Sorte?

Ich bin absoluter Etiketten-Sammler und natürlich auch immer auf der Suche nach den für mich raren Stoffen. Ich will überrascht werden. Umso eigenartiger das Etikett, desto attraktiver wirkt der Wein auf mich. Spannend wird es an dem Punkt, wo sich das Blatt wendet — mich ein Wein überzeugt und ich durch das überzeugende Produkt, Gefallen an einem Packaging bekomme. Ich orientiere mich am Etikett, den Winzer*innen inkl. Sorte etc. und dann dem Preis. Was nicht heißt, dass mir der Preis egal ist.

Warum ist gerade die Lebensmittel-Industrie als Grafiker so spannend für dich?

Wir setzen uns jeden Tag bewusst und unbewusst, mit unserer Identität auseinander, so auch bei Lebensmitteln. Es fängt bei der Wahl des Cafés, Bäckers, dem Kaffee oder Tee an und endet mit der Entscheidung des Einkaufes beim Discounter, Markt oder der Wahl des Restaurants.

Hier verschmelzen vermeintliche Notwendigkeiten mit Bedürfnissen, sowie Genuss und Kulturen. Ein ständiges Abwägen auf der einen und bedingungslose Entscheidungen auf der anderen Seite. Lebensmittel haben längst in der breiten Masse einen Stellenwert bekommen, der über den eigentlichen Inhalt des Produkts bzw. Rohstoffes hinaus geht. Auch hier geht es um Marken, deren Werte und somit um Identität. Lebensmittel müssen in Zukunft noch mehr wertgeschätzt und in ein ökonomisches, verantwortbares Verhältnis gesetzt werden. Deshalb ist es mir wichtig, auch an dieser Stelle gutes Design für das Bewusstsein und den Informationsfluss anzubringen.

Gutes Produkt und schlechtes Packaging oder schlechtes Produkt und gutes Packaging. Was ist dir lieber?

Gemeine Frage. Für mich muss immer die Qualität des Produktes stimmen. Und trotzdem hat das Packaging die Kraft, wirklich jedes Produkt aufzuwerten. An diesem Punkt merkt man, dass alle Sinne die gesamte Meinung bilden. Mein Appell, an jedem Touchpoint die Qualität und das Versprechen halten, dem Produkt gerecht werden und niemals aus pragmatischen Beweggründen einsparen oder zu viele Kompromisse eingehen. Dann lieber eine Aktion weniger machen, statt sie falsch machen.

The sky is the limit: Für welches Unternehmen würdest du gerne ein Rebranding machen?

Es gibt derbe viele Marken, für dich ich gerne ein Rebranding starten würde. Gezielt eine Marke davon auszuwählen, fällt mir schwer. Eine große Vorliebe wäre es aber, ein Rebranding für eine historisch, charismatische Marke oder Corporate zu gestalten. Allgemein sehe ich die Lifestyle-, Food- und Kultur-Branche von Gastronomie, Wein, Einzelhandel, Galerien und Mode und Musik immer noch als die kreativsten Auftraggeber*innen. Als gebürtiger Rheinländer und leicht nostalgisch bei dem Gedanken an meine Zeit in Düsseldorf, fallen mir für ein Rebranding direkt die Altbier-Brauereien der Altstadt ein, wie Uerige, Schuhmacher, Schlüssel und Co.

Vielen Dank für das Interview, lieber Markus!

  • Fotos:
    Stephie Braun

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