Kunstsympathisch #4: Künstler*innen über Kunst
Tara Deacon über Henri Matisse und Emma Gale
Wir treffen junge Künstlerinnen und Künstler, die etwas zu erzählen haben. Über ihre Arbeit, ihre Ideen und ihre Vorbilder. Wie entsteht eigentlich Kunst? Gibt es alltägliche Hürden im Leben von Kunstschaffenden? Und wie groß ist die Angst vor der „brotlosen Kunst“?
In unserer Serie Kunstsympathisch ist der Name Programm: Wir treffen junge Künstlerinnen und Künstler, die etwas zu erzählen haben. Über ihre Arbeit, ihre Ideen und ihre Vorbilder. Wie entsteht eigentlich Kunst? Gibt es alltägliche Hürden im Leben von Kunstschaffenden? Und wie groß ist die Angst vor der „brotlosen Kunst“?
Diesen Fragen und noch vielen mehr möchten wir auf den Grund gehen und bitten zum Gespräch. Im ersten Teil des Interviews dreht sich alles um die eigene Arbeit der Porträtierten. Im vierten Teil reden wir über Inspirationen durch andere Künstler*innen, Vorbilder und Einflüsse. Mit Kunstsympathisch möchten wir Hemmschwellen überwinden und ohne unnahbares Geschwafel über Kunst reden.
Über Tara Deacon
Tara Deacon ist Illustratorin aus Südafrika und lebt seit fünf Jahren in Berlin. Durch ihre Kooperation mit dem Amore Store sind wir auch auf ihre farbenfrohen Kunstwerke aufmerksam geworden, die uns von Italien träumen lassen. In ihrem Atelier in Berlin Neukölln, das sie sich mit anderen Künstler*innen teilt, haben wir Tara auf eine Tasse Tee getroffen. Bei dieser Gelegenheit hat sie uns nicht nur von ihrer Liebe zu selbstgezüchteten Avocadobäumchen, sondern auch von ihren Zukunftsplänen und dem wichtigen Stellenwert von Geduld in ihrer Arbeit erzählt.
Tara, was ist das Beste an deinem Job als Illustratorin?
Oh, da gibt es Einiges. Mir gefallen die Konzentration und der Fokus, die ich bekomme, wenn ich mich hinsetze und arbeite. Der Moment, in dem mir eine Idee kommt bis hin zum Kombinieren und Mischen der Farben. Außerdem gefällt mir die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Menschen. Mit jedem neuen Projekt entdecke ich etwas Unbekanntes und lerne überraschende Dinge. So komme ich nie in eine Comfort Zone.
Wie sähe die Kooperation deiner Träume aus?
Allgemein möchte ich in Zukunft gerne mehr Magazin- und Buchillustrationen machen. Zuerst denke ich da an Magazine wie Apartamento. Denen folge ich schon sehr lange und liebe die Interviews und Kooperationen mit Illustrator*innen, Designer*innen und Künstler*innen. Auch das Wrap Magazine finde ich toll, die arbeiten ebenfalls mit zeitgenössischen Künstler*innen zusammen. Ein Traum wäre auch die Illustration von Buchcovern, zum Beispiel für Penguin Books. Am liebsten würde ich zusammen mit meiner Schwester ein Kinderbuch kreieren. Sie lebt in New York und ist Vorschullehrerin und wir reden häufig über gemeinsame Ideen und mögliche Themen. Die Zusammenarbeit wäre ganz einfach: Sie schreibt und ich illustriere. Meine Leidenschaft ist tatsächlich das Sammeln von Kinderbüchern – die unterschiedlichen Stile, Texturen und Farben sind so vielfältig und kreativ.
Du sprudelst ja nur so vor Ideen!
Ja, aber alles hat seine Zeit und ich versuche, die Dinge nicht zu forcieren. Bevor ich etwas tue, muss ich sehr lange darüber brüten und die Idee muss in meinem Kopf ruhen. Durch Social Media sieht man ständig, was andere Menschen gerade tun und vergleicht sich automatisch. Ich habe erst mit der Zeit gelernt, dass ich langsam und selbständig wachsen möchte.
Gibt es auch Kooperationsanfragen, die du ablehnen würdest?
Ehrlich gesagt fällt mir Werbung sehr schwer. Oft haben die Kund*innen eine Idee, die sie gerne durchsetzen möchten, worunter dann meine eigene künstlerische Freiheit leidet. Das Endprodukt gefällt mir dann selber nicht mehr. Daher arbeite ich lieber mit unabhängigen Labels zusammen an kleineren Projekten. Klar, da gibt es diesen inneren Konflikt: Große Firmen zahlen nun mal sehr gut. Ich möchte als Künstlerin ja auch bekannter werden und mit wichtigen Kund*innen zusammenarbeiten. Gleichzeitig verkauft man ein Stück von sich selbst durch die Kooperation. Es ist oft schwierig, da die richtige Balance finden. Ich versuche, mich ständig zu fragen, was ich wirklich machen möchte.
Deine künstlerische Freiheit ist dir also sehr wichtig?
Absolut. Das ist auch das Problem mit privaten Aufträgen: Jemand kontaktiert dich mit einer festen Idee, die er oder sie im Kopf hat. Zum Beispiel: „Könntest du mich am Strand malen?“ Aber so etwas würde ich aus eigenem Antrieb nie machen, ich würde höchstens mich selbst am Strand malen. Dieser schmale Grat zwischen dem, was Leute gerne hätten und dem, was du selbst schaffen würdest, den versuche ich zu finden.
Ich wünsche mir natürlich, dass die Leute sagen: „Ich vertraue dir! Tu, was immer du möchtest.“ Klar, Feedback ist super, aber meine Identität möchte ich bewahren. Es gibt in Prenzlauer Berg eine kleine Boutique namens „Present & Paper“, denen habe ich vor einiger Zeit meine Ideen geschickt und gefragt, was sie sehen wollen. Die haben nur gesagt, dass sie mir komplett vertrauen. Das war wundervoll.
Aber muss man nicht auch gucken, ob sich der Auftrag finanziell lohnt?
Absolut, ja. Früher habe ich eine Menge Jobs einfach nur für mein Portfolio angenommen oder wegen des Geldes. Jetzt versuche ich etwas mehr auszusortieren und abzuwägen. Wer repräsentiert mich wirklich? Dadurch, dass sehr viel meiner Zeit und Energie in meine Arbeit fließen, sollte sich der Auftrag auch für mich persönlich lohnen. Mittlerweile sage ich mir, dass ich bei Jobs, bei denen es nicht gut läuft, immerhin etwas für die Zukunft lerne. Ich kann an der negativen Erfahrung wachsen und im Nachhinein sind ja die Geschichten vom Scheitern oft die interessantesten Geschichten. Wie heißt es so schön: Auch eine negative Erfahrung ist eine Erfahrung.
Kannst du denn mittlerweile gut abschätzen, welche Kooperationen sich für dich lohnen?
Ja, aber das kam nicht automatisch, ich habe es erst mit der Zeit gelernt. Ich habe einige Jobs bekommen, von denen ich am Anfang dachte: Wow, was für ein Traumjob. Am Ende kam dann die Einsicht, dass die Zusammenarbeit gar nicht so toll war, wie ich sie mir am Anfang vorgestellt hatte. Bevor ich etwas Neues mache, versuche ich mich immer zu fragen, warum ich das eigentlich machen will und was ich dabei Neues lernen könnte. „Alles zu seiner Zeit“ – Das ist mein Mantra.
Zurück zu deinen Illustrationen: Welche Techniken verwendest du hauptsächlich?
In der High School habe ich zum ersten Mal mit Gouache gearbeitet, dabei werden wasserlösliche Pigmente mit Kreide vermischt, wodurch matte, ausdrucksstarke Farben entstehen. Während meines Studiums habe ich gar nicht mehr gemalt. Erst in Berlin habe ich wieder damit angefangen und in der Zeit viel mit Aquarell gearbeitet, aber nur für mich selbst. Irgendwann bin ich dann zur Gouache zurückgekehrt. Ich liebe die Textur und Konsistenz, man kann sehr viel damit experimentieren. Gleichzeitig braucht man aber auch sehr viel Geduld beim Anmischen. Das ist wohl ein wiederkehrendes Motiv bei mir: Geduld! Übrigens trinke ich bei der Arbeit kaum Kaffee: Diese feinen Linien, die würde ich mit zittrigen Händen gar nicht hinkriegen. Dabei liebe ich Kaffee!
Du bist seit fünf Jahren in Berlin. Erzähl uns doch mal, wie es dazu gekommen ist.
Genau, vor fünf Jahren bin ich für die Liebe hier hergekommen. Ursprünglich habe ich Produktdesign in Südafrika studiert. Für ein Praktikum bei einer großen Firma bin ich dann in die Niederlande gegangen. Dort habe ich für ein Jahr gelebt, in dem ich mich und meine Pläne komplett geändert habe. Statt meiner bisherigen Vorhaben wollte ich nun unbedingt nach Berlin. Zu der Zeit habe ich sehr viel Couchsurfing betrieben und habe auf diese Weise einen ganz tollen Typen kennengelernt. Einige Monate später bin ich zu ihm nach Berlin gezogen und hatte wirklich nur einen kleinen Koffer bei mir. Das war die beste Entscheidung, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Der Kerl vom Couchsurfen ist mittlerweile übrigens mein Ehemann – es hat also alles vorzüglich geklappt (lacht).
„ „Oft erwische ich mich dabei, dass ich durch das ganze Zeichnen vergesse, im eigentlichen Moment zu leben.“ “
Wie mutig von dir. Wie hat es denn mit der Sprache funktioniert?
Na ja, ich spreche Afrikaans, das ähnelt dem Deutschen in einigen Punkten. Ein wenig Niederländisch kann ich auch, da gibt es ja ebenfalls Überschneidungen. Meine Grammatik ist schrecklich, aber ich kann sehr gut Dinge nachsprechen.
Ursprünglich komme ich aus Johannesburg, wo ich mich als Teenager in den Suburbs unglaublich gelangweilt habe. Zum Studieren bin ich dann nach Johannesburg gegangen und war vom großen kulturellen Unterschied zu Johannesburg überwältigt. Ich habe mich sofort in Johannesburg verliebt und bin immer noch fast jedes Jahr dort, weil ich da einfach so viel Inspiration sammeln kann. Übrigens ähneln sich Berlin und Johannesburg sehr: Beide Städte haben eine aufregende Musik- und Kunstszene und beherbergen viele verschiedene Kulturen und.
Also sind Reisen für dich eine wichtige Inspirationsquelle?
Im Urlaub habe ich immer mein Sketchbook dabei und erkunde damit meine Umgebung. Dabei faszinieren mich Farben und Farbkombinationen, zum Beispiel das knallige Orange der Früchte auf dem Markt. Oft erwische ich mich dabei, dass ich durch das ganze Zeichnen vergesse, im eigentlichen Moment zu leben.
Wie sieht es mit Künstler*innen aus, die dich inspirieren?
Eine zeitgenössische Künstlerin, die ich bewundere, ist Emma Gale. Sie malt riesige Kunstwerke mit Früchten, Tieren und Menschen, die frischen Fisch verkaufen.
Ich interessiere mich aber ebenfalls dafür, was Künstler*innen vor meiner Zeit gemacht haben: Besonders beeindruckt mich die Arbeit von Matisse, Gauguin und Milton Avery. Letzterer ist ein amerikanischer Maler, dessen Werk nicht sehr detailliert, aber unglaublich ausdrucksstark ist. Die Formen und die wenigen Farben, die er benutzt, transportieren eine unheimliche Menge.
Was fasziniert dich besonders an ihrer Arbeit?
Mich fasziniert, wenn Künstlerinnen und Künstler mutig in der Farbwahl sind und starke Farben benutzen.
Ich liebe Emma Gales Stil, weil er so anders ist als meiner. Sie spielt sehr intuitiv, fließend und auf großen Formaten mit verschiedenen Texturen – ganz anders als ich, da ich sehr zart und fein zeichne. Auch bei Matisse beeindrucken mich die Unterschiede zu meiner Arbeit. Im Moment arbeite ich mit einer Unterwäsche-Firma zusammen und mein erster Gedanke war, dass ich mich von Matisse inspirieren lassen kann. Seine Körper sind perfekt. Ich hingegen versuche immer, etwas zu machen, was ein bisschen anders ist, nicht perfekt.
Es ist interessant für mich zu sehen, wie mein Stil etwas adaptieren und ganz anders aussehen lassen kann.
Wenn man sich so dein Moodboard ansieht, scheinen dich auch Alltagsgegenstände zu inspirieren.
Auf jeden Fall werde ich auch von alltäglichen Dingen beeinflusst, die nicht unmittelbar mit Kunst zu tun haben. In Italien war ich zum Beispiel auf einem Flohmarkt, auf dem ich wundervolle Postkarten gefunden habe. Auch Blumen, alte Fotografien und Pflanzen sind kreative Inputs. Aber wie du siehst, hängt an meinem Moodboard auch eine hübsche Verpackung von Essstäbchen – ich möchte mit verschiedenen Medien und Objekten experimentieren.
Was würdest du einem Menschen raten, der Illustrator*in werden will?
Es gibt so viele Kreative und Illustrierende, deswegen brauchst du eine Menge Durchhaltevermögen und Geduld. Feuer fangen geht schnell, aber langfristig am Ball zu bleiben, das ist die Kunst.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
In ihrem Onlineshop könnt ihr einige wunderschöne Arbeiten von Tara Deacon käuflich erwerben.
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