Die Liebe zum B – Barcelona, Berlin und mittendrin ich

Die Liebe zum B – Barcelona, Berlin und mittendrin ich

Gegensätze ziehen sich an. Das hat mir die katalanische Stadt einmal mehr bewiesen.

Gegensätze ziehen sich an. Das hat mir die katalanische Stadt einmal mehr bewiesen.

Zwei geschwungene Kreise. Ein gerader Strich. Die perfekte Mischung aus Geradlinig- und Gemütlichkeit. Das macht das B aus. Das macht die Stadt aus, die ich meine Heimat nenne: Berlin. Und Berlin ist nicht nur meine Heimat, weil ich hier vor 24 Jahren in einem Krankenhaus in Zehlendorf das Licht der Welt erblickte, sondern weil hier Freundschaften wohnen, Wege sind, die ich blind und taub bestreiten könnte und Erlebnisse, die mein Leben nachhaltig verändert und geformt haben. Das alles macht das B aus. Es ist rund und gemütlich, aber an einer Seite auch scharfkantig, ehrlich und manchmal gemein. Und genau das sind die zwei Eigenschaften, die ich an jeder Stadt suche – und wenn ich sie finde, verliebe ich mich Hals über Kopf.

Oft ist das noch nicht geschehen. Es gab Urlaubsbekanntschaften, kurze Affären, längere On-Off-Dinger, aber nichts, was mich so hingerissen hätte, als dass ich eine ernsthafte Beziehung, ja gar eine Ehe, auch nur in Betracht gezogen hätte. "Keeen Wunder", ruft die Backwarenverkäuferin meines Vertrauens, "dafür müsstest du dich ja auch erstmal von Berlin scheiden lassen, ne?" Recht hat sie.

Und der Scheidungsanwalt ist kontaktiert. Was mich dazu gebracht hat? Ein anderes B. Mit noch viel weicheren Rundungen und einer noch viel härteren, realistischeren Kante:

B wie Barcelona

Plaza de Espana

Hart, realistisch und ein echter Sturkopf

Mit Patatas Bravas im Mund und Calva im Glas lässt sich schnell vergessen, dass in der katalanischen Region gerade eigentlich nichts so läuft, wie es laufen sollte – zumindest nach dem Ermessen der katalanischen Bürger. Nachdem Franco ihnen in seiner Diktatur sämtliche Sonderrechte einer autonomen Gemeinschaft aberkannt hatte, kämpften die Katalanen wie Löwen für ihre Eigenständigkeit. Und erlangten sie 2006 mit weitgehenden Vollmachten in Sachen Steuer und Justizwesen wieder. Bis die konservative Volkspartei von Mariano Rajoy ihnen 2010 einen Strich durch die Rechnung machte und gegen die Autonomie klagte – der Titel „Nation“ wurde ihnen vom Verfassungsgericht aberkannt, jegliche Sonderrechte entzogen. Doch Katalonien blieb stark (oder auch stur) und kämpft bis heute für seine Unabhängigkeit, ein Volksreferendum bestätigte dies mit über 80 Prozent „Ja“-Stimmen. Spanien bleibt jedoch hart und lässt dies nicht zu. Das Ergebnis? Widerstand und Zusammenhalt.

Zusammenhalt, wie er mir in Berlin oft fehlt. Hier gibt’s Links, Rechts, Konservativ, Hipster, Prenzlauer-Berg-Muttis und Studenten – was sie aber eint? Nichts. Außer die Liebe zum Döner. Ein gemeinsames Ziel, ein gemeinsamer Ansporn? Den habe ich erst in den letzten Tagen und Wochen bei den Anti-Rechts-Demos kennengelernt. Kein schöner Grund der Vereinigung, aber immerhin.

Ganz sicher würde uns eines in Berlin aber guttun: eine weltoffene Berlin-Flagge. Denn beim Schlendern durch jegliche barcelonische Viertel wehte von jedem Balkon eines voller Stolz: die katalanische Fahne in Rot-Gelb. Und die verbindet nicht nur das luxuriöse Viertel Eixample mit El Raval, sondern auch Nachbarn mit Nachbarn und macht aus Fremden Gleichgesinnte.

Genauso autonom wie in ihrem politischen Handeln sind die Katalanen auch in ihrem kulturellen Denken: Klar, hippe Restaurants, die Ramen anbieten, werden immer mehr, aber abends isst man aka. die Bewohner der Stadt vor allem eines: Tapas. Ob modern interpretiert oder klassisch: Fingerfood it is! Am liebsten nach 21 Uhr, damit einem das Essen mit einer ordentlichen Portion Sangria aus der Glaskaraffe so richtig schwer im Magen liegt.

Ebenso bestaunen kann man das Phänomen des Nationalstolzes bei der Kleidung. In Berlin sind mindestens eine Million wunderbare Modedesigner ansässig, nur äußerst selten jedoch kreuzen mir in Malaikaraiss oder William Fan gekleidete Leute den Weg. Um genau zu sein: nie. Gut, die Spanier haben es auch einfacher, schließlich hat einer der ihren die weltweit erfolgreichste Fast-Fashion-Kette hervorgebracht: Zara. Und anstatt gelangweilt zu sein von den abartig schnell wechselnden Kollektionen, dem Sale-Wahnsinn und den riesigen Kleidermengen, sind die Barcelonesen anscheinend mehr als begeistert und ich weiß nicht so recht, ob mich die Anzahl der Zaras traurig stimmt – na gut, tut sie: ganze 20 Filialen in Barcelona gehören zu dem Unternehmen von Amancio Ortega und Rosalia Mera.

Wer sich aus dem Inditex-Wahn hinausbegibt, entdeckt schnell eine Nebenbewegung, die genau das ermöglicht, was ich mir in Berlin viel mehr wünsche: eine Design- und Shop-Mentalität, die nationales Design tragbar macht. Das liegt a) an der Verfügbarkeit und b) am Preis. Seidenkleider für über 600 Euro, das bietet nur Loewe an. Keiner der kleinen, lokalen Concept Stores würde auf den Gedanken kommen, so etwas an die Kleiderstangen zu hängen. Stattdessen bewegen sich die Preise bei katalanischen und spanischen Newcomerlabels zwischen 50 bis 300 Euro. Kann man sich mal leisten.

Weich, rund und sanft wie eine Meeresbrise

Doch neben Konsum, den schönsten Leinenkleidern, handgemachten Vasen und saftigen Datteln im Speckmantel umfängt einen Barcelona noch mit einem anderen Lebensgefühl, das den Arbeitsalltag kürzer und die Freizeit länger erscheinen lässt: die Natur. Schon bei der Ankunft fliegt man nicht über zubetonierte Städte oder karge Landschaften, stattdessen kreist das Flugzeug beim Anflug über dem Balearen-Meer und anstatt das Hellblau des Himmels zu verlassen, fliegt man in die nächste Abstufung der Farbe. Dieses Blau muss man dann auch für die Länge des gesamten Barcelona-Aufenthalts nicht mehr verlassen, dem eigenen (und seltenen) Stadtstrand sei Dank, der sich fast über die gesamte Länge der Metropole zieht.

Hat man genug von schrumpeligen Zehen und Sand, geht es in unter einer Stunde vom Strand direkt in die Berge. Tibidabo, der Bunker del Carmel, Montserrat – Barcelona ist eingekesselt von den schönsten grünen Erhebungen, die stundenlange Wandertouren als Ausgleich vom gehetzten Rollerfahren in der Innenstadt bieten.

Arc de Triomf

Der Scheidungsanwalt macht die Papiere fertig, Freunde können nachvollziehen, warum ich Berlin für Barcelona verlassen möchte. Berlin ist die Jugendliebe, die, die man nie vergessen wird, die einen zum ersten Mal so richtig high und so richtig down gemacht hat, die einem das Herz brechen kann wie niemand anderes.

Aber Barcelona, Barcelona ist ein verlässlicher Ehepartner. Der mit Pro-Argumenten auf der Liste siegt, der mit frisch gekochtem Essen zu Hause auf dich wartet und dir die nächsten 20 Jahre Treue und Beständigkeit verspricht. Der mit seinen Vorteilen sein nicht ganz so besonderes Aussehen wett macht und darüber hinaus mit Humor überzeugt.

Bleibt nur eine Frage: Braucht man in unserer Welt heutzutage noch die Ehe, um glücklich zu sein? Entwächst man seiner Jugendliebe wirklich oder sehnt man sich irgendwann nach ihr?

Ich jedenfalls notiere: Städte mit B sind Beste. Und ob ich nun in Barcelona, Berlin oder Buxtehude lande, das wird sich noch herausstellen. Sicher ist nur, Gegensätze ziehen sich an und schmuddelig ist eben auch schön.

Die perfekte Playlist für den nächsten Barcelona Besuch

  • Fotos:
    Marie Jaster

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