Vacancing on my own
Eine Liebeserklärung ans Alleinreisen
Obwohl Julia Gruppenreisen super findet, fährt sie seit vielen Jahren auch gerne mal eigenständig in den Urlaub
„Are you waiting for someone?“, fragt mich die Bedienung des kleinen Straßencafés in Lissabon. Unwillkürlich muss ich grinsen. „No!“, sage ich entschieden und das war’s dann auch. Die Kellnerin überreicht mir achselzuckend die Speisekarte und wischt über den Tisch, die Personen am Nebentisch drehen sich nicht mit offenen Mündern zu mir um und ganz bestimmt bietet sich auch niemand an, mir Gesellschaft zu leisten. Lange Zeit war es für mich etwas Besonderes, alleine ein Restaurant oder eine Bar zu besuchen, alleine ins Kino zu gehen oder mir ein Eis zu kaufen, selbst dann, wenn ich gerade mit niemandem verabredet bin. In meinem letzten Urlaub habe ich gemerkt, dass sich das geändert hat – zum Glück.
Bevor ich meine Liebeserklärung an den Solo-Trip starte, möchte ich eines klarstellen: Dieser Artikel soll auf keinen Fall das Eat-Pray-Love-Gefühl vermitteln. Denn anders, als es die romantische Komödie aus dem Jahr 2010 vorgaukelt, verspricht ein Single-Urlaub nur in den seltensten Fällen Selbstfindung, die wahre Liebe oder das vollkommene Glück. Nein, ihr müsst nicht ein halbes Jahr nach Bali jetten oder ein Sabbatical auf den Philippinen machen, um ein echtes Abenteuer zu erleben oder den Kopf freizubekommen. Was diese Kolumne wirklich will, ist, euch die Vorzüge vom Alleinreisen aufzuzeigen und ein bisschen Mut zu machen. Ob ihr nun mit dem Regionalexpress in den Harz oder mit dem TGV nach Südfrankreich düst, ist dabei letztendlich egal. Aber fangen wir am besten ganz vorne an:
Anfang 2024 hatte ich einen mittelschweren Rappel. Ich mag es nicht, wenn Menschen von ihren Krisen immer nur in der Vergangenheit erzählen, à la: „Es ging mir super schlecht, aber dann habe ich Lösung XY gefunden und nun bin ich glücklicher als je zuvor.“ Deswegen bin ich jetzt ganz ehrlich mit euch: Die Rappelphase hält immer noch an. Im Januar überwog die Sorge, meine eigenen Wünsche vernachlässigt zu haben und ein viel zu angepasstes Leben zu führen. Trotz jeder Menge Umbrüche habe ich mich bewegungslos gefühlt.
Eines grauen Dezembertags fragte mich eine gute Freundin: „Wenn du jetzt alle finanziellen Mittel hättest, was würdest du unternehmen?“ Und einem spontanen Impuls folgend, antworte ich: „Ans Meer fahren und Surfen lernen.“ Den Rest des Gesprächs gebe ich euch hier lieber nicht wieder, denn man redet ziemlich viel Unsinn, wenn man im tiefsten Winter vor sich hin träumt. Aber der Gedanke hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Nur die finanziellen Mittel fehlten – und die Zeit.
Cut: drei Monate später, ich sitze im Flieger nach Portugal. Den Reality-Check kriegt ihr gleich inklusive: Ich musste mir für diesen Urlaub Geld leihen. Es war ein großes Privileg für mich, alleine in ein Land fliegen zu können, in dem ich vorher noch nie war. Natürlich tut es auch die Nordsee oder das brandenburgische Umland. Auch ein Nachmittag oder ein paar Stunden alleine in der eigenen Stadt können echte Entlastung garantieren. Für mich sollte es aber die portugiesische Riviera werden – vielleicht habe ich doch einmal zu oft „Eat, Pray, Love“ gesehen.
Warum sollte man überhaupt alleine in den Urlaub fahren?
Seit ich erwachsen bin, verreise ich extrem gerne alleine. In der Vergangenheit hatte das bei mir vor allem praktische Gründe. Zum Beispiel habe ich meistens sehr spontan beschlossen, dass ich wegfahren will. So spontan, dass niemand kurzfristig Zeit, Geld oder Lust hatte, mich zu begleiten. Als ich recht kurzfristig verkündete, dass ich einen Surf-Trip machen möchte, hatten mehrere Freund*innen schlichtweg keine Lust auf Wellenreiten und Meerwasserschlucken.
Aber es gibt durchaus auch praktische Gründe für das Alleinreisen: Im Januar habe ich mir nichts so sehr gewünscht, wie Abstand von meinem gewohnten Umfeld zu bekommen und – so doof es klingt – wieder zu mir zu finden. Ich wollte lernen, mehr auf meine innere Stimme zu hören und mir selbst genug zu sein. Und das geht nun mal am besten alleine.
Welche Vor- und Nachteile hat das Alleinreisen?
Für mich persönlich ist der größte Vorteil das Gefühl von völliger Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Ich empfinde es als sehr angenehm, keine Kompromisse machen zu müssen, den Tag so zu planen, wie ich es mir vorstelle und mich nicht doof zu fühlen, wenn ich einfach ein paar Stunden im Café sitzen oder den Abend vor dem Fernseher verbringen möchte.
Ein weiterer Vorteil ist, dass man sehr viel aufmerksamer durch die Gegend läuft. In Gruppen werfe ich meinen Orientierungssinn und mein Bauchgefühl manchmal über Bord und folge wie ein Schaf der Herde. Wenn ich auf mich selbst gestellt bin, muss ich natürlich proaktiver auftreten. Das ist übrigens auch der Grund dafür, dass man deutlich mehr Menschen kennenlernt, wenn man alleine unterwegs ist. Da man sich nicht so sehr auf die eigene Bubble fokussiert, kommt man viel eher mit fremden Leuten ins Gespräch oder knüpft neue Bekanntschaften.
Es gibt aber auch einige Nachteile des Alleinreisens: So gut es tun kann, keine Kompromisse einzugehen, so sehr können sie einem auch fehlen. Denn wer immer nur nach den eigenen Regeln spielt, kann auch den eigenen Horizont nicht erweitern. Manchmal kann es gut sein, sich zu einer ungewohnten Aktivität überreden zu lassen. Überraschungen und Abwechslung gehören eben auch zu einem gelungenen Urlaub.
Ein weiterer Minuspunkt, der mir besonders in diesem Urlaub aufgefallen ist, sind die deutlich höheren Ausgaben. Wer Übernachtungs-, Benzin- und Verpflegungskosten nicht drittelt, viertelt oder sonst wie aufteilt, zahlt eben den Vollpreis. Der größte Nachteil am Alleinreisen sind für mich aber die Unsicherheiten, die es mit sich bringt. Dieser Punkt ist natürlich sehr stark vom Reiseort und von euch als Person abhängig. Dennoch kommen insbesondere Frauen und queere Personen im Urlaub oft in unangenehme Situationen – und zwar nicht nur abends oder nachts. Alleine ist man daher viel stärker auf Verbündete angewiesen, die sich auskennen und einem Sicherheit bieten.
In Portugal hatte ich tatsächlich kein einziges Mal wirklich Angst, das lag aber vor allem an meinem Reiseziel, am akribischen Vorausplanen und an einer Portion Glück. Unsicherheiten gibt es immer, die hat man leider nicht selbst in der Hand. Dieses Mal habe ich mich vor allem vor Beginn der Reise ziemlich verrückt gemacht. Natürlich kann man nicht alles kontrollieren und einige Dinge liegen außerhalb der eigenen Handlungsmacht, aber mich beruhigt meist das Gefühl, einen Plan zu haben. Bei dieser Reise war eine der größten Herausforderungen, diesen Plan über Bord zu werfen.
In meinen früheren Reisen war ich aber auch schon an wirklich merkwürdigen Orten und in brenzligen Situationen. Im Nachhinein bin ich froh, dass sie so gut ausgegangen sind. Kleiner Tipp: Euer Bauchgefühl hat immer eine Berechtigung und ihr solltet es (wenn möglich) nicht ignorieren. Ängstlichere Typen wie ich müssen auf Solo-Trips auch lernen, dass sie einfach mal blindes Vertrauen haben müssen.
Die Hostel-Oma macht Selfies am Strand
Was sind also die Lehren, die ich aus diesem Urlaub gezogen habe? Zuerst einmal: Mit Anfang 30 ist man vielleicht noch nicht alt, aber definitiv eine der ältesten Personen im Hostel. Keine Frage, Happy Hour und nächtliche Sprünge in den Pool kennen kein Alter. Interessiert habe ich mir die spontan gestochenen Tattoos meiner Mitbewohner*innen angesehen, den Van-Life-Erzählungen gelauscht und den Kids in dem Punkt zugestimmt, dass sie vor dem geplanten Jura-Studium unbedingt nochmal die Welt sehen sollten. Es war entspannend, zu sehen, dass wir mit Anfang 20 alle ziemlich ähnliche Gedanken haben – und zehn Jahre später darüber schmunzeln können. Wie eine Hostel-Oma habe ich mir von den Techtelmechteln der anderen Gäste erzählen lassen und mich dabei auf eine Folge „Mord mit Aussicht“ gefreut, mit der ich meinen Abend für gewöhnlich abgerundet habe. Verurteilt mich nicht, ich liebe meine Urlaubstraditionen.
Zwei Wochen reichen übrigens, um zu merken, wen oder was ihr besonders vermisst. Nach ein paar Tagen meldete ich mich bei allen, die mir jetzt schon fehlten. Was ebenfalls früher oder später unpraktisch wird: Der Mangel an Personen, die euch in allen möglichen Situationen ablichten. Klar, die meisten Erinnerungsfotos guckt man sich später nie wieder an. Plötzlich wünschte ich mir dann aber doch ein Porträt mit Surfbrett im Arm oder eine Aufnahme vor dem Sonnenuntergang. Mir blieb also nichts anderes übrig, als Selfies am Strand zu machen oder fremde Menschen um Hilfe zu fragen. Ein positiver Nebeneffekt: Mittlerweile kann ich auf den ersten Blick abschätzen, welche Personen ein gutes Auge für Perspektiven besitzen.
„Du musst nicht jede Welle mitnehmen“ und weitere Lebensweisheiten
Direkt zu Beginn meines Surfkurses stellte sich zum Glück heraus, dass unser Lehrer ein lebendes Klischee war. Er sah nicht nur aus wie Zach Efron, er war auch nebenberuflich Musiker und beglückte uns alle mit seinen spontanen Weisheiten. Schnell merkte er, dass ich mir – wie vermutlich jede deutsche Touristin immer – viel zu viele Gedanken mache. „Don't overthink, Julie, go with the flow“, riet er mir fortan vor jeder herannahenden Welle. Nach einigen Stunden im Wasser fing ich an, mir seine Sprüche wirklich zu Herzen zu nehmen. Und wenn er mir erwartungsvoll „Ready?“ entgegen brüllte, kurz bevor die Welle brach, dann schrie ich zurück: „Born ready!“ Das Gedankenausschalten hat irgendwann wunderbar funktioniert und der Kurs wurde ein voller Erfolg. Besonders gut gefiel mir übrigens der Ratschlag: „You guys don't have to take every wave that comes your way.“ Manche Möglichkeiten darf man auch einfach ziehen lassen. Die nächste Welle kommt bestimmt.
Aber kommen wir zurück zum Anfang dieser Kolumne und der Frage aller Fragen: Wie schafft man es, alleine im Café oder im Restaurant zu sitzen, ohne sich dabei verloren zu fühlen? Für den Anfang empfehle ich ein Buch, ein Notizheft oder notfalls auch das Handy. Wer sich anderweitig beschäftigt und nicht nur Löcher in die Luft starrt, fühlt sich mit Sicherheit nicht fehl am Platz. Manchmal hilft es auch, sich vorzustellen, man würde auf eine Freundin oder einen Kumpel warten. Das ungewohnte Gefühl kommt lediglich aus einem selbst heraus und wirklich (!) nicht daher, dass andere über das Alleinsein urteilen. Früher oder später wird es sich aber völlig normal anfühlen, ohne Begleitung einen Kaffee oder ein Glas Wein zu trinken. Versprochen!
Alleine in den Urlaub zu fahren ist ein bisschen wie generelles Singledasein: Viele haben Angst davor und es hängt leider nicht nur von euch selbst ab, wie gut es läuft. Die äußeren Umstände haben ein großes Wörtchen mitzureden. Was aber auf jeden Fall stimmt: Wenn ihr euch selbst genug sein könnt, macht alles viel mehr Spaß. Und selbst, wenn ihr am Ende feststellt, dass es gemeinsam doch viel schöner ist, ist es ein riesiger Gewinn, die eigenen Bedürfnisse zu kennen. So könnt ihr auch in Zukunft genau den Urlaub machen, den ihr euch wünscht.