


Berghain-Beats und Philharmonie(n)
Die Berliner Modewoche macht uns stolz!
Es wird Zeit für unser ehrliches Feedback: Welche Labels konnten uns auf der Berlin Fashion Week überzeugen – und wo gibt es noch Spielraum für Verbesserungen?
In Berlin kann man eines: Meckern. Und das machen wir auch gerne. Über alles und jeden. Mal ist es zu laut, mal zu langweilig, mal zu dreckig und mal zu snobby. Alle leben in einer Stadt, aber jeder so, wie er will. Nur unsere Modewoche, die darf das nicht. Sie ist dazu verdonnert, immer mit Paris, London, New York und Kopenhagen verglichen zu werden – und sowohl in Sachen Schauenplan, Gäst*innen als auch Stil niemals mithalten zu können. Es ist der Fluch, der auf ihr lastet: Sind große Sponsoren und internationale Brands anwesend, ist sie zu kommerziell, mangelt es an den finanziellen Mitteln und nischige Designer*innen präsentieren ihre Kollektionen, ist sie irrelevant.
Das war jedenfalls der O-Ton der letzten Jahre – aber seit zwei Saisons ändert sich das! Mit dem Fashion Council Germany hat sich bereits 2015 eine Initiative gegründet, „um die deutsche Mode- und Designlandschaft für eine visionäre, technologische und nachhaltige Zukunft in einem globalen Markt zu stärken.“ Und mit immer mehr Einfluss, mehr Mitgliedern und einem stärkeren internationalen Netzwerk, gelingt ihnen das Stück für Stück. Die Fashion Week wird vom Senat gefördert, mehrere hunderttausende Euro bis Millionen fließen jede Saison in das Event und die Unterstützung der lokalen Labels und Veranstaltungen.
Denn: Mode ist wichtig für unsere Wirtschaft und unser Image als Hauptstadt Deutschlands – und sie ist ein Kulturgut! Das zeigt sich eben darin, dass Steuergelder verwendet werden, um diesen Wirtschaftssektor anzukurbeln. In dieser Saison war die Liste der internationalen Gäst*innen und Celebrities so gut aufgestellt wie schon lange nicht mehr, Redakteur*innen und Creator*innen wurden aus der ganzen Welt eingeflogen. Um nur ein paar Namen der Front Row zu nennen: Brenda Hashtag, Caro Daur, Akimoto Kozue, Declan Chan, Stefanie Giesinger, Hanan Besovic und noch viele mehr. Vogue Runway berichtete ebenfalls über die Schauen.
Die Qualität der Fashion Week steigt – nicht nur durch mehr Finanzierung und Besucher*innen, sondern auch durch die Brands, die hier zeigen. Schließlich ist es kein Zufall, dass das international sehr erfolgreiche Label GmbH schon zum zweiten Mal Berlin als Standort auserkoren hat, nachdem sie viele Saisons in Paris gezeigt haben, wo sicherlich mehr internationale Einkäufer*innen anwesend sind.
Auf die steigende Internationalität wurde deshalb dieses Mal auch beim Timing Rücksicht genommen. Hatte die BFW in der Vergangenheit häufig zeitgleich zu anderen internationalen Fashion Weeks gezeigt, so hat man sich diesmal schlank gemacht und über das Wochenende zwischen Kopenhagen und New York platziert – clever (wenn auch nicht unbedingt Arbeitnehmer- und familienfreundlich).
Kommen wir zu den einzelnen Shows – und ja, meine Review ist nicht komplett, da ich a) nicht selbst bei allen Brands anwesend war und b) hier leider nicht den Platz habe, bei allen Kollektionen ins Detail zu gehen. Ihr könnt euch aber sicher sein: Wenn ihr meine Zusammenfassung gelesen habt, könnt ihr mitreden.
William Fan: Von der Peking-Oper in die Berliner Philharmonie










Photos: James Cochrane for BFW
Auf dieser Fashion Week feierten gleich zwei Brands ihr zehnjähriges Bestehen: William Fan und Marina Hoermanseder. Beide prägen die Berliner Fashion Week schon seit Jahren: Ersterer mit wunderschöner, verkaufsstarker Mode und immer wieder überraschenden, atemberaubenden Locations und Settings, Letztere mit Trash-TV-Vibes und Shows, die an Zirkusvorführungen erinnern. Medienträchtig sind beide Veranstaltungen, doch wirklich relevant für die Modeindustrie und als Stilvermittler von Berlin ist wohl nur William Fan, der in seinen zehn Jahren so einige Labels kommen und gehen sah.
Er wählte als Location die Berliner Philharmonie – und die Show war kein Best-of seiner 19 Kollektionen, denn die klassischen Fan-Pieces gibt es reinterpretiert fast jede Saison. Wir sprechen hier über Fans absolute Stärke: Statement-Mäntel, Taschen, Accessoires, Layering-Looks und opulente Verzierungen und Jacquard-Stoffe – die sich eben im Vergleich zu anderen Berliner Labels nicht nur gut auf dem Runway machen (Stichwort Hoermanseder), sondern eben auch gut verkaufen und im Alltag stylen lassen.
Als Inspiration für die Kollektion, die von Models wie Bruce Darnell, GZSZ-Star Wolfgang Bahro aka Jo Gerner und Vogue-Redakteurin Maria Hunstig präsentiert wurden, diente die Peking-Oper – daher auch die Wahl der Location und das aufwendige Make-up, das die Brücke zwischen Asien und Europa schlug. Auf die Runway-Show folgte ein Klavier-Konzert – bei dem die Models in den William-Fan-Looks den perfekten Hintergrund boten und als inszenierte Gäst*innen den Pianist*innen begeistert applaudierten.
SF1OG: Mode, Mythos und Mystery




Photos: Andreas Hofrichter for BFW
Einmal in der Schlange am Berghain stehen und an der Tür problemlos hineinkommen. Dieser Traum wurde von vielen (eingeladenen!) Gäst*innen der SF1OG-Show wahr – zumindest fast, denn die Show fand in der Halle am Berghain statt, genau neben dem weltberühmten Club. Gegründet von Rosa Marga Dahl und Jacob Langemeyer, ist SF1OG DER Aufsteiger unter den Berliner Modelabels – und seit einigen Saisons am gefragtesten, wenn es um Einladungen geht.
Nachhaltigkeit und die eine ressourcenschonende Produktion ist dem Label sehr wichtig – und diesen Ansatz bringen sie einer jungen, kaufkräftigen Zielgruppe nahe. Mit der Show im Berghain adressierten sie genau das Publikum, das ihre Mode tragen soll – jugendlich, rebellisch und (unfreiwillig?) nostalgisch. Denn mit ihrer Kollektion tauchten sie in die Welt der Jugendkulturen ab, beleuchteten den Grunge der Neunziger (Kurt Cobain hätte die gestreiften Cardigans geliebt) die Indie Days der frühen 2000er, mit Röhrenjeans und Federkrägen an Jacken.
Gesprächsstoff bot aber nicht nur die Mode und die Location, sondern vor allem die Front-Row. Kaum eine andere Show hatte so eine reichweitenstarke Gästeliste – sogar Influencerin und Modekritikerin Brenda Hashtag hob ihren Berlin-Fashion-Week-Boykott auf und saß (sicherlich gut entlohnt) auf ihrem Platz in der Halle am Berghain. Nun fragen sich alle: Wo kommt das ganze Geld her? Denn die 25.000 Euro Preisgeld des BFW Konzeptwettbewerbs Berlin Contemporary, bei dem auch 18 andere Konzepte/Brands gewannen, dürfte für diese „Frow“, Location und Produktion ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen sein ...
Avenir: Coming of (Denim) Age








Photos: James Cochrane for BFW
Das Berliner Label Avenir fasziniert mich schon von Anfang an. Die DNA des von Sophie Claussen gegründeten Brands sind Jeans und das Recycling derer. Doch seit fünf Jahren entwickelt sich Avenir stets weiter - und ist von jugendlichen (bezahlbaren) maßgeschneiderten Jeans zu einem erwachsenen Brand mit starken Schnitten, zwei unterschiedlichen Linien und einem gleich bleibend hohen Anspruch an Nachhaltigkeit gewachsen.
Diese Kollektion war sicherlich der Höhepunkt bisher, dafür alleine sprach die Location des Chateau Royals, eine gehobenes und gerade sehr angesagtes Hotel in Berlin-Mitte. Hier liefen die Models unter dem Motto „Galleria“ durch Lobby, Bar, Restaurant, Kaminzimmer und Wintergarten des Hotels – begleitet von Geschirrklappern, einer Barkeeper-Szenerie und staunenden Hotelgäst*innen.
Wer die Kollektion genauer verstehen will, der musste sich nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich mit ihr beschäftigen. Die Kooperation mit dem britischen, in Berlin lebenden Künstler Arthur Laidlaw war prägend für die Farbgebung und den künstlerisch-kreativen Vibe der Mode. Aus der Zusammenarbeit entstanden Statement-Pieces wie ein Mantel, Boots oder eine bemalte Jeans, aber auch zarte Drucke aus Laidlaws Zeichnungen, die sich auf Seidenpieces durch die gesamte Kollektion zogen. Weitere lokale Brands, die an der Kollektion partizipierten, waren Prum, die Schmuckstücke wie Gürtel, Ketten aber auch Träger mit Edelsteinen kreierten und Studio Ena, die die ikonische silberne Schmuck-Spange an einem der wiederkehrenden Bestseller von Avenir liefern: dem Oversized Blazer. Was gibt es Schöneres, als junge Brands (und FRAUEN!), die Hand in Hand arbeiten, um ihre Vision von tragbarer, innovativer und umweltbewusster Mode an uns heranzutragen? Richtig, nichts!
Laura Gerte: Techno & Tailoring






Photos: James Cochrane for BFW
Früher hätte man Avenir und Laura Gerte vielleicht in einen Topf geworfen, denn beide arbeiten mit recycelten Materialien und Denim. Doch diese Zeiten sind vorbei. Beide Designerinnen haben sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt und während Avenir den Weg ins Chateau Royal gesucht hat, präsentierte Laura Gerte im Kranzler Eck, allerdings gehostet von Multisex, einem elektronischen Party-Kollektiv DJ Gigola lieferte den – natürlich – elektronischen Soundtrack zur Show, auch die Mode wurde von Techno inspiriert. Mit Kabeln und langen Bändern repinterpretierte Gerte Klassiker der Mode neu — und machte sie clubtauglich. Und das alles mit upcycelten Materialien. Wenn das der neue Anspruch ans Clubbing ist – und vielleicht auch ein Aufruf an uns, unsere Bildschirmzeit noch einmal kritisch zu hinterfragen – dann hat die neue (Designer*innen-)Generation alles richtig gemacht.
Horror Vacui: Die Scheu vor der Pause






Photos: Boris Marberg for BFW
Ungewohnt verspielt für Berlin ging es bei Horror Vacui zu. Klar, der Signature-Look des Labels, dessen Name übersetzt „Scheu vor der Leere“ bedeutet, sind Millefleurs-Prints und Muschelkanten. Genau auf diesen Look fokussierte sich Designerin Anna Heinrichs bei ihrer Herbst/Winter-Kollektion 2025 vielleicht ein wenig zu sehr – und verpasste damit die Chance, zu zeigen, dass ihre – auf den ersten Blick sehr sommerlichen Materialien und Prints – auch im Winter innovativ eingesetzt werden können. Statt mit Quilts zu experimentieren, wurden diese plakativ in ihrer traditionellen Deckenform einfach über die Schultern gelegt – und auch ansonsten mangelte es der Kollektion an extravaganten Showpieces, die die Horror-Vacui-Fangirls (zu denen ich mich auch zähle) träumen ließ. Ins Auge stach mir der Fleecepullover im Regenbogen-Muster mit gepufften Schultern – genau von solchen unerwarteten, neuen Horror-Vacui-Pieces hätte ich zu gerne mehr gesehen! Vielleicht gab es die auch, aber sie haben es nicht auf den Runway geschafft. Warum? Horror Vacui produziert in der Ukraine und dort gab es aufgrund des Krieges unter anderem Stromausfälle, die die Produktion behindert haben.
Trotzdem bleibt der Eindruck, dass das Label, welches alle mit seiner vergangenen Spring/Summer-Show 2024 im Kolonnaden-Gang der Museumsinsel verzaubert hatte, vielleicht besser eine Saison pausiert hätte – und die Zeit zwischen den Sommerkollektionen für die Produktion, mehr Experimente und die Suche nach einer tollen Location hätte nutzen können.
Richert Beil: Mutter- oder Gefangenenschaft?








Photos: Boris Marberg for BFW
Ganz anders und im kompletten Kontrast zur opulenten Mode von Horror Vacui steht Richert Beil. Das Label, das eine Einladung mit einer Baby-Milchflasche verschickt hatte, sorgte schon in den ersten Sekunden mit Baby-Geschrei als Eröffnungssound für Gänsehaut – oder den ein oder anderen Milcheinschuss bei ihren Gäst*innen. Gezeigt wurde Mode, die sichtbar macht, was in unserer Gesellschaft unsichtbar ist: Care-Arbeit und deren physische und psychische Herausforderungen. Passend zum Gefühl des Gefangenendaseins in der Mutter-Identität (ein Gefühl, was fast jede Frau in der Mutterrolle ein oder mehrmals befällt), zeigte die Berliner Brand im Fichtebunker – wo Mütter und Kinder Zuflucht vor dem Krieg suchten.
Auch nach dem Baby-Geschrei ging es dank des Casts emotional weiter: neben Mutter und Sohn liefen auch eine Mutter und zwei Töchter und eine Schwangere über den Laufsteg.
Hemden, die wie Balaklawas über den Kopf und den Mund der Models gezogen wurden, provozierten Beklemmungsgefühle, ein durchscheinendes Cape ließ den Blick auf Milchkanister frei und ansonsten kam viel Tailoring in Form von Anzügen, strukturierten Mänteln und Hemden zum Einsatz – eben passend zur Aufforderung, dass die Gesellschaft Care-Arbeit auch als harte Arbeit sehen und verstehen soll.
OBS: Wenn's gut werden muss?








Photos: James Cochrane for BFW
Wer in Berlin wohnt, der kennt den Sound einer Baustelle sehr gut. Irgendwo wird immer gebaut – und am liebsten unter der Woche morgens um sechs Uhr, wenn man einfach nur in Ruhe schlafen möchte. OBS, gegründet von den Brüdern Johannes und Matthias Schweizer, zeigten zum ersten Mal auf der Berlin Fashion Week – und umso gespannter war das Publikum vor der Show.
OBS, inspiriert vom Vater der Gründer und dessen Baustellen, ist mit seinen Taschen bekannt und erfolgreich geworden. Alles ist funktional – Workwear eben.
Aktuell findet man im Onlineshop des Labels in der Kategorie Fashion nur Basics wie Hoodies und Shirts, die eher nach Merch als nach einer Modekollektion aussehen. Was präsentierten OBS also auf der Fashion Week?
Was man ihnen nicht vorwerfen kann, ist, dass ihre Show nicht unterhaltsam war. Aus Models wurden Rohbauer, Tischler, Schlosser und Maurer – der Betonmischer drehte sich und die Funken flogen bei der Performance in der Villa Elisabeth, einem ehemaligen Gemeindehaus einer Kirche.
Workwear, das war allen klar, würde es zu sehen geben. Und wie in einem guten Restaurant, wurde die Bestellung pünktlich serviert: Warnwesten trafen auf Plastik-Overalls, auch die charakteristischen Baustellenfarben wie Grün, Neon-Orange und Blau waren prägnant. Was bei der Bestellung fehlte, war Salz und Pfeffer aka unerwartete Elemente. OBS hat Workwear zwar in Perfektion umgesetzt, aber nicht mit genug Raffinesse, um mit Details, Stoffen, unerwarteten Schnitten und Farben oder Stilbrüchen zu überraschen. Für die Performance gibt es also volle Punktzahl, für die Kollektion ist noch etwas Luft nach oben da. Aber für das erste Mal – und dazu gehört jede Menge Mut – ist Applaus und ein lauter Pfiff in Bauarbeiter-Manier auf jeden Fall angesagt.
All in All
Was bleibt abschließend zu sagen? Es hat Spaß gemacht, Berlin – und es war inspirierend, lehrreich und großartig zu sehen, was Jungdesigner*innen, großen Namen und das Fashion Council Germany sich immer wieder einfallen lassen, um zu verbessern, zu beeindrucken und zu wertschätzen, was unsere deutschen Modetalente Saison für Saison auf die Beine stellen. Ich bin mächtig stolz. Und das sollte jedes Brand, was auf dem Schauenplan stand, auch sein!
Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.
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Foto Header:Jeremy Möller for BFW