Die neue deutsche Esskultur – Das Interview mit Julia Heifer vom Lok6

Die neue deutsche Esskultur – Das Interview mit Julia Heifer vom Lok6

Schweinshaxe und Bier – Deutschland kann doch so viel mehr. Wir haben mit der Gastronomin über aktuelle Food Trends, Vorurteile und die Arbeit in der Küche gesprochen

Schweinshaxe und Bier – Deutschland kann doch so viel mehr. Wir haben mit der Gastronomin über aktuelle Food Trends, Vorurteile und die Arbeit in der Küche gesprochen

Deutschland und Essen. Zwei Themen, die in unserer vorurteilsvollen Welt gleich mit sehr vielen Bildern behaftet sind: Oktoberfest. Bier. Schweinshaxe. Aldi. Billigfleisch. Haribo. Schweinefleisch. Kartoffeln. Schnitzel. Brezeln. Knödel. Dr. Oetker. Maggi. Versteht mich nicht falsch, ich mag deutsches Essen. Aber im Gegensatz zu Italien, Frankreich und anderen europäischen Ländern, sind wir nicht gerade für unseren feinen Gaumen bekannt. Stattdessen scheint uns Deutschen doch vor allem eines wichtig zu sein: große Portionen und Sattwerden. Dass junge Leute und eine bestimmte Zielgruppe darauf aber keine Lust mehr haben, dafür mehr Wert auf gehaltvolle Zutaten und ökologischen Anbau legen, bemerkt man im bunten Berlin momentan sehr. Healthy Eating ist ein Trend, auf den gerade jeder versucht aufzuspringen: Bowls in jeder Art und Weise, Supper Clubs, Natural Wine – an vielen Ecken poppt in der Hauptstadt gerade ein neuer Laden auf, der genau diese Instagram-Food-Trends bedient.

Auch Julia Heifer legt viel Wert auf gesunde Ernährung – und setzt dies in ihrem eigenen Restaurant in Berlin-Schöneberg jeden Tag in die Tat um. Ich habe mich mit ihr getroffen und zusammen sind wir der deutschen Esskultur auf den Grund gegangen: von Ein-Euro-Schnitzeln, Joghurt mit der Ecke, Nahrungsergänzungsmitteln bis hin zu Seegurken. Wie man dem Thema Essen näher kommt, wie sie selbst ihren Weg in die Küche gefunden hat und warum wir uns in der Zukunft auf jeden Fall vom Thema Fleisch verabschieden müssen, lest ihr jetzt.

Die deutsche Esskultur hat im Ausland einen schlechten Ruf. Viel billiges Fleisch, schnell sattwerden, große Portionen. Oder wie siehst du das?

Ich versuche momentan herauszufinden, was da im Verborgenen liegt. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass das in Deutschland schon immer so war. Die Weltkriege und alles, was im 20. Jahrhundert passiert ist, müssen da viel abgetötet haben. Ja, es ist schwierig wieder an diese Wurzeln anzuknüpfen. Ich bin immer wieder überrascht, was Essen in Italien und Frankreich für eine Selbstverständlichkeit ist, vor allem in Bezug auf gute Qualität. In der Gastronomie bin ich oft enttäuscht von Deutschland: Sind die Leute bereit, mehr Geld dafür auszugeben, weil sie verstehen, was sie dafür bekommen? Nein, Hauptsache satt. Gib mir irgendeinen Wein. Satt und betrunken. Das finde ich manchmal sehr schade, aber es bietet natürlich auch eine Chance: Man kann da noch so viel verbessern. Gerade geht super viel. 

Also ist das nicht nur ein Klischee, sondern du siehst das auch an deinen Gästen, ja?

Wir haben ja Glück, dass wir ein Konzept fahren, das auf Qualität aufbaut und einen Standort hat, an dem die Leute dies wertschätzen und sich auch wünschen. Und trotzdem gibt es natürlich auch viele andere Flecken in Berlin, in Deutschland und überhaupt, wo es eben nicht so ist und wo man ganz am Anfang ansetzen muss, wo Gäste vielleicht auch gar nicht das Angebot bekommen, was sie sich wünschen. 

Wo liegt denn die Zukunft in Sachen Essen?

Na, ich hoffe es entwickelt sich dahin, dass die Leute verstehen, wie toll Essen eigentlich ist. Dass es wertvoll ist und es sich dort lohnt, zu investieren, weil es sich auf deine Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt. Die Deutschen müssen noch viel mehr verstehen, was sie da in ihre Körper einschleusen. Es braucht aber noch einiges an Aufklärungsarbeit, damit dieses Verständnis kein Privileg mehr ist und das Wissen und auch der Zugang zu den entsprechenden Nahrungsmitteln allen gegeben ist. 

Einen Trend, den ich persönlich ganz schlimm finde, sind Nahrungsergänzungsmittel: Astronautennahrung, Shakes, Tröpfchen und Pülverchen. Ich war gerade in Stockholm, da gibt es ganze Regale nur mit diesem Zeug. Ich halte überhaupt nichts davon, dafür habe ich keinen Platz in meinem Leben oder meinem Ernährungsplan. 

Größtes und wichtigstes Thema in der Zukunft: vegetarisches und veganes Essen. Ich bin mir fast sicher, auch wenn ich keine Vegetarierin bin, dass die Menschheit um eine vegetarische Ernährung nicht mehr herumkommt und da hoffe ich auf gute Alternativen. Ich möchte nicht einfach nur die Hälfte wegstreichen und sagen: Ok, das ist jetzt nicht mehr verfügbar. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen, was an die Stelle von Fleisch und alle anderen tierischen Produkten tritt. Im Lok6 nehmen wir nur sparsam Fleisch und Fisch ins Programm auf, achten auf Qualität und wissen, dass es ein Luxusprodukt ist. Wir müssen so sehr auf unsere Planeten achten, dass da kein Weg dran vorbeiführt. Wie soll es anders gehen?

„ "Wir brauchen Aufklärung vom Einzelhandel, von den ganzen Discountern." “

Stichwort Ein-Euro-Schnitzel. 

Genau. Die Leute müssen verstehen, dass es nicht das Wichtigste ist, dass sie billig satt werden, sondern auch wovon sie satt werden. Das ist ein super komplexes Thema. Wir brauchen Aufklärung vom Einzelhandel, von den ganzen Discountern. Ich weiß, die Idee, dass da ein Umdenken stattfindet, ist naiv und romantisch, aber trotzdem denke ich mir: Hey, das ist eigentlich menschenverachtend, dass da gewisse Sachen angeboten werden, wo dann ein roter Preis drauf geklebt wird und wenn man es nicht besser weiß, dann greift man halt zu.

Schwieriges Thema. 

Es ist ja auch gefährliches Halbwissen, da ist man schnell auf einem wackligen Pfad. Man kann jetzt auch nicht sagen: Habt euch nicht so und kauft halt mal 'ne Gurke. Es ist super herausfordernd mit wenig Geld auszukommen. Aber es ist auch eine Kombination aus zwei Faktoren: Erstens, dass es nicht verfügbar ist oder man denkt, es ist nicht verfügbar und zweitens, dass man gar nicht weiß, was daran schlecht sein soll. Joghurt mit der Ecke ist Joghurt. Und Joghurt ist gesund. Das sagt die Werbung.

Wie hast du denn deinen Zugang zu gesundem Essen gefunden?

Ich hatte schon immer genaue Vorstellungen davon, was mir schmeckt und was ich essen will und habe dann als Teenager angefangen selbst für mich und Freunde zu kochen. Daraus hat sich mein eigener Geschmack entwickelt und ich habe mir einfach selbst zubereitet, worauf ich Lust hatte. Das war ein inneres Interesse, dem ich da gefolgt bin. 

Und wie können andere den ersten Schritt in Richtung Küche wagen?

Super inspirierend finde ich die ganzen Netflix-Serien wie „Chef’s Table“. Das kombiniert Kulinarik mit anderen Themen wie Entertainment und starken Charakteren, die porträtiert werden. Es ist kurzweilig, man kann gut anknüpfen und sehen: Ok, das bedeutet Kochen also auch. Ansonsten finde ich Essen gehen ganz toll. Da sieht man dann, was andere machen, was geht und probiert Sachen, die man selbst vielleicht noch nie gegessen hat. Oder besorgt euch ein Kochbuch, nichts Verrücktes, super basic und inspirierend. 

Was ist denn dein Lieblingskochbuch?

Mein neuestes ist Polpo, nichts neues, relativ klassisch. Ich habe tatsächlich von einer Freundin neulich so ein ganz altes italienisches Kochbuch geliehen bekommen. Das meinte ich mit Heritage, die in Deutschland gerade ausgeblendet wird. Wie hat man in den 1920er-Jahren gekocht? Das gibt nochmal einen ganz anderen Input als Foodblogs oder Instagram, die ja im Prinzip alle dieselbe Sprache sprechen, weil es halt ein sehr trendlastiges Medium ist. 

Aber gerade Instagram und YouTube sind ja auch eine große Möglichkeit für Leute am Thema Essen teilzuhaben, oder?

Voll, das ist natürlich eine riesige Inspirationsquelle, man kann quasi gerade jetzt sehen, was in einer Küche in Paris gekocht wird, ohne jemals dort Gast gewesen zu sein. Das ist natürlich spannend. Und auch jemand wie René Redzepi vom Noma, der dann in seinen Storys irgendwelche Muscheln öffnet oder Seegurken beschreibt. Man kann so viel lernen, ohne dass man eine teure Kochausbildung machen muss oder ein Kochbuch hat. Er stellt sein Wissen umsonst zur Verfügung. Folgt solchen Leuten. 

Apropos Kochausbildung. Wie war dein Werdegang als Köchin?

Ich habe mich schon als Teenager dafür interessiert, aber eigentlich habe ich immer die größere Leidenschaft für Mode gehabt und bin nach dem Abitur nach Berlin gezogen, um Modedesign zu studieren. Diesen Weg habe ich dann erstmal verfolgt und im Bereich Modejournalismus diverse Praktika und Jobs gemacht. Dann bin ich aber eher in die Richtung Styling gerutscht. Wie die Kurve zum Essen kam? Immer wenn ich bei Fotoproduktionen war habe ich mich über das miese Catering geärgert. Diese ganzen kreativen Leute legen so viel Wert auf ihr Aussehen und ihre Gesundheit, wie kann es dann sein, dass sie den ganzen Tag gebackenes Hühnchen essen? Warum kann man Catering nicht besser machen? Damals hatte ich aber keine Berufserfahrung und auch kein unternehmerisches Wissen in diesem Feld. Man kann sich ja nicht einfach nur für Essen interessieren. Ich habe dann zweimal bei Firmenfeiern gekocht und kleinere Events gemacht aber gemerkt, dass ein bisschen mehr Fundament hilfreich wäre. Da habe ich beim dóttir angefangen zu kochen und war dort ein halbes Jahr in der Küche. Als meine Chefin Victoria Eliasdóttir dann dort aufgehört hat und in die vegetarische Mitarbeiter-Kantine ihres Bruders Olafur Eliasson gegangen ist, bin ich mit ihr gegangen. Dann kam auch schon Lok6. 

Von der Mode in die Küche. Wie war das?

Es war das beste, was mir je passieren konnte. Alles hat seine Daseinsberechtigung, aber ich merke, dass ich mich in der Küche viel wohler fühle. Was ich als positiven Unterschied sehe, ist, dass es viel mehr auf Teamwork ankommt – ohne die anderen klappt gar nichts. Es gibt viel weniger Konkurrenz, aber das ist auch nur meine Sicht, das sehen andere sicher ganz anders. 

„ "Ich glaube, je höher man in die Sterne-Gastronomie geht, umso weiter haben die Leute ihre Ellenbogen draußen." “

Ja, koksende Köche und krasser Konkurrenkampf. Man hört da ja so einiges. 

Ich glaube, je höher man in die Sterne-Gastronomie geht, umso weiter haben die Leute ihre Ellenbogen draußen. Ich habe die Klischees zwar nicht erlebt, aber ich bin mir sicher, das sind keine Hirngespinste. Es ist ein extrem anspruchsvoller Job im Sinne von körperlicher Arbeit, lange Tage, es geht viel um Kommunikation, Umgang mit Kollegen, Umgang mit Gästen, gerade in einer offenen Küche.

Ihr habt das Lok6 jetzt seit fast anderthalb Jahren. Was ist dein Resümee?

Wir sind gerade dabei das ein bisschen zu verstehen, denn in einem Jahr hast du ja jeden Monat, jede Saison einmal durchgemacht. Es war eine super intensive Zeit, wir haben so viel gelernt und uns extrem vielen Herausforderungen stellen müssen, die wir gemeistert haben. Das Verständnis als Gastronomin ist gewachsen, darauf kann man auch in einer Ausbildung nicht vorbereitet werden. Ein Restaurant zu leiten hat Vorteile, aber ist auch anstrengend. Unterm Strich würde ich es immer wieder so machen. 

Ihr habt euer Konzept radikal geändert. Erklär das mal. 

Wir haben jetzt Resümee gezogen nach über einem Jahr und waren an einem Punkt, an dem man entscheiden muss, was gewesen ist und wie es weiter geht. Wir sehen an diesem Standpunkt starke Herausforderungen das Daily Business aufrecht zu erhalten und haben uns deswegen dazu entschieden, das Geschäft zu komprimieren. Wir wollen uns viel mehr damit auseinandersetzen, was wir anbieten und dafür brauchen wir mehr Zeit und Luft. Wenn man jeden Tag ein ständiges Programm abliefert, dann geht die Energie ins Tagesgeschäft und man kann sich nicht darauf fokussieren, was man eigentlich tut. 

Also haben wir uns dazu entschieden, ab jetzt nur noch vier Dinnerabende im Monat zu veranstalten. Es geht ganz stark darum, was es zu Essen und zu Trinken gibt und die Menschen, die gemeinsam an einem Tisch sitzen. Die Leute werden aber nicht eingeladen, es ist ein öffentliches Event. Wir nehmen damit den Ort als das an, was er ist: ein Geheimtipp, eine versteckte Perle, die man erstmal finden muss. Wir nehmen uns jetzt die Zeit, uns mit dem Essen und Themen, zum Beispiel Fermentierung, viel mehr auseinanderzusetzen. 

Und wir gehen auch auf das Thema Events ein. Man kann den Laden mieten, es können Pop-ups stattfinden. Wir wollen offener und neu denken, auch in Form von Catering. Mittlerweile ist die Zeit reifer und die Leute haben verstanden, dass Catering nicht nur bedeutet 30 Leute sattzumachen, sondern dass das Essen bei Events eine Bereicherung sein kann. Und darauf habe ich total Lust. Das Thema Essen und Gastronomie nochmal neu zu durchdenken. 

Vielen Dank für das interessante Interview, liebe Julia!

LOK6
Am Lokdepot 6, 10965 Berlin
Reservierungen an [email protected]

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