Wie ich aus Versehen zum Dschungelhippie wurde

Wie ich aus Versehen zum Dschungelhippie wurde

„Keine Main Acts außer dem Dschungelfeuer. Wo bin ich nur gelandet? Festival? Sekte? The Beach?“, fragt sich Nils, der jetzt keinen Namen mehr hat.

„Geil, ein Hippie-Festival im Dschungel“, dachte sich Nils, als er gerade drei Monate in der Karibik herumirrte. Dass dieser Ort im kolumbianischen Urwald alles andere als ein Festival war, merkte er erst, als es zu spät war.

Als ich die ersten Schritte in den Dschungel lief, dachte ich noch, ich könnte das alles irgendwann einmal aufschreiben, beschreiben, erzählen. Kein Problem. It’s what I do. „Gehst du auch zum Rainbow?“, haben mich immer die schönsten Menschen in den Hostels gefragt. Ich dachte, ich wäre auf dem Weg zu einem Hippie-Festival. Dem größten der Welt, im Kolumbianischen Regenwald. Mit Food-Trucks und Gras, mit Kuhkacke-Pilzen und Bio-Toiletten, mit nackter Haut und Haaren. Das ist doch eine schöne Geschichte, dachte ich. Und jetzt sitze ich hier, einen Monat später, an einem fremden Schreibtisch in einer fremden Stadt und frage mich was zur Hölle dort mit mir passiert ist.

Bruder, das‘ nicht dein natürliches Habitat

Ich ging einfach los in der Mittagshitze. Hinter mir fiel ein bepacktes Maultier um und blieb liegen. Ob das ein gutes Zeichen war. Mach’s besser Junge. Besser nicht. Da oben gibt es weiße Spinnen und Schlangen und Bakterien, die dich langsam, Millimeter für Millimeter, auffressen bis runter auf den Knochen. Apropos Knochen: Jaguar spielen Nussknacker mit deinem Schädel. Fünf Liter Wasser. Fünf Stunden bis Sonnenuntergang. Wenn du länger brauchst, hast du verloren, jetzt mal ohne dramatisch zu sein. Ich war drei Stunden südlich von der windigen Hafenstadt Santa Marta, zwei Stunden östlich von der letzten richtigen Straße – und ungefähr einen halben Meter nördlich von dem größten achtspurigen Ameisen-Highway, den ich jemals gesehen hatte. Um mich herum saßen blaue und grüne Vögel auf riesigen nassen Blättern und da waren Palmen und Lianen, die über einen Fluss hingen, in dem abgeschliffene Steine badeten wie Dinosaurier-Eier. Hinter jedem uralten Baum stand ein Sir David Attenborough und sagte „Bruder, das‘ nicht dein natürliches Habitat. Get the bloody fock out of here, mate!“ 

Mich zu erinnern, was dort oben nach fünf Stunden Fußmarsch passiert ist, fällt viel schwerer als sonst. Es ist wie ein Besuch im Schwarzen Loch. Mit kleinen Filmfetzen, die noch an kleinen Synapsen hängen, aber du weißt nicht warum. Sogar der Film meiner analogen Kamera funktionierte erst wieder, als ich wieder zurück war. Ich erinnere mich noch, wie mich plötzlich hundert Fremde umarmten und sagten „Welcome Home“, ganz leise und dann guckten sie mir noch lächelnd tief in die Augen, und bewegten sich wieder ganz langsam weiter, wie freundliche Zombies. Ich erinnere mich, wie mir der erste Joint gereicht wurde und ich dann merkte, dass es hier kein Trinkwasser gab und man für einen halben Liter Flusswasser eine dreiviertel Stunde vor dem Filter knien musste, den glücklicherweise irgendwer mitgebracht hatte. Vor dir und hinter dir in der Schlange Frauen und Männer, Kinder und Babys. Wie ich erfuhr, dass es hier in den Pfaden Schlangen und giftige Spinnen gab. Wenn dich eine Schlange beißt, kein Problem, dann bringen wir dich zum Mamo, das ist ein Mann im Wald und der hat da Blätter dafür. Dass die Toiletten meterlange Gruben auf einem Hügel waren. Es gab nur ein paar Regeln, sagte ein Typ, der sich Brokkoli nennt: kein Alkohol. Keine chemischen Drogen. Kein Fleisch. Keine elektrischen Geräte. Kein Handel mit Geld. Kein Judgement. Keine Namen. Wenn du teilst, wirst du bekommen. Auch, wenn du nichts hast. Weil man nie nichts hat. Hast du noch Fragen? Ich dachte, das Wi-F- Passwort wäre noch gut, aber dann verwarf ich den Gedanken und lief einen mit frischem Blut betropften Weg hinauf, immer weiter den Hügel hinauf. Auf der Suche nach einem Ort,  an dem ich diese Nacht überleben konnte. Ich war zu high, um mein Zelt richtig aufzubauen. Es verschwamm alles in Paranoia und Angst. Ich war fünf Stunden Fußweg entfernt von der ländlichen Zivilisation. Alles Filmfetzen, aneinandergereiht. It will change you, sagt jemand. Welcome Home. Ich fliege in ihre Augen rein. Und Cut. 

Wie ich aufwachte und alles war gar nicht mehr so schlimm. Ich erinnere mich noch, wie ich über das Gelände ging, Fremde Menschen anlachte, wie verrückt. Wie dort das größte Feuer stand, das ich jemals gesehen hatte. Wie sich dort irgendwann vor meinen Augen der Nachthimmel in das Meer verwandelte und der Vollmond in die Sonne, die im Himmelmeer unterging und die Wolken plötzlich Wellen waren und kleine Segelboote, die in den Horizont schaukelten. Vierzig Dschungeltrommeln drumherum, die mich genau auf die Reise schickten, nach der ich schon immer gesucht hatte. Wie die nackten, verschwitzten Körper der Trommlerinnen und Tänzer von den Flammen der Nacht angemalt wurden. Wie alle schrien, als es zum ersten Mal regnete. Wie ich in diesem Dschungelregen in einer der Kack-Gruben stand, mit der Spitzhacke in die dunklen, krachenden Wolken gerichtet, schreiend, triefend. Wie alle von den Hügeln schrien, wenn es Essenszeit war. Wie wir nackt im Fluss lagen. Wie wir alle jeden Tag den Sonnenuntergang zusammen guckten und Dschungelsounds machten, als sie dann weg war. Wie die Menschen auf Steinen saßen, stundenlang, regungslos. Wie wir Kakaobohnen lutschten und Ingwer in großen Wurzelteppichen zu unseren Füßen aus dem Boden rissen, um Tee draus zu machen. Wie schön sie alle waren, diese Leute. Wie alles wie gefiltert aussah, wie langsam und bestimmt ihre Bewegungen waren, die vorher noch wie Zombie-Bewegungen für mich wirkten. Wie sie dich einfach mit ihren strahlenden Augen ansehen konnten, ohne den Blick abzuwenden. Wie geil eine Kokosnuss schmecken kann. Oder ein Stück gekochter Zuckerrohrsaft. Wie man Kaffee aus einem Baumrindenfilter macht. Wie alle einen halben Tag schweigend miteinander lebten und wie wir im Regen weinten, als wir uns trennten, um den Dschungel zu verlassen, zurück in andere Welten. Ich weiß nicht, in welcher Reihenfolge das alles passiert ist. Ob es überhaupt passiert ist. 

Janz La Hoz

„ „Das hier war eine Familie. Ein Gathering. Ein kleines Utopia für alle. Ein Ort, wo alle sein konnten, wie sie wollen, wie sie waren.“ “

Es hat jedenfalls nicht lange gedauert, bis ich gemerkt hatte, dass das hier kein Festival war. Es gab keine Bühne außer das große Sacred Fire. Keinen Strom. Es gab keine Main Acts außer dem Vollmond, dem täglichen Sonnenuntergang und diesem leuchtenden Tausendfüßler. Es gab kein fließend Wasser außer den Fluss und den Regen. Keine Securitys außer deinem Verstand. Keine Foodtrucks, sondern riesige Töpfe voller Linsen und Bohnen und Reis und Früchten, die alle jeden Tag neu zusammenwürfelten und dann wie ein Zaubertrank an die 800 Menschen verteilten, die sich am Feuer versammelt hatten. 

Nein, Festival war wirklich das falsche Wort. Das hier war eine Familie. Ein Gathering. Ein kleines Utopia für alle, die bereit waren, für ein paar Wochen Magie stundenlange Märsche durch den Dschungel auf sich zu nehmen. Ein Ort, wo alle sein konnten, wie sie wollen, wie sie waren. Oder entdecken konnten, ob sie wirklich die sind, die sie denken, dass sie sind. Da gab es Männer, die aussahen wie frisch aus dem Berghain. Alte Hippies mit langem weißen Haar. Immobilienmakler aus Kanada oder Single Mütter mit ihren Kleinen. Arme und Reiche. Frauen mit vielen Haaren überall, Frauen mit gar keinen Haaren, Männer mit Make-up und Frauen mit Bart. Ganz kleine Menschen und ganz große Menschen. Frauen, die sich wie Männer fühlen und andersrum. Männer, die Männer gut finden und Frauen, die alles gut finden. Generell viele, die alles gut finden. 

Der wahrscheinlich magischste Film meines Lebens

Die Rainbow People, wie sie sich nennen, haben ihre eigenen Songs und Lieder, sie sprechen ein bisschen anders als wir. Sie nennen sich Brother und Sister, in vielen Sprachen, sie kennen keine Namen und auch kein Judgement. Sie bauen eine Gesellschaft, von ganz unten. Ohne Hierarchie, ohne Chefs und ohne Geld. If you see a job it’s yours. Sie tauschen Massagen gegen Kaffee und Umarmungen für Lächeln. Seit dem ersten Gathering 1972 in Kalifornien treffen sie sich jedes Jahr national und international. An den verrücktesten Orten. Auf Hawaii am Strand. In Costa Rica. Im quebecischen Wald. Während der Sonnenfinsternis in Ungarn '99. Im Norden Schwedens im Sommer, wo immer Tag ist. In Sibirien. 

Ich war auf dem Internationalen Rainbow Gathering 2019 im Kolumbianischen Dschungel gelandet, ohne eine Ahnung von nichts zu haben. Ich wollte doch nur ein paar haarige Hippies kennenlernen und eine lustige Geschichte erzählen können. Dann war es der wahrscheinlich magischste Film meines Lebens. Wenn das alles wirklich passiert ist. Da bin ich mir immer noch nicht so sicher. 

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    Kyrkuri Alma Caboclo

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