DienstArt - Die Kunstkolumne: Ein Recht auf Farbe
Über die Monopolisierung von Farben in der Kunstwelt
Über die Monopolisierung von Farben in der Kunstwelt
Der Beige-Launch ist nun schon zwei Wochen her – und wie auch die Inhalte ist die Startseite wunderschön bunt! Wo wir auch schon beim Thema der neuen DienstArt-Kolumne wären: Farbe. Genauer gesagt geht es um die alleinige Inanspruchnahme bestimmter Farbtöne oder Pigmente. Von einigen Firmen kennen wir das ja schon. Das Milka-Lila oder das Nivea-Blau sind Beispiele für von Firmen geschützte Farbtöne, die einen hohen Wiedererkennungswert besitzen und die wir automatisch mit der dazugehörigen Marke verbinden. Die jeweilige Farbe, deren Farbton auf einer internationalen Skala genau festgelegt werden muss, darf dann lediglich vom jeweiligen Konzern genutzt werden. Das Phänomen der Monopolisierung von Farbe hat jedoch auch die Kunstwelt erreicht. Zwei berühmte Beispiele dafür sind Vantablack und International Klein Blue.
Bevor jetzt ein Aufschrei losbricht: Es stimmt, Schwarz ist natürlich keine Farbe, sondern vielmehr ein Kontrast oder die Abwesenheit von Farbe. Ist ein Objekt schwarz, dann wirft es (fast) kein Licht zurück, das darauf einstrahlt. Ein solches Schwarz ist Vantablack, ein 2014 in Großbritannien entwickeltes Material, das unter Vakuum künstlich hergestellt wird und nicht mal ein Prozent des Lichts reflektiert. Es wird auch als das „schwärzeste Schwarz“ bezeichnet und wurde aufgrund seiner Eigenschaften ursprünglich für militärische Zwecke und die Nutzung in der Raumfahrt entwickelt.
Ganz besondere Aufmerksamkeit erlangte Vantablack jedoch, als der indisch-britische Künstler Anish Kapoor sich 2016 die Patentrechte für das Pigment sicherte. Kapoor nutzt den starken Kontrast beispielsweise für seine Skulpturen und raumfüllenden Objekte. Diese erhalten durch Vantablack eine so tiefschwarze Oberfläche, dass die Räumlichkeit kaum festzustellen ist. Das wurde erst kürzlich einem Besucher des portugiesischen Serralves-Museum zum Verhängnis. In der Annahme, es handele sich um einen auf den Boden gemalten Kreis, stürzte er in das 2,40 Meter tiefe Loch des Werkes Descent into Limbo von Anish Kapoor.
Wir halten fest: Surrey Nano Systems, den Herstellern von Vantablack, ist vermutlich ein einmaliger Coup geglückt. Die Assoziation des Pigments mit einem der bekanntesten Künstler des 21. Jahrhunderts ist sicherlich keine schlechte Publicity. Das Patentrecht Kapoors auf Vantablack bezieht sich, das muss an dieser Stelle angemerkt werden, jedoch lediglich auf den künstlerischen Gebrauch. Die Wissenschaft kann und soll weiterhin frei über das Material verfügen.
In der Kunstwelt herrscht Streit über die Monopolisierung von Pigmenten
Viele Künstler*innen kritisieren jedoch die Monopolisierung des Pigments. Unter denjenigen, denen die Nutzung des Schwarztons nun nicht mehr vergönnt ist, entwickelte sich schnell ein heftiger Shitstorm gegen Anish Kapoor. Laut Kritiker*innen sollten alle gleichermaßen die Möglichkeit haben Vantablack zu verwenden, schließlich sei Kapoor nicht der erste Künstler, der mit tiefschwarzen Pigmenten experimentiere. Und tatsächlich besteht die Faszination für die Herstellung unterschiedlicher Schwarztöne schon seit dem Mittelalter – wieso sollte also nur ein einziger Künstler auf Vantablack zugreifen dürfen?
Einer der schärfsten Kritiker Kapoors ist der britische Künstler Stuart Semple, der kurzerhand ebenfalls eine Farbe „erfand“ und schützen ließ: PINK, das weltweit pinkeste Pink. Bestellt man PINK auf der Homepage des Künstlers, muss eine Einverständniserklärung unterschrieben werden, die den Weiterverkauf an Anish Kapoor untersagt. Uns allen ist die Nutzung des Pigments gestattet, nur eben Kapoor nicht. Ein Marketing-Gag, ja, aber ein wirksamer.
Besonders effektiv schien Semples Vorkehrung allerdings nicht gewesen zu sein, da Kapoor wenig später mit folgendem Instagram-Post aufwartete:
Kurz darauf ging die Pigmente-Debatte in die nächste Runde. Semple sah sich veranlasst sein eigenes Tiefschwarz, Black 2.0, zu entwickeln. Unter dem Hashtag #sharetheblack ruft er alle Kunstschaffenden dazu auf, sein kostengünstiges Pigment zu benutzen, das man Zuhause anmischen kann. Adieu, Laborschwarz!
Die Idee für ein Alleinrecht auf Farbe ist jedoch nicht komplett neu: Der erste Künstler, der sich einen Farbton patentieren ließ, war wohl der französische Maler und Performancekünstler Yves Klein. Schon in den 1950er Jahren begann Klein mit einem strahlenden Ultramarin zu experimentieren. Spätestens als er 1957 seine „Blaue Periode“ einleitete, war die Farbe zu seinem Markenzeichen geworden. Die blaue Periode war geprägt von großflächigen, monochromen Blauflächen, die ihm den Spitznamen Yves le Monochrome einbrachten. Durch die Ähnlichkeit der damals entstandenen Monochrome lässt sich beinahe von einer Massenproduktion sprechen, die Werke scheinen auf den ersten Blick komplett identisch zu sein. Klein war fasziniert von dem Phänomen, dass die Monochrome trotzdem unterschiedlich auf die Betrachtenden wirkten. Tiefe und Ausdehnung des Ultramarins werden nämlich nicht einheitlich wahrgenommen.
Yves Klein, 2012 Artists Rights Society (ARS), New York/ADAGP, Paris
Yves Klein war 1960 der erste Künstler, der sich eine Farbe patentieren lässt
Yves Klein arbeitete mit einem Chemiekonzern zusammen, dessen Chemiker ihm in ihren Labors dabei halfen, die Pigmente auf der Leinwand sicht- und haltbar zu machen. Durch den Fixierstoff Rhodopas erhielten (und vor allem behielten) die blauen Pigmente die charakteristische Leuchtkraft. Eines der ersten in diesem Farbton gemalten Werke Kleins ist „Bleu monochrome IKB 129“. 1960 lässt Yves Klein sich schließlich „seine“ Farbe schützen und nennt sie International Klein Blue (IKB).
Aber nicht nur Skulpturen und Leinwände badeten in International Klein Blue. Für seine sogenannte „Anthropometrie der Blauen Epoche“ ließ Yves Klein nackte, mit IKB bemalte Models mit ihrem Körper die Leinwand bemalen, das alles geschah vor Publikum. Hinterlegt wurde das Ganze von der vom Künstler komponierten Symphonie Monotone Silence, die aus einem einzigen Akkord bestand und 20 Minuten andauerte. Auf diese Weise stellte er die traditionellen Rollen von Künstler*in und Kunstwerk infrage. Diese Performance, ob man die menschlichen Pinsel geschmacklos findet oder nicht, gilt als eine der ersten der Kunstgeschichte und IKB erlangte sicherlich auch durch diese Aktion große Aufmerksamkeit. Das Patentrecht auf IKB erlosch übrigens nach Yves Kleins Tod. Heute wird der Blauton zum Beispiel von der Blue Man Group genutzt.
Maria Heimsuchung, Stundenbuch des Herzogs von Berry, 15. Jahrhundert
Achtung, es folgt der obligatorische kunsthistorische Schwenk zur Seltenheit von Farbe. Ultramarin war bereits im Altertum ein sehr rares und wertvolles Pigment, das nur sehr sparsam verwendet wurde. Schon der Name Ultramarin (zu Deutsch: jenseits des Meeres) verdeutlicht die Kostbarkeit der Farbe. Das Pigment musste lange Seewege zurücklegen, um nach Europa zu gelangen. Aber nicht nur in der abendländischen Kunst besaß Ultramarin eine große Bedeutung. Auch in der islamischen Architektur wurde es zum Beispiel für die Fliesenmalerei und zur Ausgestaltung von Moscheen verwendet. In Ägypten diente es der Verzierung von kostbarem Schmuck und kunstvollen Vasen. Gewonnen wurde Ultramarin aus Lapislazuli, einem Gestein, das hauptsächlich in Afghanistan und Tadschikistan vorkommt. Je reicher der oder die Auftraggeber*in waren, desto mehr des leuchtend blauen Farbtons konnte in der Malerei verwendet werden. Berühmte Künstler, die das Pigment auf der Leinwand verwendeten, waren zum Beispiel Titian, Masaccio oder die Malerin Artemisia Gentileschi. Die kostbare Farbe galt seit jeher als ein vielsagendes Statussymbol, im Christentum wurde sie meist für die Darstellung von Jesus oder Maria verwendet.
Sicherlich ist der Wunsch nach Einzigartigkeit und Anerkennung unter Künstler*innen auch noch heute aktuell. Ein absolutes Alleinstellungsmerkmal zu besitzen oder sogar eine komplette Farbe als Markenzeichen zu haben, wie es Yves Klein mit seinem IKB geschafft hat, ist eine enorme Leistung. Auch Vantablack und Anish Kapoor sind mittlerweile untrennbar miteinander verknüpft. Aber zu welchem Preis? Die Kontroverse und das Aufsehen um die Person Kapoor haben seinem Ruhm sicherlich nicht geschadet. Die laute Gegenbewegung, die sich formiert hat und Stuart Semple, der kreativen Protest ausübt und letztlich selbst von der Debatte profitiert, sind Beispiele für einen wichtigen und spannenden Diskurs in der Kunstwelt. Was ist eure Meinung? Handelt es sich bei der Patentsicherung um eine exzentrische Aneignung der Künstler und Künstlerinnen oder ist es ein wahrer Geniestreich?
Wir denken inzwischen mal über unseren eigenen Beigeton nach ...
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