So wie wir uns sehen

So wie wir uns sehen

Fotografin Victoria Kämpfe kreiert einen Safe Space vor der Kamera

Bei ihrer Fotoserie „Unlabeled Sessions“ geht es darum, Gesellschaftsnormen im Kopf abzuschütteln und seiner wahren Persönlichkeit die Chance zu geben, sich zu zeigen

Vor der Kamera zu stehen, ohne Anweisungen von Fotograf*innen, ist ein komisches Gefühl. Am Anfang ist man peinlich berührt, weiß nicht so recht, wohin mit seinen Armen, ob der Gesichtsausdruck ernst, verführerisch oder glücklich sein soll. So ging es mir jedenfalls, als ich bei Victoria Kämpfe und einer ihrer „Unlabeled Sessions“ vor ihrer Kamera stehe.

Ein paar Tage zuvor haben wir uns auf einen Spaziergang verabredet, dabei dreht Victoria den Spieß um: und ausnahmsweise interview sie mich – und nicht andersherum. Dabei stellt sie mir Fragen, die mich so direkt noch niemand gefragt hat, es geht um mein eigenes Bild von mir, Ansprüche, Unzufriedenheit und Unsicherheiten. In kurzer Zeit kennt sie Gedanken von mir, von denen vielleicht nicht mal meine engsten Freundinnen wissen. Irgendwie merkwürdig, jemand „Fremden“ so nah an sich zu lassen. Und das auch noch kurze Zeit später mit einer Kamera.

Was anfangs noch ungewohnt war, nämlich ohne Hilfestellung vor einer hellen Leinwand im Fotostudio zu stehen, ist nach einer halben Stunde auf einmal ganz normal. Und das geht nicht nur mir so, sondern auch den anderen Frauen, deren Persönlichkeit und Aussehen Victoria auf diese ganz besondere Art und Weise festhält.

Ausstellung „Look At Me Now“

Ab morgen bis zum 25. März könnt ihr die Ergebnisse der Fotoreihe „Unlabeled Sessions“, die aber noch nicht abgeschlossen ist, sondern weiterläuft, in einer Gruppenausstellung in Berlin sehen. „Look At Me Now“ zeigt die Arbeiten von 20 Berliner Fotografinnen. Veranstaltet wird das vom Female Photoclub, ein eingetragener Verein von Fotografinnen, der das Ziel hat, Frauen in der Foto-Branche zu stärken und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen.

Wie bist du zum Fotografieren gekommen?

Ich habe immer gern fotografiert. Auf Klassenfahrt anfangs noch analog, dann irgendwann hatten meine Eltern eine kleine Sony Digitalkamera, die ich nutzen durfte. Ich war aber nie die Freundin, die alles festgehalten hat, sondern eher auf besondere, intime Momente gewartet hat.

Mein Weg zur professionellen Fotografie verlief mit einigen Umwegen. Eigentlich habe ich Musikmanagement und Kulturgeschichte studiert und habe nach dem Studium dann direkt in einer Plattenfirma einen Job angenommen.

Das Business jedoch ist eine andere Geschichte und irgendwie habe ich dann auch schnell gemerkt, dass ich in diesem Job unzufrieden war. Zu unkreativ, zu viel Zeit am Schreibtisch. 2016 habe ich gekündigt und wie das Leben manchmal so spielt, wurde meinem Partner zeitgleich eine Stelle in den USA angeboten. Also setzte ich alles auf Neuanfang. Ich hatte keinen Plan, das erste Mal in meinem Leben, um ehrlich zu sein. In den USA hat mir das Schicksal dann einen kleinen Schubs verpasst. Meine Arbeitserlaubnis zu bekommen dauerte nämlich viel länger als geplant und so hatte ich gezwungenermaßen viel Zeit: zum Nachdenken, zum Stadt erkunden, neue Freunde finden. Meine Kamera immer mit dabei. Über Instagram habe ich dann einige Influencerinnen kennengelernt, mit ihnen dann Content produziert, mein Portfolio zusammengestellt und mich damit bei lokalen Brands vorgestellt. 

Wie fühlst du dich selbst vor der Kamera?

Ich bin zugegebenermaßen selten vor der Kamera, aber ich denke, Vertrauen ist das Wichtigste. Anfänglich ist das natürlich nicht so leicht und auch für mich fühlt sich jede Bewegung vor der Kamera plötzlich komisch und unnatürlich an. Wenn ich meinem Gegenüber aber vertraue, kommt bei mir auch die Entspannung und dann macht es mir eigentlich auch Spaß, fotografiert zu werden.

Wen fotografierst du am liebsten?

Frauen. Ich finde, Weiblichkeit hat so viele Facetten, die es wert sind, festgehalten und gezeigt zu werden. Ich finde, über die Geschichte hinweg wurden Frauen so gezeigt, wie Männer sie sehen wollten und ich denke, es ist Zeit, das aufzubrechen und wieder Kontrolle über das eigene Narrativ zu gewinnen. 

Ich liebe es, wenn die Frauen diese Freiheit innerhalb meiner Shootings spüren und richtig Persönlichkeit vor der Kamera zeigen, sich trauen sie selbst zu sein und keine Scham haben, Dinge auszuprobieren.

Das sieht man auch deiner Website an, dort sieht man ja kaum Männer ...

Da hast du recht, ich fotografiere eigentlich fast ausschließlich Frauen. Das liegt nicht daran, dass Männer nicht fotografiert werden wollen, aber ich denke, es ist an der Zeit, Frauen zu zeigen und dabei vor allem Vielfalt abzubilden. Ich finde, es gibt immer noch zu wenig Repräsentation diverser Frauenbilder. Ich meine nicht nur äußerlich, sondern auch welche Persönlichkeitsadjektive Frauen zugesprochen werden. Ich versuche aus jeder Frau, die Persönlichkeit herauszukitzeln, die sie in sich trägt, sich aber vielleicht auch manchmal nicht traut, nach außen offen zu zeigen. 

Kannst du mir mehr über das Konzept der Unlabeled Sessions erzählen?

Ich habe die Unlabeled Sessions ins Leben gerufen, um eine Portrait-Session anbieten zu können, die über Äußerlichkeiten hinausgeht. Für mich steht innerhalb dieses Konzeptes die Persönlichkeit der Person im Vordergrund. Um im Vorfeld wirklich viel über die Person zu erfahren, führe ich ca. eine Woche vor dem Shooting ein intensives Interview und treffe basierend auf diesen Informationen alle Entscheidungen zu Setting, Lichtsetzung, Playlist etc. Somit sind auch die äußeren Rahmenbedingungen immer individuell auf die Person abgestimmt und jedes Shooting ist einzigartig.

Wie bist du auf die Idee dazu gekommen?

Eine Freundin aus den USA hat mir einmal nach einem Shooting, welches wir nur aus Spaß gemacht haben, gesagt, wie gut ihr es tut, fotografiert zu werden. Sie fühlte sich empowered und weiblich und meinte, sie würde immer ganz energiegeladen nach Hause gehen. Ich habe dann lange überlegt, wie ich diese Vertrautheit und das Vertrauen einer Freundschaft in ein Konzept übertragen könnte.

Dann kam irgendwann der Impuls einer Freundin in Deutschland. Sie wollte sich einmal ganz anders fotografieren lassen, ganz gegensätzlich zu dem, wie sie im Alltag vermeintlich wahrgenommen würde. Wir sprachen viel darüber, woher dieser Wunsch kommt. Über Stigmatisierungen. Über das Problem, dass man ständig bewertet und in Schubladen gesteckt wird. 

Und dann dachte ich, wenn es ihr so geht, haben vielleicht auch andere Lust sich selbst neu kennenzulernen bzw. neues Selbstbewusstsein durch die Fotos zu erfahren und den Mut daraus zu schöpfen ganz sie selbst zu sein. Ganz persönlich widme ich die Serie meiner Nichte Marta. Ich hoffe sehr, dass viele Labels, die Frauen heute noch als Vorurteile und Generalisierungen zugeordnet werden, verschwunden oder zumindest relativiert wurden, bis sie erwachsen ist.

Du hast das Konzept ja nicht ganz alleine entwickelt. Wer hat dir dabei geholfen und wieso?

Meine Freundin Verena hat mir sehr geholfen. Sie hat mich in allen Schritten intensiv beraten und mich immer wieder zurück zum Kern meiner Idee geführt. Ich verliere mich schnell in Ideen und da war es besonders hilfreich, jemanden zu haben, die immer wieder Impulse gibt, um zu reflektieren und einen pusht weiter zu machen.

Zudem hat mir meine Schwester geholfen, den Fragebogen zu entwickeln. Sie arbeitet als Psychotherapeutin und hat mir sehr geholfen, die richtigen Fragen zu finden. Mir ist es besonders wichtig keine Grenzen zu überschreiten und trotzdem viel über die Personen zu erfahren. 

Wie wichtig ist der Interview-Part?

Sehr wichtig. Das Interview gibt mir Aufschluss und gleichermaßen regt es zur Selbstreflexion sowohl bei den Frauen als auch bei mir selbst an. Es ist nicht unüblich, dass die Frauen beim Interview anfangen zu weinen. Wir alle haben Triggerpunkte – sei es körperlicher Natur oder weil wir denken, einer bestimmten Norm entsprechen zu müssen. Im Interview möchte ich deshalb mehr darüber erfahren, wie die Frauen ihre Beziehung zu sich selbst, zum eigenen Körper beschreiben: Wo es Stellen gibt, mit denen sie unzufrieden sind oder welche sie besonders mögen. Welche Persönlichkeitsaspekte sie teilweise eher verstecken oder welche sie gerne mehr hervorheben würden. Zudem gibt mir das Interview Aufschluss darüber, was die Frauen brauchen, um sich in der Shootingsituation wohlzufühlen. 

Was sind Tipps, die du Menschen gibst, die sich vor der Kamera nicht wohlfühlen?

Ich versuche durch Worte zu versichern, dass mein Studio ein absoluter Safe Space ist. Ich baue das Vertrauen zu meinen Unlabeled Sessions Teilnehmerinnen schon beim Interview auf, teile auch viel von mir und meinen “Hardships”. Beim Shooting selbst generiere ich immer eine positive Stimmung. Fröhliche Musik, leckere Snacks, entspanntes Beisammensein. 

Warum spielen Gesellschaftsnormen bei den Unlabeled Sessions eine Rolle? Oder warum gerade nicht?

Sie spielen auf jeden Fall eine Rolle. Es wäre meiner Meinung nach naiv, sie einfach außen vorzulassen. Wir alle sind von bestimmten Idealen, Vorurteilen etc. beeinflusst und ich denke, es ist vor allem wichtig, sich dessen bewusst zu werden und dann aktiv daran zu arbeiten, diese zu überwinden. 

Bist du selbst schon mal bei den Normen angeeckt? Oder woher kommt diese Motivation, dagegen vorzugehen?

Ich konnte mich noch nie mit der „klassischen“ Definition von Weiblichkeit identifizieren: Ich bekam oft Feedback, ich sei zu laut, meine Stimme zu tief, zu tough, zu arrogant. Ich denke, wenn wir aufhören in Schubladen denken und anfangen, uns als Menschen zu verstehen, können wir alle nur dazu gewinnen. Ich möchte Vorbild sein und Vorbilder zeigen. Mein Konzept ist somit irgendwie auch Gegenentwurf zu Selbstoptimierung. Ich finde, jede*r sollte es erlaubt sein, sich wohlzufühlen, so wie sie ist.

Vielen Dank für das Interview, liebe Victoria!

Die Ausstellung „Look At Me Now“ findet vom 17. bis 25. März in der Alten Münze, Molkenmarkt 2 in 10179 Berlin, statt. Freier Eintritt!

Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.

  • Fotos:
    Victoria Kämpfe
  • Potraits Victoria:
    Robin Kater

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