Coffee Culture, eine Bestandsaufnahme
Coffee Culture, eine Bestandsaufnahme
Coffee Culture, eine Bestandsaufnahme

Coffee Culture, eine Bestandsaufnahme

Was ist ein Third Wave Café und warum trinken alle Flat White?!

Kaffee hinter Rohöl der zweitwichtigste gehandelte Rohstoff auf der Welt. Mehr als zwei Milliarden Tassen werden täglich weltweit getrunken. Bei wenig anderen Dingen wird der Konsum eines Produktes so stark entdemokratisiert wie bei Spezialitätenkaffee in versnobten Cafékreisen

Die Veränderungen im Laufe des Lebens eines Kaffee trinkenden Menschen sind vielseitig. Letztens habe ich eine ganze Stunde geschmollt, weil mein Mann die falsche Hafermilch mitgebracht hat. Ich liebe meinen Filterkaffee. In rauen Mengen und am liebsten aus dem Moccamaster mit einer ganz bestimmten Hafermilch. Einmal bin ich extra nach Aarhus gefahren, weil ich unbedingt die Kaffeebohnen einer bestimmten Third Wave Rösterei vor Ort kaufen wollte.

Rückblick

London, 2012, ich stehe in einem Café in Brixton. Unkenntlich hinter der massiven Siebträgermaschine fragt mich der Barista, was ich trinken möchte. Einen Cappuccino bitte, sage ich, er fragt, ob es stattdessen ein Flat White sein darf. Natürlich darf es, obwohl ich nicht den blassesten Schimmer habe, was das sein soll. Ich probiere neugierig und bin hin und weg. Eine neue Affäre beginnt!

Flat White, für die, die es noch nicht wissen, ist eine Art Hipster-Cappuccino, nur mit viel mehr Espresso und einem feineren Milchschaum bei gleichbleibend großer Tasse … quasi mit mehr Wumms. Wenig ahnte ich damals, welches Ausmaß meine Neu-Entdeckung noch annehmen würde.

Hier und Jetzt

Hamburg, 2022, Flat White ist in aller Munde (pun intended). Grund dafür sind vor allem Third Wave Cafés, die sich insbesondere einem verschrieben haben: „Specialty Coffee“.  Special bedeutet hier, dass es sich um hochwertigen Rohkaffee handelt, der sich in Komplexität von herkömmlichem Industriekaffee unterscheidet. „Third Wave“ wiederum bezeichnet keinen Kaffee, sondern die Bewegung dahinter. Der Kaffee steht für einen fairen oder direkten und vor allem transparenten Handel zwischen Kaffeebäuerinnen und - Bauern und Röstereien. Alle Stufen der Wertschöpfungskette von Anbau bis Zubereitung sind gleich wichtig. Beim Rösten entfalten sich möglichst viele der hochwertigen Aromen, um so den bestmöglichen Geschmack zu erhalten. Der Snob in mir sagt: Der Kaffee schmeckt definitiv besser.

Die Kaffeekultur hat eine sehr lange Tradition, ihre Geschichte reicht bis ins 9. Jahrhundert zurück. Vom exklusiven Getränk der Adeligen zum Inspirationsquell von Dichter*innen und Denker*innen, vom Alltagsgetränk der breiten Masse zum Lifestyle-Accessoire der hippen Millennials. 

In wenig anderen Subkulturen wird der Konsum eines Produktes so stark entdemokratisiert wie bei Spezialitätenkaffee in Hipster-Cafés. Dem Wunsch nach einem anspruchsvollen Kaffee eilen nämlich indes eine Menge Regeln voraus, die strenger sind als die Lebensmittelgesetze der Gastronomie. Handgegossen muss ein Filterkaffee sein, pur und nicht zu heiß soll man ihn trinken. Auf keinen Fall mit Milch verplörren. Zucker? Undenkbar. Espresso-Milchvarianten? Sind tabu, außer Flat White. Keine Extrawünsche, keine Fragen, außer die über die Geschmacksnuancen der verwendeten Bohnen. Kein Wunder, dass da einem der Kopf so laut brummt, wie das Rattern der „Single Origin“-Bohnen in der Mühle. Oder dass wenig Menschen Zugang zu Third Wave finden. Ein bisschen nervt es auch, das elitäre Getue.

Warum ist Kaffee eigentlich so beliebt? Hier ist ein Erklärungsversuch:

Kaffee bringt Menschen jeden Alters, Couleurs und Herkunft zusammen, wie damals schon im 15. Jahrhundert in den ersten Kaffeehäusern im osmanischen Reich. Vielleicht liegt es mitunter auch daran, dass er inzwischen ein Massenprodukt ist, das überall erhältlich ist. Er putscht auf, hält wach, bringt Ruhe, Entspannung, Energie, Kraft, schmeckt immer, macht glücklich. Alles unabhängig davon, ob kalt oder warm, viel oder wenig, pur oder gemischt.

Italiener*innen zum Beispiel trinken ihren Espresso am liebsten schnell und an der Bar. Bei der äthiopischen Kaffeezeremonie werden die grünen Bohnen erst noch geröstet, bevor der Kaffee in einer Lehmkanne über dem Feuer zubereitet wird. Einmal, da war ich bei einem traditionellen türkischen Hand-Anhalten einer zukünftigen Braut vom Bräutigam dabei, wo sie ihm Mokka aus dem Kännchen servierte – mit Salz darin statt Zucker. Indem er den Kaffee trotz innerlichen Kampfes trank, konnte er beweisen, dass er ihr würdig war. Griech*innen, hat mir mal jemand stolz erzählt, tränken grundsätzlich lieber kalten Frappé – mit Eiswürfeln geschüttelten Instant-Kaffee. In Deutschland trinkt man Kaffee nach wie vor gern zu Kuchen, am liebsten aus einer Filter- oder Kapselmaschine.

Direct Trade, immer besser?!

© Yelda YIlmaz

Ich liebe Kaffee auch, weil mich sein Duft an Menschen oder Momente erinnert und ich darin schwelgen kann. Manchmal wird mein Tag schon einfach besser dadurch, dass ich zwischen hektischer Suche nach Dingen und Morgenhygiene die perfekte Trinktemperatur erwische. So gern ich mit meinem innigen Verhältnis zu Kaffee und den riesigen Mengen, die ich trinke, kokettiere, mir ist bewusst, wieviel Verantwortung auch hinter Kaffeekonsum steckt.

Kaffee ist hinter Rohöl der zweitwichtigste gehandelte Rohstoff auf der Welt, wenn man den gesamten Umsatz der jeweiligen Endprodukte mit einbezieht, Ausbeutung von Mensch, Umwelt und Klima inklusive. Ich mag Third Wave, weil es in ihrer Idee Verbesserungen in der Produktion und gerechtere Entlohnung der Kaffeebäuerinnen und -bauern verspricht. Ich mag Specialty Coffee, weil es mit dem Hintergrund besseren Geschmack verspricht und den Rohstoff als Ressource wertschätzt.

Wer es sich leisten kann und möchte, kann auf Labels wie Fairtrade (geschützt) oder Direct-Trade (nicht geschützt) achten und Spezialitätenkaffee einfach mal eine Chance geben.

Direct Trade, der direkte Handel zwischen Röstereien und Kaffeefarmen, mit Ausschluss aller Zwischenhändler*innen, Importeure und der Kaffeebörse. Oder Kooperativen, wie es bei Fairtrade der Fall ist. Großartige Idee, da sie eine gerechte Entlohnung der Kaffeebäuer*innen bei gleichbleibend guter Qualität unabhängig von stark schwankenden Tageskursen an der Börse verspricht. 
Doch nicht immer ist das drin, was draufsteht. So kamen jüngst Forschende der Lund Universität darauf, dass der Direkthandel als Idee zwar fortschrittlich ist, in der Praxis aufgrund fehlender Regulierung aber vor allem dafür genutzt werden kann, Unternehmensinteressen durchzusetzen. Heißt: Direkthandel, so wie ihn Hipster-Cafés zum Beispiel auch bewerben, wird mehr zu einem Marketingwerkzeug als zu einer wirklich Veränderung bringenden Praxis im Kaffee-Business.

Der Kern des Problems um „Hipster-Cafés“ liegt darin, dass sie ein exklusives Publikum ansprechen. Eines, das sich den „Specialty“-Kaffee leisten kann und das Kaffeetrinken zu einem symbolischen Akt der Selbstinszenierung macht.

Ich möchte dennoch ermutigen, einen Spezialitätenkaffee auszuprobieren. Besonders die Filterkaffee-Varianten von Playground Coffee, onetake Coffee oder Quijote Kaffee, alles hervorragende lokale Röstereien in Hamburg. Schaut auch unbedingt, ob und welche lokalen Röstereien es in eurer Nähe zu entdecken gibt.

Der Third Wave für zu Hause ist vielleicht nicht ganz so convenient wie Kaffeekapseln oder Bialettikännchen zu verwenden. Mit einer Handmühle für frisch gemahlenen Kaffee, einer Waage und einer Stempelkanne kann man sich aber schon ziemlich einfach herantasten. Plattformen wie Coffee Circle bieten eine Menge Tipps und Wissen für den Start. Fragt nach und lasst euch erklären, wie der Kaffee den Weg zu euch gefunden hat. Denn ich glaube fest daran, dass es einer Veränderung und anderen Bewusstsein braucht, was unseren Kaffeekonsum angeht. Hinter Kaffee steht eine ganze Industrie, die Menschen und unserer Umwelt großen Schaden anrichtet.

Lasst euch dabei nicht diktieren, welches Zubehör bestimmter Marken ihr vermeintlich unbedingt braucht. Und man muss definitiv weder ein Hipster oder Kaffee-Nerd sein, noch sich an das strenge Regime mancher Baristas halten, um den Spezialitätenkaffee trinken zu dürfen. Ob er einem schmeckt oder nicht, bleibt am Ende Geschmackssache. Er schmeckt aber wirklich besser als industrieller Mainstream-Kaffee.

Es soll ja Menschen geben, die auf Kaffee verzichten, wenn sie wissen, dass er ihren Qualitätsansprüchen nicht gerecht wird. Ich trinke lieber schlechten Kaffee als gar keinen. Schließlich ist es die längste und heißeste Liebesbeziehung meines Lebens. Wenn es sein muss, auch mit der falschen Hafermilch – und seien wir ehrlich: Wenn es sein muss auch, wenn es Instant-Kaffee ist. Und damit kann ich mich vielleicht zumindest ein kleines bisschen aus der Affäre ziehen, wenn es um die Frage geht: „Bin ich ein Kaffee-Snob?“

Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.

  • Fotos:
    Unsplash - Eduardo Gorghet, Nathan Dumlao, Jocelyn Morales //
    Yelda Yilmaz

Weitere Artikel werden geladen...