DienstArt – Die Kunstkolumne: Keine große Sache
Eine Geschichte über Zensur und vermeintlich kleine Penisse
Eine Geschichte über Zensur, vermeintlich kleine Penisse und Vulven in der Kunst
Wenn wir mal ehrlich sind, gibt es on- und offline eigentlich schon genug Penis-Content, der uns, mal mehr, mal weniger gewollt, präsentiert wird. Und ja, die Überschrift mag für eine kunsthistorische Kolumne reißerisch erscheinen. Aber zugeben müssen wir es:
Bei der Betrachtung antiker männlicher Statuen in heroischer Pose sind uns allen schon die kleinen Phalli der Krieger, Jünglinge und Athleten ins Auge gefallen. Tatsächlich mag der unwissenschaftliche Eindruck dieses Themas täuschen: Immerhin widmeten wir uns an der Uni einen ganzen Themenblock lang der Fragestellung, warum antike Helden oft verhältnismäßig kleine Penisse haben. Auch privat erlebe ich es immer wieder, dass eine gewisse Ratlosigkeit über diesen vermeintlichen Widerspruch besteht.
Wenn diese Körper doch so perfekt dargestellt werden, warum dann nicht auch ein riesiges Gemächt zwischen die Beine meißeln? Eindeutig scheint ein reges Interesse an dieser Frage zu bestehen. Grund genug, sie jetzt ein für alle Mal zu klären.
Sind wir mal ehrlich: so klein sind die dargestellten Geschlechtsteile gar nicht. Ihre vermeintlich fehlende Größe fällt nur besonders ins Auge, da der Rest des jungen, gestählten Körpers meist wohlgeformt und symmetrisch erscheint. Warum zu einem runden Po, starken Armen und muskulöser Brust nicht auch einen großen Penis? In diesem Widerspruch steckt auch schon die Lösung.
Junge männliche Helden wurden häufig nackt dargestellt – ganz im Gegensatz zu den meist gut betuchten, alternden und bärtigen Philosophen. Zudem waren die Knaben athletisch gebaut, die Symmetrie des Körpers spiegelte ihre vermeintliche Perfektion wider. Das Schönheitsideal in der Antike lobte Selbstdisziplin und Beherrschung. Ein großer Penis spielte daher keine Rolle, die Sexualität wurde eher als lasterhaft und animalisch angesehen. Ein kleiner Penis hingegen war mit Bescheidenheit und Askese verbunden. Natürlich gab es auch ausschweifende Darstellungen im antiken Griechenland. Wir kennen haufenweise Darstellungen von sexuellen Exzessen und Festgelagen, wilden Satiren mit überdimensional großen Penissen. Letztere genossen jedoch meist einen üblen Ruf.
Das Vorbild jedoch, der ideale Mann, wie ihn beispielsweise Michelangelo mit seinem berühmten David in Florenz darstellte, stützte sich auf andere körperliche und vor allem geistige Eigenschaften. Und immerhin: David konnte, der Sage nach, mit seiner Intelligenz den viel größeren und stärkeren Goliath besiegen. Michelangelo legte großen Wert auf die Haltung und die exakten Proportionen seines Davids. Achtet doch beim nächsten Besuch in Florenz mal auf die Körpermerkmale, die nicht direkt ins Auge springen: David hat zum Beispiel auch einen beeindruckenden Rücken.
Als besagter David 1504 in Florenz präsentiert wurde, war die Empörung aufgrund des bloßen Geschlechtsteils übrigens groß. Kurzerhand wurde ihm ein Feigenblatt umgehängt, um die Blöße zu bedecken. Das Feigenblatt, das wir bereits aus Darstellungen von Adam und Eva finden, war wohl die früheste Form von Zensur der Körperteile, hauptsächlich angeführt durch die katholische Kirche. Nicht nur Adam und Eva nutzten die Pflanze zur Bedeckung ihrer vermeintlichen Scham. Auch viel später, zu Zeiten der Renaissance, verkörperte Nacktheit für gläubige Katholiken noch Lust und Sünde, ganz anders als im Antiken Griechenland, wo die Nacktheit von Statuen selbstverständlich war und die Perfektion und Präzision der Darstellung gefeiert wurde.
Nach der Verhüllung seines Davids lief Michelangelo jedenfalls erst zur Höchstform auf. Bei der Gestaltung der Decke der Sixtinischen Kapelle (1508 bis 1512) stellte er den von Gott frisch erschaffenen Adam komplett nackt dar. Kirche und Klerus waren empört, was die Feigenblatt-Kampagne erst ins Rollen brachte. Die Verhüllung war dabei noch die harmlose Variante: Vielen Statuen wurde kurzerhand der Penis abgeschlagen.
Viele der verlorenen Phalli wurden mittlerweile wieder hergestellt. Doch bei so viel Gerede um das männliche Geschlecht stellt sich spätestens jetzt die Frage: Was ist mit expliziten Vulva-Darstellungen in der Kunst? Diese Debatte kam, wie leider zu erwarten war, erst Jahrhunderte später auf.
In der europäischen Kunstgeschichte finden sich bis ins späte 19. Jahrhundert kaum konkrete Darstellungen der Vulva. Zwar war die Nacktheit von Frauen bereits in der Antike sehr etabliert und hielt sich beständig bis in die heutige Zeit, doch wurde stets nur der (übrigens meist haarlose!) Venushügel abgebildet, mitnichten fokussierte man sich auf anatomische Details. Als der französische Maler Gustave Courbet 1866 sein Bild „L’Origine du Monde“ (Der Ursprung der Welt) vor Pariser Publikum präsentierte, war die Empörung groß. Der Realist malte den liegenden Unterleib einer Frau, die geöffneten Schenkel präsentierten die Vulva so explizit wie selten zuvor. Noch 2008, bei der Präsentation im New Yorker MoMa, wurde das Bild hinter einem Vorhang gezeigt, der Zutritt war erst über 18 Jahren gestattet.
Und natürlich spielt die Zensur auch in der zeitgenössischen Kunst eine große Rolle. Die aus Japan stammende Künstlerin Megumi Igarashi, auch unter dem Pseudonym Rokudenashiko bekannt, greift mit ihrer Arbeit den ignoranten und diskriminierenden Umgang mit dem weiblichen Geschlechtsteil auf. Sie beklagt, dass die weiblichen Geschlechtsteile in Japan bis heute ein großes Tabu darstellen, weshalb sie in ihrer Jugend nie die Gelegenheit hatte, andere Vulven zu sehen und sich mit anderen zu vergleichen. Dies führte zu einer großen Unsicherheit ihre eigene Vagina betreffend. Der Penis hingegen sei auch in Japan als gängiges Symbol der Pop-Kultur vorhanden. In ihrer Arbeit „The Vagina Boat“ scannte sie 2014 ihre Vagina mit einem 3D-Drucker und vergrößerte sie um das Vielfache. Dann versendete sie die Abbildung über ihren E-Mail-Verteiler (Stichwort Dickpick), woraufhin sie von der japanischen Polizei verhaftet wurde. Ihr wurde vorgeworfen, die Obszönitätsgesetze des Landes verletzt zu haben.
Und auch auf gängigen Social Media Kanälen ist Zensur ein aktuelles Thema: Zuletzt wurde ein auf Facebook hochgeladenes Gemälde des Barockmalers Peter Paul Rubens von der Plattform gelöscht, weil darauf weibliche Brüste unbedeckt zu sehen waren. Und auch auf Instagram stellt sich häufig die Frage, weshalb weibliche Nippel gebannt, männliche aber toleriert werden. Ab welchem Zeitpunkt sind, wenn überhaupt, dargestellte Körper zu explizit, vielleicht sogar pornografisch?
Genug Stoff für kommende Kolumnen.
Wenn ihr Fragen oder Anregungen zu den Themen Kunst oder Kultur habt oder euch bestimmte Künstler*innen besonders interessieren, lasst es mich doch bitte in den Kommentaren wissen.
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Fotos:Jörg Bittner / CC.BY / modified