Kann man sich Klimaschutz kaufen? Das Interview mit ForTomorrow
Ruth von Heusinger bietet mit ihrem Unternehmen ein Klima-Abo an. Ich habe sie getroffen und darüber gesprochen, wie wir den Klimawandel effektiv aufhalten können
Ruth von Heusinger bietet mit ihrem Unternehmen ein Klima-Abo an. Ich habe sie getroffen und darüber gesprochen, wie wir den Klimawandel effektiv aufhalten können
Es gibt ein Thema, bei dem werde ich besonders emotional: Klimaschutz. Es fällt mir wirklich schwer darüber zu sprechen – und ja, auch manchmal drüber zu schreiben, obwohl es so wichtig ist, weil das Gefühl der Ohnmacht und der Trauer sofort überwiegt. Fragen wie: „Sollte ich überhaupt noch ein Kind bekommen?“, „Wie sollen wir den Hunger auf der Welt beenden, ohne, dass wir die Klimakrise beenden?“ und „Wie sieht die Welt in 20 Jahren, ja vielleicht 100 Jahren aus?“ machen mir solche Angst, dass ich mich gelähmt fühle.
Doch dieses Gefühl der Panik, des „Ich als einzelner Mensch kann daran eh nichts ändern“-Denkens gilt es zu überwinden. Tag für Tag. Und es tut gut zu wissen, dass ich damit nicht alleine bin.
Vor einigen Wochen habe ich Ruth von Heusinger getroffen. Das Gespräch mit ihr ist mir seit jedem einzelnen Tag, seit wir uns getroffen haben, nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Denn Ruth verändert mit ihrem Unternehmen ForTomorrow die Welt jeden Tag. Ja, wirklich. Und trotzdem kennt sie die Angst, die Panik vor der herannahenden Katastrophe. Doch jetzt erzähle ich euch erstmal, was ForTomorrow überhaupt ist:
ForTomorrow wurde im Dezember 2019 von Ruth von Heusinger, gelernte Diplom Physikerin, gegründet. Ihr Konzept? Sie bietet für uns Endkonsument*innen und Unternehmen Klima-Abos an. Jede*r Deutsche stößt im Schnitt jährlich 10 Tonnen CO₂ aus. Um diese Tonnen Kohlendioxid zu kompensieren, kauft ForTomorrow im Namen der Abonnent*innen EU-Emissionsrechte und pflanzt Bäume in Deutschland.
Wie, was, Emissionsrechte? Genau, denn in der EU müssen Unternehmen, um CO₂ auszustoßen, dafür sogenannte Emissionsrechte kaufen. Indem ForTomorrow nun die Rechte kauft und stilllegt, stehen sie den Unternehmen und Kraftwerken nicht mehr zur Verfügung.
Der TÜV überprüft die Emissionen jährlich. Wenn den Unternehmen Emissionsrechte fehlen, müssen sie entweder umrüsten, sodass sie weniger Kohlendioxid verursachen oder abschalten. So bewirkt ForTomorrow, dass unser CO2-Ausstoß durch die Reduktion des CO2-Ausstoß der europäischen Wirtschaft ausgeglichen wird und die Transformation zu einer CO2-neutralen Wirtschaft stattfindet.
Doch wie kommt man auf so eine geniale Idee? Und warum ist es vor Ruth von Heusinger noch keine*r? Ich habe mit der Gründerin und Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation über das Thema Umweltschutz, das Ohnmachtsgefühl in Bezug auf den Klimawandel, aber vor allem unsere Zukunft besprochen. Wie können wir unseren Planeten retten? Wie schnell muss das geschehen? Und sind Bezahlabos dafür wirklich die Lösung? Ruth hat mir sehr ehrlich geantwortet:
Ich habe schon in einem anderen Interview gelesen, dass dein erster Berührungspunkt mit dem Thema Klimaschutz ein Lehrer an deiner Schule war, richtig?
Ja, das war ein Augenöffner: Wir machen gerade unsere Welt kaputt. Für mich in dieser kindlichen Logik war dann klar: „Wenn wir damit unsere Erde zerstören, dann hören wir sofort damit auf.“ Danach hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.
Ich bin im Studium dann ein wenig in die theoretische Physik abgedriftet, weil ich die auch super spannend finde. Aber die Probleme im Klimaschutz waren immer noch da und so konnte ich nicht weiter am Urknall forschen und das alles einfach ignorieren. Wenn es den Klimawandel nicht gäbe, dann wäre ich heute in der Forschung.
Und wie war das im Studium? Wann hast du gemerkt, dass dir der Klimaschutz wichtiger ist als die Physik?
Meine Eltern waren schon immer sehr ökologisch. Ich bin einfach sehr biologisch aufgewachsen, wir haben wenig verschwendet und unsere Ressourcen gut genutzt. Und wir waren aktiv. Haben gegen die Atomkraft demonstriert, ich habe mit Freund*innen zusammen eine Greenpeace-Gruppe gegründet. Das Thema Umweltschutz lag mir schon immer am Herzen. Mir liegen natürlich auch Tiere und Menschen am Herzen, aber zuerst kommt immer die Umwelt. Die muss stimmen, das ist die Lebensgrundlage von allem. Ansonsten kümmert man sich nur um Symptome.
Und ich weiß noch, wir hatten so einen Physik-Wettbewerb, wo wir ein Auto designen sollten, das ohne Antriebsstoffe fährt und ohne Batterien. Da haben eine Freundin und ich auch mitgemacht. Ich hatte auch einen sehr linken Freundeskreis, wir waren bei Attac involviert. Ich war allerdings eher am Rande dabei, weil ich auch viele Vorteile in der Globalisierung sehe.
„ „Es gibt ja nicht das eine große Event, das eine große Unternehmen oder die eine Person, die die Klimakrise ausgelöst hat. Das sind ja immer ganz viele kleine Handlungen von sehr vielen Menschen.“ “
Also ist es wichtig, dass Umweltschutz in der Schule gelehrt wird?
Ja, auf jeden Fall! Weil das die kommende Generation noch viel viel stärker mitnehmen wird als uns. Wahrscheinlich. Gerade mit den Ereignissen, die jetzt passieren. Merkt man ja, dass es auch viel schneller gehen kann. Und ich hoffe doch mal, dass das jetzt überall gelehrt wird. Nicht?
Ja, aber das kommt wahrscheinlich auch irgendwie auf das Bundesland, auf den Lehrplan, auf die Ausrichtung des Bundeslands an. Denn es ist schlussendlich auch eine politische Entscheidung, was in den Lehrplan kommt.
Zumindest kann das Thema niemand mehr umgehen, weil es so viel in den Nachrichten und in der Presse ist.
Ich habe das meinem Sohn schon mal erklärt, der ist jetzt fünf Jahre alt, damals war er vier Jahre alt. Da hat er das noch nicht verstanden, da hat er immer, wenn er sauer war gesagt: „Hör mal, du machst die Erde kaputt.“ Weil ich ihm erklärt habe, dass wir alle Mitschuld mit unseren Aktionen sind. Es gibt ja nicht das eine große Event, das eine große Unternehmen oder die eine Person, die die Klimakrise ausgelöst hat. Das sind ja immer ganz viele kleine Handlungen von sehr vielen Menschen. Da muss man schon sagen, vor allem von den Reicheren. Wir sind alle Teil des Problems. Man muss da auch überhaupt keine Schuld zuweisen, denn jeder trägt die Schuld.
Also hat sich meine Frage, wer die größten Klimasünder*innen sind, erledigt?
Ich denke schon, dass gerade reiche Menschen eine höhere Verantwortung haben, dadurch dass auch ihr CO₂-Ausstoß höher ist. Und gerade Unternehmen wie die Ölkonzerne, die wirklich schon in den 70er-Jahren diese Studien bekommen haben, die wirklich wussten, was sie da machen. Dass die auch nochmal eine größere Verantwortung haben.
Und ich hätte mir gewünscht, dass die Politik diese Kosten stärker mit einpreist. Denn das ist, was in unserem System falsch läuft. Wir haben ein kapitalistisches System und die Unternehmen machen natürlich das, was profitabel ist.
Also zum Beispiel, wenn du eine Wohnung vermietest, darfst du die nicht einfach ohne Miete vermieten. Denn dann kommt das Finanzamt und sagt, hier ihr müsst ordentlich Miete kassieren, ihr müsst gewinnorientiert operieren. Da sind wir gefangen im kapitalistischen System. Und wenn diese Kosten, die verursacht werden, nicht richtig eingepreist sind. Das läuft einfach wahnsinnig schief. Dafür ist die Politik verantwortlich.
Auf der einen Seite denkt man natürlich, wenn ich mich jetzt vegan ernähre und kein Auto habe, dann helfe ich ja irgendwie. Aber wenn Kohlekraft noch ein Thema ist, dann kann ich es auch gleich lassen. Kennst du diese innerlichen Widersprüche?
Ja, ich glaube Laschet hat sogar gesagt, dass nur zwei Prozent der Menschheit für den Klimawandel verantwortlich sind. Aber die Sache ist, wir müssen uns bewusst machen, dass es etwas ist, das wir nur gemeinsam lösen können. Wo wirklich jede einzelne Aktivität zählt. Das ist wie bei Corona: Wenn alle Leute Masken tragen, dann können wir es schneller in den Griff bekommen. Aber wenn hier und da ein paar Leute sind, die keine Maske tragen, weil sie denken, es macht eh nicht so viel aus, dann verbreitet es sich wieder schnell. Und deshalb ist es so wichtig, dass sich der und die Einzelne richtig verhält und seinen Anteil leistet.
Da sollte man sich auch nochmal bewusst machen, dass diese vielen kleinen Ereignisse zu der Klimakrise geführt haben. Und dass wir sie auch bewältigen können, indem wir diese vielen kleinen Ereignisse nicht machen. Indem wir den Flug nach Kopenhagen vielleicht durch eine Bahnfahrt ersetzen, selbst wenn es nicht so komfortabel, nicht so schnell und zu dem leider noch teurer ist.
Indem wir diese kleinen Veränderungen machen, können wir so eine gesamt gesellschaftliche Bewegung hinbekommen. Man inspiriert ja auch immer sein Umfeld. Wir haben zum Beispiel eine Fotovoltaikanlage auf unser Haus gebaut und dann fragen direkt die Nachbar*innen und überlegen, auch eine zu bauen.
Man kann dadurch seinen Handabdruck vergrößern. Das ist eben ganz ganz wichtig und da gibt es super viele Ansätze auch. Ich finde es auch total gut, dass die Leute auf die Straße gehen und versuchen auf die Politik Einfluss zu nehmen.
Mit ForTomorrow habe ich jetzt einen anderen Ansatz gewählt. Man kann mit Geld etwas bewirken. Dadurch dass wir die Emissionsrechte wegkaufen, hat man direkten Einfluss auf die Industrie, auf die man als Privatperson sonst eben keinen Einfluss haben könnte. Um ein bisschen dieses Ohnmachtsgefühl wegzunehmen. Aber es gibt noch super viele andere Sachen, die man machen kann. Und da kann sich einfach jeder das suchen, wo er am meisten Wirkung sieht und was ihm am meisten am Herzen liegt.
Mit ForTomorrow hast du ja eine super komfortable Lösung geschaffen für den Endkonsument*innen.
Ja, ich wollte auch den Einstieg einfach machen. Ich habe vorher bei Atmosfair gearbeitet. Also ich bin schon länger in dem Bereich und was ich in meinem Job vorher so schade fand, ist, dass man so viele Menschen verliert, indem man Menschen ein schlechtes Gewissen macht, und ihnen sagt, dass sie alles Mögliche ändern müssen, auf alles Mögliche verzichten müssen. Dann haben sie natürlich keine Lust mehr darauf und das kann ich auch total gut nachvollziehen. Das ist der falsche Weg.
Wir sollten viel mehr mit den positiven Gefühlen arbeiten. Mit dem, was wir schaffen können. Manchmal wird genau das an unserer Website bemängelt, dass sich ForTomorrow so ein bisschen nach Freikaufen anhört. Aber ich will die Einstiegshürde möglichst niedrig halten will. Ich möchte die Leute nicht abschrecken.
Wer sich tiefer mit uns beschäftigt, der merkt, dass wir jeden Monat einen Impactreport herausschicken, wo wir immer Reduktionstipps geben von anderen Abonnent*innen. Wir versuchen die Abonnent*innen zu inspirieren zu einem klimafreundlicheren Lebensstil und über Sachen, die vielleicht jetzt noch schwierig sind, zum Beispiel berichtet ein Abonnent über seine lange Zugfahrt nach Spanien. Das machen wir, um andere zu inspirieren, dass diese Dinge überhaupt möglich ist, dass es diese Möglichkeiten überhaupt gibt. Und je mehr Leute das eben machen, desto mehr wird es Mainstream und einfacher für alle.
„ „Aber ja, das Zeitfenster schließt sich schnell und das einzige, was ich machen kann, um mich zu beruhigen, ist, mich darauf zu fokussieren, dass ich nicht alle Probleme lösen kann.“ “
Du hast auch gerade dieses positive Gefühl umschrieben. Gerade das ist ja das, was mir schwerfällt mit Klimaschutz zu verbinden. Ich habe erst heute Morgen gelesen, dass unsere Kinder es vielleicht nicht mehr schaffen werden, selbst Kinder zu bekommen. Also wie schaffst du es eigentlich, wenn du dich jeden Tag damit beschäftigst, jeden Tag gut gelaunt aufzustehen? Ich würde Depressionen bekommen, wenn ich mich jeden Tag stundenlang mit dem Thema Umwelt auseinandersetzen müsste ...
Ich muss auch öfters weinen. Ich musste neulich weinen, als ich das über Madagaskar gelesen habe. Wo man leider viel zu wenig von liest. Da ist das vierte Jahr Dürre und die Menschen verhungern einfach. Die haben einfach kein Essen mehr. Das ist so schrecklich. Und gerade jetzt diese Flutkatastrophe, das nimmt mich unglaublich mit. Ich bin ja im Herzen Wissenschaftlerin geblieben, und ich weiß, wie nah wir schon dran sind, dass sich dieses Zeitfenster, wo wir wirklich noch was verändern können, schließt.
Bei dir auf der Website gibt es ja auch eine Uhr, die abläuft.
Ja vom MCC. In der Vergangenheit war es immer so, dass durch äußere Ereignisse, zum Beispiel durch Änderungen der Sonnenstrahlen, die Erde wärmer wurde und dann wurde mehr CO₂ in die Luft gegeben aus den Ozeanen und natürlichen Prozessen. Und dadurch hat sich dieser Klimawandel dann verstärkt. Das war so, wie es früher passiert ist. Und jetzt ist es zum ersten Mal andersherum. Jetzt ist es zum ersten Mal so, dass erst mehr CO₂ kommt und sich die Erde erwärmt.
Das sorgt dafür, dass die natürlichen Prozesse, die ich gerade beschrieben habe, später einsetzen. Wenn wir sie nicht schnell genug aufhalten, werden sie den Klimawandel noch zusätzlich verstärken. Das sind diese Kippelemente, wo wir dann als Menschheit auch wirklich machtlos sind. Bei denen wir keinen Einfluss mehr haben und die so ein Schneeballeffekt haben.
Und ich hab neulich etwas gepostet von einem Wissenschaftler, der jetzt zu Gewalt gegen Sachen aufruft. Zum Beispiel, die Pipelines zu zerstören. Es gibt ja zum Beispiel auch die Extinction Rebellion, die wirklich viel krasser rangehen. Das ist nicht mein Weg und ich hoffe weiterhin, dass wir diesen Weg nicht gehen müssen, dass wir es so auch noch schaffen. Weil ich die Demokratie und die Freiheit liebe. Aber ja, das Zeitfenster schließt sich schnell und das einzige, was ich machen kann, um mich zu beruhigen, ist, mich darauf zu fokussieren, dass ich nicht alle Probleme lösen kann. Ich kann nur versuchen, weiter meinen Teil zu leisten und den so gut wie möglich. Und dann gehört einfach dazu, dass ich auch abschalten muss. Das Thema auch verdrängen muss. Weil es mich sonst zu sehr mitnimmt und lähmt.
Mittlerweile wird für den Klimaschutz ja auch die Familienplanung infrage gestellt. Ich habe Bekannte, die aus diesem Grund keine Kinder bekommen wollen, ganz nachdem Motto: Der Mensch ist der größte Umweltsünder und davon gibt es schon genug auf dieser Welt. Wie stehst du dazu? Was sind da deine Gefühle?
Ich sehe das so, dass wir das Klima schützen wollen, um das Leben zu schützen. Und deshalb finde ich es seltsam, wenn man für den Klimaschutz gegen neues Leben argumentiert. Das ist der falsche Weg. Ein bisschen so wie: „Was kann ich tun, um am wenigsten CO₂ auszustoßen? Mich umbringen.“ Das wäre natürlich das beste für das Klima, aber das ist ja absurd.
Wir machen das hier nicht für die Natur oder die Tiere – denn die werden einen Weg finden, zu überleben. Die Erde hat schon so viele Klimawandel durchgemacht, da wird irgendetwas überleben und sich weiterentwickeln. Wir machen das doch für die Menschheit, um unsere Lebensgrundlage hier zu schützen. Und wenn wir keine Kinder mehr haben, dann gibt es auch niemanden mehr, für den wir das machen.
Und es gibt ja auch das Argument, dass man ja Kinder großziehen kann, die auch sehr bewusst mit dem Thema umgehen. Nach dem Motto: Die klimabewussten Menschen müssten eigentlich mehr Kinder bekommen, als die, die sich nicht darum kümmern.
Das ist auch einer der Gründe, warum ich den Emissionshandel so mag. Das zwingt auch die dazu umzusteuern, die nicht wollen. Ich bin natürlich sehr öko, in einer sehr grünen Bubble unterwegs, aber natürlich gibt es da draußen Menschen, denen das alles ganz egal ist, die andere Probleme haben. Es ist ja auch ein Luxus, wenn du dich mit dem Klimawandel beschäftigen kannst.
Und da hat man über den Emissionshandel einen guten Hebel. Damit kann man wirklich auch die Firmen bekommen, die jetzt vielleicht noch nicht so langfristig denken und nur auf den kurzfristigen Profit aus sind. Denen muss man die Emissionsrechte wegkaufen und sie zwingen klimafreundlicher zu handeln.
„ „Wir haben auf der Welt ein endliches CO₂-Budget.“ “
Jetzt haben wir schon viel über den Klimawandel gesprochen, aber nicht richtig über ForTomorrow und das Geschäftsmodell, das du gerade ansprichst. Kannst du nochmal erklären, was ForTomorrow macht?
Ich hab früher im Emissionshandel gearbeitet und in der EU. Die EU hat sich überlegt, wie kriegen wir das in Griff, dass wir CO₂ reduzieren und hat sich dann für ein Cap and Trade System entschieden. Ich finde das System sehr gut, denn es macht genau das, was wir machen müssen: Wir müssen den CO₂-Ausstoß beschränken. Das Cap and Trade System sagt, wie viel CO₂ wir noch ausstoßen wollen. Das kann man genau berechnen, die Tonnenanzahl. Und dann gibt es für jede Tonne ein Emissionsrecht. Und jeder, der CO₂ ausstößt, muss ein Emissionsrecht kaufen. Sonst darf der kein CO₂ ausstoßen, sonst muss man hohe Strafen zahlen und dieses Emissionsrecht später nachkaufen und nachreichen.
Wir haben auf der Welt ein endliches CO₂-Budget. Es wäre natürlich am besten, wenn wir sofort klimaneutral leben würden, aber bis zum 1,5 Grad Ziel haben wir noch ein gewisses CO₂-Budget und wir müssen einfach aufpassen, dass wir dieses Budget einhalten und nicht mehr ausstoßen.
Und was wir jetzt mit ForTomorrow machen, ist, wir kaufen die Emissionsrechte einfach weg, ohne sie zu nutzen. Und damit verringern wir direkt den CO₂-Ausstoß. Denn wenn wir ein Recht kaufen, dann darf diese Tonne nicht ausgestoßen werden. Das heißt, wir senken das Cap direkt um eine Tonne. Und was dann noch zusätzlich passiert, ist, dass dann noch der Preis für die Emissionsrechte steigt. Und darüber hat man dann wieder einen Hebel, dass es für die Unternehmen, die profitorientiert wirtschaften, nicht mehr so profitabel ist, umweltschädlich zu wirtschaften.
Das sieht man gerade an den Kohlekraftwerken. Vattenfall hat jetzt gerade ein weiteres Kohlewerk abgeschaltet, in Hamburg. Der Geschäftsführer hat auch ganz ehrlich gesagt: „Das tut weh, so ein neues Kraftwerk abzuschalten, aber wenn man damit Verluste macht, muss man etwas tun.“ So bewirkt man wirklich Veränderungen, wenn man andere damit Verluste machen lässt. Denn es geht einfach um Profit. Und so die Slogans aus der Werbung sind ja sehr, sehr schön, aber letztendlich handeln die Unternehmen profitorientiert und da kann man sie am meisten beeinflussen. Und dieses Kohlekraftwerk in Hamburg wird jetzt umgebaut zu einem Standort für grünen Wasserstoff.
Wir pflanzen zusätzlich und forsten Wälder in Deutschland auf. Langfristig müssen wir das CO₂ aus der Atmosphäre holen. Weil CO₂ hat einen relativ langsamen Klimaeffekt. Zum Glück, weil uns das mehr Zeit gibt. Aber wenn die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre so bleibt, wie sie jetzt ist, sind wir schon über das 1,5 Grad Ziel hinausgeschossen.
Wir haben uns für Deutschland entschieden, weil die Wälder sehr gut geschützt sind. Wir arbeiten mit einer gemeinnützigen GmbH zusammen, Schutzgemeinschaft deutscher Wald. Die haben über 60 Jahre Erfahrung mit Aufforstung. Denn Aufforstung, da kann man auch sehr viel falsch machen. Man muss die richtigen Standorte wählen, teilweise sind auch Moore an einem Standort sinnvoller um CO₂ zu speichern und da braucht es einfach sehr viel Expertise. Wir haben jetzt die erste Aufforstung gemacht in der Nähe von Leipzig in einem ehemaligen Bergbaugebiet. Dort wurde die Kohle zu DDR-Zeiten abgebaut und damals gab es noch keine Auflagen für die Unternehmen und es wurde überhaupt nicht darauf geachtet.
Nur was mich echt noch betroffen macht, wenn man da lang fährt, dann sieht man immer noch dieses große Bergbaugebiet Schleenhain und man sieht wie da die Landschaften weiter abgebaggert werden. Und das ist etwas, womit ich nur ganz ganz schwer zurechtkomme, dass wir in Deutschland noch so viel in die falsche Richtung wirtschaften.
Wie kann ich mir ForTomorrow als Firmenkonstrukt vorstellen? Du hattest diese Idee, kann ich denn theoretisch auch als Privatperson diese Emissionsrechte kaufen?
Nein, das geht nicht. Das können leider nur Unternehmen, denn du brauchst dieses Unionsregisterkonto. Das habe ich für ForTomorrow, wo du diese Emissionsrechte verwalten kannst. Das ist wie ein Bankkonto.
Wir sehen die Spendeneingänge und kaufen dann die Emissionsrechte aus dem Markt und legen sie dann jeden Monat für diese Spenden still und pflanzen zweimal jährlich Bäume. Ich möchte auch gerne den ersten Geschäftsreport veröffentlichen, um ganz transparent zu zeigen, wo unsere Ausgaben sind, wo die Gelder hinkommen, was geflossen ist. Weil ich verstehe, dass die Leute da skeptisch sind.
Bei ForTomorrow gibt es ja drei unterschiedliche Modelle: Ein Abo für eine Einzelperson, eines für die Familie und eines, wo man die Rate flexibel bestimmen kann.
Genau wir haben keinen Rechner auf der Webseite, weil wir festgestellt haben, dass das zu eine große Hürde ist. Und wir haben dann einfach die oder den Durchschnittsdeutsche*n genommen, und Europäer*innen auf der englischen Webseite. Ich glaube, es ist wichtiger zu handeln, als alles super genau ins Detail auszurechnen. Dieses CO₂-Experten-Abo haben wir aber eben noch für Leute, die ihren Fußabdruck schon berechnet haben und genau diesen kompensieren wollen oder für die die Komplettberechnung des Durchschnittsdeutschen zu teuer ist, wie zum Beispiel Student*innen. Wir glauben, dass jeder Beitrag zählt. Ich finde es ganz toll, wenn auch schon Student*innen sich so engagieren, auch wenn es nicht die komplette Kompensation des Fußabdruckes ist.
Kann ich dann auch als Unternehmen ein Abo abschließen?
Ja, das haben wir nun auch mit integriert, weil wir auch viele Anfragen von Unternehmen bekommen haben, die auch hier in Europa etwas verändern wollen. Die klassischen Kompensationsanbieter kompensieren über Maßnahmen in den Entwicklungsländern, wo dort CO₂ reduziert wird. Aber es gibt auch viele Unternehmen, die sehen, dass wir hier bei uns anfangen müssen.
Euer Fokus ist Deutschland, mit der Aufforstung und auch mit der Emission. Was sagst du zu denen, die das Problem nicht in Deutschland, sondern vielleicht in China oder Amerika sehen?
Wenn man den pro Kopf Ausstoß anschaut, dann sind wir Deutschen schon ziemlich weit oben. Auch schon im europäischen Vergleich. Da sind wir schon das Problem. Wir sind keine Vorreiter, da sind andere Länder viel viel besser. Und gerade weil wir auch ein sehr reiches Land sind, haben wir auch eine große Verantwortung. Bei dieser klassischen Kompensation über Entwicklungsländer hat mich immer gestört, dass wir dann in Länder wie Nigeria gehen, wo der pro Kopf Ausstoß bei 0,5 Tonnen liegt im Vergleich zu unseren 10 Tonnen und dann da machen wir mit unseren Spendengeldern, dass wir deren schon winzigen CO₂-Ausstoß noch weiter reduzieren.
Ich finde Entwicklungshilfen total sinnvoll, sodass diese Länder nicht zu solchen Industrienationen werden und auch zu diesen 10 Tonnen kommen. Aber es hat sich immer so komisch angefühlt, dass wir in diese Länder gehen, während wir noch so viel hier machen müssen. Deshalb war es für mich richtig, die Emissionsreduktion hier zu bewirken.
„ „Ich finde es so schade, dass die Länder das nicht als Challenge sehen, diese Neutralität als Erstes zu erreichen. Man könnte ein Vorbild sein.“ “
Weißt du seit wann es dieses System mit dem CO₂-Ausstoß und den Emissionen gibt?
Ja, von 2005 bis 2007 gab es eine erste Pilotphase und dann ist es richtig gestartet. Die Unternehmen werden wirklich gut überwacht. Ich werde öfters mal gefragt, kann so ein Unternehmen nicht einfach ausstoßen und keiner kriegt es mit? Das geht natürlich nicht. Das kann man sich vorstellen, wie die Geschäftsberichte von Wirtschaftsprüfern überprüft werden. Hier ist es der TÜV, der den CO₂-Ausstoß prüft. Und da kann man sich wirklich sicher sein, dass diese Tonne nicht in die Atmosphäre gelangt, wenn man dieses Emissionsrecht wegkauft.
Und wenn es wirklich keine Emissionsrechte mehr gibt, müssen die Unternehmen dann die Produktion abschalten?
Ja genau, sie müssen dann ihren Betrieb abschalten und dürfen nicht weitermachen. Also das ist sehr streng geregelt.
Ich habe ja auch eine Firma, aber muss keine Emissionsrechte kaufen. Was müsste ich für ein Unternehmen gründen, damit ich auch Emissionsrechte kaufen müsste?
Das müsste zum einen sehr groß sein. Es gibt einen bestimmten Grenzwert, ab dem du dann an diesem System teilnehmen musst. Den kann ich dir aber gerade auch nicht sagen, den müsste ich nachschauen.
Fluggesellschaften zum Beispiel. Jetzt kommt noch der Schiffsverkehr mit dazu, das ist auch total super, weil der auch so schmutzig ist. Stahlindustrie, Zementindustrie. Also die ganzen großen Industrien, die einen großen CO₂-Ausstoß haben. Die ganzen Energieversorger, Gaskraftwerke sind zum Beispiel auch dabei.
Muss Amazon auch Emissionsrechte zahlen? Oder Zalando?
Nur, wenn die ihre eigenen Energieanlagen haben, denke ich. Also Transport ist noch nicht mit dabei. Soll jetzt aber noch kommen! Da hat die EU nachgebessert.
Das System klingt ja so logisch und so einfach, dass man sich denken könnte, warum gibt es das eigentlich nicht für Privathaushalte?
Ja genau. Ich vergleiche das öfter mit diesem Müllsystem. Wir haben jetzt ein Haus gekauft und da musst du dir eine Mülltonne bestellen. Und die hat dann eine bestimmte Größe, je nachdem, wie viel Müll du produzierst. Und so viel Müll darfst du da reintun und wenn du mehr Müll produzieren willst, musst du dir halt eine größere Mülltonne bestellen. Und genau so etwas brauchen wir auch, weil CO₂ ist auch genau so ein Umweltmüll, den wir eigentlich zahlen müssten. Wir dürfen ja einfach Auto fahren und CO₂ ausstoßen, ohne was dafür zahlen zu müssen.
Glaubst du, dass das Pariser Klimaabkommen der richtige Weg ist?
Es ist der richtige Weg und ich bin auch so froh, dass das verabschiedet wurde. Da ist mir echt ein Stein vom Herzen gefallen. Aber es ist ein bisschen wie die Deklaration der Vereinten Nationen, die sich wunderbar liest. Aber jetzt muss auch die Umsetzung folgen. Und ich hätte mir gewünscht, dass das 1,5 Ziel stärker mit drin ist. Die haben sich ja auf so einen Kompromiss geeinigt. Schwammige unter 2 Grad. Aber wir müssen bei 1,5 Grad bleiben. Der Effekt von 2 Grad ist viel stärker. Ganze Ökosysteme, wie Korallenriffe, sterben dann weg. Bei 1,5 Grad kann man sie noch erhalten.
Es ist natürlich auch schwierig, wenn so viele Länder am Verhandlungstisch sitzen. Deshalb finde ich auch muss Deutschland aufpassen, dass wir nicht auch anfangen mit dieser Schuldzuweisung. Jeder sagt, wenn der andere was macht, mache ich auch was und dann macht am Ende keiner was.
Es ist doch so, dass alle Länder klimaneutral werden müssen, wenn wir unsere Lebensgrundlage erhalten wollen. Die Alternative ist eine Katastrophe und das will keiner. Ich finde es so schade, dass die Länder das nicht als Challenge sehen, diese Neutralität als Erstes zu erreichen. Man könnte ein Vorbild sein.
Gibt es schon ein Land, das klimaneutral ist?
Bestimmt ein paar Entwicklungsländer, aber ich müsste mal nachschauen. Die haben immer noch einen CO₂ Ausstoß, aber sie gelten dann als klimaneutral, wenn zum Beispiel die Wälder so viel aufnehmen, wie ausgestoßen wird.
Also eher Länder, bei denen das durch „Zufall“ so ist ...
Ja, das sind Länder, die noch nicht so entwickelt sind. Wenn du noch Naturvölker hast, dann leben sie natürlich klimaneutral. Früher haben wir ja alle klimaneutral gelebt. Von den Industrienationen gibt es noch keins. Schweden ist das Land mit den ambitioniertesten Zielen. Die Schwed*innen haben schon in den 90er-Jahren eine CO₂-Steuer eingeführt. Deren CO₂ Preis liegt jetzt bei 120 Euro pro Tonne, im Gegensatz zu unseren nationalen 25 Euro pro Tonne. Und sie haben ihren pro Kopf Ausstoß von um die 11 auf 4 Tonnen gesenkt und trotzdem das Wirtschaftswachstum gehalten. Das zeigt, dass es möglich ist.
„ „Unsere langfristige Aufgabe ist es, die Ökosysteme wieder herzustellen.“ “
Wie kann ich denn klimaneutral oder am besten noch klimapositiv leben? Wie machst du das persönlich? Was kompensierst du? Auf wie viel Sachen verzichtest du?
Für mich ist es ganz wichtig, niemanden irgendwelche Vorschriften zu machen. Jeder muss irgendwie selber wissen, was er für sein Glück unbedingt braucht. Ich würde raten sich zuerst ein grobes Bild zu machen, wo die CO₂-Emission liegt im privaten Leben.
Wo sind die größten Emissionen in Privathaushalten?
Ganz unterschiedlich! Oft ist das Wohnen sehr stark, wegen der Heizung und dem Energieverbrauch und dann kommt Ernährung, wenn man viel Fleisch isst. Oder das Reisen, wenn man viel fliegt.
So grob sollte man das wissen, um dann zu schauen, was fällt mir am leichtesten? Was kann ich umstellen? Oder will ich einfach kompensieren? Auch das finde ich eine valide Möglichkeit. Mit uns macht man zum Beispiel die Wirtschaft klimafreundlicher so, da man sie zu weniger CO₂-Ausstoß zwingt. Das ist positiv für den eigenen Konsum. So hat man über die Kompensation direkt einen Hebel auf seinen eigenen CO₂-Ausstoß.
Langfristig müssen wir uns aber alle umgewöhnen und verändern. Wir können nicht weiter alle so viel Fleisch essen.
Was macht ihr, wenn ihr es irgendwie schafft alle Emissionsrechte wegzukaufen?
Also im Moment liegt der Fokus auf CO₂-Reduktion. Mein Ziel ist es auch, weiter zu expandieren in Europa. 10 Prozent der Abos kommen aus anderen Ländern als aus Deutschland und wir werden dann in jedem dieser Länder auch aufforsten. Und dann kann man unser System auch ausweiten auf andere Emissionshandelsysteme, zum Beispiel auf Kalifornien oder Korea.
Unsere langfristige Aufgabe ist es, die Ökosysteme wieder herzustellen. Wir müssen aber auch langfristig das Kohlendioxid aus der Luft holen. Auch für diese ganzen anderen Katastrophen, die uns drohen, den Biodiversitätskollaps. Dafür müssen wir die Ökosysteme wiederherstellen. Und das wird etwas, wo ForTomorrow sich hin verlagern wird in den nächsten Jahrzehnten. Sodass es immer weniger um diese CO₂-Reduktion geht und immer mehr darum, CO₂ aus der Luft zu holen und Ökosysteme wiederherzustellen.
Vielen Dank liebe Ruth, für das tolle und vor allem lehrreiche Interview und deine Zeit!
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Fotos:ForTomorrow