Der Traum von der perfekten Jeans
Das Berliner Modelabel Avenir lässt diese Utopie mit aussortierten Hosen wahr werden
Im Interview mit Avenir-Gründerin Sophie Louise Claussen besprechen wir, warum Upcycling das Zauberwort der Zukunft ist
Ich habe eine Abendroutine – und die besteht daraus, auf Vestiaire Collective meine gesetzten Suchfilter durchzuschauen, zu verhandeln, nur um dann am Ende doch nicht zu bestellen. Der Kleiderschrank ist voll. Voller als voll. Besonders Jeans verschlingen bei mir zwei riesige Schubladen, dabei trage ich doch eh nur meine zwei Lieblingsmodelle. Und einer meiner Suchfilter bei Vestiaire ist „Patchwork“. Dass sich die zwei Kategorien, nämlich meine viel zu große Denim-Sammlung und meine Vorliebe für Zusammengenähtes so schnell vereinen würden, hätte ich nicht gedacht.
Aber da stand ich nun. Im tiefsten Neukölln. So tief, dass ich bezweifle, dass ich dort ohne mein Vorhaben, nämlich ein Interview mit Sophie Louise Claussen zu führen, wahrscheinlich nie hingefahren wäre.
Doch der weite Weg über die Stadtautobahn hat sich gelohnt. Denn schon von außen sieht man in die ebenerdige Werkstatt und erspäht jede Menge Jeans, das Markenzeichen des jungen Brands Avenir.
Avenir, das ist Französisch und bedeutet Zukunft. Und genau die hatte Sophie Louise Claussen, die Avenir gegründet hat, im Sinn, als sie sich überlegte, ein Modelabel ins Leben zu rufen. Ich liebe Mode, ich liebe gute Konzepte und vor allem liebe ich Geschichten von Menschen, deswegen bin ich auch Modejournalistin geworden. Aber doch bereitet mir jedes neue Label erst einmal Bauchschmerzen: Braucht es das wirklich? Ist das Konzept des Modelabels so stark, dass es ein Alleinstellungsmerkmal hat? Und wie steht es um die Nachhaltigkeit?
All diese Fragen habe ich mir bei Avenir nicht gestellt. Denn alle Faktoren stimmen überein. Avenir macht Upcycling-Mode. Upcycling, das ist das fancy Wort für Wiederverwertung. Genau das macht Sophie mit alten Textilien, besonders mit Jeans.
Ihre Sophie Pants sind innerhalb weniger Monate zum „heißen Scheiß“ der Berliner Modebranche geworden, Maßschneiderei macht sie auf einmal bezahlbar und dabei verwertet sie noch Textilabfälle aus Überproduktion und Altkleiderkammern. Kurz gesagt: Ihr Konzept ist so genial, dass man sich fragt, warum vor ihr nicht schon jemand anderes auf die Idee gekommen ist. Ist aber keine*r!
Wenn ihr euch also schuldig gefühlt habt, als ich gerade von „überfüllter Jeansschublade“ und „ich trage davon aber nur zwei Lieblingsjeans“ sprach, dann solltet ihr das Interview mit Sophie auf jeden Fall lesen. Denn hier revolutioniert jemand unsere Modebranche – und hat vollste Unterstützung dabei verdient!
Sophie, Avenir ist ja noch ein relativ junges Brand, ebenso wie du. Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Label zu gründen?
Ich bin studierte Modedesignerin und habe in dem Bereich gearbeitet. Ich konnte aber die Überproduktion nicht mehr sehen, Denim ist ja auch noch ein sehr schmutziges Material und wird häufig weggeschmissen. Deswegen bin ich zum Textilhafen hier in Berlin gegangen, das ist eine Sammelstelle für Textilien. Dort kommen tatsächlich am häufigsten Jeans an. So ist die Grundidee zum Upcycling entstanden.
Ich habe Avenir im Januar 2020 gegründet, ich wollte sofort loslegen, aber wegen Corona ging es dann natürlich nicht. Also habe ich erstmal Masken hergestellt, was natürlich nicht das Ziel war. Als sich die Situation dann wieder normalisiert hat, habe ich angefangen, Jeansjacken zu nähen.
Ist das das Ziel von Avenir: Dass die Ressourcen, die schon vorhanden sind, möglichst gut genutzt werden?
Ja, wir versuchen möglichst wenig neue Ressourcen in der Produktion zu verwenden. Zum einen verwenden wir Pre-Consumer-Waste, also überproduzierte Stoffe, die noch kein Kleidungsstück waren, aber auch Post-Consumer-Waste, also aussortierte oder weggeschmissene Kleidung.
Wie kann man sich das genau vorstellen: Sucht ihr euch die Jeans noch einzeln zusammen oder habt ihr einen Lieferanten, der euch automatisch alte Jeans vorbeibringt?
Das passiert auf unterschiedlichen Wegen. Wir sind immer noch sehr mit dem Textilhafen verbunden, die weiterhin für uns nach Jeans suchen. Sie wissen genau, welche Farben und Materialzusammensetzungen wir suchen. Zum Beispiel sollten sie nicht unter 97 Prozent Baumwolle und mehr als 3 Prozent Elastan haben. Ansonsten haben wir in Polen und Portugal Produktionen, von denen wir Deadstock (Anm. d. Redaktion: Materialien aus Überproduktion) beziehen. Das Denim beziehen wir aber aus Berlin.
Und woher bezieht der Textilhafen die ganzen Jeans?
Sie sind ein Teil der Berliner Stadtmission und haben in der ganzen Stadt Container, bei denen man spenden kann. Erstmal werden diese Spenden dann an Bedürftige verteilt, aber da kommt viel mehr an, als sie gebrauchen könnten. Die Spenden werden also sortiert und dann eben auch teilweise in den eigenen Vintage Stores verkauft, um sich zu finanzieren. Der Rest kann dann tatsächlich von jedem gekauft werden.
Hast du denn einen Tipp zur Kleiderspende? Ich bin oft überfordert von den ganzen Angeboten.
Ich würde meine Sachen direkt zur Sammelstelle der Berliner Stadtmission geben und vor allem saisonale Kleidung abgeben (also im Winter Winterjacken und so weiter), auch, wenn man das beim Aussortieren ja meistens genau andersherum macht.
Hat die Pandemie das Denken von Kund*innen im Bereich Nachhaltigkeit verändert?
Ja, total! Als ich vor Corona erzählt habe, war die Reaktion vieler so: „Ja, süße Idee, aber warum soll man etwas Upgecyceltes kaufen?“ Und nach der Pandemie ist das Wort schon viel mehr Leuten ein Begriff und das Interesse ist viel größer.
Woran liegt das? Denkst du, die Kund*innen fanden es vielleicht komisch, getragene Kleidung neu zu kaufen? Bietet ihr deshalb auch Teile an, die aus Deadstock sind? Wie passt das beides zusammen?
Nun, das passt so zusammen, dass beides nur rumliegen würde, wenn man es nicht benutzt. Wenn wir sie verarbeiten, dann wird die Umwelt dadurch nicht weiter belastet, es werden keine weiteren Chemikalien benutzt. Das liegt mir sehr am Herzen, denn wenn man sich mit dem Thema befasst, dann merkt man ziemlich schnell, wie unnötig es ist, eigene Materialien herstellen zu lassen. Die Stoffe und Jeans, die wir von den Konsument*innen bekommen, werden außerdem aufwendig auseinander genommen und gewaschen.
Euer Signature Piece ist ja die Sophie Pants, eure Custom Made Jeans. Bei dem Wort muss ich sofort an Vetements und alte Levi's Jeans für 1.000 Euro denken. Mit dem Gedanken bin ich dann auch auf eure Website gegangen und war überrascht, als ich den Preis der Jeans gesehen habe. Der ist für maßgeschneiderte Hosen ja sehr fair.
Ja, die Hose ist unser Bestseller. Am Anfang sind wir mit dem gleichen Preis wie jetzt gestartet, aber es gab noch keinen Hype. Also mussten wir den Preis senken. Jetzt ist die Auftragslage so hoch, dass wir den Preis wieder anheben mussten, weil der Prozess so arbeitsintensiv ist. Bei unserer Zielgruppe ist das immer ein Risiko, denn die ist eben doch eher jünger und würde niemals 1.000 Euro für eine Hose ausgeben.
Was ist die Geschichte hinter der Sophie Pants?
Das war Zufall. Letztes Jahr hatten wir für ein Shooting viel zu viele Oberteile, also habe ich in letzter Minute aus zwei alten Jeans von mir diese Hose gemacht. Schon bei dem Shooting haben wir gemerkt, wie gut die Jeans ankam, also haben wir sie auf die Website gestellt. Am Anfang war es auch nur Quatsch, dass die Sophie Pants heißt, ich habe sie nur so genannt, weil ich sie aus schnell aus meinen alten Hosen gemacht habe.
Wie viele Kund*innen bringen denn wirklich ihre eigenen Jeans mit, um sie zu einer Sophie Pants umarbeiten zu lassen?
Einige, denn die meisten freuen sich, wenn daraus etwas Neues entsteht. Für uns ist das dann natürlich auch ein sehr großer Vorteil, denn dann wissen wir, welche Größe passt.
Was verkauft ihr neben den Jeans am besten?
Das grüne Shirt für Herren!
Die Jeans verkauft ihr aber mehr an Frauen, oder?
Ich würde sie gerne auch an Männern sehen!
Wo kriegen wir also die Männer für euch her ... Wo findet ihr denn neue Kund*innen?
Über ganz viele verschiedene Wege: Klassische PR-Arbeit, Inhouse-Marketing, Pop-up-Shops. Da erreichen wir immer super viele neue Kund*innen!
Was waren deine drei Learnings seit der Gründung?
1. Ich habe klassisch Modedesign studiert und dort wird man wirklich null über BWL informiert. Man lernt nichts über Gründung, Management, es geht immer nur um Kreativität. Mein Learning: Kreativität ist toll, aber das Letzte, was man braucht.
2. Das Produkt ist das eine, das Marketing ist aber viel wichtiger, als du denkst. Du kannst das geilste Produkt überhaupt haben, aber wenn du niemandem davon erzählst, kannst du es gleich bleiben lassen.
3. Geduld mitbringen. Es ist nicht so, dass du etwas startest und auf Anhieb alles funktioniert. Auch wenn es manchmal frustriert, man muss einen langen Atem haben. Und besonders in der Modewelt ist oft wie in der Kunst die Frage: Wo kommt das Geld her?
Was ist denn euer nächster Schritt, woran arbeitet ihr gerade?
Aktuell arbeiten wir daran, so viele Pop-up-Konzepte wie möglich umzusetzen, dadurch kann man einfach so viel erreichen. Der zweite Schritt ist die Optimierung. Die Produkte verbessern, die Herstellung von ihnen. Wie kann man kosteneffektiver produzieren? Und die Frage: Was machen wir im Herbst?
Danke für das tolle Interview, liebe Sophie!
Avenir Highlights:
Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.
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Fotos Avenir:Jordann Wood
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Fotos Atelier:Marie Jaster