Felix’ Hochzeitskolumne – Queere Ehe: Politischer Meilenstein oder konservative Norm?

Felix’ Hochzeitskolumne – Queere Ehe: Politischer Meilenstein oder konservative Norm?

Teil 1: Trotz offener Beziehungsmodelle, Love Triangles und dem nachhaltigen Zynismus, der mich als Single überleben ließ, merkte ich nach zwei Jahren Beziehung: Holy shit, I wanna get married!

Trotz offener Beziehungsmodelle, Love Triangles und dem nachhaltigen Zynismus, der mich als Single überleben ließ, merkte ich nach zwei Jahren Beziehung: Holy shit, I wanna get married!

Noch in der Generation meiner Großeltern gab es keinerlei Diskussion: Es wird geheiratet, so gehört sich das. Oma musste die Schule abbrechen und lernte Haushalt. Opa stand jeden Morgen um 5 Uhr auf, fuhr zur Arbeit und ist seinen Kindern bis heute fremd. Es ist ein Leben, das nach heutigem Verständnis alles andere als eine erfüllende Existenz darstellt. Und doch sind wir Millennials, obwohl wir uns dagegen sträuben, noch stark von ihr beeinflusst. So ging es auch mir. Trotz offener Beziehungsmodelle, Love Triangles und dem nachhaltigen Zynismus, der mich als Single überleben ließ, merkte ich nach 2 Jahren Beziehung: Holy shit, I wanna get married!

Wie tot ist Romantik wirklich?

Als queere und non-binäre Menschen sind wir mit der Selbstverständlichkeit aufwachsen, uns einen Plan B fürs Leben jenseits der Norm ausdenken zu müssen. Schon als Kinder erkennen wir die eigene Deplatziertheit und müssen akzeptieren, als kein valider Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Spätestens als junge Erwachsene lernen wir, unser Trauma als Chance auf echte Freiheit und Selbstbestimmung jenseits dieser Normen zu nutzen. Was will ich vom Leben? Will ich überhaupt eine (feste) Beziehung? Welches Leben könnte ich ohne feste Partner*innenschaft haben?

Doch auch die Freiheit in Queerness hat ihre Herausforderungen: Was, wenn ich heiraten und Kinder will? Ist Monogamie tatsächlich vorbei? Und darf ich Romantik 2021 noch gut finden? Es ist die typische Zwickmühle der Mitzwanziger in Metropolen: Die Ablehnung bekannter Traditionen gehört zum guten Ton; das Must-have sind postmoderne Beziehungsmodelle. Je einzigartiger, desto besser. Doch innerhalb dieser Bubble etabliert sich wiederum ein Mainstream, der Monogamie, geschweige denn Ehe, kategorisch ausschließt. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten in exakt diesen Strukturen aufwuchsen und ihre Werte daran zwangsläufig orientieren (positiv wie negativ). Und ohne utopische Vorstellungskraft, dass etwas Eingestaubtes wie das Ehegelöbnis so gestaltet werden kann, wie es auf die Einwilligenden passt. 

Das soll keinesfalls heißen, dass die Ehe oder Monogamie für jede*n etwas ist. Definitiv nicht. Eine solche kulturelle Institution komplett zu ignorieren und sich der Illusion hinzugeben, dass man absolut nichts damit zu tun habe, ist jedoch auch nicht der richtige Weg. Und es schadet, wenn man nicht bereit ist, ehrlich mit sich und den eigenen, mitunter kitschigen, Wünschen zu sein.

Mir einzugestehen, dass ich romantischer und konservativer eingestellt bin, als ich dachte, war für mich ein wichtiger Schritt in Richtung Beziehung und glücklich sein. So spannend und passend eine offene Beziehung zu zweit oder mit mehreren Personen für viele ist, der Druck innerhalb der Queer Community in diese Richtung bedeutet nicht unbedingt Fortschritt. Für viele ist es ein Befreiungsschlag, macht zufrieden und gehört natürlich akzeptiert. Teilweise werden diese Modelle allerdings als Mittel genutzt, sich nicht mit der eigenen Verletzlichkeit auseinandersetzen zu müssen und umgehen den zentralen Gedanken jeglicher Beziehungen somit grundlegend. 

Ich habe gelernt: Romantik furchtbar zu finden, war auch eine äußere Einstellung, die ich ehrlicherweise ablegen musste. Wenngleich sie nicht für alle das Richtige ist, kann man sie individuell auferstehen lassen und sich darin suhlen. 

Darf ich heiraten?

Die ersten Wochen nach meinem überraschenden Heiratsantrag in der unkonventionell romantischsten Stadt der Welt – Porto – glichen einem rosaroten Sepiafilm ohne Sorgen und Ängste. Das erreichte Level an Freude und das neue Gefühl von Verbindlichkeit mit meinem Partner fühlten sich so gut an, dass ich ganz vergaß, wie ich das Thema Heiraten in meinem vorigen Leben wahrgenommen hatte. Als Kind der Neunziger und Zweitausender war ich mit der (gerechtfertigt?) pessimistischen Einstellung aufgewachsen, entweder nie oder erst in einigen Jahrzehnten heiraten zu können. Vom Staat nicht anerkannt zu werden, geschweige denn von Leuten auf der Straße, ist ein Gefühl, das viele mit mir teilen. Wer das ganze Leben lang Gewalt von Fremden erfahren hat, passt die eigenen Erwartungen an Gerechtigkeit entsprechend an, so traurig oder paradox es sein mag.

Glücklicherweise kam es anders, als 2017 die Ehe für alle legalisiert wurde und ich damals zum ersten Mal den Effekt des rosaroten Sepiafilters erlebte. Zu der Zeit war unsere Beziehung erst ein Jahr alt, Edelmetallschmuck und standesamtliche Liebesbekundungen noch in weiter Ferne. Trotzdem erinnere ich mich gut an den Moment voller neuer Perspektiven, den dieses Urteil mit sich brachte. Ich stand in meiner kleinen Prenzlauerberg-Wohnung, als ich die Nachricht las – und musste weinen. Weil es ein Meilenstein im deutschen Recht war. Aber besonders, weil ich um die Negativität trauerte, die mich all die Jahre zuvor begleitet und sich nun, einfach so, in Luft aufgelöst hatte.

Deutsche Bürokratie – Queerer Hochzeitskiller?

Auf Romantik und Selbstreflexion folgt der Ernst des Heiratens: Formulare galore. For your pleasure! Dass der Staat so etwas Abstraktes wie Liebe zwischen zwei Menschen per Antrag und Zeremonie attestiert, ist schon seltsam genug, wenn man mal darüber nachdenkt. Der Wust an Anträgen, Terminen, Terminen zur Terminvereinbarung und Terminen zur Terminbestätigung ist jedoch selbst für deutsche Staatsbürger*innen ein neues Bürokratie-High. Und: So groß der Beschluss der Ehe für alle auch ist, queere Paare haben noch immer mit einigen Seltsamkeiten zu kämpfen, wenn sie heiraten wollen. 

Es fängt an mit einigen Formularen, die automatisch eine*n Heiratswillige*n als Mann und die andere Person als Frau kategorisieren. Auch beim Namen gibt es eine Kuriosität, die allerdings auch auf heterosexuelle Paare zutrifft. Nur eine*r kann einen Doppelnamen annehmen, nicht aber beide. Auf gut Deutsch: Eine Person, früher war es die Frau, ordnet sich unter, indem sie die Zugehörigkeit zum Partner durch den Doppelnamen markiert. Heute kann theoretisch auch ein Mann oder eine non-binäre Person den Doppelnamen annehmen, das Konstrukt bleibt aber in den Wurzeln dasselbe. Warum dürfen Paare nicht gleich(berechtigt) heißen? Wegen der limitierten Namensoptionen und meinem Wunsch nach Veränderung nahm ich den Namen meines Mannes an und heiße nun Felix Jung. Selbst diesen Namen muss ich permanent buchstabieren, liegt's an mir?

Es gab allerdings eine Situation, die mich wirklich wütend machte. Auf Formular XY 318b werden Paare gefragt, ob sie eine Übersetzung der Eheurkunde, z.B. für Auslandsaufenthalte, bekommen möchten. Wir kreuzten an, dass wir gerne eine auf Englisch hätten, why not? Als Antwort erhielten wir, dass dies bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht möglich sei, da nicht alle Länder auf der Welt unsere Ehe akzeptieren. Was Sie nicht sagen! Es wäre lustig, wäre es nicht so bescheuert und tragisch. Warum bieten deutsche Standesämter diesen Service kostenlos, proaktiv (und ohne Homo-Vermerk!) an, um dich dann auf diese Offensichtlichkeit per Post hinzuweisen? Das Schwenken der übersetzten Eheurkunde bei der Einreise nach Dubai muss wohl leider ausfallen.

Wie es weitergeht

Ob und wie man heiraten möchte, ist eine schwierige Frage, die es individuell und persönlich zu beantworten gilt. Wenngleich der Gedanke an eine Ehe für viele vorrangig Negativbeispiele aus der eigenen Familie reproduziert, habe ich mich davon frei machen können und bin zufrieden, auch auf dem Papier mit meinem Geliebten zusammen zu sein. Gleichermaßen kann ich verstehen, dass Heiraten nicht für alle das passende Lebensmodell ist, da es auf viele heutige Beziehungen schlichtweg nicht zugeschnitten ist. 

Ob Ehe oder nicht, bei der persönlichen Reflexion über Lebenswünsche, Intimität und Liebe, sollten wir radikal ehrlich zu uns sein. Uns weder von gesellschaftlichen Konventionen leiten lassen wie unsere Großeltern, noch von hippen Beziehungsmodellen der Großstädte, die ebenfalls nicht für alle ideal sind. Liebe und Beziehungen entstehen nur dann, wenn Ehrlichkeit und Verletzlichkeit im Spiel sind, die uns nachhaltig zusammenbringen. Das ist die Hauptsache und gehört gefeiert.

Im nächsten Teil der Hochzeitskolumne wird es um unseren Hochzeitstag, Partyplanung, Ringe, Outfits und wiederholte Nervenzusammenbrüche gehen. Stay tuned!

  • Fotos:
    William Veder

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