Mit sozialer Verantwortung gegen die Maschinerie der Mode – Das Interview mit Designerin Lara Krude
Lara Krude hat sich seit zwei Jahren der Slow Fashion verschrieben. Wir haben die Nachwuchsdesignerin während der Berlin Fashion Week besucht
Lara Krude hat sich seit zwei Jahren der Slow Fashion verschrieben. Wir haben die Nachwuchsdesignerin während der Berlin Fashion Week besucht und mit ihr über ihre Rebellion gegen die Schnelligkeit gesprochen
Ich begleite Lara Krude schon von Anfang an. 2017 war ich am vielleicht aufregendsten Tag ihrer Karriere, als sie den Designer for Tomorrow Award von Peek & Cloppenburg gewann – Stella McCartney war in diesem Jahr Tutorin und ich durfte sie an diesem Tag interviewen – und lernte die sympathische und offene Hamburgerin kennen. Ich habe lange daran gezweifelt, was Nachwuchs-Awards wirklich bringen: Klar, am Anfang sehr viel Publicity. Und dann? Ein großes Loch. Lara Krude hat mir allerdings bewiesen, dass das nicht der Fall sein muss. Förderung ist wichtig und kann viel bewirken. Das betont die Designerin auch nochmal im Interview, das ich am Dienstag während der Berlin Fashion Week mit ihr führe.
Lara Krude ist eine von den Designer*innen in Deutschland, die mehr Aufmerksamkeit und Applaus verdienen. Für ihre zeitlosen, hochwertigen und wunderschönen Designs, aber vor allem für die Willenskraft und die Grundsätze, mit denen sie ihr Unternehmen als One-Woman-Show führt. Das Bikini Berlin hat das erkannt und gibt Lara nun die Bühne, die ihr gebührt: Direkt beim Haupteingang der Mall hat das Hamburger Label einen riesigen Pop-up mit der Shirting Collection. Hier wird Kund*innen erklärt, was Slow Fashion ist – und warum wir sie kaufen sollten. Als Argument hat Lara dabei viel mehr als nur die perfekte Bluse im Gepäck. Ich habe sie dort getroffen und mit ihr über Nachhaltigkeit, die modefaulen deutschen Männer und die Krise der Berlin Fashion Week gesprochen.
Wie nimmst du als deutsche Designerin die Berlin Fashion Week wahr? Schließlich läuft sie gerade auf Hochtouren, während wir hier sitzen...
Es wird leider immer weniger und hat sich in den letzten Jahren total verändert. Die Berlin Fashion Week ist so toll gestartet, alle hatten Ideen und wollten ganz viel machen. Aber es ist der Zeitpunkt, der so problematisch ist. Die Mailänder Menswear davor, die Pariser Haute Couture danach, es war einfach ganz schnell klar, dass die Einkäufer nicht kommen können. Und dann hat man als Designer natürlich die Überlegung: Was mache ich jetzt hier?
Natürlich haben wir alle ein Business, das wir auch zeigen wollen, aber wir müssen auch Einkäufer treffen. Deswegen finde ich es ganz verständlich, dass es sich entschlackt und immer weniger wird. Muss man etwas zur Fashion Week präsentieren oder können wir nicht über das Jahr verteilt immer mal wieder etwas machen und damit neue Konzepte entwickeln? Berlin kann nicht mit Paris, Kopenhagen oder Mailand konkurrieren, wir müssen überlegen: Was passt zu uns? Was können wir präsentieren? Als deutsche Designerin will ich ja auch meiner Heimat zeigen, was meine Ideen und meine Ästhetik sind.
Also würdest du vor allem dem Zeitpunkt die Schuld geben?
Ja, es gibt wahrscheinlich nicht den EINEN Grund. Es liegt sicherlich am Zeitpunkt, aber ich glaube ehrlich gesagt, dass das Problem auch ist, dass wir mit den Großen konkurrieren wollten. Das hat nicht funktioniert und ist jetzt natürlich eine große Enttäuschung.
Was macht die Kopenhagen Fashion Week richtig, was wir falsch machen?
Ich glaube, in Dänemark gibt es eine ganz andere Wertschätzung für Design und für Mode. In Deutschland gibt es den Föderalismus, was schwierig ist. Es gibt Förderungen vom Land Berlin, von Düsseldorf, von München – und die konkurrieren alle miteinander. Anstatt dass man die Kräfte bündelt und eine Sache richtig macht...
Und wo hättest du dir da als Designerin mehr Unterstützung gewünscht? Hast du konkrete Ideen, wie man den Weg ebnen kann?
Ja, am Ende muss man einfach sagen: Ideen haben wir alle, kreativ sind wir auch, aber uns fehlt einfach Cash. Es braucht mehr Förderungen oder große Firmen, die sich mit Nachwuchsdesignern zusammentun. Unternehmen, die etabliert sind, aber frischen Wind gebrauchen können.
Genau das hast du ja 2017 auch gemacht, als du den Designer for Tomorrow Award von Peek & Cloppenburg gewonnen hast. Was glaubst du bringen Awards für den Nachwuchs?
Das bringt ganz viel. Klar, das hat immer etwas damit zu tun, was man dann daraus macht, aber erst einmal geben sie einem Aufmerksamkeit und schaffen ein Momentum. Und das ist das, was man ohne so einen Wettbewerb nicht schafft – nicht in der Schnelligkeit und in der Größenordnung. Was man dann am Ende für sich mitnimmt und mit wem man Kontakte knüpft, das ist dann ganz individuell.
Wie hat sich dein Leben seit dem Award verändert?
Ganz schön doll. Als ich den Preis gewonnen habe, habe ich als Designerin im Menswear-Team für Ports1961 gearbeitet und immer gesagt, dass ich mich niemals selbstständig machen will. Und dann habe ich den Preis gewonnen und das Feedback war so toll, wir haben so viele tolle Clippings bekommen mit der Capsule Collection mit P&C. Ich dachte, wenn ich irgendwann etwas selbst machen will, dann muss ich es jetzt machen. Es bringt nichts in fünf Jahren zu sagen: „Hallo, ich war damals in der Vogue. Wisst ihr noch?“ Ich bin ins kalte Wasser gesprungen.
Ich bin nicht mehr Designerin in einem Team in Mailand, sondern mache als One-Woman-Show in meinem Atelier in Hamburg zwei Kollektionen im Jahr. Ich mache das Produktmanagement, das Sourcing, die Muster, die Schnitte, den Vertrieb, das Marketing. Ich mache alles.
Warum wolltest du dich am Anfang nicht selbstständig machen?
Weil es so viele Jobs in einem sind. Eigentlich kann man gar nicht alles alleine machen, man muss sofort eine Firma gründen und braucht Leute. Man hantiert direkt mit relativ großen Zahlen, weil man in Vorkasse gehen muss, wenn man Stoffe kauft. Es ist nicht so, wie ich das von meinem Mann kenne, der selbstständiger Illustrator ist. Der braucht seinen Schreibtisch und Papier und kann dann loslegen. Ich musste eine ganze Maschinerie anschmeißen und davor hatte ich Bammel. Jetzt bin ich aber tatsächlich ganz happy.
Jetzt machst du alles alleine. Wie schaffst du das? Hat dein Tag mehr als 24 Stunden?
Leider nein und das merke ich auch. Die letzten zwei Jahre waren ein ganz schöner Ritt, weil es wirklich viel ist. Ich will mich nicht von dieser Branche und der Maschinerie drängen lassen. Das mit vielen Praktikant*innen zu stemmen, ist nicht fair und nicht der richtige Weg. Klar, ich würde gerne Leute einstellen, aber das funktioniert nach so kurzer Zeit noch nicht.
Mit welchen Hürden musst du noch kämpfen? Viele Studenten wollen direkt nach dem Studium ihr eigenes Label gründen. Was würdest du ihnen mit auf den Weg geben?
Man muss wirklich bedenken, dass es nicht nur ums Design geht. Das Design wird ganz klein. Am Ende macht man mehr Buchhaltung als Design. Man muss auf die anderen Themen auch Lust haben. Wenn man sagt, man will nur designen, dann muss man in eine Anstellung gehen. Mit eigenem Label muss man sich sagen: Ich will Unternehmer*in sein, ein Business haben und mich weiterentwickeln. Ich will für alles verantwortlich sein.
Wie findet man als Designer seine Nische? Woher weiß man, was für ein Label man gründen möchte?
Das ist schwierig für mich zu beantworten. Ich habe mich nicht hingesetzt und den Markt nach einer Nische analysiert. Ich mache das, was meine Ästhetik ist und was ich gut finde – und das habe ich im Laufe der Jahre und des Studiums entwickelt. Durch ganz viel Ausprobieren. Ich habe 2010 angefangen zu studieren und in den letzten Jahren immer wieder in meiner Uni unterrichtet. Ich muss sagen, dass ich sehr froh bin, dass ich damals studiert habe und nicht heute, wo es Instagram gibt. Was ich bei aktuellen Studenten sehe, die sich alles auf Instagram anschauen, was die für Kollektionen machen, das sieht aus wie Kenzo, Vetements oder Co. Das, was ich in den ersten Semestern gemacht habe, hatte nichts mit Mode zu tun. Ich habe alles ausprobiert, egal ob Schnitte oder Materialien. Das konnte man nicht tragen. Dazu noch Kunstkurse und dann findet man schon langsam seinen Stil.
Siehst du Instagram also als Gefahr für unsere Kreativität? Andererseits ist es ja auch eine immense Chance für kleine Labels. Wenn der richtige Influencer kommt, kann das für auch total viel bewegen.
Es hat natürlich zwei Seiten. Ich finde es ganz toll, dass man die Möglichkeit hat, sich mit Menschen auf der anderen Seite der Welt zu connecten und bei denen ins Leben reinzuschauen und zu sehen: Wie leben die? Was mögen die? Aber es ist natürlich auch immer die Frage: Wie grenzt man sich davon wieder ab? Ich merke, dass sich in den letzten Monaten auf Instagram viel verändert hat, die Reichweiten wurden eingeschränkt. Aktuell ist es katastrophal für einen kleinen Account wie meinen. Es macht auch einfach gar keinen Spaß mehr, man merkt, dass nichts mehr passiert.
Deine Gewinnerkollektion 2017 war eigentlich eine Männerkollektion. Die Stylistin hatte dann aber die Idee, alles an Frauen zu präsentieren. Jetzt machst du nur noch Frauenmode? Wie kam das?
Ich habe in der Uni und in Mailand immer Menswear gemacht und fand es immer schön, dass die Männermode noch nicht so erschlossen ist und es dort noch viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten gibt. Das ist immer noch so. Aber um auf dem deutschen Markt einzusteigen, hat man in der Frauenmode in Sachen Design und Gestaltung eben mehr Freiheiten. Ich habe das auch in meinen zwei Jahren in Mailand gemerkt, wenn wir ganz besondere Sachen designt haben, die total konzeptionell und im Schnitt ausgefallen waren, dann haben wir das nicht verkauft. Wir haben am Ende T-Shirts, Jeans und Hoodies verkauft. Natürlich kaufen Frauen auch viele Basics, aber man hat in Sachen Schnittführung mehr Freiheiten.
Was glaubst du, woran liegt es, dass Männer sich nicht so viel trauen? Was müssen wir tun, damit sich die Männermode ändert?
Ah, der deutsche Markt ist ganz ganz schwierig, was die Männer angeht.
Aber braucht es dann nicht genau jemanden, der sagt: Ich mache das!
Ja, bestimmt, das wäre auf jeden Fall total gut. Aber der- oder diejenige braucht auf jeden Fall einen sehr langen Atem, weil da Verständnis von Kleidung und was man kauft in Deutschland so anders ist. Das zu verkaufen, was wirklich besonders ist und einen hohen Preis hat, das ist ein langer Weg.
Stimmt, gerade die Preisfrage ist bei Männern schwierig. Nur wenige wollen für Mode Geld ausgeben.
Ja, richtig! Und wenn, dann muss es auch eine Funktion haben oder ein Feature. Das ist leider so. Das Klischee bestätigt sich da leider.
Gibt es auch jetzt Männer, die deine Sachen kaufen? Weißt du davon?
Ja, ein Mann aus Tokio hat einen transparenten Seidenmantel bei mir bestellt.
Männer in Asien kaufen ja total viel Womenswear.
Genau, bei Ports1961 war das genauso. Das Womenswear-Team hat viele experimentelle Hemden und Blusen designt und davon haben wir wahnsinnig viel an Männer in Südkorea verkauft.
Tja, von denen müssen wir uns anscheinend noch eine Scheibe abschneiden, richtig?
Absolut. Das letzte Mal in Paris im Showroom hatte ich einen japanischen Kunden da und der hat alle Blusen selbst anprobiert. Es sah unfassbar cool aus. Wir mussten aber auch ganz schön lachen, weil wenn mein Mann das anziehen würde, sähe der aus wie im Pyjama.
2020 war bis jetzt für viele schon ein schweres Jahr: die Klimakrise spitzt sich zu, der Iran-Konflikt, Australien brennt. Viele zweifeln an der Modebranche. Was machen wir hier eigentlich? Schaden wir dem Kontinent nur? Wie geht es dir damit?
Es hilft auf jeden Fall, sich immer wieder zu sagen: Ich mache hier nur Mode. Ich rette nicht die Welt und keine Menschenleben. Aber nichtsdestotrotz ist das mein Job und den möchte ich gut machen. Ich glaube schon, dass sich das Konsumverständnis nach und nach ändert, aber ich glaube nicht, dass der Konsum aufhört. Am Ende konsumieren Leute eben doch gerne, ich nehme mich davon nicht aus. Ich habe ein gutes Gefühl dabei, weil ich ein Produkt anbiete, bei dem ich erzählen kann, wo es herkommt.
Siehst du deine Verantwortung als Modedesignerin darin, eine nachhaltige Alternative zu bieten?
Ja, wobei für mich ist es gar keine Alternative. Ich bin mittlerweile sehr sensibel, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Ich möchte einfach ein Produkt machen, das Leute gerne tragen und worüber sie sich freuen. Sobald ich Ressourcen nutze, was ich natürlich tue, wenn ich etwas herstelle, habe ich eine soziale Verantwortung. Was sind das für Ressourcen, wie sind die verarbeitet? Wer arbeitet daran? Es ist für mich selbstverständlich, dass ich damit so verantwortungsvoll umgehe. An sich ist es ja nichts Neues. Mein Großvater war Schneider, hat auch italienische Wolle gekauft, die in seiner Werkstatt verarbeitet und an den Anzug an den Nachbarn aus dem Dorf nebenan verkauft. Man muss wieder zu diesem Bewusstsein kommen und alles wertschätzen.
Ich glaube, wir haben das in unserer Blase schon verstanden. Aber wie kann man das den Endkonsumenten beibringen?
Einfach, indem man es ihm erzählt. So lang ist die Kette, die Baumwolle muss angepflanzt, gewässert und geerntet werden. Und das T-Shirt, das irgendwo hängt und 9,99 Euro kostet, das erzählt diese Geschichte einfach nicht. Wenn man sich das bewusst macht, dann ist auch klar, dass 9,99 Euro nicht funktionieren können. Aber wenn es keiner dem Endkonsumenten erzählt, dann kann er es am Ende auch nicht wissen.
Du produzierst nur in Europa. Inwiefern unterscheidest du dich von anderen nachhaltigen Brands?
Das ist schwer zu sagen, weil ich ja gar nicht weiß, wie die anderen arbeiten. Für mich ist es total wichtig, einen persönlichen Bezug zu meinen Produzenten zu haben und sie kennenzulernen. Ich habe jetzt einen ganz tollen kleinen Familienbetrieb bei Frankfurt a.d. Oder an der polnischen Grenze. Eine Mutter und zwei erwachsene Töchter mit zwanzig Mitarbeiter*innen. Und dann ist es mir noch sehr wichtig, sie nicht zu doll zu pushen. Es ist ja so, dass alle Designer zum gleichen Zeitpunkt ausliefern wollen, am liebsten in der ersten Januarwoche. Das funktioniert nicht. Die Produzenten können ja nicht alles auf einmal machen und dann haben sie wochenlang Leerlauf. Das ist eine Gratwanderung, ich versuche mich da noch mehr einzusetzen. Ich möchte einfach nicht zu doll Druck ausüben, sonst fangen die Produzenten*innen an Überstunden zu machen oder am Wochenende zu arbeiten. Das ist alles andere als das, wie ich mein Unternehmen führen will.
Wie passt Slow Fashion ins Bikini Berlin?
Ich finde, ich passe hier ganz gut rein. Natürlich ist es letzten Endes eine Mall, aber das ist ja für uns alle ein schmaler Grat. Auch ich rege ja zum Konsum an, am Ende muss ich meine Miete bezahlen und freue mich, wenn jemand etwas bei mir kauft. Wenn man streng wäre, müsste man sagen: Wir kaufen jetzt gar nichts mehr und tragen das, was wir haben, bis in alle Ewigkeit auf. Das ist aber auch nicht unser Weg, wir arbeiten ja in der Branche.
Wenn man eine Firma aufbaut, dann kann man seine Pfeiler da einschlagen, wo es einem wichtig ist. Das geht am Anfang natürlich besser, als wenn das Unternehmen schon besteht und man nach unten arbeiten muss. Deswegen will ich große Ketten auch gar nicht so unglaublich verurteilen. Mann kann ja eh nur an sich selbst arbeiten.
Mein Antrieb ist es, ein gutes Produkt zu machen und nicht, um damit reich zu werden. Ich glaube, bei den großen Ketten ist Kleidung das Mittel zum Zweck, damit das Geld reinkommt. Sie könnten aber auch Schrauben verkaufen. Ich stehe morgens auf, damit ein wirklich tolles Produkt entsteht. Das sollte der Hauptfokus sein.
Vielen Dank, liebe Lara, für deine offenen Worte und deine Zeit!
Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.
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Fotos:PR