Es ist okay ... auch mal Schwäche zu zeigen. Lisa Gumprich hat es getan – und damit viel verändert!

Es ist okay ... auch mal Schwäche zu zeigen. Lisa Gumprich hat es getan – und damit viel verändert!

Eine Idee, ein Team, eine Frau mit einem Ziel. Und schon wenig später pflastert die soziale Kampagne der Kreativdirektorin ganz Deutschland

Eine Idee, ein Team, eine Frau mit einem Ziel. Und schon wenig später pflastert die soziale Kampagne der Kreativdirektorin ganz Deutschland

Lisa Gumprich sitzt auf einem Hotelbett in Hamburg. Sie ist gerade erst dort angekommen und beruflich dort und muss auch gleich schon wieder los, aber trotzdem hat sie sich Zeit für mich genommen. „Einfach mal mit dir zu quatschen, das tut so gut, das habe ich so sehr vermisst.“ Lisa ist, wie viele andere, nach einem Jahr im Homeoffice in der Pandemie, genervt. Manchmal am Ende ihrer Kräfte. Dass sie Humor hat – und das auch in schwierigen Situationen, das beweist die selbstständige Kreativdirektorin nicht nur öfters in unserem Gespräch, sondern auch mit ihrer Kampagne, die im Frühjahr das Erscheinungsbild vieler deutscher Städte geprägt hat. Und bestimmt auch dem ein oder anderen von euch aufgefallen ist!

Denn „Es ist okay“ ist die Corona-Kampagne der anderen Art. Anders als die staatlichen Plakate in strengem weiß-rot, ermahnt sie nicht und ruft zu Ruhe und Ordnung auf, nein, sie leidet mit uns.

Und die Kampagne kann noch so viel mehr als aufmuntern und bestärken. Sie erzählt zudem auch die Geschichte einer jungen Kreativen, die aus der Not und prägenden Erfahrungen in großen Agenturen eine Tugend gemacht hat. Lisa hat mit ihrem Willen Berge versetzt … oder besser gesagt riesige Werbeanzeigen in ganz Deutschland geschaltet, um uns allen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern und uns zu zeigen, dass wir nicht alleine sind.

Es wird also Zeit, Lisa genauer kennenzulernen und ihr dafür zu danken:

Was willst du mit deiner Kampagne „Es ist okay“ aussagen?

„Es ist okay“ ist eine soziale Kampagne, die während der Corona-Pandemie entstanden ist. Anders als andere zeigt sie nicht mit erhobenem Zeigefinger weitere Regeln auf, sondern reicht die Hand und sagt: „Hey, wenn du dich traurig oder hilflos fühlst oder was auch immer diese schreckliche Zeit mit dir macht, dann ist es okay!“ Die Kampagne ist eine Einladung zum Austausch, über seine Gefühle zu reden.

Hat dir das persönlich sehr gefehlt? Dass wenig Menschen Emotionen zeigen?

Ich bin so aufgewachsen, dass ich immer über meine Gefühle spreche, aber ganz viele Menschen kennen und können das nicht. Es war krass zu sehen, wie das Kartenhaus, das sich Menschen über Jahre aufgebaut haben, mit all diesen Dingen und Erfahrungen, durch die Pandemie aufgedeckt wurde. Klar, es gibt keine Ablenkung, du kannst nicht mehr zum Sport, du kannst nicht mehr feiern, um das alles zu unterdrücken.

Menschen, die ich seit Jahren kenne, sind daran zerbrochen. Sie saßen in einem Raum und mussten sich auf einmal mit sich selbst beschäftigen. Ich habe zu ihnen immer gesagt: „ Es ist okay, dass du dich jetzt so fühlst. Du musst dich nicht schämen und auch nicht rechtfertigen.“ Man kann sein eigenes Leid nicht immer mit dem Welthunger relativieren. Wenn es dir heute scheiße geht, dann ist das cool. Wir sind alle Menschen. Uns geht es gleich. Und das darf man fühlen.

Mit „Es ist okay“ hast du die erste und einzige deutschlandweite independent Corona-Kampagne kreiert. Sag mal, wer bist du und woher kommst du?

Wie du an meinem Dialekt merkst, komme ich eigentlich aus Süddeutschland, geboren bin ich in Freising und gelebt bis jetzt in München. Vor einem Jahr bin ich nach Berlin gezogen, also noch ganz frisch hier. Inmitten von Corona habe ich den Umzug gemacht. Ich hatte das für 2020 geplant, habe im Frühjahr dann alles hingeschmissen, also Job und Wohnung, hatte keinen Bock mehr auf München. Wenn ich es jetzt nicht durchziehe, wann dann?!

War es die richtige Entscheidung, nach Berlin zu kommen?

Ja, die beste Entscheidung meines Lebens und obwohl gerade eine Pandemie herrscht, habe ich mich lange nicht mehr irgendwo so heimisch gefühlt und bin so happy, während des Lockdowns nicht in München, sondern in Berlin zu sein. Sobald die Sonnenstrahlen herauskommen, erblüht jeder und geht auf die Straße. Das hat mir als Kreative in München schon gefehlt. Ich bin aber auch sehr verbunden mit meiner Familie und meinen Freund*innen, das ist aber auch der einzige Tod, den ich jetzt sterben musste für den Umzug. Dafür habe ich mehr Input, mehr Austausch in meinem Leben. Was in Berlin geht, habe ich davor nicht gekannt in meinem Münchner Umkreis mit kreativen Leuten und dass jemand auf mich als Person zukommt, das schätze ich an Berlin und seinen Menschen total. Ich freue mich aber auch schon sehr auf die Zeit nach Corona und Lockdown, wenn das Leben dann so richtig losgeht.

Kreativdirektorin, das hört sich immer wahnsinnig mondän an. Was ist dein beruflicher Background?

Ich habe ganz klassisch Kommunikationsdesign in Augsburg studiert und habe danach im Bereich Brand Experience angefangen zu arbeiten, also allumfassende Markenerlebnisse gestaltet. Ich habe Konzeption gelernt, was man jetzt in der Kampagne sieht und mir alles Digitale autodidaktisch beigebracht. In den letzten Jahren habe ich dann immer in der Digitalbranche gearbeitet. Meine Festanstellungen waren immer Richtung App Design, Web Design, ich baue digitale Produkte und verdiene damit mein Geld.

Mir ist die Idee immer am wichtigsten, die Umsetzung ist dann ein anderes Thema. Ob digital oder Print, man muss sich am Ende immer für das entscheiden, was zur Idee passt.

„ „Und dann gibt es nichts da draußen zu sehen, was einem ein bisschen Hoffnung gibt. Was sagt: `Hey, danke, dass du das alles so mitmachst.´“ “

Wie kommt man auf die Idee, eine soziale Kampagne zu konzipieren?

Ich bin nach Berlin gekommen und habe gesehen, dass hier viel mehr in Richtung Plakatieren geht. Das kenne ich aus München nicht. Dort ist alles ordentlich auf die Wände aufgezogen. Hier geht es aber richtig ab. Die Corona-Kampagnen vom Bundesministerium habe ich hier auch viel mehr gesehen als in München. Aber es ging alles in die Richtung „Halt dich an die Regeln.“ Für mich persönlich war das zu viel erhobener Zeigefinger. Ich gehöre zu den Menschen, die sich seit über einem Jahr strikt an diese Regeln halten – es fühlt sich mehr an wie zehn Jahre ... Und dann gibt es nichts da draußen zu sehen, was einem ein bisschen Hoffnung gibt. Was sagt: „Hey, danke, dass du das alles so mitmachst.“ Ich hatte einfach das Bedürfnis, etwas zu machen.

Ich hocke hier alleine im Lockdown und könnte doch etwas tun. Und dann hatte ich die Idee!

Du hast mir erzählt, dass das auch ein bisschen davon ausgelöst wurde, dass du selbst eine 180-Grad-Wandlung mit deiner Arbeit und deiner Arbeitseinstellung durchlaufen hast. Erzähl doch mal!

Ich bin eine Kämpfernatur und in meiner Branche, der Kreativbranche, ist beim Thema Gleichberechtigung noch viel zu tun. Die meisten Art- und Kreativdirektoren sind leider immer noch Männer. Meine beste Freundin und ich wussten schon im Studium, dass wir das ändern wollen. Wir werden zu den Frauen gehören, die dafür kämpfen, die ein Vorbild für die nächste Generation sein wollten. Die Jahre nach meinem Studium waren einfach darauf ausgerichtet. Und ich habe das auch erreicht, aber eben auf Kosten meiner Gesundheit.

Vor vier Jahren war ich ausgebrannt, es hat mir einfach den Schalter rausgehauen. Diese höher, schneller, besser Mentalität. Ich habe grundlos geweint, konnte die Schwelle zur Agentur nicht mehr betreten und musste etwas verändern. Daraufhin bin ich von der Agentur-Seite zur Unternehmensseite gewechselt, weil ich dachte, dass es da anders läuft und ich dort finde, was mich glücklicher macht. Da bin ich dann aber auch wieder auf andere Dinge wie Unternehmensstrukturen gestoßen, die sich nach Kampf angefühlt haben.

Dort herrschen leider noch sehr viele alte Denkmuster und oft sitzen die falschen Entscheider an der Macht. Auch dort habe ich mir wieder Arme und Beine ausgerissen für eine gerechtere Welt. Ich habe etwas erreicht, aber nicht so, dass es für mich zufriedenstellend war. Also: Plan A ist nicht aufgegangen, Plan B auch nicht. Ich habe also erstmal eine Pause gemacht.

Jetzt bist du Freelancerin. Bist du jetzt angekommen?

Seitdem ich in Berlin bin, ergeben sich lauter coole Sachen. Beruflich bin ich mir noch nicht so sicher, was ich langfristig mache. Ja, gerade bin ich Freelancerin und es läuft gut. Aber in der Corona-Zeit merke ich einfach, dass ich ein Teamplayer bin. Man hockt alleine in der Wohnung, hat nur Kontakt zu den Kunden. Dabei erarbeitet man die großen, die guten Sachen ja meistens im Team. Deswegen schaue ich mich gerade auch schon um, aber es ist gar nicht so leicht, weil ich den Berliner Arbeitsmarkt nicht so gut kenne wie in München. Und durch meine Erfahrungen, weiß ich vor allem, was ich nicht will.

Nur weil jeder jetzt in seine Stellenausschreibung Work-Life-Balance schreibt, wird das ja noch lange nicht gelebt. Ich kann aber nicht wieder zurück in den Strudel. Vor zwei Jahren hätte ich dir das niemals erzählt, nie Schwäche gezeigt oder zugegeben, dass ich weine. Ich dachte immer, ich muss stark sein, so wie die Männer auftreten, nur dann kann man das alles auch erreichen. Aber das ist falsch. Ich habe gelernt, dass das so nicht funktioniert. Meine Quintessenz ist, dass Transparenz und Offenheit der Weg zu einer ganzheitlich besseren Gesellschaft sind.

Und genau das zeigt ja auch deine Kampagne: Offenheit und Ehrlichkeit.

Im letzten Jahr haben wir so wenig miteinander gelacht und dieses Lachen und Leichtsein, das hat mir gefehlt. Es hat sich alles so schwer angefühlt. Und dann hingen da draußen auch noch überall diese Regeln. Das war mir einfach too much. Ich wollte etwas machen, was das mit Humor aufbricht. Ich wusste ja noch nicht, wie der Berliner Winter sein wird – und ja, er ist genauso schlimm, wie alle es mir prophezeit haben – und gegen das Dauergrau braucht es Farbe!

Und wie konzipiert man dann eine Kampagne? Wie ging alles los?

Ich bin an die Kampagne auch psychologisch rangegangen, es sollte bunt sein, aber nicht zu deep. Ich hatte die Bilder alle im Kopf. Ich habe das Konzept zusammengeschrieben wie man es bei einem Kunden pitchen würde. So, dass jeder alles bis ins kleinste Detail versteht. Mit dem PDF mit Mockups und Moodbildern bin ich dann zu meinen zukünftigen Teammitgliedern gegangen und habe gefragt: „Hast du Bock da mitzumachen?“ Alle haben sofort ja gesagt.

„ „Ich habe beim Kochen aus Versehen zum Pilz statt zum AirPod gegriffen.“ “

Wie bist du auf die Motive gekommen?

Manche Dinge sind mir davon selbst passiert. Das mit dem Pilz zum Beispiel, mein Lieblingsmotiv. Ich habe beim Kochen aus Versehen zum Pilz statt zum AirPod gegriffen.

War da schon dein Ziel, eine deutschlandweite Kampagne zu erstellen?

Als die Kampagne coronakonform geshootet war, habe ich angefangen, alle Leute, die ich kannte, anzuschreiben. Das war auch eine interessante Lebenslektion, weil von vielen Menschen, die ich sehr gut kannte, gar keine Resonanz kam, von wildfremden Menschen (wie dir) dagegen sofort eine positive.

So war das auch mit der Firma Wall. Dort habe ich Frauke Bank geschrieben, die dort die Unternehmenskommunikation und das Marketing leitet. Sie ist eine totale Handson-Frau, die sofort meinte: Mega coole Idee, wir stellen euch die Flächen. Innerhalb von zwei Tagen haben wir alles eingetütet.

Das ist ja toll zu hören, dass auch so große Unternehmen so flexibel und offen sind!

Sie ist für mich in der ganzen Geschichte ein totales Vorbild für Frauen als Führungskraft. Sie hat nicht lange um den heißen Brei geredet, sondern es sofort verstanden. Ich musste ihr nichts erklären.

Und schwups, war deine Kampagne auf einmal in ganz Deutschland zu sehen!

Dank der digitalen Außenflächen sogar animiert, das war auch eine Nacht-und-Nebel-Aktion, die in wenigen Tagen passieren musste, das war knackig. Dann haben wir die E-Mail mit den Dokumenten abgeschickt und am nächste Tag kam die Mail zurück: „Ja, sie sind jetzt in Berlin zu sehen.“

Und seitdem sammelst du wahrscheinlich fleißig Fotos und Videos davon ...

Ja, später waren sie dann sogar in Hamburg, Berlin, Köln, Wiesbaden und Mannheim. Also deutschlandweit. Ich hätte nie gedacht, dass wir so viele Außenflächen bekommen!

Was war das für ein Gefühl?

Überwältigend. Die Wochen, in denen die Kampagne entstanden ist, war ich im Tunnel. Zuerst waren wir dann auf den hochformatigen, kleineren Anzeigen. Aber als ich dann da vor dem riesigen Ding stand, da habe ich angefangen zu weinen, weil ich da erst geschnallt habe, was abgeht. Ich lebe noch nicht mal ein Jahr in Berlin und jetzt hängt hier schon eine Kampagne von mir. Das hat mich in meinem persönlichen Weg so bestätigt. Zu wissen, dass es wirklich so ankommt bei den Menschen, wie das meine Ambition war, das war das Größte!

Und wie haben Passanten darauf reagiert?

Wir kriegen über unsere Mail auf unserer Website so süße Leserbriefe. Leute öffnen ihr Herz und sagen uns, dass wir ihnen ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert haben. Das ist alles, was ich wollte.

Vielen Dank für das tolle, ehrliche und offene Interview, liebe Lisa!

Wer Lisa in ihrer Arbeit weiter unterstützen möchte, der kann „Es ist okay“ auf Instagram folgen und unter dem Hashtag #esistokay seine eigenen Erfahrungen posten. Und wer sich auch so sehr in die Motive und Plakate verliebt habt, für den gibt es gute Neuigkeiten! Die Serie „Alltag“ mit der Semmel, dem Pilz und dem Rosenkohl, gibt es im DIN A1 in einer Edition von 100 Stück. Der Gewinn wird an eine gemeinnützige Organisation gespendet. Mehr erfahrt ihr auf der Website!

  • Idee und Art Direction:
    Lisa Gumprich
  • Fotografie:
    Stefan Hobmaier
  • Fotoassistent und Animation:
    Stefan Schopf
  • Text:
    Magdalena Ferner
  • Styling:
    Nicole Hannay
  • Hair & Make-up:
    Nadja Kaiser

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