DienstArt – Die Kunstkolumne: Mit Risiken und Nebenwirkungen
Was ein Pharmaskandal mit Kunst zu tun hat
Wenn sich Museen von privaten Sponsor*innen abhängig machen, ist der nächste Skandal nicht weit. Unternehmer*innen mit Leichen im Keller lassen die Kunst ganz schön blass aussehen
Okay, beginnen wir diese Kolumne mit einem fiktiven Szenario: Stellt euch vor, jemand macht euch das Angebot, ab sofort die Hälfte eurer Miete zu übernehmen. Als Gegenleistung möchte die Person das Mitspracherecht bei sämtlichen Neuanschaffungen bekommen und ab und an mal einen Sessel oder eine Zimmerpalme bei euch unterstellen. Wenn die von Oma vererbte Kommode nicht ganz den Vorstellungen entspricht, muss sie ausgetauscht werden. Und am Klingelschild steht zudem auch noch der Name eures Sponsors. Würdet ihr auf dieses Angebot eingehen? Und wie sähe es aus, wenn ihr wirklich, wirklich knapp bei Kasse wärt?
Abhängig von Finanzspritzen
Vor einer ähnlichen Frage stehen regelmäßig Kulturinstitutionen in Deutschland und auf der ganzen Welt. Ein Teil des Problems: Museen kriegen nicht ausreichend staatliche Förderung. Daher ist es für sie meist unumgänglich, sich Finanzspritzen von privaten Wohltäter*innen oder Wirtschaftskonzernen zu holen. Wie heißt es so schön: In der Not frisst der Teufel Fliegen. Die Fliegen sind in diesem Fall eine Menge Moneten, denn diesen Geldregen gibt es natürlich nicht ohne Gegenleistung: Stellen wir uns zum Beispiel eine schwerreiche Spenderin vor, die gerne eine aufsehenerregende Ausstellung finanzieren möchte. Vermutlich wird sie darin auch einige Objekte ihrer privaten Kunstsammlung unterbringen wollen. Durch das mediale Echo steigert sich der Marktwert ihrer Objekte, was ihr wiederum in die Hände spielt. Hinzu kommt, dass die Kulturförderung unsere fiktive Sammlerin im Glanzlicht der Wohltätigkeit erstrahlen lässt – auch dann, wenn sie die großzügige Spende später von der Steuer absetzt.
Für viele Museen ist private Kulturförderung die einzige Möglichkeit zu überleben. Besonders spektakuläre, häufig wechselnde Sonderausstellungen sind ohne höheres Taschengeld kaum zu realisieren. Die Kritik daran: Ein kleines Firmen-Logo auf dem Veranstaltungsplakat ist den Sponsor*innen oft nicht genug. Gerne kommt noch eine Extraportion Mitspracherecht bei Ausstellungskonzepten oder eine Prise empfohlener Künstler*innen hinzu. Museum und Wirtschaft bandeln also heftig miteinander an und die Kunst ist, so scheint es zumindest, dem Markt überlassen.
Ich gebe zu, dass mein anfängliches Beispiel von der geteilten Miete ein paar Nummern zu klein geraten ist. Unsere eigenen vier Wände haben schließlich ganz andere Aufgaben als Kulturinstitutionen, die einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind. Wenn unser halber Hausstand von IKEA gesponsert wäre, würde sich vermutlich niemand daran stören. Im Museum spielt Glaubwürdigkeit aber eine zentrale Rolle: In der Theorie sollen Museen unabhängige Orte der Kulturvermittlung sein, an denen ein demokratischer Austausch stattfinden kann und auch Kritik laut werden darf. In der Praxis gibt es nicht viele solcher Orte und die Unabhängigkeit von Museen ist oft fragwürdig.
Serpentine Sackler Gallery, London via Wikimedia Commons: Geographer, CC BY-SA 3.0
Der Opioidskandal und die Kunst
Das aktuellste Beispiel von „Kultursponsoring gone wrong“ hat mit dem amerikanischen Opioidskandal zu tun. Großen Bekanntheitsgrad hat das Medikament „Oxycontin“ der Firma Purdue Pharma erlangt, das schon bei geringen Beschwerden verschrieben wurde und schnell zu Abhängigkeit führt. In den letzten 20 Jahren haben sich die Todesfälle durch eine Opioid-Überdosis in den USA beinahe verfünffacht. Auch die Zahl der Drogenabhängigen nimmt durch den legalen Erwerb von Schmerzmitteln stetig zu. Purdue Pharma ist im Besitz der Familie Sackler und hier kommt nun die Kunst ins Spiel:
Die Sacklers häuften durch ihre Investitionen ein riesiges Vermögen an, das sie seit Generationen in dutzende Kulturförderungen fließen lassen. Sie finanzierten die Sackler-Bibliothek der Universität Oxford und die Serpentine Sackler Gallery in London, spendeten riesige Geldsummen an die National Portrait Gallery, die Tate-Galerien und das Guggenheim Museum in New York, das ein eigenes Sackler-Center besitzt. Einen Sackler-Flügel beherbergt der Pariser Louvre und im Jüdischen Museum in Berlin ist immerhin eine Treppe nach dem Pharma-Mogul benannt. Man kann also von einer enormen Einflussnahme auf die Kunst, die Bildung und die Kultur verschiedenster Länder sprechen. Die Unabhängigkeit dieser Institutionen scheint dadurch ins Wanken zu geraten und je heftiger die Kritik an der Familie Sackler wird, desto mehr müssen sich nun auch die Museen verantworten.
Sackler Library, Oxford via Wikimedia Commons, Brent Royal-Gordon, CC BY 2.0
Und tatsächlich regt sich Wiederstand: Die Künstlerin Nan Goldin, die selbst jahrelang abhängig von Opioiden gewesen ist, führte 2019 eine Reihe aufsehenerregender Proteste an. Mit dem von ihr gegründeten Bündnis „P.A.I.N“ protestierte sie mit hunderten Menschen gegen das „Blutgeld“ der Sackler-Familie. So zum Beispiel vor dem Louvre: Unter dem Motto #ShameOnSackler forderten die Protestierenden die Entfernung des umstrittenen Namens aus dem Museum. Auch im Sackler-Flügel im New Yorker Metropolitan Museum und im Guggenheim Museum, wo Goldin selbst mit einigen Arbeiten vertreten ist, kritisierte Nan Goldin lautstark die Milliardenspenden der Familie. Diese Aktionen sind ein Lichtblick, sollten Museen doch Orte der Diskussion und des Austauschs sein.
Der Skandal um die Sacklers ist jedoch bei Weitem nicht der einzige Fall, in dem Museen aufgrund ihrer Sponsor*innen in die Kritik geraten. Anfang des Jahres gab es zum Beispiel Proteste im Londoner British Museum, in dem eine vom Ölkonzern BP finanzierte Ausstellung Objekte aus dem Irak präsentierte. Die Kritik der Demonstrant*innen: Nicht nur, dass es sich bei den Ausstellungsstücken teilweise um Raubkunst aus ottomanischer Zeit handeln soll, die „wohltätige“ Finanzierung von BP in Verbindung mit dem rücksichtslosen Vorgehen des Konzerns im Nahen Osten schien vielen Umweltaktivist*innen heuchlerisch. Unwillkürlich fragt man sich, ob BP auch eine kritische Meinungsäußerung der Künstler*innen unterstützen würde.
Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack
Auch in Deutschland ist Wirtschaftsförderung kein neues Phänomen: 2014 konnte das Städel Museum in Frankfurt durch großzügige Unterstützung von Nestlé für einen Tag kostenfrei besucht werden. Die Kooperation fand unter dem Motto „Good Art, Good Food, Good Life“ statt. Obwohl freier Eintritt erstmal eine gute Sache ist, hinterlässt dieses Sponsoring einen fahlen Nachgeschmack, assoziiert man mit dem Konzern doch eher Wasserprivatisierung und Regenwaldrodung.
Die Berlinische Galerie in Berlin stand 2013 für die Zusammenarbeit mit Vattenfall in der Kritik. Der Energiekonzern wurde damals heftig für seine aktive Beteiligung im Braunkohleabbau verurteilt. Einmal im Jahr verlieh Vattenfall in Kooperation mit der Berlinischen Galerie den Kunstpreis „Vattenfall Contemporary“. Neben einer Einzelausstellung in den Räumen des Museums winkte dem oder der Gewinner*in auch der Ankauf eines Werkes durch die Firma. Wie viele Fliegen da mit einer Klappe geschlagen wurden, kann man gar nicht zählen.
Immer häufiger geraten die Museen unter Druck und sehen sich in der Zwickmühle. Die Gretchenfrage lautet: Geld oder Glaubwürdigkeit? Auf Unterstützung von Privatleuten und Wirtschaftsunternehmen zu verzichten, hieße in der Konsequenz: Weniger aufregende Sonderausstellungen, dadurch weniger Besucher*innen und dadurch wiederum weniger Einnahmen.
The Sackler Wing via Wikimedia Commons. Erwin Verbruggen, CC BY-SA 2.0
Im Fall Sackler gab es bereits erste Reaktionen auf die Forderungen der Demonstrant*innen. Mehrere Museen, darunter das Metropolitan Museum und das Guggenheim Museum in New York, haben offiziell verlauten lassen, auf weitere finanzielle Zuwendung der Pharma-Familie in Zukunft verzichten zu wollen. Im Louvre wurde das Namensschild des Sponsors entfernt und auch auf der offiziellen Website des Museums wurde jegliche Spur der Sacklers getilgt. Am eigentlichen Problem ändert das allerdings nichts.
Museen werden auch in Zukunft von privater Förderung abhängig sein. Wie kann dennoch gesichert werden, dass „sauberes“ Geld in die Kultureinrichtungen fließt? Eine mögliche Lösung wäre zum Beispiel die höhere Besteuerung großer Unternehmen und reicher Privatpersonen. Die zusätzlichen Steuereinnahmen könnten dann vermehrt in die Kulturförderung gepumpt werden – auf unabhängigem Weg. Eine weitere Möglichkeit ist das Crowdfunding von Ausstellungen im Internet. Kleine Teilbeträge, auf eine Vielzahl von Spender*innen verteilt, würden zumindest teilweise eine heterogenere Kulturlandschaft ergeben. Einige Projekte wurden auf diese Weise schon umgesetzt, oft ist jedoch die finanzielle Unsicherheit zu groß oder es fehlt an Sichtbarkeit. Auf jeden Fall aber müssen Museen mit Vorsicht und Sorgfalt auf ihre potenziellen Sponsor*innen blicken. Bis dahin heißt es weiterhin: „Mit Risiken und Nebenwirkungen flirten Museum und Unternehmer“