Gaffa statt Boob Tape und Schirm statt Taxi
Julias Eindrücke von ihrem ersten Berlin Fashion Week Event
In Sachen Kunst mag Julia sich auskennen, im Bereich Mode ist sie allerdings absoluter Neuling. Hier berichtet sie von ihrer ersten BFW
Seid ihr bereit für einen Fashion Week Bericht der besonderen Art? Ich als absoluter Mode-Newbie habe im Juli mein allererstes Fashion Week Event besucht und nicht schlecht gestaunt. Nachdem Marie bereits eine Zusammenfassung für alte Mode-Hasen geschrieben hat, bekommt ihr heute meinen etwas naiveren Blick präsentiert. Verzeiht mir also bitte jedweden Anfängerinnenfehler. Los geht's:
Ich stehe aufgeregt im Foyer des Berliner Tempodroms, schwitze und bin froh, mich nicht doch für den Wollblazer entschieden zu haben. Wer mich kennt, weiß, dass Mode nicht wirklich mein Thema ist. Ginge es nach mir, würde ich jeden Tag mit Jeans, T-Shirt und Sneakers vor die Tür gehen – besonders experimentell bin ich wirklich nicht unterwegs. Umso aufgeregter bin ich, nun auf meinem ersten Fashion Week Event zu sein. Und dann ist die Designerin auch noch Claudia Skoda, deren Arbeit ich schon seit langer Zeit bewundere.
Skoda wurde 1943 in Berlin geboren und man kann sie gut und gerne als Modeikone bezeichnen. Mit der Strickmaschine hat sie vor allem im Westberlin der 1970er- und 80er-Jahre von sich Reden gemacht. Ihre punkig-eleganten Knitwear-Outfits eignen sich sowohl zum Tanzengehen als auch als Streetwear. In ihrer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft „fabrikneu“ in Kreuzberg gaben sich Popgrößen wie David Bowie, Ulrike Ottinger oder Martin Kippenberger die Klinke in die Hand. Ihre wichtigsten Shows fanden in Museen wie dem Martin Gropius Bau, dem HKW oder dem Ägyptischen Museum statt. Das waren richtige Happenings, über die man heute noch spricht. Claudia Skoda hat also schon immer Mode und Kunst verknüpft, was für mich natürlich besonders spannend ist. Vor einiger Zeit durfte ich mit ihr für eine englischsprachige Publikation ein Interview führen und habe jede Minute davon genossen.
Um mich auf die Veranstaltung vorzubereiten, frage ich vorab meine Mode-affinen Instagramfollower*innen, was man denn nun anziehe auf so ein Fashion Week Event. Die Ratschläge reichen von „All Black“ über Crocs bis hin zu „Komm einfach, wie du willst. Es ist Berlin!“. „Bloß nicht deine Veja-Sneaker“, bläut mir eine Freundin ein. Spoiler: Die ziehe ich letztendlich doch an. Man sieht sie allerdings nicht, da die extravagante Hose, die sich nur sehr umständlich an- und ausziehen lässt, bis auf den Boden reicht. Dazu trage ich einen grauen Karoblazer. Weil ich kein Boob Tape zur Hand habe, greife ich spontan zu Gaffa, um alles an Ort und Stelle zu halten. Ausgestattet mit einer kleinen Handtasche, einem schwarzen Cap und Regenschirm stiefele ich los. Leider holt mich keine dieser schicken BFW-Limousinen zu Hause ab und ich muss zur Bahn hechten. Es regnet in Strömen und die bodenlange Hose saugt sich in Sekundenschnelle voll. Über die Hosenbeine stolpere ich beim Treppensteigen mehrmals. It's Fashion!
Vor dem Eingang des Tempodroms hat sich eine kleine Schlange gebildet, obwohl ich für meine Verhältnisse spät dran bin. Als ich meinen Namen nennen muss, flackert kurz die irrationale und doch ständig wiederkehrende Angst auf, ich könnte gar nicht angemeldet sein. Welche Form von Imposter-Syndrom ist das eigentlich? Nach einiger Verwirrung – zuerst vermutet man, jemand mit meinem Namen wäre bereits gekommen – kriege ich eine Platzkarte. Bevor es losgeht, kann ich noch ein wenig im Foyer herumstehen und Leute angucken. Der inoffizielle Dresscode lautet offenbar: schwarz, viele Sonnenbrillen, viel Leder, viele Gebimsel und viel Glitzer. Einige Promis in fetten Limousinen trudeln ein. Fotos werden auch gemacht, aber nicht von mir, dafür glitzere ich zu wenig.
Ich muss an das schlechte Image von Ausstellungseröffnungen denken: Viele meiner Freund*innen fühlen sich dort absolut unwohl. Die Kunstwelt, so sagt man oft, sei ein geschlossener Zirkel, in dem man sich nie richtig willkommen fühle. Hier geht es mir ähnlich. Ich kenne niemanden, fühle mich etwas fehl am Platz und wüsste auch nicht, worüber ich smalltalken sollte. „Schöne Schuhe“? Das kommt mir irgendwie idiotisch vor. Zum Glück habe ich das Rumstehen und Wichtig gucken perfektioniert und sehe deswegen nicht ganz so verloren aus, wie ich mich fühle.
Doch Hilfe naht: An meinem Sitzplatz treffe ich die Künstlerin Johanna Dumet. Juhu, ein Kunstgesicht! Sie kennt ein paar Leute, ich leider nicht, lächle aber brav. Ähnlich wie bei der Berlin Art Week, tauscht man sich hauptsächlich darüber aus, welche Shows man sich heute noch so angucken wird, dass der Regen nervt und wie cool die Location ist.
Dann geht es los: Basslastige Musik dröhnt aus den Lautsprechern, ein Model nach dem anderen stiefelt vorbei, neben mir zücken alle ihre Handys. Ich auch, na klar. Fotos aus den 80er-Jahren werden an die glatten Betonwände projiziert und wechseln in Sekundenschnelle. Auch Skodas Strickmode erinnert optisch an die exzentrischen 80s: Da baumeln lange Schlauchärmel, hier glitzern Lurex und Pailletten, dort blitzt zwischen grobmaschigem Strick ein Nippel hervor. Viele der Models kombinieren die Pieces tatsächlich mit Crocs. Später erfahre ich, dass das Schuh-Label die Show unterstützt. Hätte ich mal auf diesen einen Instagram-Tipp gehört ...
Nach zehn Minuten ist das Spektakel auch schon vorbei. Am Ende stolziert Skoda Arm in Arm mit einem der Models über den Laufsteg. Wie cool kann man bitte aussehen? „And that’s it“, verkündet Johanna feierlich. Sie besucht heute noch ein paar weitere Veranstaltungen, ich freue mich einfach auf gemütliche Kleidung und mein Frühstück. Irgendwie lustig, dass meine Anfahrt länger gedauert hat als das eigentliche Event. Wieder denke ich an die Kunstszene, in der einem Eröffnungsabend oft wochenlanger Stress und lange Planung vorausgehen.
Im Foyer wird noch Smalltalk gehalten, dem ich ohne schlechtes Gewissen entfliehen kann. Es hat auch Vorteile, niemanden zu kennen. Ob das mein erstes und letztes Fashion Week Event bleiben wird? Sagen wir mal so: Die Berichterstattung überlasse ich lieber Profis wie Marie. Wenn aber so großartige Designer*innen vertreten sind, lasse ich mich auch in Zukunft nicht lange bitten. Nur die Idee mit dem Gaffa Tape, die erlebt ganz sicher kein Revival.
Dieser Artikel ist Werbung, da er Markennennungen enthält.
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Header Foto:Finnegan Koichi Godenschweger