DienstArt – die Kunstkolumne: Again and again and again

DienstArt – die Kunstkolumne: Again and again and again

Ein Plädoyer für die Wiederholung – nicht nur in der Kunst

Denkt man an Wiederholung in der Kunst, bestätigt sich das negative Vorurteil zunächst: Repetition und Kunst scheinen sich nahezu auszuschließen, schließlich sind Originalität und Einzigartigkeit für ein Kunstwerk ausschlaggebend – oder?

Pünktlich zum Jahresende gleicht bei mir jeder Tag dem anderen: Die allgegenwärtige Dunkelheit, übermäßiger Spekulatiuskonsum und ein Haufen an noch vor Weihnachten zu erledigender Arbeit wiederholen sich mit zuverlässiger Sicherheit. Wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ spielen sich meine täglichen Aufgaben und Interaktionen nahezu in Dauerschleife ab – außer, dass ich in meiner persönlichen Neuverfilmung sowohl das Murmeltier (ständig müde) als auch Bill Murray (leicht verklatscht) verkörpere. 

Im Allgemeinen ist Wiederholung nicht mit positiven Gefühlen verbunden: Mantraartiges Herunterbeten von Polnischvokabeln oder repetitives Aufsagen der nicht zu vergessenden Einkaufsliste ist eher Pflicht als Kür. Wer einen Test oder die Fahrprüfung wiederholen muss, hat beim vorigen Versuch wohl nicht besonders gut abgeschnitten. Wiederholte Aufforderungen sind meistens vorwurfsvoll formuliert und weisen uns auf unsere Versäumnisse hin. Und der tägliche Weg zur Arbeit oder das abendliche Badezimmer-Ritual kommen uns unangenehm monoton vor. Kurz gesagt: Wiederholung ist irgendwie nichts Gutes. 

Denkt man nun an Wiederholung in der Kunst, bestätigt sich das negative Vorurteil zunächst: Repetition und Kunst scheinen sich nahezu auszuschließen, schließlich sind Originalität und Einzigartigkeit für ein Kunstwerk ausschlaggebend – oder? Anders als man meinen könnte, haben sich Künstler*innen über Jahrhunderte hinweg Wiederholungen zunutze gemacht. Warum die Repetition eine so beliebte Praxis (gewesen) ist und was wir daraus auf unseren Alltag übertragen können, das zeigt eine Reise durch die Kunstgeschichte bis heute:

Übung macht den Meister? 

Die Devise „Übung macht den Meister“ galt passenderweise bei den „Alten Meistern“, also bis ins 18. Jahrhundert hinein. Das Prinzip: Durch Skizzen und Entwürfe „übten“ die Künstler*innen für das finale Gemälde. Aus diesem Grund existiert zu den zahlreichen Werken der Renaissance oder des Mittelalters häufig eine Vielzahl an Vorstudien. Das Endprodukt, in dem all die Übung sichtbar werden sollte, hatte Ikonencharakter und die Originalität besaß einen hohen Stellenwert. Dennoch kam es vor, dass sich Gemälde stark ähnelten oder beliebte Motive sich wiederholten. Zwei nahezu identische Gemälde existieren zum Beispiel von Leonardo da Vinci: Die sogenannte „Felsgrottenmadonna“, die Ende des 15. Jahrhunderts entstanden ist, existiert in zwei Ausführungen. Bis auf kleine Details und unterschiedliche Farbwirkung gleichen sich die beiden Gemälde. Bis heute rätseln Kunstwissenschaftler*innen darüber, welches der Bilder älter ist und warum da Vinci zweimal das gleiche Motiv malte. Das Gute an der Wiederholungstat ist, dass man die Mariendarstellung heute sowohl in Paris als auch in London besichtigen kann. 

Springen wir aus dem Mittelalter vier Jahrhunderte in die Zukunft und denken an Claude Monet: Den französischen Impressionisten assoziieren viele Menschen automatisch mit seinen zahlreichen Seerosenbildern. Tatsächlich gibt es um die 250 Versionen dieser Darstellung, die in Museen auf der ganzen Welt verteilt sind. Eine weitere berühmte Bildserie schuf Monet während seines Aufenthalts im französischen Rouen. Als Bildthema wählte er einen Fassadenausschnitt der dortigen Kathedrale. Insgesamt existieren 33 Versionen der Komposition, die stets mit den gleichen Materialien und aus dem gleichen Blickwinkel entstanden ist. Und doch gleicht keine der anderen: Sie alle zeigen verschiedene Lichteinflüsse, Tages- und Jahreszeiten, die die Farbigkeit und Leuchtkraft beeinflussen. Erst die häufige Wiederholung verdeutlicht die Fülle an Unterschieden. Die Gemälde gleichen Momentaufnahmen, die sich durch spontane Eindrücke stets verändern. Es hatte sich ein Wandel vollzogen: Die spontane Studie, die vorher lediglich zur Übung angefertigt wurde, emanzipierte sich zum vollwertigen Kunstwerk. 

„Thirty are better than one”

Copyright: Wikimedia Commons

Wer kennt sie nicht, die berühmteste Tomatendose der Welt? Andy Warhol, der Schöpfer von „Campbell’s Soup Cans”, gilt als Meister der Wiederholung. Die 32 berühmten Dosenprints sind durch Siebdruck entstanden, durch den die identische Reproduktion von Kunstwerken möglich ist – immer und immer wieder. Mit der Tomatendose wurde ein banales Massenprodukt zum Kunstwerk erkoren, neben ihren 31 Kopien steht sie symbolisch für Massenproduktion und die US-amerikanische Überflussgesellschaft. „Thirty are better than one” heißt übrigens Warhols berühmte Serie von 30 Mona Lisas und es könnte ebenso sein Lebensmotto gewesen sein. Warum eine Mona Lisa, wenn man alle haben kann? In seiner New Yorker Factory produzierten Warhols Mitarbeiter*innen haufenweise Kunstwerke, die den Markt fluteten. Der Gedanke, dass es nur ein Original geben könne, war nicht mehr aktuell. Stattdessen wurde mit Ähnlichkeit und Gleichheit experimentiert und mit alten Traditionen gebrochen. Auch Kunst wurde zur Massenware. 

Achtung, eines dieser beiden Werke aus der Serie „Flowers” stammt nicht von Andy Warhol. Obwohl sich die beiden Drucke bis auf winzige Details ähneln, heißt die Urheberin des rechten Bildes Elaine Sturtevant. Ihre technisch exakte Kopie bekannter Kunstwerke, darunter auch Arbeiten von Beuys und Duchamp, machte aus ihr eine ganz besondere Form der Wiederholungstäterin. Die imitierten Kunstwerke versah sie zwar mit ihrer eigenen Signatur, ansonsten glichen die Kopien den Originalen aber bis aufs Haar. Da sie die Werke selbst unterschrieb, konnten sie nicht als Fälschung deklariert werden. Mit ihrem Vorgehen warf Sturtevant Fragen nach Originalität, Idee und Urheberschaft auf. 

Copyright: 2019 Estate of Bernd Becher and Hilla Becher

Möchte man das gleiche Motiv wieder und wieder abbilden, erleichtert einem dieses Vorhaben natürlich die Fotografie. Unzählige Fotos von Industrieanlagen und Fachwerkhäusern hat das Künstlerpaar Bernd und Hilla Becher geschossen. Die Bilder galten sowohl der Dokumentation des Gebäudezustands als auch dem Erfassen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Dabei gingen die beiden immer nach einem bestimmten Muster vor, fotografierten aus mehreren Blickwinkeln und aus vorgegebenen Perspektiven. In diesem Fall liegt die Wiederholung also lediglich im immer gleichen Vorgehen des Paares – das Motiv hingegen variiert. Die sachlichen Schwarz-Weiß-Fotografien sind weltberühmt und wurden unter anderem im New Yorker MoMa  und auf der Biennale in Venedig gezeigt.

Fotografien, die trotz des gleichbleibenden Motivs die Unterschiede verdeutlichen, zeigt die Serie  „The Brown Sisters: Forty Years“  von Nicholas Nixon. 40 Jahre lang hat der US-amerikanische Fotograf die vier Schwestern Bebe, Mimi, Heather und Laurie Brown abgelichtet, jeweils einmal pro Jahr. Obwohl die Porträtierten immer die gleichen waren, wirkt die Dokumentation nicht ansatzweise monoton. Stattdessen werden die zeitlichen Veränderungen eindrucksvoll sichtbar. Fast meint man, das Leben der vier Schwestern mitverfolgen zu können. 

Weitaus weniger Veränderung finden wir bei Peter Dreher. Seit Beginn der 1970er-Jahre malt der Künstler nämlich an seiner Bildserie „Tag um Tag guter Tag“ und die beinhaltet stets das gleiche Motiv: Ein Glas vor weißem Hintergrund auf einem weißen Tisch. Somit ist Dreher schon knappe 50 Jahre mit dieser Serie beschäftigt, die trotz des monotonen Themas keinesfalls langweilig ist. Mal bei Tag, mal bei Nacht gemalt, unterscheiden sich die Trinkgefäße in ihren Licht- und Farbnuancen. Mittlerweile gibt es mehr als 2500 Versionen des gläsernen Alltagsobjekts, das Dreher jeden Tag aufs Neue betrachten und darstellen möchte. 

Ein Haufen an Schreibarbeit

Installation View, Hanne Darboven, 'ERDKUNDE UND (SÜD-) KOREANISCHER KALENDER', Sprüth Magers, Berlin, 2019. Photography by Timo Ohler

Wie viele DIN A4-Seiten haben wir damals im Erdkunde-Unterricht wohl vollgekritzelt? Die Arbeiten von Hanne Darboven, die aktuell in der Berliner Galerie Sprüth Magers zu sehen sind, lassen darüber nur spekulieren. Die zeitgenössische Künstlerin beschäftigt sich mit prozesshafter Wiederholung und setzt sich täglich ein gewisses Soll an zu verrichtender Schreibarbeit. Diese wird später in blockhaften, raumfüllenden Installationen ausgestellt. Das Werk „Erdkunde I, II, III“ beispielsweise besteht aus über 700 von ihr beschrifteten Tafeln, die stets nach dem gleichen Prinzip aufgebaut sind: Darboven hat eine lexikonartige Auflistung niedergeschrieben, die Zitate, Artikel zum Thema „Erde“ oder „Erdkunde“ und Kopien aus naturwissenschaftlichen Sachbüchern enthält. Auch Ortsnamen, historische Personen und Ereignisse zum Thema hat sie heruntergeschrieben. Trotz der ungeheuren Masse wirkt die Arbeit geordnet und strukturiert. Was auf den ersten Blick nahezu eintönig wirkt, fasst beim näheren Hinsehen eine unglaubliche Menge an gebündeltem Wissen zusammen. Beeindruckend vor allem dann, wenn man bedenkt, wie viele Tage der Wiederholung diese Schreibaufgabe bedeutet hat. 

Jun. 2014, Copyright: Ae Hee Lee

Tägliche Dokumentation nutzte auch die Künstlerin Ae Hee Lee für ihr Werk „Dream Records”. In akribischer Feinarbeit hat sie drei Jahre lang ein zeichnerisches Traumtagebuch geführt und jeden Morgen ihre nächtlichen Fantasien dokumentiert. Mit winzigen weißen Punkten wurden dabei ihre Träume auf schwarzen Untergrund übertragen, eine Leinwand steht dabei jeweils für einen Monat. Während aus der Ferne kaum Unterschiede wahrnehmbar sind, lässt sich bei näherer Betrachtung hervorragend über individuelle Details von Lees Traumbiografie spekulieren. 

Kann positives Denken die Zukunft beeinflussen? Wir dürfen es überprüfen: Gertrūda Gilytė betreibt auf Instagram ihr „Successful Art Project“. Durch die Manifestationspraxis, also die mantraartige Wiederholung positiver Gedanken und Ziele, will sie diese in Erfüllung gehen lassen. Das @successful_art_project ist eine Arbeit, bei der sie sich intensiv mit dem von der Gesellschaft vermittelten Bild von Erfolg beschäftigt. Instagram funktioniert für Gilytė wie ein Tagebuch, in dem sie ihren Entwicklungsprozess dokumentiert. Teilweise wirken die repetitiven Sätze der Künstlerin skurril und sogar unglaubwürdig, vermitteln das Bild von einem auferlegten Streben nach Glück und Zuspruch. Durchführen möchte Gilytė das Projekt so lange, bis sie mit ihrer Arbeit tatsächlich Erfolg hat. 

Wiederholung gegen Liebeskummer

Wenn ich die Möglichkeit habe, Sophie Calle in meine Kolumne einzubauen, dann mache ich das natürlich auch. Denn wie treue Leser*innen sicher schon bemerkt haben dürften, zählt sie zu meinen absoluten Lieblingskünstlerinnen. In ihrem Werk „Douleur Exquise“ geht es um die Verarbeitung von Herzschmerz. Nachdem sie 1985 in einem Hotel in Neu-Delhi verlassen wurde, half nur die Schocktherapie: Sie dokumentierte die folgende Zeit ausführlich, schrieb die schmerzhafte Geschichte immer und immer wieder nieder. Die „Days to Unhappiness“ lesen sich wie ein Countdown der Bewältigungstherapie. Das wiederholte Erzählen der traumatischen Erinnerungen half ihr schließlich dabei, ihren eigenen Liebeskummer durchzustehen. Das daraus entstandene Buch liest sich wie ein privates Tagebuch, das die Leser*innen auf voyeuristische Art mitlesen dürfen. 

Copyright: Sophie Calle

Ob Warhol, Sturtevant oder Calle:  Die Kunstgeschichte zeigt, dass es nicht die eine Form der Wiederholung gibt. Wo sie auf der einen Seite Monotonie und Routine darstellt, bedeutet sie auf der anderen Seite Veränderung und Übung. Wiederholung kann dabei helfen, winzige Unterschiede zu verdeutlichen oder Liebeskummer zu verarbeiten. Sie kann tägliche Arbeit repräsentieren oder uns unser Innerstes vor Augen führen.

Ich möchte auf keinen Fall wie ein Ratgeberbuch klingen, darum musste ich diese Passage (Achtung!) mehrfach neu formulieren. Es gibt Momente, da hasse ich Wiederholungen. Zum Beispiel, wenn ich immer und immer wieder meine fast abgeschlossene Kolumne lese und unzufrieden damit bin. Oder wenn ich auf dem Fahrrad extra Umwege fahre, um nicht immer den gleichen Weg zur Arbeit zu haben. Gleichzeitig gefallen mir Momente der Monotonie, beispielsweise einmal die Woche den gleichen Podcast zu hören oder routinemäßiges Rechnungsschreiben am Ende des Monats. Geübt setze ich mich immer auf den gleichen Platz im Bus, schreibe Tagebuch oder hänge um den 1. Advent herum Lichterketten auf. Wiederholung kann neben lästiger Pflicht auch großen Luxus bedeuten. Für viele Menschen ist sie unvermeidlich oder unabdingbar. Statt Wiederholung mit mangelnder Abwechslung zu assoziieren, sollten wir sie vielleicht öfter zulassen. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Wiederholung hat durchaus Potenzial.

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