Berlin, lach doch mal!

Berlin, lach doch mal!

Fragen über Fragen – Die haben wir nach der Berlin Fashion Week

Sich mit anderen zu vergleichen, ist immer doof. Doch nach der ruhigsten Saison der Berliner Modewoche kommen wir nicht drum herum, uns zu fragen: Was läuft gerade falsch?

In jedem Selbstratgeber, den man gerade auf dem Markt kaufen kann, steht als guter und vor allem wichtigster Rat: „Bitte vergleiche dich nicht mit anderen, sei einfach du selbst, ohne nach rechts und links zu schauen.“ Aber irgendwie macht man es dann doch: Man vergleicht sich. Genauso geht es mir auch mit der Berlin Fashion Week. Ich bin selbst nach so vielen Jahren müde, immer wieder zu lesen, warum Berlin nicht so ist wie andere Mode-Städte, warum uns die Eleganz von Paris fehlt, die Farbe von Kopenhagen, die Coolness von New York City.

Aber nach den vergangenen Tagen – und einem Tag, den ich mir nahm, um die Berliner Modewoche nochmal mit Abstand zu betrachten und wirklich in mich zu gehen – kann auch ich nicht anders, als Vergleiche zu ziehen. Und mir viele Fragen zu stellen.

Viele Fragen, keine Antwort?

Die vergangenen Jahre – und vor allem die zwei vergangenen Saisons – war ich stolze Verteidigerin der Berlin Fashion Week. Während sie viele nach dem Weggang der Messen sofort abgeschrieben hatten, habe ich darin eine Chance gesehen: Klar, vielleicht weniger Einkäufer*innen, dafür aber vielleicht auch weniger Kommerz. Mehr Newcomer-Brands, innovative Event- und Schauenkonzepte. Die letzten zwei Saisons mit dem neuen Datum (weg vom Januar und Juli, dafür ab sofort im März und September) taten gut – eine Veränderung zu mehr Qualität war erkennbar. Doch diese Fashion Week war es ruhig. Viel zu ruhig. Doch woran liegt das?

Ernst, ernster, Berlin Fashion Week

Der Beigeschmack, der die deutsche Modeindustrie schon seit Jahren begleitet, ist bitter. Es ist der Ernst und das Gefühl, man müsse um jeden Preis wichtig erscheinen. Woher das kommt? Nun ja, in Deutschland kämpfen wir (und um den wahren Ursprung dieses Problems zu finden, müssten wir tief in den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsgeschichte einsteigen) schon immer gegen das Klischee, dass Mode oberflächlich ist. Anders als in anderen Ländern wie Frankreich oder Italien (und seit ein paar Jahren auch Dänemark), ist Mode leider kein Teil unserer deutschen Kultur.

Dieses Image – das Oberflächliche, Materialistische und Püppchenhafte – fällt mir als Modejournalistin (und Influencerin) immer wieder auf die Füße. Ist man in Deutschland in der Kreativbranche – und beschäftigt sich mit dem Aussehen, mit Mode und Beauty, dann ist man in vielen Augen nicht die hellste Kerze auf der Torte. An dieser Stelle kann ich sagen: Das ist mir als Person eigentlich meistens egal. Aber dieses Denken beeinträchtigt nun mal unsere ganze Branche: die wirtschaftliche Unterstützung, die wir (nicht) erhalten, das Ansehen, das wir (nicht) bekommen, die Wichtigkeit, die uns (nicht) zugeschrieben wird.

Klar, die Politik hat Wichtigeres zu tun: Kriege, Klimaschutz, Wirtschaft. Was dabei aber oft vergessen wird: Die Modebranche ist weltweit eine der umweltschädlichsten Industriezweige. Aber eben auch: „Deutschland ist als Modestandort eine Nation von höchster Relevanz. Im europäischen Vergleich der 175 größten Modemarken-Anbieter hinsichtlich Anzahl der Unternehmen sowie Umsatzvolumen, nimmt Deutschland jeweils den zweiten Platz ein“, so kann man es im „Status Deutscher Mode 2021“, herausgegeben vom Fashion Council Germany und Oxford Economics, nachlesen. Wir sind auf Europa Platz 2 in Sachen Umsatz in der Mode! 2019 trug die Industrie 66 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Wir können also etwas bewirken: in Sachen Umweltschutz, wenn wir etwas ändern, aber auch in Sachen Wirtschaftsstabilität- und kraft sind wir eine nicht zu unterschätzende Industrie.

Warum werden wir also nicht ernst genommen in der Politik? Noch viel mehr unterstützt von der Stadt Berlin? Und warum scheinen wir uns wegen der fehlenden Anerkennung von außen selbst viel zu ernst nehmen zu müssen?

Mode sind Emotionen

Darf man keinen Spaß haben, wenn man Mode macht? Muss jedes Kleidungsstück eine ernste Geschichte erzählen? Oder darf es nicht manchmal auch einfach nur „schön“ sein? Nachdem ich vor genau einem Monat bei der Kopenhagen Fashion Week war, kann ich einfach nicht anders, als mich zu fragen: Warum ist in Kopenhagen alles so leicht, so schön, so divers, so bunt, so laut und einfach? Und warum ist in Berlin alles so schwarz, so ernst, so steif und ja, ich wage es zu sagen, so snobby?

Mode wird in komplett schwarzen Räumen präsentiert, bei Modenschauen wird um Plätze in der ersten Reihe gestritten und bei Events darum, wer die meisten Einladungen bekommen hat. Ganz ehrlich: Ich bin enttäuscht und traurig. Vor allem von dem Fakt, dass Kopenhagen, die als Nation Dänemark nicht gerade für ihre Diversität und Offenheit bekannt sind, es schafft, inklusiver zu sein als mein geliebtes Berlin, das doch so viel mehr Menschen, Religionen, Kulturen und Nationalitäten sein Zuhause nennen als die kleine dänische Metropole, gibt mir zu denken.

Denn was in Kopenhagen um einiges besser lief, das war nicht nur die Diversität auf den Laufstegen in Sachen Körper, Herkunft, Aussehen und Alter, sondern eben auch abseits davon: „Alle sind willkommen, macht mit bei unserer Party.“ In Berlin: Bei vielen Modenschauen leider immer noch nur normschöne Menschen auf dem Laufsteg – und beim Einlass und während der Schauen überwiegend ernste Gesichter. Die Atmosphäre: exklusiv. Zu exklusiv. Ach komm schon, lach doch mal, Berlin!

Denn wenn Berlin diese Saison eines vergessen hat, dann vor allem: Mode sind Emotionen. Wir tragen Mode, weil wir unsere Gefühle und unsere Identität ausdrücken wollen. Wir wollen Spaß haben, laut lachen, weinen dürfen, aber wir wollen vor allem fühlen, uns austauschen, andere Kulturen, Hintergründe, Ansichtsweisen kennenlernen (und deswegen eben auch internationale Brands willkommen heißen), wir wollen unterstützen und vor allem die Arbeit der Kreativen feiern! Es ist ein schöner Anlass, weswegen wir uns treffen – und keine Trauerzeremonie, in der alle konform schwarz gekleidet sein müssen. Konzepte sind ja schön und gut, aber bitte nicht so kompliziert, dass sie niemand mehr versteht.

Berlin, du verpasst etwas!

Es scheint, als ob auch die Regierung in Berlin nicht verstanden hat, was ihnen da für eine wirtschaftliche und kulturelle Chance durch die Lappen geht. Natürlich, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Fashion Council Germany (bei dem ich selbst Mitglied bin, weil ich so sehr an diese Mission und unsere Branche glaube) leisten seit Jahren wertvolle Arbeit und geben ihr Bestes, aber das ist anscheinend nicht genug.

Berlin verpasst die Chance, sich als weltoffene, kulturelle, künstlerische, kreative und lässige Stadt zu präsentieren, sperrt Modenschauen in Tunnel im Untergrund oder in einen unterirdischen Bunker statt sie auf der Straße stattfinden zu lassen und ihnen mit offenen Armen (wie in Kopenhagen) die atemberaubendsten Locations der Stadt (umsonst) zur Verfügung zu stellen. Einladungen brauchte man in Kopenhagen nur für die Front Row, doch teilhaben konnten dank der offenen Locations alle Kopenhagener*innen und Besucher*innen, die wollten.

Klar, es ist Geld, das wir nicht haben, aber so ist es doch immer beim Start-up. Am Anfang investiert man meistens mehr als man hat, braucht Unterstützung von außen, aber dann irgendwann lohnt es sich. Wenn Berlin klarmachen würde, wie wichtig Mode für Deutschland ist, dann wären sie da: die internationale Presse, die internationalen Influencer*innen und vor allem die internationalen Brands, die wieder zurückkommen, um in einer der coolsten Städte Europas ihre neuen Kollektionen zu präsentieren.

Gibt es Hoffnung?

Ob ich einen Masterplan habe, wie man das ändern kann? Ehrlich gesagt nicht, auch wenn ich diese Fashion Week mit BEIGE das erste Mal zusammen mit dem dänischen Brand Aiayu ein Event veranstaltet habe und dort Entspanntheit, Gelassenheit, Spaß und Internationalität zu unseren Prioritäten gemacht habe. Andere Brands und Unternehmen tun schon seit Jahren das Beste, um die Berlin Fashion Week am Leben zu halten, das Fashion Council Germany, William Fan und Der Berliner Modesalon sind nur drei von vielen, ebenso Newcomer wie zum Beispiel Avenir oder SF1OG.

Ich glaube, das wichtigste ist, zu erkennen, das vieles falsch gelaufen ist in den letzten Jahren. Das wir das aussprechen: Ja, auch gegenüber Investor*innen, gegenüber Sponsor*innen, aber vor allem auch ehrlich sind zu uns selbst, aber nicht aufgeben. Wir brauchen einfach mehr Spaß, mehr Offenheit und vor allem müssen wir aufhören, alles immer in Schubladen stecken zu wollen: So hat eine Modenschau auszusehen, so sieht deutsche Mode aus, das ist cool und das nicht. Wichtig ist, dass wir ganzheitliche Erlebnisse schaffen. Mode zelebrieren. Unsere Unterschiede feiern und vor allem einfach anfangen, Spaß zu haben.

Denn, das wusste schon Wilhelm Busch: „Was man ernst meint, sagt man am besten im Spaß.“

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