Das Revival der Wandmalerei

Das Revival der Wandmalerei

Jahrzehntelang vergessen und doch der Ursprung der ersten Kunstwerke der Menschheit

Die Wandmalerei, auch Mural Art genannt, erlebt gerade ihr Comeback. Warum? Immer mehr Menschen sehnen sich nach Individualität fernab von Insta-Trends und Möbelhäusern

Ich streiche gerne Wände. Klar, das Abkleben nervt, das Saubermachen der Pinsel und Rollen auch, aber das Streichen an sich? So einfach und effektiv kann man kaum mit Möbeln die Gesamtwirkung eines Raumes verändern. Warum sind wir also nicht noch viel mutiger mit Farben? Das habe ich mich auch gefragt, als ich vor den drei großen, weißen Rundbögen in meinem senfgelb gestrichenen Arbeitszimmer stand, die nach zwei Jahren immer noch nicht mit den Regalen bestückt waren, wegen derer wir sie gemalt hatten. Dann sah ich Nina Sophie Gekelers Aufruf auf Instagram nach Kund*innen, die Lust auf eine Wandmalerei hatten. Und dachte mir: wieso eigentlich nicht?!

Ein paar Wochen, nach einigen Treffen, vielen Skizzen, Telefonaten, Fotos und einem finalen Plan, stand Nina dann im Jeansoverall vor uns und malte vier Tage lang ein Wandbild in unsere zuvor ungenutzten, leeren Rundbögen. Die Reaktionen, die ich daraufhin bekam, waren fast ausschließlich positiv, aber mit dem Unterton von: „Wow, das hätte ich mich ja niiiieee getraut, das sieht soooo toll aus“ und „Lohnt sich das überhaupt bei eurer Mietwohnung?“. Ist ein Wandgemälde wirklich so eine Extravaganz? Und warum sind die meisten Menschen so zurückhaltend, wenn es um Pinselstriche auf der Wand statt auf einer Leinwand geht? Einfach mal machen, scheint für viele undenkbar.

Alles andere als ein Trend

Dabei sind Wandgemälde wirklich alles andere als eine Neuheit, auch, wenn sie gerade vielleicht wieder in Mode kommen. Man denke nur an die ersten Malereien und Kunstwerke der Menschen auf, ja richtig, Höhlenwänden, an ägyptische Hieroglyphen in Grabmälern und an die Kirchen in Italien, gestaltet von Michelangelo. Tapeten und Wandfarbe scheinen dagegen doch eher eine neumodische Erscheinung zu sein. Heutzutage kennen die meisten von euch Wandmalerei vielleicht auch unter einem anderen Namen – und mit einem ganz anderen Ruf: Graffiti.

Dabei war die Kunst der Wandmalerei auch schon in Deutschland in seiner Form, wie wie wir sie in unserer Wohnung umgesetzt haben, en vogue. Nämlich in der Weimarer Republik der 20er- und 30er-Jahre.

Die Goldenen Zwanziger: Ruth Hildegard Geyer-Raack verewigt sich

Eine bekannte Künstlerin und Innenarchitektin, die sich mit fantasievollen Landschaften und Mustern einen Namen machte, war Ruth Hildegard Geyer-Raack, geboren 1894. Sie war eine der wenigen Frauen, die für Deutsche Werkstätten arbeiteten (wenn nicht sogar die einzige) und entwarf neben ihren Wandbildern auch Möbel sowie Stoffe und Tapeten. Gänzlich unumstritten war ihre Person allerdings nicht, schließlich profitierte sie als Ehefrau eines ranghohen Nazis jahrzehntelang von Aufträgen dieser und trat auch als Mitglied der NSDAP bei.

Doch bestreiten kann man nicht: Dank ihr wollten in der Weimarer Republik die wohlhabendsten Familien einzigartige Wandbilder. Leider ist kein einziges ihrer Werke heute mehr erhalten, die Bildrechte für die seltenen Fotos konnten wir leider nicht erwerben, hier könnt ihr einen kleinen Einblick gewinnen. Doch in der Berlinischen Galerie findet ihr in der Dauerausstellung einige Entwürfe und Materialien von ihr.

2020er-Jahre: Der Wunsch nach Individualität kehrt zurück

Springen wir in die 2020er-Jahre. Jetzt erblickt man sie wieder mehr, die Einzelstücke auf Wänden, aufwendig von Hand gemalt, manchmal modern, manchmal realistisch, manchmal komplett abstrakt. Dazu muss man nur aufmerksam ein paar Ausgaben der AD durchblättern und ein besonderes Augenmerk auf die Wände richten. Architektin Federica Gambigliani Zoccoli, Künstlerin Gabriela Benatar und Studios wie Pictalab haben sich auf die Handwerkskunst fokussiert – und natürlich auch die Berliner Künstlerin Nina Sophie Gekeler mit Maison Mural, die unser Wandbild gestaltet hat.

Der Wunsch nach Individualität wird in Zeiten von Möbelhäusern, Instagram-Hypes und Farbtrends immer größer, Abgrenzung wird immer wichtiger – ebenso wie ein ganz persönliches, einzigartiges Zuhause. Und Wandbilder sind eine Art, dies sicherzustellen, denn kein*e Künstler*in wird ein und dasselbe Wandbild bei mehreren Kund*innen und verschiedenen Räumen verwenden. Das spricht irgendwie gegen den Ehrencodex.

Doch wie sieht die Arbeit einer Wandkünstlerin wirklich im Alltag aus? Sind Kund*innenwünsche Fluch oder Segen? Und warum sollte man sich vielleicht öfters gegen eine Tapete und für ein Wandbild entscheiden? Das habe ich Nina alles gefragt:

Das Interview mit Künstlerin Nina Sophie Gekeler

Was fühlst du, wenn du eine weiße Wand oder ein weißes Blatt siehst?

Das kommt natürlich immer auf die Situation an … Ob ich Lust, Zeit, Energie, Elan habe, zu malen oder zeichnen. Aber ich würde sagen, dass ich meistens Lust habe, direkt loszulegen. Zeichnen und Malen entspannt und erfüllt mich. Schon immer. Ich hatte noch nie Angst vor weißen Flächen.

Nina, wie bist du auf die Idee gekommen, Wandgemälde zu fertigen?

Irgendwie war das ein ganz organischer Prozess. Ich gründete mit einer Freundin vor vielen Jahren ein Studio für Musterdesign, Pattern Studio. Zunächst für Mode und Textil – dann wurde es immer mehr Interior. Irgendwann landeten wir bei Tapeten, was das Kerngeschäft wurde. In den letzten Jahren saß ich hauptsächlich am Rechner und verspürte dann immer mehr Lust, wieder mehr von Hand zu malen … und so fing das an. Zunächst bei uns in der Küche, dann bei einer Freundin, mal eine große Leinwand für ein Event.

Letztes Jahr entschied ich mich das ganze etwas professioneller anzugehen und mich auf Wandkunst zu fokussieren. Dabei will ich mich aber nicht festlegen: Maison Mural steht für Wandgemälde, gedruckte Tapeten, Leinwände, skulpturale Arbeiten. Mal sehen, was noch alles kommt!

Wie war deine berufliche Laufbahn bisher?

Kurz und knapp: Geboren wurde ich in Süddeutschland als Tochter eines Architekt*innenpaares. Danach habe ich an der Kunsthochschule Weißensee Modedesign studiert und das nachhaltige Kinderlabel Macarons mitaufgebaut. Dann kam Pattern Studio, parallel habe ich schon immer viel gezeichnet und als Illustratorin gearbeitet.

Wie ist es, wenn man von Kunst lebt? Spürst du manchmal, dass der finanzielle Druck sich auf deine Kreativität auswirkt?

Absolut. Aber ich denke, das kennt jede Selbstständige im kreativen Bereich. Gerade als Mutter von kleinen Zwillingen muss ich oft ganz pragmatisch rangehen, weil Zeit ein rares Gut ist.

Was ist die größte Herausforderung beim Design eines Wandgemäldes?

Ich denke, es sind ein paar Aspekte: Die Proportionen und Strukturen eines Raumes erkennen und einschätzen. Wie wirkt der zweidimensionale Entwurf in einem Raum? Dann muss das Gemälde ordentlich und gleichzeitig nicht zu plakativ wirken und jede Wand, jeder Untergrund ist sehr individuell. Das beeinflusst die Deckkraft und meine Pinselstriche.

Wie sieht der Prozess eines Wandgemäldes aus? Haben die Kund*innen konkrete Ideen oder wollen sie von dir überrascht werden?

Das ist ganz unterschiedlich. Die meisten Aufträge sind ein Zusammenspiel der Vorstellungen und Ideen der Auftraggeber*innen und meiner Vision. Manche finden auf meinem Profil Arbeiten, die ihnen gefallen und hätten gerne etwas in diesem Stil – andere haben einfach eine Idee für ein Motiv, aber noch keine genaue Vorstellung, wie es aussehen könnte.

Ich mag es sehr, wenn ein Auftrag ein gemeinsames Projekt wird und der Prozess flexibel ist und nicht exakt das entstehen muss, was ursprünglich geplant war. Input und Zwischenfeedback sind ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit.

Warum glaubst du, ist die Kunst der Wandgemälde im letzten Jahrhundert etwas „ausgestorben“?

Ich denke, es ist einfach etwas in Vergessenheit geraten, weil es immer mehr Alternativen gab. Alles wurde kurzlebiger, schneller …

Und warum glaubst du, sie kommt gerade jetzt zurück?

Ich vermute, durch die Konsummüdigkeit haben die Menschen Lust auf etwas Nachhaltiges, Langlebiges, Wertvolles. Durch die Pandemie und das viele Zuhause sein hat Interior für viele eine neue Wichtigkeit gewonnen. 

Welches Wandgemälde findest du inspirierend? Zu welcher Künstlerin schaust du hinauf?

Rafael Uriegas ist ein spanischer Maler und Wandkünstler. Er hat supertolle Wände gestaltet, z. B. ein Hotel in Oaxaca „Pug Seal“, Mexiko. Alex Proba finde ich auch sehr spannend - vor allem, weil sie so interdisziplinär arbeitet.

Warum haben so vielen Menschen Angst vor Farbe in Sachen Einrichtung?

Vielleicht ist es die Angst, dass es einen erschlägt, ablenkt, Unruhe bringt. Wahrscheinlich auch Respekt davor, dass man die Entscheidung schnell wieder bereut und sich schnell satt sieht?! Ich selbst liebe Farben und mag es, alle paar Jahre Wände neu zu streichen. Das ist doch das Tolle an Wänden, sie lassen sich mit kleinem Aufwand ändern und erzielen eine große Wirkung.

Was ist der Vorteil von einem Wandgemälde im Hinblick auf Tapeten?

Ein Wandbild ist einzigartig und etwas sehr Kostbares. Individueller geht es nicht, da auf alle Wünsche und Vorstellungen der Auftraggeber*innen eingegangen werden kann. Man ist weder auf eine Wandfläche, noch auf Eindimensionalität beschränkt.

Das Bild wird dem Raum angepasst und kann sogar auf Möbelstücken oder Leuchten ins Zweidimensionale erweitert werden. Das ist das Besondere an einem Wandgemälde.

Vielen Dank, liebe Nina, für deine Antworten – und dein tolles Wandbild!

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