Die große Beige-Serie zur US-Wahl 2020: Teil 4 – Hoffnungen und Wünsche junger Amerikaner*innen

Die große Beige-Serie zur US-Wahl 2020: Teil 4 – Hoffnungen und Wünsche junger Amerikaner*innen

Amerika hat gewählt und es ist ein Wahlkrimi, wie ihn sich selbst die Macher von House of Cards nicht hätten ausdenken können. Wir haben vier Amerikaner*innen nach ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft ihres Landes gefragt.

Amerika hat gewählt und es ist ein Wahlkrimi, wie ihn sich selbst die Macher von House of Cards nicht hätten ausdenken können. Wir haben vier Amerikaner*innen nach ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft ihres Landes gefragt.

Es ist der 06.11.2020 am Morgen, zweieinhalb Tage sind seit der 46. Präsidentschaftswahl der Vereinigten Staaten vergangen. Vieles erinnert an die letzte Wahl im Jahr 2016 – die Spannung bis zur letzten Minute, vor allem aber die Fehleinschätzung in vorausgegangenen Umfragen, welche bereits zum zweiten Mal einen sehr eindeutigen Sieg der Demokraten prophezeiten. Doch wieder endet es in einem Kopf-an-Kopf-Rennen, wieder wird der mittlere Westen entscheiden. Genauer gesagt sieht es aktuell danach aus, als entscheidet genau ein Staat: der Wüstenstaat Nevada. Ausgerechnet der Staat, in dessen Hauptstadt Las Vegas sich alles um Gewinnen oder Verlieren, die Fifty-fifty-Chance, Rot oder Weiß, ums große Glück oder Pech dreht, wird dieses Jahr voraussichtlich entscheiden, ob durch die sechs Wahlmänner Joe Biden eine Punktlandung mit 270 Stimmen zum Präsidenten gelingt. Um 18 Uhr deutscher Zeit haben die Wahllokale gemeinsam das aktuelle vorläufige Ergebnis bekannt gegeben. Aber noch immer heißt es: Abwarten. Und dieser Zustand könnte sich noch um einige Tage hinziehen. Durch das Eintreffen weiterer Briefwahlstimmen kann es bis zur Verkündung des endgültigen Ergebnisses noch mindestens fünf Tage dauern. Bis dahin hoffen und beten die Weltgemeinschaft und die Amerikaner*innen – wir haben fünf von ihnen befragt.

Mary (23) aus Texas

Wie denkst du über die aktuelle Situation in deinem Heimatland?

Die Situation in den USA ist allgemein ein absolutes Chaos, besonders aber zum jetzigen Zeitpunkt. Von Trump über das Virus bis hin zu den Unruhen und Polizeigewalt war 2020 ein extrem chaotisches Jahr. Ich lebe aktuell in Berlin und von der Seitenlinie aus zuzusehen, was Zuhause alles vor sich geht, ist extrem beunruhigend. Es ist mir aktuell fast peinlich, Amerikanerin zu sein. Wie traurig ist es, dass ich und viele andere dieses Gefühl derzeit in uns tragen?

Was hat sich in den USA seit der letzten Wahl im Jahr 2016 geändert?

Unser Land ist seit dem Amtsantritt von Trump im Jahr 2016 völlig gespalten. Republikaner und Demokraten kommen auf keiner Ebene mehr miteinander aus, und ich habe viele Freundschaften wegen politischer Differenzen enden sehen (und das sogar auch persönlich erlebt). Wirklich schrecklich, dass es so weit kommen musste und die Politik selbst das Privatleben zum Negativen beeinflusst. Diese Erfahrung kannte ich vor 2016 nicht. 

Blickst du dem ausstehenden Ergebnis positiv entgegen? Was erhoffst du dir davon? 

Ich halte meine Hoffnungen eher klein, um dann vielleicht positiv überrascht zu werden. Trump hat in unserem Land so viel Hass gesät und ich möchte unbedingt, dass sich daran etwas ändert. Biden ist sicherlich keineswegs perfekt, aber er könnte ein wichtiger Anfang sein, um unser Land wieder zusammenzuführen.

Welche Wünsche hast du für die Zukunft?

Mein größter Wunsch für Amerikas Zukunft ist es, dass das Land wieder enger zusammenhält und die Zukunft gemeinsam gestaltet. 

Und was ist deine derzeit größte Sorge?

Meine größte Sorge hinsichtlich der Wahl ist das System in sich. Ich finde es schrecklich, dass dieses auf dem Votum von Wahlmännern basiert und somit mehr von diesen Zahlen als von den wirklichen Stimmen der Wähler*innen abhängt. Selbst wenn ein*e Kandidat*in mehr Volksstimmen hat als sein*e Gegner*in, kann er*sie immer noch verlieren. 

Glaubst du, dass deine Stimme eine Wirkung hat?

Ich bin in der Meinung gegenüber meiner eigenen Stimme hin- und hergerissen. Natürlich habe ich einen gewissen Einfluss und nehme meine Wahlpflichten ernst. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass ich keine wirkliche Veränderung bewirken kann. Das politische System der USA wird zwar oft gerechtfertigt, aber ich persönlich komme nicht umhin, es für Unsinn zu halten.

Helen (29) und Ryan (35) aus Kalifornien

Wie denkt ihr über die aktuelle Situation in eurem Heimatland?

Wir könnten derzeit wahrscheinlich ein kleines Buch mit all den Emotionen und Gedanken über den Zustand unseres Landes füllen. Um es kurz zu machen: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten eine weite Skala der Emotionen durchlaufen und sehen diese Wahl als großen Test für unser Land. Um zu zeigen, woran wir mehrheitlich wirklich glauben... hoffentlich beginnt das mit einem Sieg von Biden/Harris.  

Was hat sich in den USA seit der letzten Wahl im Jahr 2016 geändert?

Das Recht auf Gesundheitsfürsorge wurde abgeschafft, Umweltvorschriften, die den Klimawandel aufhalten, wurden rückgängig gemacht und es besteht aktuell auch noch die reale Möglichkeit, dass Frauen das Recht auf Kontrolle über ihren eigenen Körper verlieren könnten. Wir fangen an, die Auswirkungen des Klimawandels mit Bränden, Stürmen und andere extremen Wettern zu spüren. Die Menschen wurden wachgerüttelt, wie präsent das Problem Rassismus ist und mehr als 200.000 Menschen sind während einer globalen Pandemie gestorben, was größtenteils darauf zurückzuführen ist, dass unser Präsident sich weigert, auf Wissenschaft und Experten zu hören. Es war also nicht schön. Das Schlimme ist, dass sich diese Liste sogar noch verlängern könnte.

Blickt ihr dem ausstehenden Ergebnis positiv entgegen? Was erhofft ihr euch davon?

Trotz der eben genannten Liste mit viel dreckiger Wäsche sind wir beide optimistisch. Momente wie diese stellen eine Gelegenheit für echte Veränderungen dar und unabhängig davon, was passiert, haben wir eine Bewegung unter jungen Menschen erlebt. Sie melden sich zu Wort und setzen ihre Angst und Wut in Taten um. Die Menschen werden zur Demokratie radikalisiert und das ist eine schöne Sache. Für all diejenigen, die sich an die Amtszeit dieses Präsidenten erinnern werden, gibt es ja sowieso kein Zurück mehr. Unsere größte Hoffnung ist natürlich, dass Biden und Harris gewinnen. 

Welche Wünsche habt ihr für die Zukunft?

Wir wünschen uns sehr, dass es weiterhin Impulse für die Kandidatur vielfältiger Führungspersönlichkeiten gibt, dass wir Institutionen (z. B. Polizeikräfte, Gefängnissysteme), die das Leben vieler, diverser Mitbürger noch immer bedrohen, reformieren (oder abbauen). Wir hoffen auf ein Gesundheitssystem, das gerecht und für jeden erschwinglich ist. Und wir hoffen, dass wir unsere Einwanderer schätzen und schützen und dass wir echte Maßnahmen gegen den Klimawandel umsetzen. 

Und was ist eure derzeit größte Sorge?

Dass dieselben Menschen, die jahrzehntelang an der Macht waren, auch weiterhin an der Macht bleiben, dass der Status Quo beibehalten wird, dass die Menschen (einschließlich der großen Zahl junger Wähler*innen, die in diesem Jahr dazu kamen) entmutigt werden und deshalb das Interesse an Politik verlieren. Eine Sorge ist es, dass wir all diese neu gefundene Initiative und das neue Bewusstsein gerade verschwenden und in vier Jahren die gleichen Gespräche führen werden.

Glaubt ihr, dass eure Stimme eine Wirkung hat?

JA. Wir alle haben Netzwerke um uns rum, die wir mit unserer Stimme beeinflussen können und das ist unglaublich wichtig in solch stürmischen Zeiten. Letztendlich lernen wir gerade, dass wir Einfluss nehmen können, wenn wir im Kollektiv handeln. Wenn wir unsere Stimmen gemeinsam erheben und uns organisieren, müssen unsere gewählten Vertreter*innen uns zuhören.

Sam (26) aus Maine

Wie denkst du über die aktuelle Situation in deinem Heimatland?

Es ist mir persönlich peinlich. Es gibt so viele Schwachstellen in unserem System, wie es die Menschen in den USA behandelt und vertritt. Da ich im Ausland bin, werde ich häufig gefragt, wie ich die Lage in den USA bewerte und habe aktuell große Probleme, stolz auf meine Nationalität zu sein, wenn ich daran denke, dass mein Land mich und meine Werte derzeit so schlecht repräsentiert.

Was hat sich in den USA seit der letzten Wahl im Jahr 2016 geändert?

Ich denke die größte Veränderung ist, dass die Spannungen dramatisch zugenommen haben. Themen wie Gleichberechtigung, Grundrechte und Ungerechtigkeiten, die Menschen erdulden müssen, rücken in den Fokus der Debatte. Wir sind darauf angewiesen den Menschen, die wir wählen, die unser Land bestmöglichen führen sollen, vertrauen zu können. Diese Probleme und Differenzen sind nicht neu, aber sie wurden viel zu lange unter den Teppich gekehrt. Jetzt setzen die Betroffenen sich für eine gründliche Aufarbeitung ein. Ich denke, Menschen mit eher fremdenfeindlichen Ansichten fühlen sich ermutigt unter der derzeitigen Regierung ihrem Instinkt entsprechend handeln zu können, was oft zu Gewalt führt.

Blickst du dem ausstehenden Ergebnis positiv entgegen? Was erhoffst du dir davon? 

Ich möchte nicht zu optimistisch sein. Ich bin kein Fan des aktuellen Amtsinhabers, aber als wir vor vier Jahren dachten, er würde sicherlich verlieren, haben wir uns geirrt. Lieber erwarte ich ein also unangenehmes Ergebnis ab und werde dann vielleicht ja überrascht – besser, als wieder enttäuscht zu sein.

Welche Wünsche hast du für die Zukunft?

Ich hoffe, wir können ein gerechteres System etablieren, welches die US-Bürger (und andere Menschen auf der ganzen Welt) besser repräsentiert und ihnen ehrlich und zu ihren Gunsten, dient. Ich habe keine konkreten Lösungen parat, aber die Abschaffung des Systems mit Wahlmännern, die Umsetzung von Globalismus, eine verstärkte Rechenschaftspflicht für Beamte, Umweltschutzinitiativen und die Umverteilung von Mitteln für Bildung und Infrastruktur sind einige Dinge, die meiner Meinung nach hilfreich wären.

Und was ist deine derzeit größte Sorge?

Meine größte Sorge ist es, wie viele Menschen auf Impulse reagieren und dann entscheiden, dass Gewalt notwendig ist. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen sehr an dieser Wahl interessiert sind und denken könnten, dass bei einer Niederlage (oder einem Sieg, wer weiß) ein Aufstand der richtige Weg sei. Das ist zumindest meine unmittelbare Sorge, denn je nachdem, wer gewinnt, könnten daraus langfristig noch weitere Probleme entstehen. Es gibt viele Parallelen zwischen unserem derzeitigen Präsidenten und einem bestimmten deutschen Diktator, von dem Sie vielleicht gehört haben.

Glaubst du, dass deine Stimme eine Wirkung hat?

Ich möchte es gerne glauben. I fucking hope so

Xavier (29) aus Texas

Wie denkst du über die aktuelle Situation in deinem Heimatland?

Ich bin einfach nur verzweifelt und weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, wenn es um die Gründe für diese Verzweiflung geht. 

Was hat sich in den USA seit der letzten Wahl im Jahr 2016 geändert?

Ich denke vor allem Covid-19 hatte wohl letztendlich den größten Einfluss auf die Situation der USA seit 2016. Mit dem Virus entstand eine neue Welle der Arbeitslosigkeit und die verfügbaren finanziellen Mittel wurden limitiert. Daraus resultieren dann viele weitere Probleme.

Blickst du dem ausstehenden Ergebnis positiv entgegen? Was erhoffst du dir davon?

Ja, ich bin sehr positiv und hoffe, dass Trump nach vier langen Jahren den Präsidentenstuhl freimachen muss. 

Welche Wünsche hast du für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass mein Land sich endlich mal wieder zusammenrauft. Es sollte monatliche Konjunkturpakete geben, die Leute sollten auf die Lockdownregelungen achten und ihre Masken tragen. 

Und was ist deine derzeit größte Sorge?

Dass dies nicht gelingt und ich vielleicht sogar selbst an Covid-19 erkranke. 

Glaubst du, dass deine Stimme eine Wirkung hat? 

Daran glaube ich definitiv, ja. 

Ich danke allen Interviewpartnern*innen für ihre Zeit und Offenheit. Um den Artikel möglichst divers zu gestalten, war es mein Wunsch, auch republikanische Stimmen abzubilden. Leider ließ sich unter 100 kontaktieren Trump-Wähler*innen aus 28 Staaten keine Person finden, die sich mit mir austauschen wollte.

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