Die 16. Venedig Architektur Biennale – Ein persönlicher Rückblick

Die 16. Venedig Architektur Biennale – Ein persönlicher Rückblick

Perfekt gelungen ist das ambitionierte Vorhaben nicht, es schafft aber Rahmenbedingungen für Diskussionen.

Perfekt gelungen ist das ambitionierte Vorhaben nicht, es schafft aber Rahmenbedingungen für Diskussionen.

Ein Gastbeitrag von Izabela Anna Moren

Man muss ehrlich sein: Sehr gute Kritiken haben die diesjährigen Kuratoren Yvonne Farrell und Shelley McNamara, beide irische Architekten, für ihre Vision der 16. Architekturbiennale die dieses Jahr unter dem Titel „Freespace“ stattfindet, nicht bekommen. Das Thema sei nicht konkret genug verfolgt worden, hieß es von den einen, die Thematik wäre von Anfang an zu schwammig und undefiniert gewesen, von den anderen.

In der Arsenale – dem im 11. Jahrhundert als Sitz von Schiffswerft, Zeughaus und Flottenbasis gebauten Komplex, in welchem sowohl die Kunst- als auch besagte Architekturbiennale jeweils im Zweijahrestakt stattfinden, fällt einem das zunächst nicht auf, denn alles ist interessant. Aber dann, ganz allmählich, passiert es doch. Während man den langen geraden Backsteinschlauch entlang marschiert und dabei immer wieder rechts und links stehen bleibt, entfällt einem etwas Wichtiges: was man gerade eigentlich gesehen hat. Ich denke an meinen ehemaligen Redakteur Arthur Wortmann, den langjährigen Herausgeber der Fachzeitschrift MARK Magazine, der mir relativ verdrossen erschien, wenn er sagte, er würde Architekturausstellungen meiden da sie als Bücher ganz klar besser funktionieren.

Man möchte sich mit der Materie auseinandersetzen, bestmöglich im Sitzen. Es ist keine Ungewöhnlichkeit bei Gruppenshows, von denen die Biennale quasi ein Megaformat ist, überwältigend oder ungleichmäßig zu wirken. Manche Arbeiten sind klar stärker als andere. Doch die ausgewählten Projekte in der Arsenale wirken einander fremd, zu weit sind sie gestreut: von einem abstrakt technologisierten Architekturmodell über begehbare Modelle und Dokumentarfilme bis hin zu einem weichen, „sicheren Space“ duschvorhangartig abgetrennt und mit musikalischer Untermalung, ist alles vertreten.

Viele dieser architektonischen Ansätze und Ideen sind interessant und Abwechslung in Form eines weiten Spektrums sind natürlich begrüßenswert, aber es fehlen die verbindenden Elemente, welche die diversen Erzählungen verschiedener internationaler Architekten miteinander verweben würden – und so gemeinsam einen Vorschlag für „Freespace“ formulieren könnten. Als ich am Ende der Arsenale ankomme, sind sowohl die Gefühle als auch die Aufmerksamkeitsspanne ermattet. Den stärksten Eindruck hinterlässt das letzte Projekt, welches auf vergleichsweise großer Fläche den Bau einer Schule in Indien mit natürlichen Methoden und lokalen Materialien durch Filme, Materialproben und eine Vielzahl von mitgebrachten Einrichtungsgegenständen verdeutlicht. Sie sind bunt, gewebt, umweltfreundlich und sozial verantwortlich, das Projekt entspricht meinen eigenen Interessen und spricht mich deshalb an.

Schweigend verlassen mein Freund Oliver und ich das Gelände, einerseits erdrückt von Eindrücken, andererseits noch in den Nachwehen einer hitzigen Diskussion, die wir über ein vorangehendes Projekt hatten. Er mag es, ich empfinde es als provokative Geste, die zu künstlerisch ist und keine bauliche Lösung bietet; da wollte jemand pfiffig sein, denke ich genervt über die Arbeit von Rozana Montiel. Oliver hingegen sieht einen gesellschaftlich übertragbaren Wert in ihr, versucht er mir zu erklären. Er ist dankbar, dass bei den vielen Projekten auch jemand auf „andere“ Art und Weise versucht mit ihm zu kommunizieren.

Vielleicht ist genau das die Idee der diesjährigen Biennale: kein Konsens, sondern verschiedene Blickweisen. Die beiden Kuratoren wünschen sich mit ihrer Biennale, dass dies mit einer Großzügigkeit geschieht, die in jedem Raum und in jedem Projekt einen Platz für das bisher Unbekannte lässt. So ganz perfekt gelungen ist ihnen dieses ambitionierte Vorhaben wahrscheinlich nicht, aber sie schaffen Rahmenbedingungen und liefern Eckpunkte um Diskussion über Erfolge, Misserfolge und dringende Möglichkeiten wahrzunehmen.

Wir haben für die letzten Wochen der Architekturbiennale noch einmal zusammengefasst, warum es sich trotz sparsam lobenden Kritiken doch wirklich lohnt, ein Ticket nach Venedig zu buchen und welche Highlights oder Lowpoints dort für Konversationen sorgen könnten.

#1 URBAN MAY BE OUT

Lange haben wir vor allem über Städte, Metropolen und Megacities von mehr als 25 Millionen Einwohnern als Modelle für die Zukunft gesprochen. Nun scheint es für das erste Mal seit langem, dass eine horizontale Ausrichtung, die mehr ländlich als vertikal in den Himmel baut, wieder als Alternative vorstellbar ist. Pavillon: Nordic Countries (Finland-Norway-Sweden) – „Another Generosity“, sowie China, Lebanon, Italy, Kosovo und andere.

#2 CHINA

Die Kontributionen von chinesischen Architekten sind stark; viele sind bereits gebaute Projekte auf großem Raum, welche ideelle Ansprüche sowohl von gemeinsamem Leben, als auch Baumaterialen, Land und Nachhaltigkeit respektvoll und ästhetisch zu verbinden wissen. Pavillon: China – „Building a Future Countryside“ des Architekten Li Xiangning.

#3 UNEARTH MATERIAL

Es ist wahrlich keine Neuigkeit und trotzdem oft übersehen oder ignoriert: Man kann fast immer kostengünstig und effizient mit lokalen Materialien bauen. Die Biennale erinnert daran: Gerade in den abgelegensten Orten dieser Welt ist dies nicht nur möglich, sondern von immensem Vorteil. Pavillon: „Case Design – A School in the Making“ der Architekten Marina Tabassum Architects.

#4 UNBUILT ARCHITECTURE

Für seine gleichermaßen sozialen, wie auch innovativen Projekte erhielt der argentinische Architekt Alejandro Aravena 2016 den Pritzker Preis. Eines seiner Konzepte erscheint in diesem Kontext besonders prägnant: sozial schwachen Familien wurde eine Siedlung von fast identischen halben Häusern gebaut, die zweite Hälfte konnten sie individuell nach ihren eigenen Vorstellungen schrittweise ergänzen. Direkter kann man „Freiräume lassen“ fast nicht umsetzen. Pavillon: Free Space – „The Value of What’s Not Built“ der Architekten Alejandro Aravena, Gonzalo Arteaga, Juan Cerda, Diego Torres und Victor Oddo

#5 ISOLA(TION)

Nun, man weiß, dass gut gemeint manchmal das Gegenteil von gut sein kann. Es scheint, als wäre genau das bei dem Pavilion der Briten im Giardini passiert. In Zeiten, in denen Grossbritannien vor allem wegen Brexit und mangelnder Solidarität in der Presse ist, schlagen Caruso St. John und Marcus Taylor die Idee der Insel als einen Ort für optimistische Neuanfänge vor. Mut oder Ironie? Es wirkt ignorant und unbeholfen. Pavillon: Great Britain – „Island“ der Architekten Caruso St John Architects mit Marcus Taylor.

#6 ZUSAMMENHALT

Sozial motivierte Architektur wird gerne belächelt, hat bei diesjährigen Biennale aber Konjunktur. Neben vielen einzelnen Architekten, die sich hier Gedanken machen, bringt der Französische Pavilion gekonnt eine Selektion von unabhängigen community-run spaces überall in Frankreich zusammen und stellt so auch infrage, wer für Städtebau, Architektur und Planung verantwortlich ist. Die Antwort liegt manchmal in der Gemeinschaft und im Selbstgebauten. Pavillon: France – Infinite Places - Building or Making Places? der Architekten Nicola Delon, Julien Choppin und Sébastien Eymard- Encore Heureux.

#7 VIELSEITIGKEIT

Die Kuratoren der Biennale deuten es an, die Köpfe hinter dem japanischen Pavilion machen es deutlich: Architektur ist vielseitig. In ihrer Installation füllen sie den Raum mit Zeichnungen und Konzepten, die sich in Ihrer visuellen Sprache nicht stärker unterscheiden können. Statt erklärender Texte, bekommen die Besucher Lupen und Leitern, um sich im Detail mit den Ideen auseinandersetzen zu können. Pavillon: Japan – „Architectural Ethnography“ der Architekten Momoyo Kaijima, Laurent Stalder und Yu Iseki.

#8 GERMAN INTERNATIONAL

Wer in Berlin aufgewachsen ist, hat von der deutschen Teilung in der Schule so viel gehört, dass man kurz nach dem Abitur mit jugendlicher Ignoranz jedes Mal mit den Augen rollen wollte, wenn das Thema zur Sprache kam. Die ehemalige Direktorin des Stasi-Unterlagen-Archivs Berlin, Marianne Birthler, und ihre Kollegen schaffen es, in Venedig den Mauerfall mit internationaler sowie zeitgenössischer Relevanz zu füllen. Indem sie zeigen, was mit den Orten der ehemaligen Mauer architektonisch passiert ist und welche anderen Orte auf der Welt heute noch mit Mauern leben müssen. In Interviews berichten Menschen aus unter anderem Zypern, Palästina, Israel, Marokko von ihren Erfahrungen. Pavillon: Germany – „Unbuilding Walls“ der Architekten Marianne Birthler, Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit.

#9 RELEVANZ

Nun, eigentlich kämpft ja jeder ständig darum, relevant zu werden oder es zu bleiben. In diesem Jahr hat wohl auch die die katholische Kirche den Drang mitzumischen im bunten Treiben von zeitgenössischer Kultur. Somit beteiligt sich zum ersten Mal auch der Vatikan mit einer Kollektion von kirchlichen Pavilions, designt von hochkarätigen Architekten. Die spannende Frage ist, was nach der Biennale mit diesen architektonischen Pralinen passiert – einfach abreißen wäre schade und nicht sehr umweltfreundlich. Pavillon: Vatican City – „Holy See“ der Architekten Andrew Berman, Francesco Cellini, Javier Corvalàn, Eva Prats and Ricardo Flores, Norman Foster, Teronobu Fujimori, Sean Godsell, Carla Juacaba, Smiljan Radic, Eduardo Souto de Moura, Francesco Magnani und Traudy Pelzel.

Die Biennale Di Venezia läuft noch bis zum 25. November 2018.

Weitere Artikel werden geladen...