Der Nachgeschmack der Angst nach Hanau

Der Nachgeschmack der Angst nach Hanau

Die Angst nach Hanau und das Gefühl von Hass wird größer – auf die Unterstützung des Staates oder von der Polizei ist kein Verlass. Ein Zustand, der mich ohnmächtig zurücklässt: Weil ich eine Frau mit Migrationshintergrund bin

Die Angst nach Hanau und das Gefühl von Hass wird größer – auf die Unterstützung des Staates oder von der Polizei ist kein Verlass. Ein Zustand, der mich ohnmächtig zurücklässt: Weil ich eine Frau mit Migrationshintergrund bin

Ein Gastbeitrag von Fatima Remli, Anwärterin für den Integrationsrat Köln

Endlich scheint die Sonne nachmittags in Köln. Ich blicke in die Ferne aus meinem Fenster, während die Sonnenstrahlen auf meine olivfarbene Haut schimmern. Meine Augen wandern rüber zu meiner Reflexion auf dem Bildschirm. Die Spiegelung meiner dunkelbraunen Augen sehe ich deutlich auf dem Monitor.

Lautes Gezwitscher der Vögel ertönt im Hinterhof. Langsam kehrt wieder Ruhe in mein Zimmer ein. Ich trinke einen Schluck meines Milchkaffees. Der Schaum in der Tasse hat sich abgesetzt und ein helles Braun ist zu sehen. Dabei verfalle ich kurzzeitig in meinen Gedanken bei dem Braunton meines Cafés. Für eine Sekunde sind die aktuellen Geschehnisse nur ein Albtraum. Wie Corona, – nur ein Trend von gestern. Hanau, – ein brutaler Horrorfilm und George Floyd, – der vermutlich irgendwo ein Hot Dog isst. Mein Handy vibriert plötzlich und ich kehre zurück zur Realität. Ich erschrecke mich und befinde mich wieder im Hier und Jetzt. Die Ereignisse sind keine Albträume, sondern Wirklichkeit.

Momentan sind Thematiken wie Polizeigewalt und Rassismus keine Seltenheit. Corona ist immer wieder stark im Fokus der Medien, während Hanau nur noch ein Schatten seiner selbst zu sein scheint. 

Viele wünschen sich den Alltag zurück, meinen zu glauben, dass Deutschland keine Anti-Haltung gegenüber Menschen mit Migration aufweist. Stattdessen wird der Finger auf Amerika gerichtet. Rassismus und Gewalt durch die Polizei seien dort ein Problem, aber nicht in Deutschland. Dieser Gedankengang ist mir völlig fremd. Vermutlich liegt das daran, dass Alltagsrassismus nichts Neues für mich ist. Meine marokkanischen Wurzeln waren nicht wirklich förderlich, um zum Beispiel Erfolg auf dem Wohnungsmarkt in Köln zu haben. Selbst im täglichen Leben fallen Sprüche wie „Nicht, dass du uns für deinen Glauben in die Luft sprengst!“ Und als ob das nicht ausreichen würde, werde ich immer wieder am Flughafen herausgenommen bei den Kontrollen, um tatsächlich auf Sprengstoff getestet zu werden. Merkwürdig, oder? Leider endet die Liste mit diesen Beispielen nicht. Ich bin überzeugt davon, dass sich viele Menschen in den von mir genannten Situationen wiedererkennen.

„ „Alltagsrassismus ist nichts Neues für mich. Selbst im täglichen Leben fallen Sprüche wie ‚Nicht, dass du uns für deinen Glauben in die Luft sprengst!’“ “

Ich nippe nochmal an meinem Kaffee und frage mich, was getan werden muss, um in Deutschland ohne Diskriminierung leben zu können. Hanau, Halle, die Taten des NSU und viele andere Formen von Gewalt in dieser Gesellschaft werden kaum beachtet. Dass immer noch über das N-Wort diskutiert werden muss, anstatt es einfach abzuschaffen, ist mir ein Rätsel. Hanau war einfach genug. Ich will, wie viele andere, nicht mehr diese Angst und Ohnmacht verspüren.

Wenn Corona irgendwann verblasst, lebt Rechtsextremismus weiter. 

Die Politik hat auf die Taten von Hanau nicht wirklich reagiert. Es wurden infolgedessen keine neuen Sicherheitsmaßnahmen geschaffen, die eigenen Reihen hinterfragt. Das ist etwas, was mich zu tiefst erschüttert. Das Vertrauen ist weg, dafür habe ich mehr Angst denn je, dass jederzeit wieder etwas passieren könnte. Immer wieder angebliche Einzelfälle – mir fehlen die Worte dafür. Und seit Jahren spielen Migranten dieses Spiel mit. Es sind deutsche Strukturen, die gegen Menschen mit Migrationshintergrund agieren. Die Polizei wird diese nicht schützen. Seit NSU ist das kein Geheimnis mehr und Hanau hat es noch mal klar gezeigt.

Die Polizeigewalt und Rassismus in den eigenen Reihen existieren und sind ein reales Problem. Oury Jalloh ist kein Einzelfall. Jalloh wurde im Januar 2005 von der Polizei mit fixierten Händen und Füßen in eine Gewahrsamszelle in Dessau gebracht, wo er zwei Stunden später unter unklaren Umständen verbrannte. Christy Schwundeck wurde 2011 in einem Frankfurter Jobcenter von der Polizei erschossen. Ousman Sey stirbt 2012 in Dortmunder Polizeigewahrsam. Es gibt noch viel mehr Fälle, außer den genannten, sie alle haben noch immer keine Aufklärungsarbeit erlebt. So viele Familien und Freund*innen, die um ihren Angehörigen trauern. So viel Ungerechtigkeit und Diskriminierung, die Menschen mit Migrationshintergrund noch immer widerfahren.

Ich bin einfach müde. Müde von dem Verneinen der aktuellen Lage, in der wir uns befinden. Dem tief in der Gesellschaft verankertem Rassismus. Müde von einem Bundesinnenminister, der eine Studie zu Rassismus in und Racial Profiling durch die Polizei ablehnt und damit ein eindeutiges Statement setzt. Keine Studienergebnisse, kein Problem? Kommt Racial Profiling nicht in Deutschland vor, oder was möchten Sie uns genau sagen, Herr Horst Seehofer? Gleichzeitig wird offen über Stammbaumforschung bei Tätern gesprochen. Da stellt sich mir die Frage, was da schiefgelaufen ist.

Wir fühlen uns in Deutschland nicht sicher und die vergangenen Monate haben mir umso mehr gezeigt, dass Migrant*innen nicht zu Deutschland gehören. Diese Debatte nimmt einfach kein Ende und es wird nichts unternommen, um uns ein anderes Gefühl zu vermitteln. Was ist nur los mit der Politik? Was muss noch passieren?

Deutschland, du hast es schon seit längerem mit einer Fremdenfeindlichkeit und einem Hass zu tun, die ausufert. Schon immer leben wir hier mit Antisemitismus und Islamfeindlichkeit und als ob das nicht ausreichen würde, wurden zu Coronazeiten noch weitere Feindbilder in asiatisch gelesenen Menschen geschaffen. 

Wieder kommen Trauer und Wut in mir hoch. Ständig kämpfen wir Menschen mit Migrationshintergrund um Anerkennung. Wenn wir zu emotional sind, werden wir abgewertet. Wenn wir uns anpassen, reicht es nicht aus. Ich verstehe nicht wie Menschen sich das Recht herausnehmen können, andere beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe zu diskriminieren oder sie sogar umzubringen. Ich arbeite selber als Anwärterin für die Integrationsarbeit mit Initiativen in Köln zusammen. Ich höre mir an, was die Vereine fordern, wie wir Unterstützung vom Staat erhalten können. Anträge werden gestellt oder ich spreche für die Initiativen auf Kundgebungen. Es ist eine Sisyphus-Arbeit. Was muss getan werden, damit solch eine Tat wie Hanau nicht wieder passiert? Rassismus ist so normal geworden, dass es die Initiativen unruhig macht. Es vergeht kein Tag, an dem nicht wieder jemand von rassistischen Erfahrungen berichtet. Sei es bei den Behörden oder im Supermarkt – Rassismus findet überall statt.

„ „Dein Schweigen wird dich nicht mehr schützen, schrieb einst die schwarze Aktivistin Audre Lorde.“ “

Es gibt noch so viel zu tun. Es ist frustrierend, in einer solchen Gesellschaft zu leben. Aber es gibt Hoffnung und eine wachsende Bewegung. Sei es #blacklivesmatter, „N- Wort stoppen“ oder Migrantifa, die dazu aufrufen, Rassismus sichtbar zu machen, zu benennen und dagegen zu kämpfen. „Your silence will not protect you anymore“, Deutschland. Dein Schweigen wird dich nicht mehr schützen, schrieb einst die schwarze Aktivistin Audre Lorde. 

Es ist an der Zeit, genauer hinzuschauen und Täter nicht als Einzelfälle abzustempeln. Nun ist es wichtiger denn je, hinzuschauen. Ich verlange keinesfalls, dass ihr alle, wie ich, zu Aktivist*innen werden müsst. Es reicht schon, die Mitmenschen aufmerksam zu machen und sich auch in alltäglichen Unterhaltungen gegen Rassismus und für Minderheiten stark zu machen.

Unsere Gesellschaft muss lernen, umzudenken. Diversität anerkennen, über neue Polizeistrukturen nachdenken. Fakt ist, dass innerhalb der Polizei rechtsextreme und rassistische Ideologien vertreten sind. Es muss etwas passieren. Ich möchte mir außerdem nicht ständig anhören müssen, dass ich ja ein Beweis dafür sei, dass es schon Erfolge gibt. Ich möchte gleichzeitig aber auch nicht erklären müssen, wo ich denn wirklich herkomme.

Eigentlich müsste die deutsche Vergangenheit uns doch gelehrt haben, dass man nie wieder Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens anfeindet, verfolgt oder ermordet. Es muss etwas passieren.

Wenn ihr mehr über Fatima Remli und ihre Arbeit erfahren möchtet, folgt ihr auf Instagram, lest ihre Artikel im Renk Magazin und verfolgt ihre Arbeit für den Young Migrants Blog. Natürlich könnt ihr euch hier in den Kommentaren in den Dialog gehen.

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