Call Her By Her Last Name

Gebt den Künstlerinnen ihre Nachnamen wieder!

Gebt den Künstlerinnen ihre Nachnamen wieder!

„Hast du „Tove“ schon gesehen?“, fragte mich letzte Woche eine gute Bekannte. Kurzes, akribisches Grübeln auf meiner Seite: „Schon länger her – geht es ihr gut?“ Ich war der festen Überzeugung, dass sie sich nach unserer gemeinsamen Freundin Tove erkundigte. Der verständnislose Blick, den ich erntete, sagte alles: Irgendetwas stimmte nicht. Erst nach einigem Hin- und Her wurde klar, dass sie von dem Film „Tove“ sprach. Das Biopic, das aktuell im Kino zu sehen ist, beleuchtet das Leben der Mumin-Schöpferin Tove Jansson.

Ein ähnliches Erlebnis hatte ich vor einigen Jahren, als ich an einem Kinoplakat mit der großen Aufschrift „Paula“ vorbeiradelte. Mir fielen auf der Stelle eine ganze Hand voll Paulas ein, deren Leben hätte verfilmt werden können. Aber welche war denn nun gemeint? Die portugiesische Malerin Paula Rego vielleicht? Oder die Widerstandskämpferin Paula Rueß? Erst wenig später stellte sich heraus, dass die Expressionistin Paula Modersohn-Becker gemeint war.

Versteht mich nicht falsch: Ich freue mich, wenn Filme über Jansson oder Modersohn-Becker gemacht werden! Beide haben spannende Biografien, die genug Material für lange Kinoabende bieten. Wenn Künstlerinnen popkulturelle Aufmerksamkeit bekommen, bin ich (meistens) froh darüber. Trotzdem hat mich das Missverständnis um „Tove“ an eine Frage erinnert, die mich schon lange beschäftigt: Warum werden ernstzunehmende Künstlerinnen so häufig lediglich beim Vornamen genannt? Woher kommt das paternalistische Rumgekumpel, wenn es um Frauenbiografien geht?

Niedlich, niedlicher, Frauenbiografien

Zum ersten Mal ist mir die Sache mit den Vornamen 2002 aufgefallen. Das weiß ich noch so genau, weil damals der Film „Frida“ in die Kinos kam, der vom Leben Frida Kahlos erzählt. Schon damals wunderte ich mich darüber, dass ihr sehr prominenter Nachname nicht mehr aufs Kinoplakat gepasst hatte. Doch an Platzmangel, das weiß ich heute, hat es sicherlich nicht gelegen. Beleg dafür ist der Film „Artemisia“ über die Barockmalerin Artemisia Gentileschi: Der vor Sentimentalität triefende Untertitel „Schule der Sinnlichkeit“ nimmt einen großen Teil des Plakats ein und hätte, da bin ich sicher, problemlos gegen einen Nachnamen getauscht werden können. Hinter dieser Entscheidung steckt also etwas anderes.

Wie das eben so ist, fielen mir, einmal darauf aufmerksam geworden, plötzlich überall Vornamen ins Auge: „Séraphine“ zum Beispiel handelt von der französischen Malerin Séraphine Louis. „Charlotte“, ein etwas älterer Film, behandelt das Leben von Charlotte Salomon und „Maudie“ verniedlicht den Namen der kanadischen Künstlerin Maud Lewis. 

Maestro trifft auf Mädchen

Seltsam ist bloß, dass diese vertraute Ansprache nicht für die Künstler gilt. Bei den „großen Meistern“ ist das Gegenteil der Fall: Hier zieren die Nachnamen, „Gauguin“, „van Gogh“ oder „Pollock“, die Filmplakate. Häufig führt das dazu, dass die Vornamen dieser Männer gar nicht so bekannt sind. Hättet ihr auf Anhieb gewusst, wie Modigliani oder Basquiat mit Vornamen hießen? Oder könnt ihr euch vorstellen, eine Ausstellungsankündigung zu „Claude“ oder „Peter Paul“ zu sehen statt zu Monet und Rubens? 

Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele, den Film „Loving Vincent“ zum Beispiel. Wie sagt man so schön: Ausnahmen bestätigen die Regel. Das ist übrigens ein Sprichwort, mit dem man alles Mögliche relativieren kann, aber dazu ein anderes Mal mehr. Gucken wir uns aber die Verteilung von Vor- und Nachnamen an, stehen einem Vincent viele Beltracchis, Beuys‘ und Monets gegenüber. 

Übrigens ist dieses Phänomen nicht nur bei Künstlerinnen und Künstlern verbreitet. Auch Frauen in anderen Berufsfeldern werden hemmungslos mit Vornamen angesprochen: So zum Beispiel in den Filmen „Hannah“ (Arendt) oder „Astrid“ (Lindgren), die im Teaser zu Recht als größte Kinderbuchautorin aller Zeiten betitelt wird. Auch die US-amerikanische Schriftstellerin „Shirley“ (Jackson) muss in der Verfilmung ihrer Biografie auf ihren Nachnamen verzichten.

Wer ist Astrid?

Gut, ich denke, die Auffälligkeit ist klar geworden. Nun zur wichtigsten Frage: Was soll denn nun die nahezu zwanghafte Nennung des Vornamens bezwecken?

Wenn wir „Astrid“ oder „Frida“ hören, dann wirkt das nahbar und unverfälscht. Wir bekommen den Eindruck, die Künstlerin hier wirklich kennenzulernen. Sie wird quasi von ihrem Podest herabbefördert und zum Mädchen von Nebenan. Erst mal gar nicht so doof, oder? Schließlich ist das doch genau das, was ich will, wenn ich mir einen Film angucke. 

In der Gegenüberstellung wird jedoch deutlich: Während Paula und Séraphine zu Freundinnen auf Augenhöhe avancieren, sollen wir zu Basquiat und Gauguin bewundernd aufschauen. Durch die bloße Verwendung des Nachnamens festigt sich der Eindruck eines unerreichbaren Künstlergenies. Der große Houdini! Der unvergleichliche Picasso! 

Lesen wir hingegen nur den Vornamen, kann das dazu führen, dass die wahre Profession der Künstlerin in den Hintergrund rückt und zur Nebensache wird. Hinzu kommt, dass die Filme über „Tove“ oder „Frida“ sehr bemüht sind, das Privatleben der Protagonistinnen in den Vordergrund zu stellen. Statt über die akademische Laufbahn oder die Herausforderungen des Berufs, lernen wir, wann mit wem angebandelt wurde, wie eng die Beziehung zum Vater war oder wie phänomenal/grauenhaft die Ehe lief.

Der Film macht die Hauptdarstellerin zu genau dem, was der Titel verspricht: unserer Freundin. Neben den ganzen privaten Details vergessen wir beinahe, dass Artemisia eigentlich gemalt hat und Astrid ganz nebenbei auch eine der bekanntesten Kinderbuchautorinnen unserer Zeit war.

Duz doch, wen du willst

Generell spricht natürlich nichts gegen das Duzen oder die Anrede mit dem Vornamen. Nein, ich bestehe nicht darauf, dass man mich überall „Frau Meyer-Brehm“ nennt. Ja, auch ich spreche manchmal lediglich von „Hannah", wenn ich über die aktuelle Ausstellung im Museum rede. Liebe Vornamen-Lobby, es gibt keinen Grund, auf die Barrikaden zu gehen: Ich möchte weder Vornamen verbieten noch die künstlerische Freiheit untergraben.

Aber wir finden das angesprochene Phänomen eben nicht nur in Filmen, sondern zum Beispiel auch in der Literatur, in der Werbung – oder im Alltag. Daher halte ich es für sinnvoll und notwendig, dass wir uns öfter mal hinterfragen – wen duze ich eigentlich und wen nicht? Warum möchte ich manchmal selbst lieber gesiezt werden? Und welche Machtstrukturen könnte das offenbaren?

Es ist eine gute Hilfe, wenn sich gesellschaftliche Ungleichheiten in der Popkultur niederschlagen. So können wir viel über internalisierte Werte lernen und gleichzeitig einen guten Film sehen – wenn's gut läuft.

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    Paula Modersohn Becker: Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, 1906. Via Wikimedia Commons.

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