Kunstsympathisch #6 – Künstler*innen über Kunst
Asana Fujikawa über moderne Märchen
Asana Fujikawa über moderne Märchen
In unserer Serie Kunstsympathisch ist der Name Programm: Wir treffen Künstlerinnen und Künstler, die etwas zu erzählen haben. Über ihre Arbeit, ihre Ideen und ihre Vorbilder. Mit Kunstsympathisch möchten wir Hemmschwellen überwinden und ohne unnahbares Geschwafel über Kunst reden.
Seit Oktober geht es im Berliner Georg Kolbe Museum märchenhaft zu. In der Ausstellung „Asana Fujikawa/David Hockney. Figuren der fließenden Welt“ visualisiert die japanische Künstlerin Asana Fujikawa fantastische Erzählungen, die stets einen Bezug zur Wirklichkeit haben. Neben Druckgrafik und Malerei sind Arbeiten aus Keramik entstanden, die in der Ausstellung auf die von David Hockney 1969 kreierte Bildserie „Six Fairy Tales from the Brothers Grimm“ treffen. Hockneys abgründige Illustrationen und Fujikawas fantasievolle Überlieferungen ergänzen sich zu einem begehbaren Märchenbuch voller magischer Erzählungen, in denen Tradition auf Moderne und Fabulöses auf Reales trifft.
In den geschichtsträchtigen Museumsräumen, die der Bildhauer Georg Kolbe einst als Atelier genutzt hat, haben wir Asana Fujikawa getroffen und mit ihr über Happy Endings, Gruselgeschichten und unrasierte Beine gesprochen.
Der Titel der Ausstellung lautet „Figuren der fließenden Welt“. Was hat es damit auf sich?
Der Titel bezieht sich auf die so genannten Ukiyo-e, das ist eine traditionelle, japanische Bildgattung. Übersetzen kann man Ukiyo-e etwa mit „Bilder der fließenden Welt“, auf diesen Namen nimmt die Ausstellung Bezug. Meine Radierungen der „Waldmenschen“, die links und rechts mit Ranken versehen sind, knüpfen an die Tradition der Ukiyo-e an. Ein bisschen erinnern die Darstellungen auch an Emakimono oder Emaki. Das sind illustrierte Erzählungen, die als eine erste Form von Comic oder Animation verstanden werden können. Durch das langsame Aufrollen eines Bildes kann man sich bei der Betrachtung prozesshaft vorarbeiten. Obwohl man meine Radierungen in der Ausstellung als Ganzes sieht, wurden sie von Emaki inspiriert.
Stellst du eine bewusste Verbindung zwischen Traditionen und der Gegenwart her?
Das mache ich nicht mit Absicht, mir gefallen einfach viele alte Dinge. Meine Arbeit wird zum Beispiel sehr stark von früher Literatur aus Japan inspiriert, etwa durch den Schriftsteller Natsume Sōseki. Trotzdem lebe ich natürlich in der Gegenwart und werde von alltäglichen Geschehnissen beeinflusst. Die Verbindung zwischen Tradition und Moderne ergibt sich also automatisch.
Viele deiner Arbeiten wirken auf den ersten Blick magisch und schön, haben dann aber auch eine überraschend grausame Komponente. Ist diese Ambivalenz zwischen Grusel und Zauberhaftigkeit eine typische Eigenschaft von Märchen?
Ich weiß nicht, ob es typisch für Märchen ist, weil ich immer wenig recherchiere (lacht). Für mich ist es wichtig zu erzählen, dass es in unserem Leben meistens kein Happy End gibt. Was uns in Filmen oder Büchern als Happy End verkauft wird, ist ja meistens gar nicht das Ende der Geschichte – das Leben geht irgendwie weiter. Für mich ist dieser Umstand aber etwas sehr Natürliches und Schönes.
Uns ist besonders die Keramik „Ein Waldmensch versucht, während seiner Metamorphose seinen Arm abzuschneiden“ aufgefallen. Wie lautet die Geschichte dazu?
Die Geschichte geht so: Nachdem einige Waldarbeiter in Latzhosen zufällig einen magischen Eibenwald betreten haben, beginnen ihre Körper sich plötzlich zu verwandeln. Allmählich werden sie selbst zu Bäumen, ihre Arme und Beine werden zu Ästen. Natürlich wollen die Arbeiter lieber als Menschen zu ihren Familien zurückkehren, weswegen sie versuchen, sich die Gliedmaßen abzuschneiden. Letztendlich schaffen sie es nicht. Sie müssen Seelenbehälter erschaffen, um ihre Seele vor den Metamorphosen zu retten.
Also kein Happy End. Denkst du dir die dargestellten Geschichten selber aus?
Ja genau. Dabei werde ich stark von der japanischen Mythologie und von abergläubischen Erzählungen aus Japan beeinflusst. Dort sind die Menschen viel abergläubischer als in Deutschland. Auch die griechische Mythologie und eigene Erfahrungen von mir selbst haben Einfluss auf die Geschichten. Das alles mischt sich dann zu meinen Märchen.
Erzählst du diese Märchen auch deiner Tochter?
Nein, die liest lieber Kinderbücher. Aber sie wird später im Leben sicher ähnliche Geschichten erleben und darauf freue ich mich schon sehr.
Was für eine Rolle hat für dich die Bildserie von David Hockney gespielt, die auch Teil der Ausstellung ist? War sie eine Orientierung?
Ich habe mich auf meine Arbeit konzentriert. Aber eine meiner Figuren ist ein wenig an diesem Ort hier orientiert. Die Keramik heißt „Maria“, genau wie eine ehemalige Enkeltochter von Georg Kolbe, dem ja das Atelier hier gehört hat. Das Mädchen Maria sitzt an einem Tisch auf einem Stuhl. Gegenüber von ihr sitzt ein unsichtbarer Geist. Der Parkettfußboden sieht genauso aus wie hier im Museum. Die Szenerie könnte also an diesem Ort stattfinden.
„ „Meine Figuren haben ganz ähnliche Probleme wie wir Menschen.“ “
Besonders gut gefällt uns die Figur mit dem Titel „Auf meinen Beinen wuchsen viele Pflanzen anstatt der Haare“. Wie kam es zu dieser Darstellung?
Die Idee für das Mädchen mit den Pflanzen an den Beinen hatte ich schon vor 5 Jahren im Kopf. Die Serie heißt „Apothekerin“ und es gibt auch einige Radierungen dazu. Die Geschichte dazu geht so: Einer Frau wachsen Pflanzen statt Haaren aus ihren Beinen. Obwohl es wunderschön aussieht, schämt sie sich sehr dafür. Mir geht es da ähnlich: Auf meinen Haaren mag ich auch nicht viele schwarze Haare, die man deutlich sehen kann. Es ist seltsam, dass wir uns für etwas so Natürliches schämen. Aber Scham kann auch etwas Schönes sein und ich möchte niemandem vorschreiben, was richtig ist oder falsch ist. Menschen haben einfach eine Menge Unsicherheiten. Diese Unsicherheiten finde ich schön. Meine Figuren haben ganz ähnliche Probleme wie wir Menschen.
Die Ausstellung zeigt neben deinen Keramikfiguren auch Druckgrafik und Malerei. Welche Bedeutung haben die verschiedenen Materialien für deine Arbeit?
Ich benutze gerne verschiedene Materialien im Werkprozess. Besonders Keramik und Radierungen finde ich sehr passend für meine Arbeit. Für meine ausgedachten Geschichten sind diese Techniken perfekt. Es gibt aber keine spezifische Reihenfolge, in der ich arbeite. Ich mache nicht erst Zeichnungen und erstelle daraus Keramiken, es ist alles gemischt. Die zweidimensionale Radierung ist perfekt für das Erzählen. Zeichnerische Arbeit hilft mir sehr, weil ich meine Gedanken schnell abbilden kann. Modellieren dauert wiederum sehr lang, manchmal zwei Wochen. Während dieser Zeit habe ich oft meinen ursprünglichen Gedanken schon wieder verloren.
Wie läuft das Modellieren genau ab?
Während ich die Keramik modelliere, spreche ich sehr viel mit den Figuren. Dadurch wachsen die Geschichten weiter, sie haben also ein offenes Ende. Durch das Sprechen erhalten die Figuren ein Stück von mir und sind dadurch ganz nah bei mir. Im Entstehungsprozess gibt es irgendwann den Moment, an dem ich denke: „Ich habe dich gefunden“. Irgendwann taucht die Figur aus dem Ton auf, das ist der wichtigste Punkt. Dieses Gefühl liebe ich sehr. Manchmal klappt das aber auch nicht.
Figuren, die durch dich zum Leben erweckt werden – das klingt auch wie im Märchen.
Ja, stimmt. Und es ist schön zu sehen, wie unterschiedlich die Besucher des Museums auf sie reagieren.
Als du aus Japan nach Deutschland gekommen bist, war das ein Clash für dich?
Ja, das war ein heftiger Kulturclash. Ich bin mit 27 Jahren nach Deutschland gekommen, vor 11 Jahren. Aber ich war damals jung und lebendig und habe diesen Clash genossen! Schließlich bin ich in Hamburg geblieben, wo es mir sehr gefällt. Als Mutter braucht man viel Unterstützung von verschiedenen Menschen, die ich dort zum Glück bekomme. Ich fühle mich ganz als Hamburgerin! Dort ist für mich meine Heimat.
Bist du noch manchmal in Japan?
Ja, ab und zu fliege ich dort hin und sehe meine Familie.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Die Ausstellung „Asana Fujikawa/David Hockney. Figuren der fließenden Welt“ wird von Dr. Matilda Felix kuratiert und ist noch bis zum 12. Januar 2020 im Georg Kolbe Museum zu sehen.
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Fotos: