Goodbye to Berlin – oder: Warum ich das Kaff der Großstadt vorziehe
Ende Februar ist es so weit, ich ziehe in meinen 600 Kilometer entfernten Heimatort zurück. Warum? Das frage ich mich auch ein bisschen!
Ende Februar ist es so weit, ich ziehe in meinen 600 Kilometer entfernten Heimatort zurück. Warum? Das frage ich mich auch ein bisschen!
Ich habe vor vielen Jahren, als ich noch gar nicht hier lebte, das Buch „Goodbye to Berlin“ von Christopher Isherwood gelesen. Ein bisschen so fühle ich mich jetzt. Vielleicht etwas weniger Bohème und Schrägheit, aber doch in so einem Zwischenstadium. Die Stadt hat mich genauso verschlungen wie den Autoren. Und mich heile wieder ausgespuckt, damit ich weiterziehen kann.
Was bewegt einen zu so einer Entscheidung? So, so viel! Ich wohne seit fast acht Jahren in Berlin und mir wurde schon nach ein paar Jahren klar, dass Berlin und ich nicht alt werden. Zumindest nie so richtig. Nicht 60 und auch nicht 50. Und jetzt werden wir noch nicht einmal 30 miteinander. Die Überzeugung Berlin in ein paar Jahren zu verlassen, ist seit der Geburt unseres ersten Kindes in Stein gemeißelt. Denn irgendwie habe ich ein komisches Gefühl, meine Kinder in Berlin auf die Schule zu schicken.
Von Ängsten und Sorgen mit Kleinkindern
Ich weiß gar nicht warum, vielleicht wegen des Schulweges. Ich bin damals immer mit meinem besten Freund zur Grundschule gelaufen. Später sind wir den Berg mit unseren City Rollern heruntergedüst. Ich mochte meinen Schulweg immer sehr gern. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Kinder alleine in der U-Bahn in einer Großstadt wie Berlin zur Schule fahren müssen, wird es mir sehr mulmig. Und ich bin wirklich nicht zimperlich oder besonders ängstlich. Also Umzug war die Devise, spätestens bis zum Schuleintritt unserer Älteren.
Der erste Spaziergang
Nun leben wir aber seit zweieinhalb Jahren im fünften Stock ohne Aufzug. Man könnte sagen, das hätten wir uns vorher überlegen können, aber glaubt mir, ihr nehmt, was ihr kriegen könnt auf dem umkämpften Wohnungsmarkt – der übrigens in Bonn nicht besser ist! So und jetzt sitze ich mit zwei Kindern im fünften Stock und überlege immer dreimal, bevor ich die Wohnung verlasse, um mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel zu schaffen. Logistik kann ich inzwischen sowas von!
Zwischen Wolken leben macht auch nicht glücklich
Baby Nummer 1 ist da
Der fünfte Stock hält mich davon ab, den Müll regelmäßig runterzubringen (ja, müllfrei sind wir leider noch nicht), denn meistens habe ich meine zwei Kinder schon im Gepäck und eine volle Tasche am Arm baumeln und einfach keine Hand mehr frei, um noch irgendetwas mit runter zu nehmen. Wenn wir aus dem Urlaub nach Hause kommen, ist unser Auto nach drei Wochen noch immer nicht ganz leer geräumt, einfach, weil es unmöglich ist, neben zwei Kindern noch irgendetwas anderes in den fünften Stock zu tragen.
In der Natur mit Erdbeermund
Berlin war sehr gut zu mir, keine Frage. Ich habe meinen Liebsten und Vater meiner Kinder hier kennengelernt, ich habe schnell einen wunderbaren Freundeskreis aufbauen können mit Freundschaften, die mir auch in Bonn erhalten bleiben werden. Ich habe ein Studium abgeschlossen. Ich habe sehr, sehr viel gefeiert, viel über mich gelernt, wunderbare Menschen getroffen, schöne Ausstellungen besucht, berührende zwischenmenschliche Begegnungen gehabt und immer gutes Essen gegessen.
Was ich alles NICHT in Berlin gemacht habe
Ein noch ahnungsloses Einzelkind
Gleichzeitig war ich nicht einmal in der Oper oder im Theater hier. Ich kenne keine einzige richtig gute Bar, Neueröffnungen von Restaurants kriege ich gefühlt immer erst ein halbes Jahr später mit. Es kann also wirklich keiner sagen, ich wäre wegen der Kultur hier. Und dann die ständigen Sirenen, das dauernde Anstehen für wirklich ALLES. Sei es für das Frühstück im angesagten dies und das, für den Fotoautomaten, für Flohmärkte, für Clubs, für den Döner. Überall warte ich. Besonders oft auf die BVG, die wieder wegen irgendeiner Betriebsstörung nicht pünktlich sein kann. Die ständig verstopften Straßen, weil alle Idioten noch bei Kirschgrün über die Ampel wollen – mich eingeschlossen. Inzwischen allerdings nicht mehr, weil es wirklich doof ist, mit einer Familienkutsche mitten auf der Kreuzung zu stehen, weil es nicht vor und nicht zurückgeht und der Gegenverkehr leider gerade grün bekommen hat.
Schwups, da war das Brüderchen da
Und als Mutter fühle ich mich einfach unwohl, wenn ich mit meinen kleinen Kindern über den Bahnsteig gehe und von Dealern trotz Kinderwagens immer wieder angesprochen werde. Nennt mich spießig, aber ich finde, das müssen meine Kinder nicht sehen. Zumindest nicht dauernd.
Immerhin steht Berlin bei ihnen als Geburtsort
Mich nervt die große Stadt einfach gerade sehr viel mehr, als dass sie mich bereichert. Oder mir guttut. Und dann ist da ja auch noch besagtes Dorf, das es braucht, um Kinder großzuziehen. Wir haben hier unsere tollsten Freunde, die immer gerne einspringen, aber es ist doch etwas anderes, wenn man die Kinder auch einfach mal schnell für ein Wochenende bei den Großeltern parken kann, um kurz durchzuatmen. Und ich liebe meine große, hauptsächlich in Bonn und Umgebung verzweigte Familie sehr. Die 600 Kilometer, die uns trennen, behindern mich bei der engen Beziehung zu ihr. Und wir haben in Bonn – na gut, es ist eigentlich noch nicht mal Bonn, sondern ein kleines Kaff dahinter – ein Riesenhaus mit Garten. Das Riesenhafte wäre gar nicht nötig, aber der Garten. Wie sehr ich mich darauf freue, die Sommer nicht mehr auf Spielplätzen und in überfüllten Strandbädern verbringen zu müssen. Bademuschel, Wasser rein, Kinder für Stunden beschäftigt. Zumindest in der Idealvorstellung.
Ich werde Berlin schmerzlich vermissen, das weiß ich jetzt schon. Die ganzen wunderbaren, kleinen Schatzorte, die man während seines Aufenthaltes hier so entdeckt. Tolle Berliner Labels. Die Kreativität. Das Leben und leben lassen. Durchtanzte Nächte. Meine herzliebsten Freunde, besonders die! Aber es ist Zeit für ein neues Kapitel in unserem Leben, für einen neuen Schritt. Mehr Mut, mehr Trauen, mehr Machen. Was für ein schöner Vorsatz!