DienstArt – Die Kunstkolumne: Goodbye, Plastiktüte!
Wir verabschieden uns von der Plastiktüte und erinnern uns an kunstvolle Tütendesigns der letzten 60 Jahre
Wir verabschieden uns von der Plastiktüte und erinnern uns an kunstvolle Tütendesigns der letzten 60 Jahre
Schon klar, die Plastiktüte ist ein bisschen out und ziemlich over. Sie hat in den letzten Jahren einen ziemlich schlechten Ruf genossen und wurde nach und nach durch die Papiertüte oder – noch besser – den Stoffbeutel abgelöst. Trotzdem kommen jährlich noch immer etwa eine Billion Tüten in Umlauf, der Großteil landet auf dem Müll, in Flüssen und Meeren. Dort kosten sie nicht nur unzähligen Lebewesen das Leben, sie bilden auch gigantische Müllteppiche und sondern gefährliche Inhaltsstoffe ab.
Laut Umweltbundesamt ist der deutsche Verpackungsverbrauch auf dem historischen Höchststand und steigt weiter an: Einen wichtigen Anteil daran tragen Tragetaschen, Einwegbeutel und – geschirr. Anfang November 2019 beschloss das Bundeskabinett nun das Verbot von Plastiktüten und kurzerhand setzten Bundesumweltministerium und Ressourcenmangel die Abschiedskampagne „Tschüss Plastiktüte“ um. Polyethylen und Polypropylen? Kommen bald nicht mehr in die Tüte! (Tüt mir Leid für alle noch folgenden Tüten-Wortspiele.)
Aber woher kommt eigentlich der Hype um die flattrige Tragetasche? Obwohl Polyethylen schon 1933 per Zufall entdeckt wurde, verbreiteten sich Plastikbeutel erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den 1950er-Jahren. Nach und nach entwickelten sich die Säckchen weiter, bekamen Griffe und mussten nicht mehr von Hand gefertigt werden. 1961 bekamen die Kund*innen des Kaufhauses Horten in Neuss die ersten serienmäßig hergestellten Plastiktüten in die Hand. Der damals geläufige Name „Hemdchen“ bezog sich auf die große Ähnlichkeit zu unförmigen Unterhemden. Wenige Jahre später etablierte sich die sogenannte Reiterbandtragetasche, die in Millionenauflage produziert wurde und als erste richtige Tragetasche gilt.
Life in Plastic – it’s fantastic?
Das Plastiktütenzeitalter war endgültig begründet: Immer belastbarer, reißfester und schicker mussten die kommenden Tütengenerationen sein. In Zeiten von Selbstbedienung im Supermarkt, Überfluss und Kaufrausch kamen die Tüten wie gelegen und je mehr sie fassen konnten, desto mehr konnte mitgenommen werden. Stabile Griffe und wachsendes Tütenvolumen ließen dem Großeinkauf nichts mehr im Wege stehen. Aber damit nicht genug: Plastiktüten wurden zu mobilen Werbeträgern, die kunstvoll bedruckt waren und möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollten. Auf diesem Wege entstanden auch zahlreiche Künstlerkooperation: Der Grafikdesigner Anton Stankowski designte für REWE, Günter Fruhtrunks legendärer Entwurf für Aldi ist noch heute aktuell. Es entstand eine Sammlung kunstvoller Tragetaschen, auf denen das Firmenlogo als grafisches Element diente und bestmöglich in Szene gesetzt wurde.
Dass Plastiktüten skeptisch beäugt werden und als ziemlich überflüssig gelten, ist jedoch nicht neu: Schon in den 1970er Jahren wollte die Bewegung „Jute statt Plastik“ der Fair-Trade-Organisation GEPA ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen, die Produktion von Plastiktaschen wuchs jedoch trotzdem stetig.
Plastik als modisches Statement
Tragetaschen aus Plastik verkörperten die Konsum- und Wegwerfmentalität und ja, auch Design. Schöne Tüten verwendete man gerne mehrmals und setzte gleichermaßen ein Statement für die Marke. Ob schlichte Gestaltung oder schrille Farben in Pop-Art-Manier: Einige der Tragetaschen wurden zu Designklassikern oder zum modischen Accessoire. Das gilt bis heute: 2017 ging aus der Zusammenarbeit von Raf Simons und dem Voo Store die „RS Shopping Bag“ hervor. Es fielen Worte wie „iconic“ und „waterproof“, wenn die transparente Plastiktüte beschrieben wurde. Für knapp 200 Euro war es möglich, ein Teil dieser Bewegung zu sein. Kurze Zeit später eroberte der heiß begehrte Shopper von Céline den Markt. Die bedruckte Tasche gab es beim Kauf einer ledernen Pouch Bag des Labels im Wert von 400 Euro gratis dazu. Die modisch interessierten Gemüter waren gespalten, für Fans der verantwortlichen Modedesignerin Phoebe Philo schien der transparente Shopper allerdings ein Must-have zu sein.
Courtesy: Celine x Nordstrom
Dass man sich auch ohne Plastik einen tütalen Fehlgriff erlauben kann, zeigt eindrucksvoll Lars Eidingers Kooperation mit dem Taschenlabel PB0110, aber dazu hat Marie hier schon einige Zeilen geschrieben. Wir halten uns lieber an den Retrotrend Jute- beziehungsweise Baumwollbeutel, schließlich steht der in Design- und Stylefragen der Plastiktüte keineswegs nach. Und auch in Sachen Langlebigkeit sind wir damit auf der richtigen Seite.
via Wikimedia Commons, Ralf Piorr, CC BY-SA 4.0
Noch nicht genug von Plastiktüten?
Bis zum 28. Juni 2020 ist im Foyer der Berliner Kunstbibliothek die Ausstellung „Tüte? Na, Logo! Plastiktragetaschen der 1960er- bis 1980er-Jahre“ zu sehen. Hier kann eine Vielzahl grafisch-abstrakter Tragetaschen aus der Berliner Sammlung Sadecki bewundert werden.
Und auch das Museum der Alltagskunst in Schloss Waldenbuch präsentiert in der Ausstellung „Adieu Plastiktüte“ noch bis 03. Juli 2020 eine großartige Sammlung der tragbaren Designobjekte.
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Foto Home:Copyrightangaben: Einkaufstüte „pop“, © Landesmuseum Württemberg, Stuttgart
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Foto Header Artikel:Copyright: Sammlung Sadecki (Cool Collection Berlin), Foto:Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz