Helmstedt: Wo Erdbeeren auch im Winter gedeihen

Helmstedt: Wo Erdbeeren auch im Winter gedeihen

Zwischen Fantasie und Erfolg: Emilie Helmstedts einzigartiger Ansatz vereint verspielte Kreativität mit kommerziellem Erfolg

Helmstedt steht für farbenfrohe Designs und ist aus der Kopenhagener Modeszene nicht mehr wegzudenken. Gründerin Emilie Helmstedt zeigt, dass kreative Vision und kommerzieller Erfolg Hand in Hand gehen können. Mit einem neuen Konzept und ihrer Fantasie verschönert sie unsere Welt mit Erdbeeren und Wolken

Erdbeeren, Wolken, abstrakte Unterwasserwelten. Die Mode des dänischen Fashion-Labels Helmstedt ist, als ob man noch einmal Kind sein dürfte und seine Fantasie als Look für die Außenwelt zur Schau stellt. Es ist bunt, fantastisch, exzentrisch und verträumt. Und irgendwie passen diese Attribute auch alle zur Gründerin des gleichnamigen Brands, Emilie Helmstedt

Emilies und meine Wege kreuzen sich seit Jahren immer wieder – doch irgendwie wollte das Schicksal nie, dass wir uns persönlich über den Weg laufen. Da wäre zum Beispiel der Bolia Design Award gewesen, in dem wir beide im gleichen Jahr in der Jury saßen. Doch Emilie war bei der Jury-Besprechung und der Verkündung der Gewinnerinnen spontan verhindert – und ich ein bisschen sehr traurig, schließlich wollte ich Emilie schon lange einmal treffen. Dann stand die Kopenhagen Fashion Week auf dem Plan, das Interview mit ihr war angefragt, der Termin in dicken Buchstaben notiert. Als ich zur vereinbarten Uhrzeit bei Emilie im Atelier stand – und sie zu Hause am Telefon saß, bereit zum Telefoninterview mit mir, musste ich schon fast lachen: Sind wir einfach nicht füreinander bestimmt?!

Doch sind wir! Das sollte sich zwei Wochen später herausstellen, als wir gemeinsam um Emilies Zeichentisch saßen, heißen, sauren dänischen Filterkaffee tranken, darüber lachten, dass so viel Kaffee für uns eigentlich gar nicht gut sei und uns über die Kopenhagener Modewoche, Emilies Zukunftspläne und ihre Lektionen aus der Vergangenheit sprachen. 

Denn dass ein imposanter Start für eine Modedesignerin nicht immer das Beste ist, das hat Emilie jetzt mit ein paar Jahren Erfahrung gelernt. 2017 gründete die geborene Kopenhagenerin ihr eigenes Label gefühlt in Minuten, nämlich als sie einen der renommiertesten Auszeichnungen der skandinavischen Modewelt aus dem Studium an der Royal Academy of Fine Arts verliehen bekommt: Der damals noch als Magasin du Nord Fashion Prize, heute Wessel & Vett Fashion Prize macht die dänische Designerin über Nacht weltberühmt – und eröffnet ihr sofort die Chance einer eigenen Fashion Show auf der CPHFW. Mit der „Oceania“-Kollektion für Frühjahr/Sommer 2019 gibt sie mit Helmstedt ihr Debüt. 

Jeder Print wird von Emilie mit leuchtenden Wasser- und Ölfarben gemalt und auf die feinsten Stoffe gedruckt. „Ich definiere Helmstedt als die Brand, die einen Raum schaffen möchte, in dem Kunst, Mode und Nachhaltigkeit in verschiedenen Objekten aufeinandertreffen.“ Dieser künstlerische Fokus wird schnell belohnt, 2020 kommt sie ins Finale des weltbekannten LVMH Prize, 2021 kürt Forbes sie zu den 30 Under 30 in Europa in der Kategorie Kunst und Kultur. 

Was wie ein Modemärchen klingt und der Traum aller Design-Student*innen ist, birgt aber auch seine Tücken. Schnelles Wachstum bedeutet oft Kontrollverlust, Druck und Zeitnot. Concept-Stores und Kaufhäuser bestellen große Anzahlen an Kleidung – aus einer Künstlerin wird eine Geschäftsfrau. „Und rückblickend kann ich sagen, dass das wirklich nicht meine Stärke ist.“

Emilie sieht sich zunehmend mit administrativen Dingen beschäftigt, ihr fehlt die Zeit zum Kreativsein, sie wird Mutter – und hat zum ersten Mal Zeit ihren Werdegang zu rekapitulieren. „Es wird Zeit, etwas zu verändern“ – und das tut sie. 

Sie sucht sich Geschäftspartner und legt damit den Grundstein für Veränderung. Mehr Zeit zum Geschichtenerzählen, zeichnen, träumen, entwerfen – und darüber nachzudenken, wofür Helmstedt stehen soll. „Bist du nicht manchmal von der Erdbeere, die dein Markenzeichen geworden ist, genervt? Ist sie Fluch oder Segen?“, frage ich sie. „Gut, dass du das fragst. Beides! Ich liebe Erdbeeren, aber es ist zum Beispiel immer wieder eine Herausforderung, sie auch im Herbst und Winter in die Kollektionen einzubinden, da sie ja eigentlich ein sommerliches Motiv sind“, erklärt Emilie. 

Doch auch das meistert sie und macht etwas, das mich besonders glücklich macht: Sie transformiert die Erdbeere zu einem Motiv, das nicht nur Kinder ansprechend finden, sondern eben auch erwachsene Frauen gerne tragen. Das Geheimnis? Die Erdbeere ziert als Stickerei Kleider, als Druck Jeansjacken. Damit schafft sie es, dass ihr Brand zwar eklektisch und besonders bleibt, sich aber auch weiterhin gut verkauft. Nachhaltigkeit ist und bleibt ihr wichtig: Für die neuen Kollektionen arbeitet sie alte Designs wieder auf, verwendet Stoffreste, schneidert um – und verbindet so alt mit neu. Ihre Neuausrichtung ist auch der Grund, warum sie bei der aktuellen Fashion Week Kalender fehlt. 

Wer in seinen frühen Zwanzigern berühmt und erfolgreich wird, der wird mit seinem Label auch erwachsen. Das sieht man Helmstedt mittlerweile an: gedecktere Farben, klare Motive, die oft doch eher für Minimalismus bekannten skandinavischen Girls lieben Erdtöne — und Emilie kann das (neben viel Farbe und Mustern) eben auch. Doch der Fokus bleiben ihre handgezeichneten Motive, mit denen sie Erinnerungen aus ihrer Kindheit verarbeitet. Kreativ zu sein und kommerziell, das schließt sich glücklicherweise nicht aus, Helmstedt ist der Beweis dafür. Der Schlüssel dazu ist Fantasie, Besonnenheit, gute Berater*innen und ein langfristiger Plan für die Zukunft. Ich bin gespannt, wie Helmstedt sich in der Zukunft entwickeln wird. Eins weiß ich aber: Erdbeeren werden dort das ganze Jahr über geerntet. 

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