Können orthopädische Einlegesohlen sexy sein? – Das Interview mit den beiden Gründern von GetSteps

Können orthopädische Einlegesohlen sexy sein? – Das Interview mit den beiden Gründern von GetSteps

Wir treffen zwei junge Gründer mit großer Vision: Annik Wolf und Vincent Hoursch wollen unser Leben gesünder machen

Zwei junge Gründer aus Berlin wollen den unsexy Ruf von Einlegesohlen ändern und mit einem Online-Business für orthopädische Einlagen die Gesundheit der Füße fördern. Wie man darauf kommt und wie Gründen im Bereich Healthcare funktioniert? Wir haben es für euch herausgefunden!

von Lea Schramm

Es ist ein sonniger Tag in Berlin, als ich vormittags zum Büro von GetSteps im Prenzlauer Berg spaziere. Genauer gesagt handelt es sich dabei um ein Geschäft, was hinten über Büroräume verfügt. In Deutschland regelt ein Rahmenvertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen nämlich, dass Verkäufer von Einlagen ein Geschäft haben müssen, wo Kund*innen sich persönlich beraten lassen können – sonst übernimmt die Krankenkasse die Kosten nicht. Das Unternehmen hat also zur Gründung einen Shop eröffnet – verrückt, wenn man betrachtet, dass 98 Prozent der Erlöse online generiert werden.

Die Gründer Annik Wolf und Vincent Hoursch haben somit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, was die Bürolokalitäten angeht und dies ist bei weitem nicht die einzige Herausforderung, die sich in Deutschland so stellt, wenn man im Bereich Healthcare gründet. Dabei ist der Wunsch der Gesellschaft nach mehr digitalen Produkten im Gesundheitswesen doch zu Zeiten von Corona so groß wie nie – wieso gibt es dennoch so viele Barrieren? Und wie kam es dazu, dass sich zwei unter 30-Jährige, einem so augenscheinlich unattraktiven Thema wie maßgefertigten Einlagen annehmen? Ich habe viele Fragen im Gepäck, als wir uns im hippen Café neben dem Büro der beiden niederlassen. 

Hi Annik, hallo Vincent, danke für die Einladung. Wir fangen mal ganz von vorne an: Ihr habt euch in euren vorherigen Jobs bei BCG Digital Ventures kennengelernt. Könnt ihr erklären wieso, was BCG DV zu so einer guten Schule macht und was eure Aufgabenbereiche dort waren?

Annik: BCG DV ist eine Tochtergesellschaft der Boston Consulting Gruppe, die Start-up-Ideen für Großkonzerne entwickelt und umsetzt. So konnten wir in unseren vorherigen Jobs also viele Ventures in unterschiedlichen Phasen und aus unterschiedlichen Industrien mit begleiten. Vincent war Strategic Designer und hat die Entwicklung der Geschäftsideen anhand von intensiven Kundeninterviews und Berücksichtigung von Kundenfeedback vorangetrieben. Dazu muss natürlich auch immer das wirtschaftliche Potenzial, also Markt- und Umsatzpotenzial berechnet werden, das war meine Aufgabe, die Rolle nennt sich Venture Architect. Wir haben also bereits sehr viel Erfahrung in der Strukturierung des Gründungsprozesses gesammelt, welche uns in der Gründung von GetSteps extrem geholfen hat, etwas Risiko aus dem Prozess zu nehmen.

Ihr habt also vieles schon vorab gelernt, was ich noch nicht weiß. Mal ganz plump gefragt: Wie gründet man in Deutschland ein Start-up?

Vincent: Also, eines wissen wir mittlerweile ganz sicher: Es gibt keine genaue Anleitung. Jede Gründung verläuft anders, die Herausforderungen sind je nach Branche, Produkt und Phase extrem unterschiedlich. Es gibt natürlich generelle Komponenten, wie die Eröffnung eines Bankkontos oder eine Anmeldung im Handelsregister – aber dann hört es auch schon schnell auf. Daher ist ein gutes Team wahrscheinlich die wichtigste Voraussetzung – wir haben ein sehr unterschiedliches Profil und kennen uns durch unsere Arbeit bei DV sehr gut, vor allem kennen wir unsere Stärken und Schwächen. So haben wir von vornherein klare Verantwortlichkeiten definiert und konnten extrem effizient und schnell vorankommen. 

Annik: Genau. Wir haben bereits drei Monate nach Gründung den Onlineshop gelauncht und Einlagen verkauft – vieles war noch nicht optimal, aber so konnten wir wirklich verstehen, ob es einen Markt für unser Produkt gibt. Dies hat uns in der weiteren Ausrichtung, und vor allem im Fundraising extrem geholfen.

„ „Bisher hat man Einlagen nur über Sanitätshäuser bekommen, war an eingestaubte Strukturen und job-inkompatible Öffnungszeiten gebunden.“ “

Was für ein Potenzial seht ihr in Einlegesohlen? Und wie kann man Einlagen eben genau zu dem besagten sexy Lifestyle-Produkt machen? 

Annik: Vincent trägt Einlagen, seitdem er 16 ist. Bisher hat man diese nur über Sanitätshäuser bekommen, war an eingestaubte Strukturen und job-inkompatible Öffnungszeiten gebunden. Als ich ihm mal von meinen Knieschmerzen beim Sport berichtet habe, klärte er mich über die Vorteile von maßgefertigten Einlagen auf. Viele Sportler, vor allem Profis, tragen Einlagen als Grundausstattung. Wir haben also festgestellt, dass viele Leute gar nicht richtig über Einlagen Bescheid wissen und wenn man welche haben will, der Beschaffungsprozess super nervig ist. GetSteps ist aus der Vision entstanden, dass mehr Leute Einlagen tragen, da das wiederum zu einem gesünderen, besseren Leben führen kann. Unsere Motivation war vor diesem Grundgedanken so enorm, dass wir darauf verzichten konnten, den Preis für das Most-Sexy-Produkt abzusahnen. 

Vincent: Zu einem Lifestyle-Produkt zählen wir uns trotzdem, unser modernes Design und Auftreten machen es möglich. Außerdem: Was ist mehr Lifestyle als ein gesundes Leben? 

... verstehe. Die Idee ist also aus Überzeugung geboren. Wann war der Moment, als ihr gesagt habt: Wir machen das jetzt!

Vincent: Wir haben jede freie Sekunde neben unseren Jobs genutzt, die Idee zu überprüfen; recherchiert, mit vielen unterschiedlichen Menschen in unserem beruflichen Umfeld gesprochen und viel durchgerechnet. Nach einigen Monaten waren wir an dem Punkt der Entscheidung: Machen wir das jetzt wirklich, oder nicht? Man braucht definitiv Mut und muss bereit sein, Einschränkungen zu akzeptieren, z.B. beim Gehalt. Wir haben uns aber gegenseitig motiviert: Der Antrieb und die Begeisterung des Anderen geben einem immer wieder Sicherheit.

Annik: Das stimmt, zu zweit ist es einfacher und wenn bei einer Person Zweifel aufkommen, gibt es immer ein Back-up. Wie eben schon erzählt, haben wir auch super schnell angefangen die ersten Einlagen zu verkaufen. So schnell wie möglich eine Nachfrage beobachten zu können gibt extremes Selbstvertrauen.

Wie kamt ihr dann an die ersten Prototypen? Wie funktioniert der Prozess und wie lange dauert es, dann wirklich das fertige Produkt zu haben?

Vincent: Wir haben am ersten Tag unserer Selbstständigkeit direkt eine Website gebaut – natürlich nicht ausgearbeitet und ohne direkte Kaufoption, aber es bringt total viel, seine Gedanken direkt zu Papier zu bringen. Den Prototypen der Website haben wir dann genutzt, um die Grundidee mit Freund*innen und Expert*innen zu testen. Zudem hilft es, potenziellen Produzenten schon etwas zeigen zu können. So hat sich auch ziemlich schnell ein Partner gefunden, der zu Anfang Einlagen in unserem Namen gefertigt hat, wodurch wir erstmal keine Maschinen kaufen mussten und von Zuhause aus arbeiten konnten. Die Website wurde dann nach und nach professioneller hochgezogen. Im Nachhinein ist es natürlich immer abenteuerlich zu sehen, wie man angefangen hat – wie die Website zu Beginn aufgebaut war oder die ersten Abdrucksets aussahen. Viel war improvisiert, ein richtiger MVP eben – aber so haben wir eine ziemlich solide Basis geschaffen, auf der wir step by step aufbauen können.

Ihr habt direkt zu Beginn zwei in Berlin bekannte Investoren mit an Bord geholt, obwohl damit meist ein Stück weit Kontrolle und natürlich Abhängigkeit einhergeht. Wieso habt ihr euch dennoch dazu entschieden? 

Annik: Uns war von vornherein klar, dass wir Investor*innen mit ins Boot holen wollen. Ohne externes Kapital kann man einfach nicht mit dem gleichen Speed vorankommen, auch wenn man dafür bereit sein muss, Firmenanteile abzugeben. Wir haben die erste Runde genutzt, die Basis für die Skalierung zu schaffen – die Kundenakquise zu beschleunigen, eine eigene Produktion unserer Einlagen aufzubauen, und natürlich das Team zu vergrößern. 

Vincent: Unsere beiden Business Angels Benedikt Franke & Felix Jahn haben bereits erfolgreich eigene Firmen gegründet und einige Start-ups von Beginn unterstützt – so bringen sie viel Expertise mit. Auch für zukünftige Runden ist es natürlich ein starkes Signal, solche erfahrenen Angels an seiner Seite zu haben. 

„ „Gerade in einem so modernen Umfeld wie der Berliner Start-up-Szene sollte jedes Unternehmen einen Beitrag zu mehr Diversität leisten.“ “

Für viele Gründer ist es eine große Aufgabe, plötzlich in eine Führungsrolle zu treten. Gerade wenn man als Start-up schnell wächst, kommen viele neue Mitarbeiter*innen hinzu. Die müssen a) gut ausgewählt werden und b) gut geführt werden. Wie sehr fordert euch der Bereich der Personalführung?

Annik: Wir haben beide in unseren vorherigen Jobs schon Projekte und Teams geleitet und haben demnach Vorkenntnisse in dem Bereich. Über LinkedIn und unsere Jobs-Page erreichen uns praktisch täglich tolle Bewerbungen und bisher hatten wir Glück, wirklich großartige Mitarbeiter für uns gewinnen zu können. Durch unsere unterschiedlichen Verantwortungsbereiche führen wir sehr unterschiedliche Teams, mit ziemlich verschiedenen Hintergründen und Anforderungen. Um uns dabei zu unterstützen und Team-übergreifend eine gute Kultur aufzubauen, stehen wir eng im Austausch miteinander. Wir schauen immer wieder neu, wie wir die Teamführung so optimieren können, dass sich alle wohlfühlen und möglichst produktiv sind. Regelmäßiges Feedback des Teams ist hier das beste Hilfsmittel.

Wenn ich mich in eurem Büro umgucke, habe ich den Eindruck mehr Frauen als Männer an den Schreibtischen zu sehen. Wie divers ist GetSteps bzw. wie divers muss man als Unternehmen heutzutage sein – in allen Hinsichten?

Vincent: Es war von vornherein unser Wunsch, das Team so divers wie möglich zu gestalten. Dass jetzt tatsächlich 40 Prozent unseres Teams internationaler Herkunft – und fast 65 Prozent weiblich sind – hat sich in Teilen zufällig ergeben. Dennoch ist es etwas, worauf wir sehr stolz sind, zumal die Gleichberechtigung von Männern und Frauen heutzutage eine Grundvoraussetzung sein sollte. Gerade in einem so modernen Umfeld wie der Berliner Start-up-Szene sollte jedes Unternehmen einen Beitrag zu mehr Diversität leisten. Wir erkennen dabei eindeutig, dass eine Frau im Gründerteam viele talentierte Bewerber*innen anzieht. 

Wir hatten im Vorgespräch über Barrieren für deutsche Start-ups im Healthcare-Bereich gesprochen. Wie sehen diese konkret aus?

In unserem Fall gibt es vor allem in der Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Krankenkassen Hürden. Orthopädische Einlagen sind nicht verschreibungspflichtig, aber eine Kassenleistung, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. Aber in dem Rahmenvertrag zwischen dem GKV Spitzenverband und den Orthopädieschuhmachern, welcher die Erstattungsfähigkeit von Einlagen für ganz Deutschland regelt, ist eine Fußabdrucknahme und Abgabe der Einlagen im Geschäft vor Ort vorgesehen. Es wird also bald möglich sein, die Diagnose einer Fußfehlstellung durch einen Orthopäden über Telemedizin zu machen, aber die Einlagen dürfen nicht über die Ferne abgegeben werden. Unsere extrem hohe Kundenzufriedenheit mit der Produktqualität, Passgenauigkeit und dem einfachen Prozess motiviert uns den Status Quo weiter zu verbessern und einen guten Weg zu finden, GetSteps im Gesundheitssystem zu platzieren. Wir ermöglichen mehr Menschen ein gesundes Leben zu führen, und stärken dabei noch einen stark gefährdeten Handwerksberuf.

Stellen wir uns vor Gesundheitsminister Spahn würde euch zu einem Gespräch einladen. Was würdet ihr ihm sagen wollen?

Vincent: Wir würden ihn bitten, weiter daran zu arbeiten Barrieren für Start-ups im deutschen Gesundheitssystem aus dem Weg zu räumen – die Möglichkeiten dazu hat er. Generell nehmen wir Herrn Spahn als digital orientiert und modern wahr, weshalb es für uns an manchen Stellen noch schwer zu verstehen ist, wieso es noch so viele Hürden für Start-ups in unserem Sektor gibt. Im europäischen Vergleich sind wir in der Vergangenheit recht zurückhaltend in der Digitalisierung des Gesundheitswesens gewesen, da gilt es aufzuholen. Spätestens die Corona-Krise hat den Bedarf an digitalen Lösungen im Gesundheitssystem gezeigt – und die Gesellschaft ist interessierter denn je daran, Leistungen digital zu nutzen, solange das gleiche medizinische Niveau gewährleistet werden kann. 

Annik, Vincent – ihr habt geschafft, wovon viele potenzielle zukünftige Gründer noch träumen: Ihr habt den Mut gehabt ein eigenes Unternehmen zu gründen, habt namhaften Investoren überzeugen können und das erste harte Jahr überlebt. Welche Tipps gebt ihr anderen Gründern mit auf den Weg? 

Annik: Für den Beginn gilt das Motto „Test & Learn”: Versucht so früh wie möglich, mit echten Kunden die Idee zu testen. Das beste Feedback bekommt man, wenn es wirklich darum geht, dass Leute sich committen und bezahlen müssen. Danach folgt ganz schnell das Thema Angestellte – geht es frühzeitig an, denn die richtigen Leute zu finden, dauert immer länger als geplant. Und zu guter Letzt: fokussiert euch. Egal ob es das Produkt, Fundraising oder Partnerschaften angeht: Versucht den Fokus auf den im Moment wichtigen Themen zu behalten. Es gibt so viele Dinge, die gleichzeitig angegangen werden können und relevant erscheinen. Aber man kann nicht alles parallel machen. Fokussieren, konzentriert umsetzen und dann das nächste Thema angehen ist wirklich der Schlüssel zum Erfolg.

Vielen Dank für das tolle Interview, ihr zwei!

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