WAP und Venus – Wie viel Porno steckt in Botticelli?
Pornhub verwandelt die berühmtesten Kunstwerke der Welt in Video-Pornografie. Und die Museen sehen rot! Über den vielleicht besten Marketingstunt des Jahres
Pornhub verwandelt die berühmtesten Kunstwerke der Welt in Video-Pornografie. Und die Museen sehen rot! Über den vielleicht besten Marketingstunt des Jahres
Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal in der Berliner Gemäldegalerie zu Besuch war, wurde ich von Amor überrascht – und zwar wortwörtlich, nicht metaphorisch: Das Bild „Amor als Sieger“, das 1602 von Caravaggio gemalt wurde und sehr prominent in den Museumsräumen ausgestellt ist, zeigt einen kleinen Engel, der keck in Richtung der Betrachter*innen blickt und dabei so auffordernd guckt, dass man sich wirklich vorstellen kann, dass sich der Amor zu bewegen und im gedimmten Licht des Gemäldes zu räkeln beginnt. Die offensichtliche Erotik, die diesem Bild innewohnen soll, ist nicht zu übersehen.
Diese Tatsache führte 2014 dazu, dass ein offener Brief an die Gemäldegalerie gerichtet wurde, indem die Verfasser*innen forderten, die „ausdrücklich obszöne Szene“ aufgrund kinderpornografischer Inhalte nicht mehr zu zeigen. Das Bild diene „zweifellos der Erregung des Betrachters“ – unter Berücksichtigung der Jugendlichkeit des Modells sei das Ausstellen des Gemäldes moralisch nicht vertretbar. Der Caravaggio blieb zwar hängen und die Debatte verstummte – aber die Frage nach der Parallele zwischen Kunst und Pornografie bleibt bestehen.
Classic Nudes, Courtesy: Pornhub.
Dass die Verfasser*innen des Briefes keinesfalls die Ersten sind, die sexuelle Konnotationen in berühmten Gemälden erkennen, zeigt die aktuelle Werbekampagne der kanadischen Internetplattform Pornhub, dem meistgeklickten Anbieter für Videopornografie in Nordamerika. Mit einem Paukenschlag hat Pornhub die interaktive Webseite und App „Classic Nudes“ vorgestellt, auf der Pornodarsteller*innen klassische Kunstwerke als Ausgangspunkt für sexuell explizite Inhalte nehmen und neu interpretieren. Im Promovideo mimt der ehemalige Pornostar Ilona Staller Botticellis Venus und stellt uns hauchend das Konzept von App und Website vor.
Das Museum – eine große Pornosammlung?
Na, dann klicken wir uns doch mal durch Pornhubs Museumsguide. Alles redaktionelle Recherche, höhö.
Im Begrüßungstext der Website heißt es: „Some people think of museums as boring, stuffy or dull. But what if we told you they housed a collection of priceless porn?“ Um das zu beweisen, lässt Pornhub einige der berühmtesten Nacktszenen der Kunstgeschichte lebendig werden. In dem interaktiven Museumsguide werden zum Beispiel Werke wie „The Naked Maja“ von Francisco de Goya, „Male Nude“ von Edgar Degas und Gustave Courbets „The Origin of the World“ in bewegte Sexfilme verwandelt. Die sinnlichen Interpretationen der sonst so starren Kunstwerke zeigen, wie viel Erotik in den Bildern steckt. Klingt erstmal ziemlich cool, oder?
Classic Nudes, Courtesy: Pornhub.
Insgesamt sechs Museen hat Pornhub für seinen Guide „geplündert“ – und dabei handelt es sich wirklich um die bekanntesten Kunstinstitutionen der Welt: Vertreten sind Werke aus dem Musée d’Orsay (Paris), dem Metropolitan Museum (New York), der National Gallery (London), dem Museo Nacional del Prado (Madrid), dem Louvre (Paris) und den Uffizien (Florenz). Außerdem gibt es eine Kategorie namens „Another Perspective“, in der weniger bekannte Werke zu sehen sind, darunter eine „Afrikanische Venus“, ein Werk des japanischen Künstlers Kitawaga Utamaro und ein Gemälde von Artemisia Gentilleschi als Vertreterin für den „weiblichen Blick“.
The Naked Maja, Francisco de Goya, 1800, Museo del Prado.
Die anfängliche Freude über diese kunstvolle Fusion war jedoch von kurzer Dauer: Mittlerweile musste Pornhub alle Verweise auf die Uffizien und den Louvre von der Website entfernen. Außerdem machen Schlagzeilen die Runde, die besagen, dass sich die Plattform mit rechtlichen Schritten der beiden Museen konfrontiert sieht. Berichten zufolge klagen die zwei Institutionen wegen massiver Urheberrechtsverletzungen. Es habe keinerlei Absprache oder Vereinbarung zwischen Pornhub und den Museen gegeben, die die Verbreitung der Bilder gestatte.
Warum klagen Louvre und Co.?
Euch ist sicher schon aufgefallen, dass auch in diesem Artikel einige der betroffenen Bilder zu sehen sind. Warum wird BEIGE also nicht von Louvre und Co. verklagt? Das liegt daran, dass alle Bilder, die Pornhub verwendet hat, gemeinfrei sind. Sind die Künstler*innen seit mehr als 70 Jahren verstorben, gibt es meistens keine geltenden Urheberrechte mehr. Die Bilder dürfen ohne Auflagen heruntergeladen und für private Zwecke verwendet werden. Das trägt letztlich auch zu ihrer Berühmtheit bei und spült den Museen, in denen die Originale hängen, Geld in die Kassen. Und deswegen stehen die Bilddateien auf den Websites der Museen auch mehr oder weniger offen zum Download bereit. Warum aber ist das für Pornhub nun zum Problem geworden?
Die Geburt der Venus, Sandro Botticelli, 1486, Uffizien.
Caravaggios „Bacchus“ und Botticellis „Die Geburt der Venus“ sind zwei der Werke, die Pornhub von den Uffizien "geliehen" hat. Beide Gemälde sind auf der Website des italienischen Museums zu sehen, eine urheberrechtliche Schutzfrist gibt es nicht. Die Uffizien behaupten jedoch, dass die Institution eine Genehmigung für die Nutzung der Kunst erteilen muss. In Italien sieht das Kulturerbegesetz vor, dass man für die Verwendung von Bildern eines Museums, besonders für kommerzielle Zwecke, eine offizielle Erlaubnis braucht. Diese regelt dann die genaue Art der Verbreitung und legt gegebenenfalls auch die entsprechende Gebühr fest. Das alles aber natürlich nur dann, wenn das Museum einverstanden ist – und das ist im Fall von Pornhub eher zweifelhaft.
Adam und Eva, Jan Gossaert, 1525, The National Gallery.
Vordergründig ist also die kommerzielle Weiterverbreitung der berühmten Gemälde das Problem. Der eigentliche Störfaktor kann jedoch mit einem einzigen Begriff zusammengefasst werden: Image. Louvre und Uffizien haben auf gut Deutsch die Hosen voll, denn sie stehen vor dem alten Dilemma „Hohe Kunst vs. Pornografie“. Natürlich möchten die Museen uns als potenzielle Besucher*innen davon überzeugen, dass es da auf keinen Fall Überschneidungen gibt. Eine sich räkelnde Nackte von Tizian oder ein verwegener Amor von Caravaggio drücken vordergründig das großartige Talent der Maler aus und sollten mit Ehrfurcht und Ernsthaftigkeit betrachtet werden. Da ist rein gar nichts Sexuelles dran. Deswegen bezahlen wir viel Geld für Tickets, gucken uns Nudes in goldenen Rahmen an und nicken dabei andachtsvoll. Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts Erotisches zu sehen.
Wider dem Schmuddelfilm-Mythos
Dass diese Bilder nun für „schmutzige Sexfilmchen“ benutzt werden, ist in den Augen der Museen also ein wahnsinniger Image-Schaden. Sich an der Venus von Urbino ergötzen? Ja, aber bitte nur auf intellektueller Ebene. Und deswegen haben die Rechtsabteilungen sofort reagiert. Ein Sprecher des Louvre ließ verlauten: „Wir erwarten, dass die Werke sofort entfernt werden.“
Hinter dieser heftigen Reaktion steckt die alte Mär, Pornos seien schmutzig und irgendwie verboten. Das Konzept Pornografie ist natürlich sehr komplex und als solches schwierig zu definieren. Ganz allgemein gesprochen geht es aber darum, dass Zuschauer*innen sich Inhalte ansehen, die sie sexuell erregen. Bei Pornografie handelt es sich meistens um Bilder, die unsere Fantasien befriedigen sollen. Wo, wer und was – das ist nicht zu verallgemeinern. An und für sich ist das aber eine ziemlich gute Sache.
Male Nude, Edgar Degas, 1856, Metropolitan Museum of Art.
Leider ist die Industrie hinter unserem Pornokonsum mit viel Ausbeutung verknüpft. Statt Lust und Befriedigung stehen Übergriffe, fehlende Einwilligung, Kinderpornografie, Missbrauch und Grenzüberschreitungen im Vordergrund. Deswegen genießt Pornografie oft keinen guten Ruf. Nicht nur deswegen ist es wichtig, dass wir auch bei Sexfilmen darauf achten, was und wo wir konsumieren. Sogenannter „Ethical Porn“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Filme zu produzieren, die in gegenseitigem Einvernehmen gedreht werden sowie die Darstellenden und Produzierenden fair zu bezahlen. Die schwedische Filmproduzentin Erika Lust bemängelt außerdem seit Jahren die unrealistischen Settings in Pornos und begann in den 2000ern damit, Filme zu drehen, die weniger Klischees reproduzieren und mehr gemeinsame Lust zeigen sollen.
Auch Pornhub ist übrigens keinesfalls Skandal-frei und hat in der Vergangenheit viel berechtigte Kritik dafür einstecken müssen, dass die Kontrollen der Plattform zu lasch sind. So wurden wiederholt Inhalte verbreitet, die Gewalt zeigen, ohne Einwilligung ins Netz gelangt sind oder sogar Kinderpornografie beinhalten. Statt den Fokus auf einen saucy Museumsguide zu legen, hätte das Unternehmen also definitiv auch noch andere Baustellen, an denen es zu arbeiten gilt.
Wie viel Erotik steckt in Gemälden?
Pygmalion und Galatea, Jean-Leon Gérôme, 1890, Metropolitan Museum of Art.
Aber zurück zu den Museen: „Do Women Have To Be Naked To Get Into The Museum“, fragte das Künstlerinnenkollektiv Guerrilla Girls 1989 und trat damit eine lang überfällige Debatte um Frauen und Künstlerinnen im Museum los. Mit ihrer Kritik trafen sie den Kern der Problematik: Es gibt unglaublich viele Frauen in den großen und kleinen Museen der Welt – allerdings sind die meisten von ihnen nackt und die wenigsten umjubelte Künstlerinnen. Das Motto Sex Sells galt schon vor hunderten von Jahren und machte so manche Kunstbetrachtung zu einem erotischen Unterfangen – das wussten sowohl die Auftraggeber als auch die Produzenten der Bilder.
Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen unbekleideten Renaissance-Musen und den Nacktbildern unserer Zeit: Aufreizende Posen, vielsagende Blicke und ausschweifende Orgien – das alles gab es natürlich auch schon vor vielen Jahrhunderten. Und auch der Zweck der Gemälde war häufig ähnlich: Mal waren es Geschenke an den oder die Liebste, mal verheißungsvolle Botschaften. Manche von ihnen wurden von Menschen in Machtpositionen beauftragt, um ein breites Publikum zu begeistern. Viele der Bilder dienten aber auch dem Zweck, als erotisches Material in privaten Gemächern die Fantasie zu beflügeln. Umso witziger, dass sie heute in öffentlichen Museumssälen hängen, oder?
Kunstvermittlung durch Pornos
Dass Pornhub diese erotische Parallele für Werbezwecke genutzt hat, ist ein ziemlich genialer Schachzug. Über die Liebesgeschichte zwischen Popkultur und klassischer Kunst habe ich hier schon mal geschrieben. Dass Gemälde in Pornos interpretiert werden, ist bisher allerdings nur vereinzelt vorgekommen. Pornhub hat nun seine ganz eigene Ausstellung kuratiert, in der sicher einige auf ihre Kosten kommen.
Besonders für die knackigen Werbetexte verdient die Plattform einen Orden. Zu jedem Gemälde gibt es einen kurzen Essay, der mit ziemlich viel Witz auf die Bedeutung des Werkes eingeht. Eine meiner Lieblingszeilen stammt aus der Beschreibung von Caravaggios Gemälde „Boy Bitten By a Lizard“: „You may be wondering if 'bitten by a lizard' isn't actually some kind of renaissance euphemism, like spanking the monkey or flogging the dolphin. And you'd probably be right, as art critics are pretty sure the 'lizard' responsible for this boy's expression is a species known as the one-eyed pants-lizard. (I'm talking about his wang.)“ Von mir gibt es für diese Art von Kunstvermittlung 10/10 Punkten.
Venus von Urbino, Tizian, ca. 1538, Uffizien.
Auch Botticellis „Geburt der Venus“ ist mit von der Partie. Der dazugehörige Text witzelt: „Just like you and I, she came into the world completely naked. But our girl Venus was a bit different in that she was spewed forth, fully formed, from a giant clamshell. And if you thought that shell was a symbol for some WAP, well then you were absolutely right.“ Die Muschelgeborene als Renaissance-Version des Rapsongs „WAP“ (kurz für Wet-Ass Pussy, Anmerkung der Redaktion) von Cardi B und Megan Thee Stallion? Gewagte These – aber irgendwie witzig, sich Botticellis Venus als twerkende Schönheit vorzustellen.
Ein paar Wermutstropfen gibt es dann aber doch: Auch wenn es Pornhub natürlich darum geht, bekannte Gemälde aus anderen Blickwinkeln zu zeigen, hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben, die Filme diverser zu gestalten. Größtenteils sehen wir heteronormative, schlanke, weiße Paare, die den Regeln „klassischer“ Pornos folgen. Der sogenannte „male gaze“, also der männliche Blick, spielt sowohl in herkömmlichen Pornofilmen als auch in der Kunst eine wichtige Rolle. Obwohl das wahrscheinlich die ausschlaggebendste Parallele in dieser Fusion ist, hätte dieser Punkt viel klarer kommuniziert werden sollen. Und auch in der Kategorie „Another Perspective“ ist viel Luft nach oben – schließlich werden auch dort überwiegend männliche und vor allem altbewährte Maler wie Paul Cézanne oder Eugène Delacroix angeführt. Ein weiteres Manko ist und bleibt die fehlende Kooperationsbereitschaft einiger Museen. Hätte die Marketing-Aktion gemeinsam stattgefunden, wäre die Kampagne noch überraschender und cooler gewesen. Schade, dass Louvre und Co. das kleine Augenzwinkern nicht möglich ist.
Chinese Erotic Art, Tang Bohu (Tang Yin), spätes 15. Jh.
Pornhub hat seinen Bildungsauftrag auf jeden Fall erfüllt: Neben spannenden Insights zu verschiedenen Gemälden liefert die Plattform viele Fun Facts, Audio-Beschreibungen und natürlich pikante Videos. Obwohl Letztere selbstverständlich Geschmackssache sind, baut die Plattform eine spannende Brücke zwischen Kunst und Pornografie. Die Parallelen werden auch absoluten Kunst-Noobs mehr als deutlich und locken vielleicht auch so manchen Museumsmuffel mal wieder in eine Ausstellung.
Pornhub selbst fasst perfekt zusammen, warum wir uns alle guten Gewissens ein paar Nudes angucken sollten: „Because porn may not be considered art, but some art can definitely be considered porn.“