Multitasking? Pah! Monotasking ist die wahre Kunst
Julia erzählt, warum es ihr so wahnsinnig schwerfällt, nur eine Sache gleichzeitig zu machen
Julia erzählt, warum es ihr so wahnsinnig schwerfällt, nur eine Sache gleichzeitig zu machen
Wann habt ihr das letzte Mal nur eine einzige Sache zur gleichen Zeit gemacht? Für mich war und ist diese Frage unheimlich schwierig zu beantworten. Und – das schließe ich mal daraus, dass ihr euch diesen Artikel durchlest – ihr kennt das sicher auch. Nehmen wir einen klassischen Morgen: Kaffee kochen, nebenbei die Nachrichten checken, überfällige Nachrichten beantworten und die Spülmaschine ausräumen. Auf dem Weg zur Arbeit höre ich Podcasts. Würde ich nicht mit dem Rad fahren, würde ich lesen, mich mal wieder bei meinen Eltern melden oder eine To-do-Liste für den Tag erstellen. Bei der Arbeit schreibe ich an drei Artikeln gleichzeitig, plane meinen nächsten Instagram-Post für #EverythingWrongWithArtHistory und ein anstehendes Interview. Zwischendurch lese ich die Masterarbeit eines Freundes Korrektur, quatsche mit Marie über ihre Pilates-Übungen und höre mir die Vorlesung von letzter Woche an. Und während ich mir abends einen Salat schnippele, telefoniere ich nebenbei mit meinem Opa. So weit, so gut. Das kennen wir alle irgendwie.
Alle Tabs gleichzeitig offen
Das Gute ist, dass das alles Aufgaben sind, die mir Spaß bringen und die ich in keiner Weise missen möchte. Ich freue mich, wenn ich viele verschiedene Dinge unter einen Hut kriege. Aber manchmal läuft das aus dem Ruder. Zum Beispiel dann, wenn ich im Zoom-Meeting mit meinen Freundinnen nebenbei Rechnungen schreibe oder während der Redaktionskonferenz eine Abgabe vorbereite. Wenn ich abends vor dem Fernseher Mails beantworte oder eine Bewerbung schreibe. Der Punkt, an dem auch ich merkte, dass irgendwas nicht stimmt, war der, als ich mit Marie über das Joggen sprach: „Joggen, ja, schön und gut – aber es ist so unproduktiv! Ich wünschte, ich könnte dabei irgendwas machen!“ Moment mal, Julia. Genau das ist der Sinn von Sport: Abschalten. Nicht arbeiten. Kopf frei kriegen.
Wenn ich den letzten Absatz lese, komme ich mir wahnsinnig unsympathisch vor. Von außen betrachtet gefällt mir diese Julia auch nicht. Von innen her weiß ich zwar, dass diesem Verhalten keine Böswilligkeit zugrunde liegt. Dass ich einfach gerne alles schaffen möchte, was ich mir vornehme. Und dann am besten noch mehr. Ich habe nicht nur alle Tabs gleichzeitig offen, ich stehe auch auf das Gefühl, sie abzuarbeiten. Aber: Ich habe auch ein bisschen Angst davor, dass mein Verhalten dazu führt, dass ich alles nur noch halbherzig mache.
Mehrere Aufgaben synchron versemmeln
Allgemein wird uns gerne erzählt, Multitasking wäre etwas Erstrebenswertes. Seit frühester Kindheit höre ich, wie effizient es sei, zig Sachen gleichzeitig zu machen. Wer die Spülmaschine einräumen und dabei zuhören kann, gilt als absolute Krone der Schöpfung. Irgendwie will uns die Leistungsgesellschaft weiß machen, dass es gesund sei, alles Mögliche synchron zu erledigen. Dabei halte ich es für die wahre Kunst, Dinge mit voller Konzentration oder zumindest ganzer Aufmerksamkeit zu tun. Living the Moment klingt zwar unheimlich esoterisch und abgedroschen – aber im Prinzip müsste ich das besser können. Ist mein zwanghaftes Multitasking also internalisierter Kapitalismus oder doch einfach nur mein eigenes Problem?
Eigentlich ist das Konzept Multitasking eine Illusion: Wir erledigen nicht mehrere Aufgaben gleichzeitig, dazu ist unser Gehirn kognitiv gar nicht in der Lage. Stattdessen hüpft die Aufmerksamkeit vom Handy, zum PC, zum Gespräch und wieder zurück. Tatsächlich ist dieses Gedanken-Hopping alles andere als gesund: Dabei sind wir nämlich nur oberflächlich konzentriert. In der Realität versemmeln wir alle Aufgaben, an denen wir gerade sitzen. Expert*innen sagen sogar, dass es uns durch das ständige Multitasking schwerer fällt, relevante von nicht-relevanten Aufgaben zu unterscheiden.
Ein 7-Tage-Selbstexperiment? Von wegen!
An dieser Stelle würde jetzt üblicherweise sowas stehen wie: „Ich habe eine Woche lang Monotasking getestet und das kam dabei raus…“ Tja, Fehlanzeige. Ich bin ganz ehrlich mit euch, ich hätte niemals eine Woche Monotasking durchziehen können. Euch zu erzählen, dass das alles ganz einfach geht, wenn man es nur will, wäre nicht nur Heuchlerei sondern auch ziemlich gefährlich. Denn es erfordert sehr viel mehr Zeit und regelmäßiges Ermahnen, um sich bewusst zu machen, dass eben gerade 100 Sachen gleichzeitig in und um einen abgehen. Ich kann nicht innerhalb einer Woche Denkmuster umwerfen, die ich seit Jahren hege und pflege. Also müsst ihr das auch nicht können.
Letztendlich ist und bleibt es wichtig, zu hinterfragen, ob euch die Dinge Spaß machen, die ihr da gerade nebeneinander wegballert. Ob ihr sie gerne macht oder ob diese Mehrfachbelastung von euch erwartet wird. Klar, es ist nicht immer alles schick: Oft können wir uns den ganzen Trubel nicht aussuchen. Dann fallen alle Deadlines in eine Woche, die Chefin will dies und die beste Freundin das. Wenn ihr das Privileg habt, da noch die Notbremse ziehen zu können: super! Wenn nicht, fragt euch, ob es sich um eine Ausnahmesituation handelt oder doch kein Ende in Sicht ist.
Immerhin habe ich mir in den letzten Wochen kleine Tricks angeeignet, die mir einen Strich durch das Multitasking gemacht haben. Die teile ich selbstverständlich gerne mit euch.
Tabs schließen, Handy umdrehen, Kritzelzettel
- Es ist ein leidiges Thema, aber das Handy muss seinen Status als ständiger Begleiter aufgeben. Gegen das andauernde Smartphone-Checken hilft lediglich gnadenlose Vernachlässigung! Zu Hause lassen beim Einkaufen oder Spazieren. Eine etwas leichtere Übung: Handy umdrehen oder in einen anderen Raum legen.
- Gezielte Aufmerksamkeit kann man üben – ist aber anstrengend. Im Gespräch mit den beiden Gründerinnen von Beshu Books habe ich letzte Woche erfahren, wie schwer es uns fällt, unsere Aufmerksamkeit auf eine Sache, beispielsweise das Lesen, zu fokussieren. Was hilft: Kurze Essays lesen. Oder einfach mal ganz bewusst eine Folge Podcast hören, ohne nebenbei irgendwas anderes zu erledigen.
- Schnappt euch beim nächsten Telefonat oder Zoom-Call einen Schmierzettel und kritzelt nebenbei munter vor euch hin. Das ist zwar irgendwie auch Multitasking, läuft aber fast automatisiert ab und hindert euch daran, durch Instagram zu scrollen oder Mails zu beantworten.
- Erzählt eurem Gegenüber, woran ihr gerade arbeitet: mehr Monotasking! Wenn euch Freund*innen mahnend fragen, ob ihr gerade mal wieder irgendwas nebenher macht, fällt euch die Umstellung sicher etwas leichter.
Eine Woche voller ausgedehnter Spaziergänge, Kritzelzettel und weniger Mehrfach-Konsum meinerseits hat mir zumindest bewusst gemacht, wie alltäglich das ganze Nebeneinanderher für mich schon geworden ist. Unwillkürlich greife ich im Gespräch nach dem Handy, wünsche mir Podcast-Untermalung beim Sport oder öffne geistesabwesend Tabs im Redaktionsmeeting. Irgendwann werde ich das vielleicht auch noch verlernen. Aber immerhin diesen Artikel habe ich ganz in Ruhe geschrieben, ohne nebenbei zu essen, zu schreiben oder zu lesen – ich schwör's!
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Fotos:Marie Jaster