Waschen ist Würde

Waschen ist Würde

GoBanyo bringt Duschmöglichkeiten zu Menschen auf der Straße

Duschen, Pflegen, Wohlfühlen: Das Hamburger Unternehmen GoBanyo versorgt Hamburger Wohnungslose mit einer heißen Dusche und setzt sich für Wohnraum für alle ein

Eine heiße Dusche: das beste Mittel, um zu jeder Tageszeit die Lebensgeister zu wecken. Es ist eine Selbstverständlichkeit, über die die wenigsten von uns ernsthaft nachdenken, während die Lieblingsmusik im Hintergrund läuft und das nächste Outfit im Kopf entsteht. Doch für viele ist diese Selbstverständlichkeit ein seltener Luxus: Immer mehr Menschen werden in deutschen Großstädten in die Wohnungslosigkeit gedrängt. Einmal dort, wird es immer schwieriger, erneut Fuß in eigenen vier Wänden zu fassen, geschweige denn der persönlichen Hygiene ausreichend nachkommen zu können.

Zahlen aus dem Jahr 2018 zeigen, dass in Hamburg knapp 2000 Menschen auf der Straße leben, seit der Pandemie und den verursachten Jobverlusten, Mietrückständen und Preissteigerungen für Wohnraum hat sich die Situation noch weiter verschlechtert. 

Da Duschen, Toiletten und saubere Kleidung gerade für jene Menschen schwierig zu erreichen sind, die sie am nötigsten haben, gründeten Gülay Ulaş, Dominik Bloh, Tobias Peschel und Chris Poelmann 2019 GoBanyo. Mit seinem Duschbus und Hamburger Duschdorf bietet GoBanyo einen einfachen und würdevollen Zugang zu Sanitäranlagen für Menschen, die auf der Straße leben müssen.

Ich habe mit Gülay und Dominik über einen typischen Tag bei GoBanyo, weshalb Waschen ein Grundrecht ist und welche großen Ziele sie mit ihrem Unternehmen anstreben, gesprochen.

Gülay und Dominik, schön, dass ihr euch Zeit genommen habt. Wie ist die Idee für GoBanyo eigentlich entstanden?

Dominik: Die Idee eines Duschbusses kam von mir, der Name war Gülays Einfall. „Banyo“ ist in einigen europäischen Sprachen das Wort für Badezimmer und das „Go“ spiegelt den mobilen Aspekt unseres Duschbusses. Ein Bus, wie man ihn aus dem öffentlichen Nahverkehr kennt, nur umgebaut, mit drei voll ausgestatteten Badezimmern. Damit er direkt zu den Menschen in der Stadt fahren kann, die Zugang zu Sanitäranlagen brauchen. Es begann mit einem Crowdfunding, bei dem wir unfassbare 168.000 Euro eingenommen haben und so den Umbau finanzieren konnten. Seit Dezember 2019 sind wir nun mit dem ersten Duschbus Deutschlands unterwegs. 

Wo ist euer Duschmobil derzeit im Einsatz?

Gülay: Im Moment sind wir nur in Hamburg unterwegs, sind aber deutschlandweit und international vernetzt mit Organisationen und Projekten, die unsere Idee interessant finden und gerne bei sich umsetzen möchten. Neben dem Duschbus betreiben wir mittlerweile auch ein Duschdorf beim Hamburger Millerntor-Stadion und bauen aktuell das zweite Duschmobil. Wenn der Bedarf in Hamburg schon gedeckt sein sollte, werden wir damit vielleicht in andere Städte ziehen. 

Was macht das Duschen so wichtig?

Dominik: Duschen, sich pflegen können, ist natürlich ein menschliches Grundbedürfnis. Jede*r fühlt sich wohler in der eigenen Haut, wenn man regelmäßig Hygiene betreiben kann. Und das ist etwas, was auf der Straße fehlt. Es gibt schätzungsweise 2000 Menschen in Hamburg, die auf der Straße leben müssen, aber nur 20 Duschplätze. Viele davon nicht barrierefrei, manche kosten Eintritt, manche sind defekt oder haben lange Wartelisten. Das Angebot ist nicht ausreichend gewesen und wer sich dreckig fühlt, schämt sich und sucht meistens nicht die Wege ins Pflegesystem. Daher kam uns die Idee mit dem mobilen Bus, als eine Form der Hilfe zur Selbsthilfe. Wer duschen kann, sich sauber fühlt, noch saubere Klamotten bekommt, findet eher den Mut, auch die nächsten Schritte zu gehen. Es ist ein Recht, das allen zusteht.

Und was sind die Reaktionen eurer Duschgäst*innen?

Gülay: Was ich miterlebe, ist das Gefühl, endlich wieder frisch zu sein. Das drückt sich ganz unterschiedlich aus. Die einen geben ganz ausführliches Feedback zur Wassertemperatur und den Pflegeprodukten, geben uns Tipps, z.B. zur kleineren Größe der Produkte, damit man sie besser mitnehmen kann. Und andere sprechen gar nicht viel und wollen direkt weiter oder gehen zur Arbeit. 

Dominik: Viele der Gäst*innen kommen regelmäßig zu uns und es ist krass, diese enorme Dankbarkeit für etwas Selbstverständliches zu spüren. Wir bekommen eine große Wertschätzung für unsere Arbeit, weil es etwas ist, das den Menschen sehr gefehlt hat. GoBanyo ist für einige ein fester Teil ihres Alltags.

Wie oft seid ihr im Einsatz und wie sieht ein typischer Tag bei GoBanyo aus?

Gülay: Im Moment sind wir an fünf Tagen der Woche jeweils mit Duschbus und Duschdorf in Betrieb. Wir stehen mit dem Bus u.a. am Hamburger Hauptbahnhof und am Museum für Kunst & Gewerbe, wo der Bedarf ziemlich hoch ist. Das Duschdorf befindet sich vor dem Amtsgericht an der Glacischaussee und richtet sich eher an jene, die uns fest in ihrer Struktur haben und den Weg dorthin schaffen. Beim Bus kommen mehr Leute vorbei, die sich spontan entscheiden.

Wie finanziert und organisiert sich GoBanyo?

Gülay: Wir stemmen das Ganze mit einem hauptamtlichen und ehrenamtlichen Team, die etwa 50/50 aufgeteilt sind. Es ist uns wichtig, dass wir ein konstantes Angebot bieten können und nicht alles auf ehrenamtlichen Schultern lastet. 

Dominik: Wir sind eine gGmbH, also ein gemeinnütziges Unternehmen. Das heißt, wir arbeiten für das Allgemeinwohl und alles, was bei uns finanziert ist, bleibt auch im Projekt und geht nicht als Rendite an Gesellschafter*innen oder ähnliches. Wir sind immer noch stark auf Spenden angewiesen, schauen aber, wie wir uns zukünftig auf eigene Beine stellen können, hin zum Social Business. 

Wenn ihr euch den Impact eures Projekts anschaut: Was hat sich auf der Straße verändert, seitdem ihr mit GoBanyo gestartet seid?

Dominik: Ich empfinde ein klares Signal aus den Vierteln, in denen ich mich täglich aufhalte, dass GoBanyo ein Ort ist, wo Waschen mit Würde einhergeht. Dass wir ein Ort sind, der Herz und Professionalität vereint und das im System sonst oft fehlt. 

Gülay: Wir sind für alle Menschen auf der Straße offen und unterscheiden da nicht. Es ist egal, woher die Person kommt, welche Sexualität, welche Religion sie hat etc. Denn das wird in der Obdachlosenhilfe teilweise unterschieden. Wir sind auch für Leute da, die eine Wohnung, aber keine funktionierenden Sanitäranlagen haben.

Und was hat sich in der Politik bzw. Stadtverwaltung verändert, seitdem ihr mit GoBanyo gestartet seid?

Gülay: Wir mussten nie jemandem erklären, worum es bei uns geht. Egal, ob es die Stadt oder Sozialarbeiter*innen waren. Der Prozess mit der öffentlichen Hand zieht sich allerdings, unser Thema wurde in unterschiedlichsten Arbeitskreisen diskutiert und es passiert auch etwas. Allerdings nicht schnell genug.

Dominik: Der Duschbus hat aber so eine Strahlkraft bis in die Behörden und Ämter hinein, dass wir heute dort auf Augenhöhe Gespräche führen können.

Gülay: Wir sagen auch immer, dass es nicht darum gehen kann, immer mehr Duschen auf die Straße zu bringen. Das eigentliche Ziel muss sein, Leute in eigenen Wohnraum zu bringen. Mit unserem Projekt wollen wir Aufmerksamkeit auf diese große Lücke lenken und zukünftig auch selbst im Bereich Unterbringung aktiv werden. „Housing First“ ist genauso wichtig wie „Waschen ist Würde“.

Ich würde gerne noch wissen, was ich, was wir als Gesellschaft tun können. Was braucht es, damit sich die Lage für Menschen auf Straße nachhaltig verbessert bzw. Menschen nicht mehr auf der Straße leben müssen? 

Gülay: Eine Sache fällt mir sofort ein. Wir brauchen viel mehr Menschen, die sich um Einzelfälle kümmern. Der Schlüssel von Sozialarbeiter*innen ist viel zu hoch, eine Person muss pro Woche teils 50 Menschen betreuen. Das ist eine große Lücke in unserem System, sowohl auf der Straße, als auch bei Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. Besonders seit Corona sind super viele Leute in Mietrückständen, sind auf Wartelisten für Wohnungsnotstand. Allein in Hamburg wurden 4000 Fälle eingereicht von Haushalten, die kurz davor sind, ihre Wohnung zu verlieren. Nur 300 Fälle wurden bearbeitet. Es gibt also viel zu wenig Menschen, die sich um diejenigen kümmern, die kurz davor sind, auf der Straße zu landen. 

Dominik: In unserer Gesellschaft wünsche ich mir mehr Mut, aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden. Zeit schenken, aufmerksam sein und jemanden kennenlernen. Aus diesem Schritt kann ganz viel entstehen, womöglich sogar eine tolle Beziehung, die dir ganz neue, bereichernde Einblicke schenkt. Wer Gutes tut, bekommt Gutes zurück.

Wunderbar gesagt. Ich danke euch für das Interview und eure Zeit!

Wenn ihr GoBanyo unterstützen möchtet, könnt ihr zum Beispiel ehrenamtlich helfen, dazu müsst ihr nu eine E-Mail an freiwillig(at)gobanyo.org senden. Keine Zeit? Dann spendet doch Geld, das geht über das Pendenkonto oder einfach über Paypal. Oder ihr spendet Sachen: Gebraucht werden Einwegrasierer, Unterwäsche, Socken, Bodylotion, Aftershave und Rasierschaum. Mehr über alle Spendenmöglichkeiten erfahrt ihr hier.

Foto Credits: Julia Schwendner

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