Happie Haus: In der neuen App finden Brustkrebspatient*innen Unterstützung

Happie Haus: In der neuen App finden Brustkrebspatient*innen Unterstützung

Stephanie Neumann hat eine App entwickelt, die Brustkrebspatient*innen mehr schöne Momente schenken soll

Stephanie Neumann hat eine App entwickelt, die Brustkrebspatient*innen mehr schöne Momente schenken soll

Stephanie Neumann ist eine der Personen, warum ich hier sitze und das mache, was ich mache. Als Uni-Dozentin und gelernte Modejournalistin prägte sie mich, mein journalistisches Denken und vor allem meinen Ehrgeiz so sehr, dass das Seminar mit ihr wohl im Nachhinein zu einem meiner schönsten und inspirierendsten Erinnerungen in der Uni gehört – und das war damals schon im zweiten Semester, also noch sehr früh und mit wenig Wissen und Können.

Ich habe Stephanie nie aus den Augen verloren, immer versucht Kontakt zu halten, mich wahnsinnig gefreut, sie auf Events zu sehen. Doch dann war sie auf einmal weg. Die Frau, der kurze Haare so gut stehen wie niemand anderem und die ein so spezielles und ansteckendes Lachen hat, dass man einfach mitlachen muss. Sie war weg. Und das nicht nur von meiner Bildfläche, sondern auch aus dem Job, ja quasi aus dem Alltag gerissen. Grund dafür war ihre Brustkrebserkrankung.

Jetzt, zweieinhalb Jahre später, ist sie wieder zurück, geheilt, um einige schreckliche, aber auch bestärkende Erfahrungen reicher. Zwischenzeitlich hatte sie ihre Haare verloren, aber ihr Lachen ist geblieben. Und das aus gutem Grund. Denn aus ihrer Erkrankung zieht Stephanie das, was für viele wohl immer ein Rätsel bleiben wird: eine neue Profession, eine Berufung und vor allem den Willen, diese schwere Zeit für andere Frauen schöner gestalten zu wollen.

Und so launcht Stephanie jetzt, nach vielen Monaten Arbeit und einer Krebserkrankung Happie Haus, die Brustkrebs-App. Die Geschichte dazu begann im Frühling 2018, als Stephanie während ihrer Brustkrebstherapie in der Berliner S-Bahn unterwegs war. Wie viele Krebspatientinnen trug sie einen Turban, um ihren kahlen Kopf zu bedecken. Ein junger Typ lief an ihr vorbei, drehte sich im Hinausgehen um und rief ihr fröhlich zu: „Peace to the Hippie!

Und dieses Glücksgefühl wollte sie weitergeben. Während sie sich von ihrer zweiten Operation erholte, begann sie noch im Krankenhaus, Affirmationskarten zu zeichnen. Sie machte eine Yogalehrerausbildung und eine Zusatzausbildung für Yoga bei Krebs nach der Y4C-Methode. Und im Sommer 2020 wurde Happie Haus geboren. Als Ort der Hoffnung und Heilung. Als Inspiration für einen gesunden Körper und positives Denken.

Und ich durfte mit Stephanie darüber sprechen, warum es eine App für Brustkrebs braucht, was Patient*innen dort finden können und was ihr die Kraft gibt, sich Tag für Tag wieder mit dem Thema Krebs auseinanderzusetzen.

Was sind die drei Sachen, die du in den letzten Jahren gelernt hast?

Aufs Bauchgefühl hören. Sich Zeit nehmen, lassen und geben. Naja, und den Moment genießen. Das sagt sich immer so leicht, aber man gewinnt ein anderes Verhältnis zu dieser Aussage, wenn man von einer auf die andere Sekunde merkt, dass sich alles verändern kann.

Wie ist das Happie Haus entstanden?

Ich hatte gerade wieder angefangen zu schreiben, weil ich dachte, dass ich nach anderthalb Jahren Krankheit ja auch mal wieder Geld verdienen muss. Ich hatte zwar Krankengeld, aber das ist ja auch endlich. Und dann brach mit Corona alles weg. Ein Projekt wurde abgesagt, ein anderes verschoben und dann kam nichts mehr. Ich war gerade erst wieder am Anfang meiner Selbstständigkeit, und dann war alles vorbei. Also beschloss ich, etwas Sinnvolles mit der Zeit zu machen, die ich unerwartet hatte.

Ich hatte die Yogalehrer-Ausbildung im Sommer 2019 gemacht, ein Jahr, nach dem ich aus dem Gröbsten raus war und habe in meiner Dachgeschoss-Wohnung Freunden Yoga-Unterricht gegeben. Wegen Corona habe ich dann angefangen, meinen Unterricht zu streamen und das digitale Element hat sich in mein Leben begeben. Also habe ich einmal in der Woche meinen Freud*innen einen Yoga-Kurs gegeben. Weil ich sehr viel Zeit hatte und mich für Yoga interessiert habe, habe ich dann die Zusatzausbildung bei Yoga4Cancer online gemacht, einer New Yorker Yogaschule, die auf das Thema spezialisiert sind. Da hat sich alles zusammengefügt. Yoga und Krebs, gut, dann habe ich mit Yoga for Cancer begonnen und Online-Yoga-Events veranstaltet, um mit den Erlösen Krebsorganisationen zu unterstützen.

Nach einiger Zeit traf ich dann Pia Thole wieder, sie war auch auf der Suche nach sinnvollen Projekten. Sie hat zu mir gesagt: „Ich finde das toll, was du da angestoßen hast, wenn du eine Idee für ein digitales Projekt hast, dann sag mir doch Bescheid.“ Und ich hatte sofort eine Idee und habe ihr nach einer Woche Bescheid gesagt. Das war vor ziemlich genau einem Jahr.

Da hast du ja wirklich das Beste aus Corona herausgeholt, Respekt!

Ja, es wäre einfach gewesen, den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen: Ich Arme, jetzt war ich anderthalb Jahre krank, jetzt habe ich wieder angefangen Geld zu verdienen und jetzt ist alles weg. Aber so bin ich nicht. Ich habe mich dann auf meinen Hintern gesetzt und gesagt: So, dann mache ich jetzt etwas mit dieser Zeit.

„ „Obwohl ich in Berlin und in einer sehr renommierten Praxis war, hatte ich gar nichts. Kein Angebot, außer, da zweimal die Woche reingehen, einmal an den Tropf, einmal zur Blutkontrolle und hoffentlich war sonst nichts.“ “

Wie kann ich mir die Gründung einer App vorstellen? Ist das nicht finanziell wahnsinnig aufwendig?

Also ich habe ja das Glück, dass ich das nicht alleine mache. 3horizons supportet mich in vielen Dingen. Und wir sind gerade auf der Suche nach Investoren, mitten im Funding. Ansonsten fuchst man sich in das Digitale einerseits rein, andererseits nutzt man ja Apps und ehrlich gesagt, sind Apps ja auch nur Content. Es ist natürlich anders als im Print oder klassisch Online, aber am Ende ist ein großer Teil meiner Zeit, dass ich Inhalte erstelle und mit meinem Team kuratiere.

Obwohl das Medium für mich aus beruflicher Sicht neu ist, gibt es trotzdem viele Parallelen zu meinem alten Beruf. Ich schreibe sehr viele, überlege mir coole Titel. Ja, es ist anders, es gibt ein Backend, aber wenn es dann in der App ist, ist es ja auch nur ein Content-Konsumierungstool.

Die App launcht ja jetzt. Ist sie denn kostenlos für alle?

Der Zugang zur App wird grundsätzlich kostenlos sein, zum Beispiel gibt es On Demand Content, das sind Videos, Tipps, Informationen, auch medizinisch, aber auch im Lifestyle-Bereich. Und dann gibt es Live-Sessions, die man sich dazu buchen kann, z.B. Yoga-Kurse oder Sprechstunden mit einer Apothekerin, wo man Fragen stellen kann zu Nebenwirkungen. Dieser Content funktioniert auf Selbstzahler-Basis. 

Was sind bei der App Features, die du dir selbst gewünscht hättest, als du in Behandlung warst?

Obwohl ich in Berlin und in einer sehr renommierten Praxis war, hatte ich gar nichts. Kein Angebot, außer, da zweimal die Woche reingehen, einmal an den Tropf, einmal zur Blutkontrolle und hoffentlich war sonst nichts. Als ich nach einer psychologischen Unterstützung gefragt habe, bekam ich eine Visitenkarte von einer Psychoonkologin. Ich hätte mir also so ziemlich alles gewünscht, weil ich gar nicht wusste, was es alles gibt.

Ich war in der Zeit auch in einer Blase und wusste, dass ich nicht allen Informationen trauen kann. Es wird auch viel Quatsch erzählt und angeboten. Was wir jetzt mit der App machen, ist, wir validieren die Angebote und die Menschen, die sie anbieten mit unserem Expert*innen-Team: Ist das ein wertvolles Angebot? Was ist mit dieser Ernährungsberaterin? Was mit dieser Achtsamkeitstrainerin? Und dann kuratieren wir mit einem Ärzteteam, die alles bewerten. Wir filtern mit dem Ziel, dass man nicht kreuz und quer suchen muss, sondern man zu Happie Haus gehen kann und weiß, dass man den Anbieter*innen dort vertrauen kann.

Wo sollen Krebspatient*innen auf eure App aufmerksam werden?

Durch so schöne Interviews wie mit dir (lacht). Wir haben eine Flyer-Aktion vor dem Launch gestartet, wir arbeiten mit verschiedenen Brustzentren zusammen und nutzen Social Media. Es ist wirklich unglaublich, was dort für eine große Krebs-Community ist. Daraus entstehen auch Stammtische in den Städten.

Ich vermute, es gibt auch viele Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, dass sie die Phase einfach nur abschließen und in ihr normales Leben zurückkehren und damit einfach nichts mehr zu tun haben wollen. Gibt es denn Tage bei dir, wo du denkst: Ich kann es nicht mehr hören, ich möchte mich nicht mehr auseinandersetzen?

Mir geht es gar nicht so. Ich weiß aber, dass Familienmitglieder und auch mein Freund zu mir sagen: Wie kannst du dich die ganze Zeit mit diesem Thema beschäftigen? Ich kann es nicht erklären. Ich weiß es nicht. Für mich ist das ein neuer Lebensinhalt geworden, dass ich anderen Betroffenen helfen möchte. Das ist das, was mich jeden morgen aufstehen lässt und was mir auch Tränen in die Augen bringt. Wenn ich sehe, dass mich die Leute nach einer Yogastunde anlächeln. Ohne Haare. Bestimmt mit einem ziemlichen Päckchen an schwierigen Erfahrungen und dann haben die alle ein Lächeln im Gesicht und dann denke ich: Ja, dafür hat sich das alles gelohnt. 

Was ist dein Ziel mit Happie Haus?

Kurzfristig ist es erstmal die App mit einem tollen Programm aufzusetzen und zu etablieren. So zu etablieren, dass die Leute irgendwann sagen: Du hast doch eine Brustkrebsdiagnose, geh doch zu Happie Haus und schau dir das mal an. Das wäre das Erste.

Dann ist das nächste Ziel so viele Frauen wie möglich zu erreichen, das ist ja das Schöne an einem digitalen Produkt. Es ist egal, ob du irgendwo auf dem Dorf wohnst und eine dreiviertel Stunde mit dem Taxi zu deiner nächsten Behandlung fährst oder ob du in einer Großstadt sitzt oder in Mexiko City bist, ich meine in unserem Fall musst du Deutsch sprechen. Wir möchten möglichst vielen Frauen den Zugang zu diesen Angeboten machen können, weil diese ganze Mind-Body-Medizin, das ist ja am Ende des Tages das, was wir therapiebegleitend anbieten, ja sehr stark im Kommen ist.

Langfristig wäre es schön, das Gesundheitssystem mehr für Ganzheitlichkeit zu öffnen. Jetzt sind es ja eher die Heilpraktiker*innen, die ganzheitlich arbeiten und nicht so sehr die klassischen Ärzte. Das wäre so schön, wenn man Yoga für Krebs verschrieben bekommt, einfach fantastisch.

Habt ihr schon das Gespräch mit Krankenkassen gesucht?

Ja. Allerdings ist das aktuell nicht unser Fokus. Wir wollen zunächst testen, womit wir am meisten unterstützen und sehen uns im Anschluss an, wie wir dies bestmöglich monetisieren können. Da spielen dann die Krankenkassen eine Rolle.

Es ist toll, wenn es Apps gibt wie Mika, das ist eine App für chronische Krankheiten und Krebs und die kannst du dir verschreiben lassen und dann das ganze Angebot nutzen. Das ist aber ein langer, intensiver und teurer Weg.

Mit welchen Funktionen launcht denn die App?

Die erste Version wird On Demand Content haben und Live Sessions und dann kommt sukzessiv die Tagebuch- und Kalenderfunktion hinzu und auch ein Angebot für die Angehörigen.

Die Needs sind in dieser Zeit bestimmt sehr individuell.

Ja, das ist eine sehr persönliche Reise. Jede Betroffene hat einen anderen Ansatz. Die eine sagt, oh Gott, schneiden sie mir bloß dieses Ding raus, ich habe mit den Zähnen geklappert und geheult, als ich gehört habe, dass mir eine Brust entfernt wird. Die nächsten informieren und belesen sich, so viel, wie sie nur können, andere wieder gar nicht. Deswegen haben wir so ein breites Angebot, wo jeder am Ende heraussuchen kann, was ihm guttut. 

Wo die App sehr gut ist, ist das dieses Stichwort Empowerment, als Krebspatient*in, gerade wenn du eine Neudiganose hast, hast du ja erstmal gar keine Ahnung. Du fühlst dich ja nicht mal krank. Du bist die gleiche Person wie gestern, wie vor drei Jahren. Und plötzlich bist du krank. Und dann kommst du in dieses Programm rein, gehst von Arzt zu Arzt, hier Ultraschall, da Labor, da wieder warten, dann hier CT und so weiter und du bist nur noch am Ausführen und wirst von A nach B geschickt. Mit der App hast du die Möglichkeit zu sagen, okay, ich kann selbst etwas tun, dass es mir besser geht. Wir können den Leuten ein gutes Gefühl geben. Ich bin jetzt nicht nur die Patientin, die von da nach da geschickt wird, sondern ich kann etwas tun. Ich kann mir etwas Leckeres kochen. Ich kann Yoga machen. Oder ich kann üben, meine Augenbrauen möglichst schön nachzuzeichnen.

Natürlich will ich nichts schönreden. Die Zeit der Therapie ist sehr anstrengend und man kommt immer wieder an seine Grenzen – mental und körperlich. Aber man kann trotzdem auch schöne Momente haben. Und dafür, dass man mehr schöne Momente hat, dafür gibt es Happie Haus. 

Vielen Dank, liebe Stephanie, für deine Zeit, deine persönlichen Worte und das tolle Interview!

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