Wohlstand flüstert, doch ich schreie
Woher kommt der Loud Budgeting Trend?
Statt einer neuen The-Row-Handtasche halten Leute gerade preisreduzierten Kochschinken in die Smartphonekamera. Was hat es damit auf sich, fragt sich Felix. Für uns erkundet er das Phänomen rund um das Loud Budgeting
Über Geld spricht man nicht, man hat es. So lautete der gesellschaftliche Konsens in Deutschland, um finanzielle Ungleichheiten jahrzehntelang unter den Teppich zu kehren. Das Gehalt des Chefs oder der Kollegin? Eine Blackbox. Was enge Freund*innen oder gar die eigenen Eltern verdienen? Man weiß es nicht. Vielleicht will man es auch gar nicht wissen, zu groß ist das dahinterstehende Konfliktpotential. Doch die aristokratisch anmutende, kulturell anerzogene Money-Talk-Keuschheit hat ihre Rechnung ohne die starke Inflation, steigende Energiepreise und auf Krawall gebürstete TikToker*innen gemacht. Als Immunreaktion auf den Quiet-Luxury-Trend echauffieren sich Menschen heute auf Social Media über ihre astronomischen Lebenshaltungskosten und rechnen genau vor, wie sie durch Sparen und Tricksen über die Runden kommen.
Bitte nicht hingucken, ich bin reich
Als Katalysator der lauten Sparsamkeit wird das Massenphänomen Quiet Luxury des letzten Jahres gehandelt. Der stille Luxus steht für den Habitus, die Merkmale des eigenen Wohlstands immer weiter zu chiffrieren. Schlicht, elegant und gekonnt unauffällig soll geprotzt werden: Wer es erkennt, erkennt’s. Wer nicht, ist eben arm. Wie bei einem sophisticated Versteckspiel werden also minimalistische Mode und Taschen ausgeführt, die nur bei genauem Hinschauen und entsprechender Sachkenntnis ihren Preis offenbaren.
@feelgoodwoo We asked the woo office how they’re loud budgeting in 2024 🎤 ‘Loud Budgeting' is a term brought to fame by creator @Lukas Battle when he declared that 'Quiet Luxury’ is out for the new year. It’s intentional spending. It’s regaining financial agency. It’s definitely not about being frugal at the cost of feeling content, it’s more about making a conscious financial choice that’s wholly yours. As Battle says in the video, “It’s more chic, more stylish and more of a flex than spending money.” #loudbudgeting ♬ original sound - woo
Doch der Trend wandelt sich: Neben den ursprünglichen Paradebeispielen des Quiet Luxury – Marken wie The Row oder Loro Piana – haben es auch skandinavische Fast-Fashion-Brands verstanden, ihren Durchschnittsminimalismus neu zu positionieren. Jede zweite Person auf dem Berliner Ku’damm denkt mittlerweile, sie könne durch das Tragen einer COS-Bluse als inkognito Milliardärserbin cosplayen. Also irgendwann reicht’s!
Die öffentliche Pleite als Tabubruch
Wie kommen wir also vom Quiet Luxury zum Loud Budgeting? Nicht allzu lang ist es her, da symbolisierten die Privatinsolvenz oder das leere Konto am Ende des Monats die Reiter der kapitalistischen Apokalypse. Doch in einer Zeit, in der ein Großteil der Gesellschaft mit Geldproblemen zu kämpfen hat, kann man die Uhr danach stellen, dass eine berechtigte Systemkritik folgen wird. Warum sind wir plötzlich alle pleite? I smell a stunt!
@unattainableblackhottie Save your coins #greenscreen #loudbudgeting ♬ original sound - KM
Die offensichtlich werdende Kollektiverfahrung führt nun dazu, dass ein ehemaliges Tabu mehr und mehr gebrochen wird: broke sein und dazu stehen. Die TikTok-Community teilt ihre Tipps, um Geld zu sparen:
- Keine Ubers unter der Woche
- Nein sagen zu Plänen mit Freund*innen
- Trotzdem das Leben genießen?
Ein Tabubruch ist es deshalb, weil ein größeres Problem, die zunehmenden Einkommens- und Lifestyleunterschiede, offen angesprochen wird. Immerhin ist die Arm-Reich-Schere nicht mehr geöffnet, sie macht einen kompletten Spagat. Wer das eigene Prekariat zur Schau stellt, trifft damit eine politische Aussage. „Während ihr euren Wohlstand schon verstecken müsst, dokumentiere ich meine ungeschönte Lebensrealität.“
Loud Budgeting funktioniert als aktivistischer Content, als politische Position, als digitaler Hilferuf. Vielleicht ist es genau das, was wir gerade brauchen. Ob Loud Budgeting wirklich etwas bewirken kann oder als performativer Trend verpufft, ist allerdings noch nicht auskalkuliert. Dabei wäre es schön zu hören: Über Armut spricht man nicht, man beseitigt sie.
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Bild Header:Vasily Andreevich Tropinin: Russian: «Слуга со штофом, считающий деньги» via Wikimedia Commons