Buchhandlung als Utopie – Emilia von Senger über „She Said“

Buchhandlung als Utopie – Emilia von Senger über „She Said“

Wir sprechen mit Emilia von Senger über ihre Buchhandlung, die nur Werke von weiblichen und queeren Autor*innen führen wird. Eine Nische? Von wegen!

Wir sprechen mit Emilia von Senger über ihre Buchhandlung, die nur Werke von weiblichen und queeren Autor*innen führen wird. Eine Nische? Von wegen!

„She Said“ – aber was eigentlich? Frauen und queere Personen sind in der Literatur oft unterrepräsentiert und ihnen wird zu selten eine Stimme gegeben. Emilia von Senger möchte das ändern. Diesen Herbst wird sie die Autorinnenbuchhandlung „She Said“ in Berlin Neukölln eröffnen und fährt mit diesem Vorhaben eine längst überfällige Schiene. Der Prozess, mit allen Höhen und Tiefen der Planungsphase, kann auf Instagram mitverfolgt werden. Wir haben mit Emilia von Senger über Utopien, unerfüllbare Erwartungen an Buchhändler*innen und eine positive Fehlerkultur gesprochen.

Ich spreche immer von dir, dabei steht ja mittlerweile das komplette zukünftige Team von „She Said“ fest, richtig?

Genau, ganz allein würde ich das alles gar nicht schaffen, finde es aber auch viel schöner, als Team zusammenzuarbeiten. Linus und Fiamma sind Teil des festen Kerns, dann gibt es noch die beiden Architektinnen und eine Grafikerin. Heute waren wir in der Tischlerei Baufachfrau zu Gast, die Tischlerinnen dort werden hoffentlich unsere Möbel bauen. Unsere Idee ist es, möglichst mit Frauen oder queeren Personen zusammenzuarbeiten. Obwohl ich die ursprüngliche Gründerin bin und das Projekt finanziere, ist Linus Teil des Buchhandelsteams, sucht die zukünftigen Angestellten und Bücher mit mir aus und wird später ähnliche Befugnisse haben wie ich. Und Fiamma managed das Café.

Ich sehe immer Fiammas leckere Rezepte auf Instagram. Toll übrigens, dass ihr dort so viele Menschen daran teilhaben lasst, wie sich das Projekt entwickelt. War das eine aktive Entscheidung?

Anfang des Jahres bin ich mit meinen Plänen auf Instagram publik gegangen und habe verkündet, dass ich eine Buchhandlung eröffnen will. Ich hatte ja vorher schon meinen Instagram-Account und war in der #bookstagram-Szene vernetzt. Den Prozess wollte ich aus unterschiedlichen Gründen begleiten: Einerseits kriegen wir durch die Community super viel Input. Was finden die Leute gut? Welche Ideen haben sie und was wünschen sie sich? Gleichzeitig wusste ich auch, dass ein Interesse entsteht, wenn wir den Planungsprozess zeigen. Wenn „She Said“ erstmal offen ist, wollen wir auf unserem Kanal auch weiterhin alles kommunizieren.

Was wäre das zum Beispiel?

Im Moment sprechen wir viel über die Preise für das Café. Bei uns kostet die Zimtschnecke vielleicht 10 Cent mehr als beim Bäcker gegenüber, dafür zahlen wir den Leuten faire Löhne. Ich finde es gut, wenn wir das transparent machen können.

Die Resonanz auf Instagram ist toll - hättest du mit so tollem Feedback gerechnet?

Niemals! Vorher hatte ich zu meinen Freund*innen gesagt: „Wenn wir morgen 200 Follower*innen haben, freue ich mich voll!“ Dann hatten wir 2000 - innerhalb von einem Tag und mit nur einem Post. Das war echt krass!

„ „Bei uns kostet die Zimtschnecke vielleicht 10 Cent mehr als beim Bäcker gegenüber, dafür zahlen wir den Leuten faire Löhne.“ “

Als Kunstnerdine muss ich das jetzt fragen: Wird es auch eine Kunstecke geben?

Klar! Wir werden ein wunderschönes Regal haben, das von der Künstlerin Charlotte Dualé aus Keramik angefertigt wird. Darin sollen dann die Kunstbücher stehen. Es gibt so tolle Bücher über vergessene oder besser wiederentdeckte Künstlerinnen, zum Beispiel "Die Menschheit in Erstaunen versetzen" über Hilma af Klint von Julia Voss. Es passt natürlich sehr gut zu unserer Ausrichtung, wiederentdeckte Stimmen zu fördern.

Eigentlich sollte man meinen, es müsse heutzutage einige Autorinnenbuchhandlungen geben. Wieso ist es dennoch ein Alleinstellungsmerkmal?

Als ich die Idee zu „She Said“ hatte, dachte ich, dieses Konzept müsse es doch sicher schon geben. Falsch gedacht! Klar, es gibt die Frauenbuchhandlungen aus den 70er und 80er Jahren, die besonders in universitären Städten wie Tübingen und Göttingen überlebt haben und die für mich auch ein großes Vorbild sind. Aber in Berlin gibt es davon tatsächlich keine mehr. Ich glaube aber fest daran, dass es eine Bewegung ist, die sich wieder weiter verbreiten wird. In Zürich hat jetzt zum Beispiel schon eine queer-feministische Buchhandlung eröffnet. Davon wird es sicher bald auch in größeren deutschen Städten mehr geben.

In der Vergangenheit warst du lange Zeit sehr krank, damals hast du an Bildungsprojekten in Schulen gearbeitet. Machst du dir Sorgen, dass die Anstrengung wieder zu groß werden könnte?

Gerade arbeite ich sehr viel, aber das gibt mir eigentlich eher Energie. Durch meine Krankheitsgeschichte habe ich mir natürlich die Frage gestellt: „Schaffe ich das?“ Aber wenn ich wieder krank werde oder ausfalle, geht es trotzdem weiter. Diese Vorstellung beruhigt mich total. Das ist anders als in der Schule, da habe ich mir immer starken Druck gemacht, dass, wenn ich nicht da bin, die Bezugsperson fehlt. Jetzt ist es anders. Im Notfall zahle ich mir kein Gehalt aus und stelle jemanden ein, der oder die meine Stelle übernimmt. Ich mache mir natürlich finanzielle Sorgen und darüber, ob wir das realisieren können, was wir uns vorstellen. Wir starten ja auch mit ziemlich vielen Angestellten.

Entsteht auf diese Weise nicht auch eine Menge Druck?

Letzte Woche war ich kurzzeitig sehr müde und überfordert. Dann habe ich auf Instagram darüber geschrieben, dass es sich anfühlt, als würde alles gleichzeitig passieren und als hätten wir gerade in den dritten Gang geschaltet. Danach ging es mir irgendwie besser. Ich glaube, ich würde mich nicht trauen, die Summe zu investieren, wenn ich diesen enormen Zuspruch noch nicht hätte. Wahrscheinlich würde es mir dann mit der großen Verantwortung sehr viel schlechter gehen.

Sachbuch, Krimi, „fremdsprachige“ Bücher – diese Buchkategorien kennen wir alle aus der Buchhandlung. Gibt es da mal Überholungsbedarf?

Bei uns wird es neben den Klassikern auch Kategorien wie „Wiederentdeckte Autorinnen“, „Queere Literatur“, „Non-Western“ und „Postmigrantische Gesellschaft“ geben. Im Bereich Sachbuch werden wir vornehmlich Themen vertreten, die unsere Kund*innenschaft interessieren, also Klima, kritische Männlichkeit, queer-feministische Theorien, Arbeit, Soziales und Anti-Rassismus zum Beispiel.

Die zukünftigen Buchhändler*innen von "She Said"

„ „Wenn ich diesen enormen Zuspruch noch nicht hätte, würde es mir mit der großen Verantwortung wahrscheinlich sehr viel schlechter gehen.“ “

Und wie sortiert ihr bei „She Said“?

Wir sprudeln natürlich nur so vor Ideen und haben auch unsere Follower*innen auf Instagram dazu befragt. Das Ergebnis war relativ eindeutig: 90 Prozent wollten, dass wir nach Themen ordnen, nur 10 Prozent wollten im belletristischen Bereich eine Sortierung von A bis Z. Nach Themen zu sortieren ist natürlich eine große Herausforderung, da manche Bücher in mehrere Kategorien passen. Daher habe ich mir schon eine Trumpfliste gemacht: „Queer“ trumpft „Non-Western“ und solche Sachen (lacht). Manchmal wird es ein bisschen verwirrend sein und man muss suchen. Dafür kann man sich als Kund*in umso mehr inspirieren lassen. Buchhandlungen sind Orte, an denen sehr impulsiv eingekauft wird.

Wie handhabt ihr es bei Kinderbüchern?

Da werden wir ein bisschen nach Alter sortieren. Bei Kinderbüchern kommt es uns vor allem auf die Geschichte an: Wir finden es gut, wenn es um das Aufbrechen von Gendernormen geht oder Mädchen in Hauptrollen auftauchen, was leider häufig nicht der Fall ist. Selbst Tiere sind oft männlich konnotiert. Wir achten auch auf Diversität und das Auftauchen von POC, nicht nur dann, wenn es explizit um Rassismus geht. Das Auswählen der Kinderbücher gemeinsam mit Linus macht wirklich großen Spaß.

Es ist sicher auch mit viel Verantwortung verbunden, da eine Auswahl zu treffen.

Manchmal fürchte ich, dass wir niemals allen Ansprüchen gerecht werden können. Man erwartet von uns, dass wir Bücher präsentieren, die die Leute noch nie gesehen haben, gleichzeitig sollen wir aber auch alles da haben, was ihrer Meinung nach in einen Buchladen wie unseren gehört. Und es gibt die Erwartung, dass wie alles gelesen haben, was wir verkaufen - eine ziemlich absurde Vermutung.

Angenommen, man hat ein doofes Buch erwischt. Bist du Team Abbrechen oder Weiterlesen?

Abbrechen, aber das passiert mit zum Glück nur noch selten. Mittlerweile bin ich so gut darin, Bücher auszuwählen, dass ich allermeistens Bücher lese, die mir gefallen. Lesen ist ja eine Freizeitbeschäftigung und sollte Spaß machen, die Lust am Lesen ist das Wichtigste. Wenn die fehlt, sollte man auf jeden Fall zum nächsten Buch übergehen. Natürlich sind Bücher oft vom Inhalt nicht „schön“, aber zumindest das Informieren sollte guttun.

Liest du gerade auch privat oder nur beruflich?

Ich lese kaum heterosexuelle Cis-Männer aber ab und zu passiert es doch. Selbst wenn mich so ein Buch interessiert, greife ich dazu momentan nicht, da ich es nicht verkaufen werde. Ich versuche, im Moment viel Aktuelles zu lesen, außerdem afroamerikanische Literatur und Klassiker von POC-Autor*innen. Dahingehend möchte ich mich so gut weiterbilden, dass ich die Bücher gut empfehlen kann.

Es gibt ja immer wieder Debatten um das Führen und Nicht-Führen bestimmter Autor*innen. Wie politisch sollen oder dürfen Buchhandlungen sein?

„She Said“ ist ganz klar politisch. Linus und mir ist sehr bewusst, dass es zu manchen Büchern in unserer Kund*innenschaft ganz unterschiedliche Meinungen gibt. Bestimmte Kinderbücher zum Beispiel, die von vielen sehr geliebt werden und über die andere sagen, sie seien rassistisch. Wir überlegen gerade, ob wir J.K. Rowling in unsere Regale stellen werden (Die Autorin machte in der Vergangenheit mehrfach wegen transfeindlicher Kommentare Schlagzeilen, Anm. d. Red.). In solchen Fällen muss man einfach für sich entscheiden, was man richtig findet, in diesem Punkt würde ich Linus die Entscheidung überlassen. Wir wissen, dass wir, eben weil wir politisch sind, auch angreifbarer sind als andere Buchhandlungen.

Wie geht ihr damit um?

Man kann nicht immer alle Aussagen befriedigen, wir wollen aber unbedingt im Dialog mit den Kund*innen bleiben. Auch innerhalb unserer Buchhandlung soll es eine positive Fehlerkultur geben. Wir wollen voneinander lernen und hoffen, dass wir diese Haltung auch gut nach außen tragen können.

„ „Wir wissen, dass wir, eben weil wir politisch sind, auch angreifbarer sind als andere Buchhandlungen.“ “

Werdet ihr auch Veranstaltungen organisieren?

Genau, jeden Dienstagabend wird es die sogenannten „She Said Tuesdays“ geben, bei denen zehn bis fünfzehn Leute zusammenkommen und sich zu einem bestimmten Thema austauschen. Das kann in Form eines Buchclubs sein oder wir gucken gemeinsam einen Film und sprechen darüber. Es soll nicht darum gehen, dass drei Leute auf der Bühne sitzen und hundert zuhören, sondern um den allgemeinen Austausch.

Welche Vorteile haben Buchhandlungen heutzutage gegenüber einer Konkurrenz wie Amazon?

Buchhandlungen werden sehr romantisiert, aber auf eine positive Art und Weise. Für viele ist es ein Ort, an dem sie einfach sein können. Für mich ist eine Buchhandlung ein fast utopischer Platz, mein persönlicher Rückzugsort. Es gibt dort so viele unterschiedliche Meinungen auf kleinem Raum. Auch wenn in der Gesellschaft vieles falsch läuft, möchten wir es bei „She Said“ genauso gestalten, wie wir es uns vorstellen. Uns ist dieser Aspekt sehr wichtig: Wir sind nicht Amazon, wir können selbst entscheiden, welche Regeln bei uns gelten, welche Bücher wir einkaufen und welche Veranstaltungen wir organisieren.

Einfaches Bestellen und Abholen geht aber bei euch auch?

Ja, wir werden sogar zwei Onlineshops haben. Einen mit unseren eigenen Sachen, Postkartenkollektion, T-Shirts und Bücherpaketen mit unseren Lieblingsbüchern. Und dann gibt es noch einen normalen Onlineshop, bei dem man bis 18 Uhr bestellen kann und am nächsten Tag ist das Buch bei uns. Und ja, man kann auch Bücher von heterosexuellen Cis-Männern bei uns bestellen, wenn man das explizit möchte. Wer normalerweise immer bei uns einkauft, soll ja nicht extra dafür in einen anderen Laden rennen.

Könntest du dir vorstellen, ein eigenes Buch zu schreiben?

Auf keinen Fall einen Roman, dazu habe ich leider wirklich nicht das Talent. Wenn mir dazu die Zeit bleibt, würde ich gerne ein paar Essays schreiben. Ich habe für ZEIT Online mal einen Text über Toxische Weiblichkeit geschrieben, das hat mir großen Spaß gemacht. An Ideen zu Themen, über die ich gerne schreiben würde, hapert es nicht - aber ich brauche eben auch die Zeit.

Gab es überhaupt schon negatives Feedback zu „She Said“?

Selten. Männer sagen mir manchmal, Bücher sollten nach ihrer Qualität ausgesucht werden, nicht nach ihrem oder ihrer Autor*in. Außerdem gibt es unter dem TAZ-Interview mit mir einen Kommentar, der mir vorwirft, dass ich eine reiche Gründerin sei, die mit „She Said“ angestammte Buchhandlungen verdränge. Das ist zwar eine Einzelmeinung, aber es könnte die Kritik sein, die wir am meisten kriegen.

Weshalb?

Wir sind eine große Buchhandlung und es gibt in der Umgebung nur kleine Kiezbuchläden. Ich finanziere die Buchhandlung mit Eigenkapital, insofern ist der Vorwurf nicht vollkommen falsch. Allerdings ist es natürlich kein Geld, das ich sonst für Karibikreisen ausgeben würde. Es ist speziell für dieses Projekt. An dieser Stelle ist es mir wichtig, ganz konkret meine Privilegien zu thematisieren. Auch, wenn das natürlich mit Angst verbunden ist.

Wie konkret ist denn die Verdrängung wirklich?

Wir hoffen natürlich, dass wir die lokalen Buchhandlungen nicht verdrängen. Es gibt Stimmen, die sagen, dass innerstädtisch so eine hohe Dichte an Menschen herrscht, dass mehrere Buchhandlungen ohne Probleme nebeneinander bestehen können und jede*r seine oder ihre eigene Kund*innenschaft haben kann. Außerdem schaffen wir es vielleicht mehr Büchernerds in den Kiez zu locken, die dann auch in andere Buchhandlungen gehen.

Hast du zu den Händler*innen in der Umgebung Kontakt aufgenommen?

Ja, ich habe mich überall vorgestellt, als klar war, dass ich den Laden bekomme. Die meisten hatten auch schon von mir gehört und haben die Neuigkeiten sehr positiv aufgenommen. Der Buchhandel ist allgemein sehr solidarisch, ich bin mit vielen Buchhandlungen im engen Austausch. Es geht allen Buchhändler*innen um eine gemeinsame Mission: Das Lesen zu fördern.

Steht denn schon ein Datum für eure Eröffnung fest?

Wir haben Mitte November angepeilt. In jedem Fall eröffnen wir vor Weihnachten, da wir das Weihnachtsgeschäft aus finanziellen Gründen mitnehmen wollen. Zumindest die Regale und die Tresen sollten bis dahin fertig sein. Eventuell eröffnen wir im totalen Provisorium, und das Schaufenster und die Tische kommen erst später. Aber das ist egal und passt auch irgendwie zu uns!

Vielen Dank für das tolle Gespräch - wir sehen uns im November!

Seid ihr auch schon so gespannt auf die Eröffnung von „She Said“? Hier könnt ihr alle aktuellen Entwicklungen mitverfolgen!

Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.

  • Header:
    Matthias Ziegler

Weitere Artikel werden geladen...