Der gekonnte Blick über die Schulter

Der gekonnte Blick über die Schulter

Woher kommt unsere Liebe für Revivals?

Zum Start unserer Themenwoche bei BEIGE nimmt Felix das Phänomen des Revivals unter die Lupe und fragt: Wie gut darf ich Revivals eigentlich finden?

Wer kreativ oder künstlerisch arbeitet, kennt das Dilemma: Es gibt Tage, an denen sich jeder Satz auf dem Papier, jeder Pinselstrich, sogar jeder Gedanke wie die schlechte Kopie einer uninspirierten Vorlage anfühlt.

Mein gesamtes Schaffen und jegliche Ambitionen werden zu einer Karikatur ihrer selbst und ich frage mich, wo man 2022 überhaupt noch ansetzen soll. Alles ist schon da gewesen und selbst dieser Einblick scheint eingestaubt. Originalität? I don’t know her. 

In der Tat sprechen an solchen Tagen nicht nur mein abhanden gekommenes Selbstbewusstsein. An der Frage nach Neuem und Altem scheiden sich auch philosophisch die Geister. Glaubt man den Zyniker*innen, ist seit der Antike nichts wirklich Neues mehr entstanden: jegliche Innovationsversuche der Menschheit sind illusorische Recyclingpraktiken. Oder hat Nietzsche recht, ist die „Ewige Wiederkunft“ real? Bringt ein jedes Revival auch Neues in die Welt? Inmitten des verschmähten „Sex and the City“-Reboots und neu entbrannter Y2K-Trends, frage ich mich: Woher kommt das Phänomen des Revivals? Woran macht man ein gelungenes fest? Und darf ich Revivals eigentlich gut finden?

Ein Revival ist ein Revival ist ein Revival

Wer dem Ursprung des Revivals nachgeht, muss sich fragen: Wo ist der letzte Punkt, an dem etwas wahrhaft Neues entstanden ist? Ist es die Entdeckung des Feuers? Die Hippie- und Friedensbewegung der 70er-Jahre? Oder doch Cher, als sie „Believe“ 1998 erstmals mit Autotune bearbeitete? Die Bestimmung objektiver Originalität scheint bei genauerer Betrachtung unmöglich. Und egal, wie wir die Frage beantworten, es stellt sich automatisch die nächste. Denn obwohl Chers Künste am Mischpult die sichere Kehrtwende ursprünglicher Innovation zu markieren scheinen – wann genau fand das erste Revival statt? 

Manche behaupten, bereits die Renaissance ab dem 14. Jahrhundert sei das Ende der Originalität gewesen, als Literatur, Kunst und Kultur der Antike in Europa wiederbelebt und neu interpretiert wurden. Alles, was danach kam, sei also wiederverwertet und bestenfalls veredelt. Es klingt wie die Apokalypse für den prätentiösen Kunstmarkt, der bis heute jedes Objekt als göttliches Geschenk unberührter Inspiration anpreist und für den „Revival“ unaussprechlich bleibt.

Doch auch Nietzsche sieht das ähnlich, als er schreibt:

„ Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. “

(aus: Also sprach Zarathustra) 

Er sieht die Zeit an sich als unendliches Revival. Kein Anfang, kein Ende, alles kommt wieder und wieder. Die Schwierigkeit bestehe darin, „die Augenblicke so zu leben, dass sie dir immer wiederkehren können, und zwar ohne Grauen!“ Es geht um den Mut zur gelungenen Wiederholung. Das Revival führe so, wenn man es richtig anstellt, sogar zu Glück und Wohlbefinden. 

Vielleicht ist es genau dieses warme Gefühl, das das Revival auch heute in der Popkultur so beliebt macht, wenn die Lieblingsserie oder Modetrends aus der Kindheit wieder aufgelegt werden. Und genervt weggeschaut wird, wenn auch die weniger geliebten Programme erneut produziert sind. Klar scheint: die Weiterentwicklung des Revivals des Lebens ist nicht mehr aufzuhalten.

Gutes Revival, böses Revival

Obwohl die Entstehung des ersten Revivals nicht eindeutig geklärt werden kann, so bringt ein jedes Revival Emotionen, Erinnerungen und Ideen hervor. Es ist unser Weg, mit der Vergangenheit zu kommunizieren, gemeinsam zu erinnern – und uns inspirieren zu lassen. Und während Menschen in der Politik oder Kunstbranche die Existenz von Revivals oftmals abstreiten, so liegt die Fertigkeit im Umgang mit der eigenen Inspiration und Kreativität darin, diese Stimmen auszublenden.

Ein Revival ist nicht automatisch gut, weil wir seine Geschichten schon kennen. Noch ist es schlecht, weil der Druck nach revolutionären Ideen unseren Alltag bestimmt. Ein Revival ist vor allem eins: Die Chance, aus Bekanntem etwas Neues zu kreieren. Die Lücken des Originals auszubessern und die Erfolge des Originals zu feiern. 

Der Relaunch von BEIGE steht für genau das: Die Ästhetik der Siebziger, Ideen der Gegenwart und die Kreation einzigartigem Journalismus der Zukunft. Es ist der gekonnte Blick über die Schulter, der den Blick nach vorne erst richtig spannend macht.

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