Die Papa-Kolumne Teil 4: Die erste Zeit

Die Papa-Kolumne Teil 4: Die erste Zeit

...zu dritt, zu Hause, in der Realität. Wie fühlt man sich, wenn man auf einmal Papa ist, überglücklich und todmüde?

Zu dritt verlässt Niels das Krankenhaus und stellt fest: Jetzt ist sie da, die Realität als Papa. Und sie ist härter, schöner und bittersüßer, als er es sich je erdacht hatte...

Da waren wir also. Zu Hause. Zu dritt. Meine Freundin überkamen die Emotionen. Sie brauchte erst einmal ein paar Minuten für sich. Die letzten Tage und vor allem die Nächte im Krankenhaus hatten sie ordentlich mitgenommen. Zuerst teilte sie sich ein Zimmer mit einer Frau, die fast die ganze Nacht weinte, sie hatte einen schweren Verlust erlitten. Dann wechselte sie das Zimmer. Nun teilte sie es sich mit einer anderen jungen Mama. Nur weinte ihr Kleiner die ganze Nacht. Diese permanenten Eindrücke und der Druck, unser Baby ordentlich stillen zu müssen, hatten an ihrem Gemüt genagt. Verständlicherweise. 

Es war etwas komisch, nun allein zu sein. Im Krankenhaus ist ja irgendwie immer Trubel. Ob in der Smoking Area am siffigen Mülleimer, in der schmackhaften Cafeteria oder aber im Besucherraum, voller „Oh wie süß“. Zu Hause war es still. Nur wir drei. Niemand, der einem nun Tipps gab und den man um Rat fragen konnte. Ich fand das etwas beängstigend. In Film und Fernsehen sah das Alles immer irgendwie anders aus. Aber Rettung war in Sicht.

Am Abend sollte unsere Hebamme kommen, die wir schon aus dem Geburtsvorbereitungskurs kannten. Sie würde uns sicherlich sagen, dass alles gut sei und wir uns keine Sorgen machen müssten. Sie sagte uns, die Kleine sei etwas zu gelb. Relativ normal bei Babys. Aber man müsse es beobachten. Wenn sie ordentlich trinken würde, ginge das von ganz alleine weg. Ach ja und an Gewicht müsse sie auch zulegen. Wir sagten ihr, dass es mit dem Stillen nicht so wirklich gut klappt. Sollten wir ihr vielleicht das Fläschchen geben? „Nein“, sagte sie. Wir könnten ja abpumpen und ihr es mit einem kleinen Löffel oder einer Spritze geben, dabei Spritze und den kleinen Finger gleichzeitig in den Mund stecken. Das klang doch alles wunderbar. 

Übrigens sollten wir sie auch nicht zu lange schlafen lassen, lange Schlafen war also nicht zwingend gut, sondern könnte auf eine Lethargie deuten. Noch besser. Nun sollten wir unser schlafendes Kind alle zwei Stunden wecken, um es dann mit abgepumpter Milch, einer Spritze und dem kleinen Finger zu füttern. Ach ja, im Hellen. Also Licht an. Falls es gerade Nacht sein sollte. Damit sie auch ja schön wach wird. Wickeln würde auch helfen. Oder ein bisschen Zwicken. Ok. 

Also nochmal zum Mitschreiben. Meine Freundin sollte abpumpen mit einem Gerät, das wie ein Trabant 601 klang, danach wird Licht angemacht, gezwickt und oder gewickelt, danach Finger in den lethargischen Babymund und rein die Spritze, alle zwei Stunden, Tag und Nacht. Easy. Sonst noch was? Ach ja, Haushalt, Einkaufen, irgendwelche U-Untersuchungen und nicht zu vergessen der Druck, das immer gelber werdende Kind nicht richtig zu ernähren und gegebenenfalls nochmal ein paar Tage im Krankenhaus vorbeizuschnuppern. Da wäre wenigstens was los, in der Smoking Area – mit oder ohne Bein. Nein, im Film und Fernsehen sah das alles anders aus. Das alles war hart zu verkraften. Es zehrte an unseren Nerven. Wir waren müde. So unglaublich müde. Denn diese Spielchen gingen über Wochen. 

Ihre Gelbsucht war allerdings weg und sie nahm zu. Gott sei Dank. Dafür hatte sie jetzt Koliken. Auf gut Deutsch, sie musste furzen, konnte es aber nicht. Tja, der Herr gibt und der Herr nimmt. Die Müdigkeit führte dazu, dass wir uns über jeden Furz oder eben Nichtfurz stritten. Es machte mich traurig, unsere Beziehung so zu sehen, meine Freundin so zu sehen, mich so zu sehen. Ich sah noch nie so kacke aus. Und ich bin ziemlich eitel. Ich bekam wieder Pickel, verlor ein paar Haare, putzte mir manchmal erst um 14 Uhr die Zähne und schob mir beim Vorbeigehen am Kühlschrank schnell irgendeinen Scheiß rein, der hoffentlich lange satt machen würde. 

„ „Nein, im Film und Fernsehen sah das alles anders aus. Das alles war hart zu verkraften. Es zehrte an unseren Nerven. Wir waren müde.“ “

Irgendwann reichte es uns. Wir entschieden uns für das Fläschchen! Für fertige Babymilch in Pulverform, abgepackt in einer silbernen Tüte. Eine Erlösung und eine der besten Entscheidungen, die wir als junge Eltern trafen. Das Kind war satt, fleischfarben und heulte irgendwie nicht mehr, als hätte endlich jemand den Ausknopf gefunden. Meine Kleine bekam ein Bäuchlein und ein Doppelkinn. So sollte es sein! Auch die Fürze kamen nun. 

Wir waren glücklich. Die Zeit verging wie im Flug. Ich ging so viel spazieren wie nie zuvor. Ich beobachtete meine Kleine, wie sie die Blätter der Bäume im Wind beobachtete. Das unbeschreibliche Gefühl, wenn sie an einem hing und zufrieden schnarchte oder wenn sie unbeholfen mein Gesicht tätschelte und dabei über beide Ohren grinste. Es war mittlerweile Frühling und das tat gut. Mein Vitamin-D-Haushalt war auf einem Rekordtief und endlich mussten wir unser Süßen keine zehntausend Schichten mehr überstülpen, um sie dann, wegen Nummer Zwei, wieder komplett auszupellen. 

Wir saßen seit langer Zeit mal wieder in Cafés mit Freunden. Viele hatten noch keine Kinder. Deswegen wollten sie möglichst viel von unseren Abenteuern erfahren. Immer dieselbe Leier. Wie auf Arbeit, wenn man frisch aus dem Urlaub von den Malediven kommt und voller Inbrunst von Cocktails am Strand labert und sich dann beim letzten Kollegen nur noch fragt, ob man ein kleines Alkoholproblem hat. 

Wir gingen auch das erste Mal auswärts essen, das erste Mal zu dritt, im Fischschuppen in Friedrichshain. Wir aßen Happen in Etappen. (Ich könnte doch noch Rapper werden). Das wurde irgendwann unsere Paradedisziplin, abwechselnd zu essen. Schon beim Karte checken machten wir uns Gedanken, wer wann was isst. Sushi in der Sonne war schwierig. 

Das liegt schon vier Jahre zurück, es war eine turbulente Zeit. Eine Zeit, in der ich viel über Kinder, Beziehungen aber auch über mich selbst gelernt habe. Was ich alles kann und was ich alles nicht kann. Das Leben ist eben doch bittersüß.

Am letzten Samstag waren wir bei Freunden im Speckgürtel zum Grillerchen verabredet. Mit der Großen und der Kleinen, die vor kurzem schon ihren ersten Geburtstag feierte. Unglaublich. Wir aßen Salat und Würstchen. In Etappen. Es wurde etwas spät und als wir zu Hause ankamen, ging es für die Mädels direkt ins Bett. Ich legte meine Große schlafen. Draußen war es schon dunkel. Durch das weit geöffnete Fenster leuchtete eine alte Straßenlaterne vom Parkplatz direkt in ihr Zimmer. Ein warmes Orange schien auf meine Glatze. Über den Dächern blinkte die Spitze des Fernsehturms, wir lauschten Yakari und den Fledermäusen vor unserem Plattenbau. Sie schlief innerhalb von Sekunden ein. Ich blieb noch eine ganze Weile bei ihr sitzen. Bittersüß.

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