Schneckentempo, Siechtum und Selleriesaft

Schneckentempo, Siechtum und Selleriesaft

Dass es mich irgendwann treffen würde, habe ich geahnt.

Ein paar Dinge hätte ich allerdings gerne vorher gewusst. Mein Guide für eine Woche mit dem Coronavirus

Vorab ein Disclaimer: Mein Krankheitsverlauf ist hier nur in Ausschnitten dargestellt und lässt sich nicht generalisieren. Ich bin in der privilegierten Lage, einen sogenannten „milden Verlauf“ gehabt zu haben. Zudem genieße ich den Luxus, dass mein Zuhause für mich einen Schutzraum darstellt, dass ich mich nicht nebenbei um Kinder oder andere Personen kümmern muss, dass ich keine größeren finanziellen Sorgen und eine Krankschreibung habe. Dieser Artikel soll in keinem Fall die Symptome von COVID-19 herunterspielen oder Menschen triggern, die Angst vor der Erkrankung haben. Bitte lest diesen Guide mit dem nötigen Humor und nur dann, wenn ihr euch mental dazu in der Lage seht. Passt auf euch auf, lasst euch impfen und bleibt (wenn möglich) gesund!

Nun ist es also geschehen. Drei positive Schnelltests liegen vor mir auf dem Tisch, mein Herz klopft und mein schlechtes Gewissen meldet sich prompt: Wen habe ich alles gesehen in den letzten Tagen? Wem muss ich jetzt Bescheid geben? Wie geht es weiter? Das ist das Fiese in solchen Situationen: Dass man nicht, wie eigentlich hilfreich, erst mal an sich selbst denkt – sondern sich direkt wegen der anderen Vorwürfe macht oder Panik schiebt. Bei mir passiert beides.

Sechs Stunden und einige Telefonate später habe ich dann auch mein positives PCR-Ergebnis schwarz auf weiß vor mir. Mitten in der Nacht ploppt die Nachricht auf meinem Handy auf und an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Obwohl ich in den letzten Tagen kaum Symptome hatte – na gut, vielleicht habe ich etwas häufiger als normal geniest –, bilde ich mir nun ein, ich hätte Fieber. Tatsächlich klopfen die eigentlichen Symptome erst in ein paar Tagen an. Aber dazu später mehr.

Tag 1 mit dem Coronavirus beginnt für mich ziemlich stressig: Auf meinem digitalen PCR-Ergebnis befindet sich kein Code, den ich in meine Warn-App eingeben kann. Da es mir aber wichtig ist, die Leute zu informieren, mit denen ich Kontakt hatte, rufe ich die Hotline an, die Infizierten-Codes vergibt. Nach 60 Minuten in der Warteschlange habe ich den Schlüssel zum Glück. Den Rest des Tages verbringe ich damit, allen möglichen Leuten in meinem Umfeld mitzuteilen, dass ich krank bin. Symptome melden sich noch keine, aber ich trinke vorsorglich besonders viel Tee.

Tipp 1: Wer gehört zum inneren Kreis?

Überlegt euch, wem ihr von eurer Infektion erzählen wollt – und wem besser nicht. Wenn ihr Live-Ticker aus eurer Virenhöhle machen wollt, so be it. Ich zum Beispiel war bestens unterhalten von Margarete Stokowskis Corona-Rage auf Twitter und fühlte mich sehr verstanden.

via Margarete Stokowski auf Twitter

Ich stelle jedoch schnell fest, dass ich manchen Personen besser nicht von meinem positiven Test erzählt hätte. Alle zehn Minuten werde ich nach Status-Updates gefragt. Die ganze Anteilnahme ist zwar lieb gemeint, verunsichert mich aber. Jede neue Nachricht, die aufploppt, stresst mich plötzlich, statt mich zu freuen. Deswegen mein Tipp: Macht euch bewusst, wem ihr von eurer Erkrankung erzählen wollt und welche Konsequenzen das gegebenenfalls haben könnte.

An Tag 2 und 3 arbeite ich im Homeoffice und denke, das passt schon. Mein Geruchs- und Geschmackssinn verabschieden sich. Da ich das leider bei jeder größeren Erkältung durchmache, bin ich zwar genervt, aber nicht beunruhigt. Was hilft: An stark riechenden Dingen zu schnüffeln und sich freuen, wenn doch etwas im Gehirn ankommt. Zum Beispiel an Kaffeebohnen, Essigessenz oder Stinkekäse. Hervorragend eignen sich auch bunte Badebomben, die sehen nämlich nicht nur schön aus, sondern duften meist auch sehr intensiv und trainieren so ein bisschen euer geliebtes Riechorgan.

Da ich meinen Krankheitsstatus öffentlich auf Instagram mitgeteilt habe (siehe Tipp 1), hagelt es im Minutentakt Literatur- und Serientipps, gute Ratschläge und exklusive medizinische Anweisungen. Und das, obwohl ich gar nicht danach gefragt habe. Ich beginne damit, mir eine Liste anzulegen, auf der alle Dinge stehen, die mir empfohlen werden. Und Aktivitäten, die ich in der Isolation endlich mal machen kann: Fenster putzen, mein Regal streichen, ihr wisst schon. Das wäre dann auch die perfekte Überleitung zu Tipp Nummer 2:

Tipp 2: Was anderen hilft, hilft nicht automatisch auch euch

Sollte eh klar sein. Vergisst man aber schnell mal, wenn man krank und ein bisschen bedürftig im Bett liegt und sich nach Unterhaltung und/oder Hilfestellung sehnt. Mich persönlich überfordert es plötzlich, vor meinem inneren Auge einen Stapel Bücher aufgetürmt zu sehen, die ich nun lesen könnte. Ich habe keinen Ingwer und keine Zitrone im Haus, kann also nichts mit gesunden Aufguss-Tipps anfangen. Und ehrlich gesagt bade ich wahnsinnig ungern, will also nichts von „Mach dir eine schöne Badewanne!“ wissen.

Ich weiß, dass alle Ratschläge mehr als gut gemeint sind - am Ende bewirken sie aber das Gegenteil ihrer eigentlichen Mission: Sie stressen mich. Es dauert ein bisschen, bis ich merke, dass ich eigentlich gar nichts tun muss. Nicht lesen, nicht baden, nicht fernsehen. Einfach nur wieder gesund werden.

Tag 4 kommt und ich merke, dass das mit dem Homeoffice vielleicht doch keine so gute Idee ist. Für jede Aufgabe brauche ich ewig – das Schneckentempo ist mein neuer way of life. Ich lasse mich krankschreiben, poste aber weiter munter auf Instagram. Schließlich habe ich süße Häschen-Schattenspiele gelernt. Und dann macht es mir besonders großen Spaß, meinen Kopf in Kunstwerke reinzumontieren, die krank im Bett liegen. Irgendwie ist das ja auch Entspannung, finde ich. Mittlerweile habe ich Husten und Schnupfen bekommen, fühle mich matt und könnte den ganzen Tag schlafen. Im Endeffekt mache ich das dann auch.

Tipp 3: Den News-Ticker stumm schalten

Eine Sache, die unfassbar beunruhigt, sind die Meldungen über steigende Inzidenzwerte, überfüllte Intensivstationen und aktuelle Todeszahlen. Ich will zwar irgendwie auf dem Laufenden bleiben, „am Leben teilnehmen“, aber die ständigen Hiobsbotschaften machen mich fertig. Auf Instagram lese ich, dass man bei Kurzatmigkeit und Schwindelgefühl lieber den Arzt oder die Ärztin informieren soll. Na toll! Ich deinstallierte zahlreiche Apps und versuche, mich nicht in meine Krankheit reinzusteigern – klappt nur so semi-gut, das kann ich euch verraten.

An Tag 5 merke ich, dass mich wirklich alles sehr anstrengt. Ich bereite mir einen Selleriesaft zu, weil ich irgendwo mal gelesen habe, dass der verdammt gesund sei. Und weil ich absurd viel Sellerie im Haus habe. Das Gesöff sieht zwar fantastisch giftig-grün aus, schmeckt aber leider wirklich furchtbar. Ich wanke mittags einmal zum Briefkasten (mit Maske natürlich) und bin danach völlig k.o. Unheimlich viele Menschen bieten ihre Unterstützung an und fragen, ob sie etwas für mich tun können. Ich bin froh.

Freundinnen bringen Gebäck und Blumen, die Familie versorgt mich mit Schokolade und Taschentüchern. Abends kommt auch noch der REWE-Lieferservice, der mir meine Einkäufe ins Dachgeschoss trägt. Obwohl ich im „normalen Leben“ versuche, diese Dienstleistung Menschen zu überlassen, die sie nötig haben, bin ich sehr begeistert und dankbar. Kleiner Tipp: Eine ordentliche Menge Kleingeld im Haus ist ziemlich hilfreich und sorgt dafür, dass jeder Paketbote und jede Zustellerin ein Trinkgeld bekommen!

Tipp 4: Nehmt Hilfe in Anspruch

Ihr seid krank. Es muss euch nicht Leid tun, wenn ihr Essen bestellt, Freunde um Hilfe bittet oder Familienmitglieder nach einem Gefallen fragt.

Für alle, die (wie ich) im kranken Zustand noch weniger kochen wollen als sowieso: Eine Virusinfektion ist der denkbar blödeste Zeitpunkt um Kalorien zu zählen oder auf strikte Ernährung zu achten. Schiebt eine Pizza in den Ofen, bestellt Ofenkäse oder lasst euch eine tolle Pasta zaubern. Es ist super, wenn ihr Appetit habt – tut eurem Körper mal einen großen Gefallen und esst, worauf ihr Lust habt. In meinem Fall war das eine Menge Schokolade und (irre!) rote Paprika. Vielleicht wusste mein Unterbewusstsein ja, dass die mehr Vitamin C haben als ihre gelben und grünen Kolleginnen und sogar mehr als eine Zitrone!

Obwohl ich dachte, dass es mir an Tag 6 langsam besser gehen müsste, ist heute der schlimmste Tag. Alles schmeckt fad, obwohl mein Geschmackssinn langsam wiederkommt. Ich bekomme Fieber und liege den ganzen Tag im Bett. Das ewige schlechte Gewissen und der Drang, aktiv zu sein, nerven kolossal. Ich will weder Hörbuch hören noch Serien gucken, ich will die Tauben im Hof beobachten und dann wieder schlafen. Jeder noch so kleine Plan, und sei er erst für übermorgen, macht mir Angst. Wann ist das endlich vorbei?

Tipp 5: Nehmt euch Zeit (und auch mal Medikamente)

Mit sich selbst Geduld haben, ist ja bekanntlich eher eine der schwierigeren Aufgaben. Überschätzt euch nicht, gönnt euch Ruhe und verzweifelt nicht, wenn es mal nicht sofort klappt. Lieber ein paar Tage länger rumliegen als zu früh wieder hohe Sprünge zu wagen. Klingt nach Kalenderspruch, ist aber so! Außerdem: Ibuprofen hilft, wenn ihr Kopfschmerzen oder Gliederschmerzen habt. Irgendwie bin ich dem blöden Irrtum aufgesessen, mein Körper würde das schon alleine wuppen, ohne Hustensaft, Schmerztabletten und Co. Klar, irgendwann werdet ihr auch so gesund – macht aber ohne Schmerzen mehr Spaß. Einzige Einschränkung: Bitte die Packungsbeilage lesen und, klar, auf Alkohol verzichten.

An Tag 7 und 8 geht es mir langsam besser. Auch meine Schnelltests, von denen ich in dieser Woche wirklich absurd viele gemacht habe, sind endlich wieder negativ. Deckt euch auf jeden Fall mit einer beruhigenden Menge Tests ein, bevor ihr in Quarantäne geht, ihr werdet sie brauchen. Alle!

Außerdem höre ich tatsächlich mal ein Hörbuch. An dieser Stelle sei gesagt, dass „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ von Ottessa Mosfegh zwar nach der passenden Literatur für die Art von Siechtum klingt, in dem ihr euch während einer Viruserkrankung befindet, aber ein ziemlicher Downtaker ist, wenn ihr sowieso schon krank und missmutig im Bett liegt. Ebenfalls nicht unbedingt empfehlenswert für die Tage im Krankenlager: „Der Goldene Handschuh“.

Stattdessen kann ich euch folgende fantastische Dauerbrenner ans Herz legen, die ihr alle kostenlos auf Spotify anhören könnt: „Die drei ???“, „Land in Sicht“ von Ilona Hartmann, „Neue Vahr Süd“ von Sven Regener und „Take That“ von Anja Rützel.

Serien gucke ich in meinen COVID-Tagen total kreuz und quer: Hier eine Staffel von „Please Like Me“, dort zum x-ten Mal das Finale von „Game of Thrones“. Ich sehe mir endlich „Don't Look up“ an und verliebe mich ein bisschen in Adam Driver in seiner Rolle als Charlie in „Marriage Story“. Die neue Staffel von „The Witcher“ packt mich irgendwie nicht, dafür gebe ich „Ozark“ noch eine Chance und weine ein paar Tränen bei „Pose“.

Vermutlich bin ich die typische Millenial-Netflix-Nutzerin: Kann sich nicht festlegen, schaltet mittendrin aus und ist sowieso die ganze Zeit nebenbei am Handy. Aber länger als 20 Minuten am Stück kann ich mich sowieso momentan nicht konzentrieren. Ein Film, der mich dann doch abgelenkt hat, war „Frau im Dunkeln“, in dem die fantastische Olivia Colman Urlaub in Griechenland macht und ihr Leben reflektiert. Die Geschichte beruht auf Elena Ferrantes Roman „The Lost Daughter“ - Regie geführt hat keine Geringere als Maggie Gyllenhaal. Klingt gut? Ist gut!

Tipp 6: Schießt alle Tipps in den Wind – auch diesen hier!

Wenn euch in den letzten Absätzen eins deutlich werden sollte, dann ist das wohl der Rat, auf euch selbst zu hören. Allen Buch- oder Serientipps, Hilfestellungen und Warnungen zum Trotz habt ihr während eurer Erkrankung hoffentlich die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und auf euer Bauchgefühl zu hören. Pläne canceln, Anrufe nicht beantworten und eine mehrtägige Abwesenheitsnotiz im Mailprogramm einrichten, darf sich in diesem Fall mal gut anfühlen. An allererster Stelle wünsche ich euch, dass ihr das schlechte Gewissen und den Großteil der Sorgen ein bisschen zur Seite schieben und einfach mal ein bisschen abhängen könnt. Aber ich weiß, dass das in der Realität oft verdammt schwierig ist – und Corona nervt!

In diesem Sinne: Bleibt gesund. Oder: Gute Besserung!

Mein persönliches Corona-Kit:

Und hier kommt die ultimative Playlist für die Quarantäne oder Isolation – mit Humor zu genießen!

Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.

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