Ist die Periode eine Ausstellung wert?

Ist die Periode eine Ausstellung wert?

Die Kunstkolumne von Julia ist zurück!

Obwohl etwa die Hälfte der Menschheit irgendwann mal menstruiert, wird kaum vernünftig über die monatliche Blutung gesprochen. Eine Ausstellung in Berlin will das nun ändern.

Über ein Jahr ist es nun her, dass meine letzte Kunstkolumne auf BEIGE online gegangen ist. Und jetzt kommt die Neue ganz schön reißerisch daher. Der polemische Titel hat folgenden Grund: als ich im Frühjahr 2023 die erste Ankündigung zur Ausstellung „Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation“ gelesen habe, war ich auf der Stelle begeistert. Was für ein fantastischer Titel! Ich fand heraus, dass die Geschichte der Periode in Deutschland noch nie so richtig ausgestellt wurde. 1998 fand zwar im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt die Schau „Menstruation: Monatshygiene im Wandel von 1900 bis heute“ statt, das Thema ist aber weitaus komplexer. Nichts gegen fantasievolle Periodenprodukte aus der Geschichte, aber mit der Periode hängen ja deutlich mehr politische und gesellschaftliche Fragen zusammen. Schließlich betrifft das Thema eine ganze Menge Menschen: Rund 2 Milliarden Personen haben weltweit ihre Menstruation, etwa 1,5 Milliarden Menschen hatten sie mal oder werden sie noch bekommen.

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass andere Körperfunktionen, etwa Verdauung oder Muskelaufbau, noch viel mehr Leute betreffen und demnach wichtiger seien. Das geschah auch prompt, als ein wütender (Ex-)Follower auf meine Instagram-Story antwortete: „Die gesamte Weltbevölkerung geht mal sch***. Trotzdem macht kein Mensch eine Ausstellung darüber.“ So ignorant diese Aussage ist, so valide ist doch die Frage: Warum werden zu anderen Körperfunktionen keine Ausstellungen gemacht? Warum ist ausgerechnet die Menstruation eine Ausstellung wert?

Werbeanzeige für o.b., Zeitschrift Nicole, Februar 1986

Abgesehen davon, dass mich auch eine Schau über Darmfunktionen oder Rückenbeschwerden (hallo, fellow Dreißigjährige) faszinieren würde, hat die Menstruation eine Sonderrolle inne: Es gibt sie schon immer. Anders als Nackenstarre durch Smartphone-Konsum oder Sehnenscheidenentzündung durch übermäßiges Tippen ist sie kein Phänomen unserer Zeit. Über Jahrhunderte wurde sie mit Mythen belegt, tabuisiert, aber auch ritualisiert. Man musste schon mit ihr klarkommen, bevor man sich Slipeinlagen in die Unterhose kleben oder im Supermarkt um die Ecke eine Großpackung Tampons kaufen konnte. Man blutet in Bolivien ebenso wie in Grönland oder im Himalaya-Gebirge. Und trotzdem ist das Thema sehr aktuell – das sieht man zum Beispiel an den Diskussionen um die sogenannte „Tamponsteuer“: Tampons und andere Periodenprodukte unterliegen keiner Steuerbefreiung und gelten somit nicht als Grundbedürfnisse.

Der Begriff „Periodenarmut“ ist zwar relativ irreführend, beschreibt aber das Phänomen, sich keine oder nur begrenzt Monatshygieneartikel leisten zu können. Finanzielle Benachteiligungen entstehen unter anderem auch dadurch, dass Bildungschancen durch das Fehlen im Job oder in der Schule verringert werden oder dass durch unsaubere Hygieneprodukte Krankheiten entstehen. Lange Rede, kurzer Sinn: Es geht in der ganzen Debatte nicht nur um pinke Latex-Cups und Sport während der Periode, sondern um ganz generelle Missstände.

Menstruationsprodukte aus mehreren Jahrzehnten © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Christian Krug

Eine eigene Geschichte zum Thema Menstruation hat wohl jede*r parat. Die erste Periode im Schulunterricht, verschämtes Fragen nach Tampon oder Binde, Herumdrucksen vor dem Sportunterricht. Synonyme wie „Erdbeerwoche“ oder „Besuch der roten Tante“. Aufklärungsunterricht, der keiner ist. Frauenärzt*innen, die einen nicht ernst nehmen. Scham vor Super-Plus-Tampons. Werbespots, in denen Blut blau ist und Frauen während der Periode so aktiv sind, dass einem schwindelig wird. Ein Körbchen mit Tampons im Bad, ein Blutfleck auf der weißen Hose oder so schlimme Krämpfe, dass man nur im Bett liegen kann. Malen mit Periodenblut, Sex während der Periode, eine Überauswahl an Periodenprodukten, Überforderung in der Drogerie. Im Ausland: plötzlich ganz andere Produkte, die man alle nicht kennt. Ausbleibende Periode. Ausufernde Periode. Unregelmäßige Periode. Und so weiter …

Wie stellt man die Periode aus?

Ausstellungsansicht © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Christian Krug

Es ist also spannend und überfällig, die Menstruation kunst-, kultur- und gesellschaftshistorisch zu analysieren. Das MEK (Museum Europäischer Kulturen) in Berlin-Dahlem hat sich dieser Herausforderung gestellt. Anhand von vier großen Themenbereichen beleuchtet das Museum die Diskurse, die Menstruierende seit Jahrhunderten begleiten. Zum einen ist das, na klar, die Geschichte der Menstruationsprodukte. Ich lerne etwa, dass die Menstruationstasse schon 1937 erfunden wurde. Leona Chambers entwickelte nach der Geburt ihrer Tochter Periodenprodukte und meldete kurzerhand das Patent für die Tasse an, die sich allerdings nur mäßig verkaufte. Hätte sie mal gewusst, wie beliebt das Produkt heutzutage ist. Apropos Patent: 1954 erfindet Mary Kenner den elastischen Bindengürtel. Auf einem Zeitstrahl lassen sich weitere Ereignisse und Erfindungen der letzten Jahrhunderte nachvollziehen. Hier ist auch Menstruationswäsche zu sehen, die getragen wurde, als Tampon, Binde und Co. noch nicht existiert haben. Man kann die Produkte sogar anprobieren – natürlich über der eigenen Kleidung.

Ausstellungsansicht © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Christian Krug

Schwäche vs. Leistung

Ein weiterer Themenbereich zeigt Beiträge aus Musik, Comedy, Kunst und Film. Denn wie die Periode in der Popkultur verarbeitet wird und wurde, trägt zu unserem eigenen Bild der Menstruation bei. Keine Sorge, es beschränkt sich nicht auf Sprüche wie „Die hat wohl ihre Tage, hehe“ oder lahme Witze über Typen, die für ihre Freundinnen Tampons kaufen gehen müssen. Hier wird zum Beispiel Kiran Gandhi gezeigt, die 2015 für viel Furore sorgte, weil sie einen Marathon lief, ohne Periodenprodukte zu verwenden. Das so genannte „Free Bleeding“, bei dem im wahrsten Sinne des Wortes einfach laufen gelassen wird, erregte vor allem im Netz viel Widerstand und hasserfüllte Kommentare. Freiwillig mit einem Blutfleck im Schritt in der Öffentlichkeit auftreten? Das schien für viele Menschen undenkbar.

Was an vielen Stellen der Ausstellung deutlich wird, ist die extrem unterschiedliche Wahrnehmung von Menstruierenden und ihren Fähigkeiten. Ob nun streng verordnete Schonzeit unter starken Medikamenten oder die Aufforderung, sich nicht so anzustellen – beide Meinungen werden und wurden instrumentalisiert und politisch genutzt. Lange befürchtete man, Periodenblut sei giftig. Bis in die 1990er-Jahre war in Europa der Glaube vertreten, Frauen sollten während ihrer Periode nicht mit Lebensmitteln in Kontakt kommen. Manchen Menschen spielte es in die Hände, dass Frauen eine gewisse Zeit des Monats „arbeitsunfähig“ waren – selbstverständlich gewährte man diesen Luxus nur finanziell besser gestellten Frauen. Ihre Dienstmädchen mussten derweil trotz ihrer Menstruation arbeiten. Auch heute wird der „Periodenurlaub“ noch heiß diskutiert. Und während er für manche – ob menstruierend oder nicht – überhaupt nicht infrage kommt, erachten andere ihn als überfällige Selbstverständlichkeit. Zwischen „Stell dich mal nicht so an!“ und unentdeckter Endometriose wird klar, dass es einfach keine allgemein gültigen Regeln (höhö) gibt. Und auch, dass das individuelle Empfinden häufig keine Validität hat.

Die Diskurse rund um die Menstruation werden in der Ausstellung nicht zusammengepresst, sondern hervorgehoben. Neben Werbeanzeigen, Presseartikeln und Social-Media-Beiträgen kommen auch einzelne Personen zu Wort, die ihre ganz eigenen Erfahrungen schildern. Das ist aus oben genannten Gründen wichtig und für ein Museum recht ungewöhnlich: Subjektive Meinungen sind in Ausstellungen zwar immer vertreten, werden aber oft als Objektivität getarnt. Das MEK präsentiert eine breite Auswahl an Denkansätzen. ob Erfahrungsberichte über die Benutzung von Damenbinden in den 1950er-Jahren oder innovative Lösungen, mit der monatlichen Blutung so gut wie möglich umzugehen.

Im Sog der „Period Positivity“?

Bei Deutschlandfunk Kultur hat Şeyda Kurt zuletzt sehr schlau über „Period Positivity“ geschrieben. Was das ist? „Die Glorifizierung der Periode für mehr Umsatz“ – sprich: Marken idealisieren eine stinknormale Sache (die Monatsblutung) und reden den Verbraucher:innen ein, man müsse sie embracen. Oder einfach viel teures Zeug kaufen: Panties, Cups, Schwämmchen oder Tampons aus 100 Prozent fairer Bio-Baumwolle. Und während wir über „Free Bleeding“ und Urlaubstage während der Menstruation sprechen, ist der Zugang zu entsprechenden Produkten in anderen Teilen der Welt immer noch nicht gewährleistet. Eben ein klassischer Fall von privilegierter Sicht auf die Dinge, die die eigentliche Problematik ausblendet. Kurt hat recht, dass die eigene Identität nichts mit der Periode zu tun hat oder zumindest haben muss. Die monatliche Blutung sollte nicht glorifiziert oder instrumentalisiert, sondern akzeptiert und normalisiert werden. Und das funktioniert nicht dadurch, dass man Menschen einredet, was sie dabei zu fühlen haben, welches Produkt sie unbedingt brauchen und dass sie nur einige hundert Euro davon entfernt sind, einen „normalen Alltag“ mit Periode zu erleben.

Bindengürtel, genutzt in Berlin, vermutl. 1960er-Jahre © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Christian Krug

Apropos Alltag: Ein Ausdruck von „Period Negativity“ – es gibt diesen Begriff nicht wirklich, das Stigma aber schon – wäre dann wohl #pinkygate, das vor zwei Jahren die Gemüter erhitzte. Ein Start-up stellte in der Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ den pinken Einmal-Handschuh „Pinke Gloves“ vor, der zum Entsorgen von Hygieneartikeln genutzt werden sollte. Wer in öffentlichen Toiletten keinen Mülleimer vorfindet und sich außerdem nicht mit bloßer Hand berühren will, für den sollte dieses Produkt herhalten. Blöd nur, dass die Zielgruppe da ganz anderer Meinung war. Viele sahen in der Idee – zu Recht – einen klaren Rückschritt: Eine Tabuisierung der Periode, eine rollenstereotype Vermarktungsmasche und eine ziemliche Umweltsauerei. Nach der überwältigenden Kritik nahmen die beiden Gründer die Menstruationshandschuhe vom Markt. In der Ausstellung kann man sie sich aber noch einmal vor Augen führen. Es ist nur eins von zahlreichen Beispielen, das die Periode als negativen Vorgang ansieht, der schmutzig, eklig und diskret zu behandeln ist.

Wie viel wissen wir wirklich über die Periode?

Zu guter Letzt geht es bei „Läuft“ auch um Aufklärung und aktuelles Wissen. Mir kommen direkt die zahlreichen viralen Videoclips in den Sinn, in denen Männer gefragt werden, wie viele Tampons wohl pro Periode benötigt werden oder wie viel Blut während der Menstruation ausgeschieden wird. Mit ihren Schätzungen liegen die Befragten meist völlig daneben – ob sie im Anschluss aufgeklärt werden, bleibt offen. Aber seien wir mal ehrlich: Auch unter Menstruierenden herrscht häufig großes Unwissen. Ich weiß zum Beispiel nicht genau, was die Lutealphase (die Autokorrektur kennt dieses Wort übrigens auch nicht) ist. Und wie unterscheiden sich die Sexualhormone Östrogen und Progesteron jetzt nochmal genau?

Ausstellungsansicht © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Christian Krug

In der Ausstellung lerne ich, dass der Mythos vom durchschnittlich 28-tägigen Zyklus gar nicht mehr aktuell ist. Die Auswertung von Menstruations-Apps hat ergeben, dass es stattdessen 29,5 Tage sind. Außerdem kann man sich ganz genau angucken, wie viel Blut im Durchschnitt ausgeschieden wird und was da eigentlich sonst noch so herauskommt. Für absolute Beginner*innen gibt es auch ein riesiges Schaubild der Gebärmutter, mit dem das Basiswissen etwas aufgefrischt werden kann. Zu meiner großen Freude klärt sich auch die Frage mit der Lutealphase.

Wenn „Läuft“ eine Sache deutlich macht, dann, dass Verallgemeinerungen beim Thema Periode keinen Platz haben. Die Ausstellung kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher und bietet einen interessanten Überblick und verschiedene Perspektiven zu Geschichte und Gegenwart der Menstruation. Schnell wird klar, dass eine Perioden-Ausstellung keinesfalls überflüssig ist, sondern viele neue Erkenntnisse offenbart. Eine erfrischende Mischung aus Aufklärungsarbeit und kultureller Spurensuche eben. Ich empfehle, sich viel Zeit und eine nette Begleitung mitzunehmen, um sich direkt im oder nach dem Museum zu den diversen Themen auszutauschen.

Übrigens, da wir gerade von Zyklus sprechen: Mit monatlicher Regelmäßigkeit wird sich nun auch meine Kunstkolumne in eurem BEIGE-Feed wiederfinden. Hurra!

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