Die Zukunft des Store Designs – Im Gespräch mit Silvia Talmon von The Store Designers

Die Zukunft des Store Designs – Im Gespräch mit Silvia Talmon von The Store Designers

Wie kaufen wir in Zukunft in Geschäften ein? Finden wir uns in einer Welt aus Plexiglaswänden und Abstandsmarkierungen auf dem Boden wieder?

Wie kaufen wir in Zukunft in Geschäften ein? Finden wir uns in einer Welt aus Plexiglaswänden und Abstandsmarkierungen auf dem Boden wieder?

In dieser Themenwoche ging es schon heiß her: Wir haben mit deutschen Modedesigner*innen gesprochen, eine Zukunftsprognose mit McKinsey gewagt und bei unserem Artikel in Sachen Kauflust festgestellt, dass die Läden gerade gähnend leer sind. Doch liegt das vielleicht nicht nur am fehlenden Geld und Lust der Konsument*innen, sondern auch am weniger komfortablen Shoppingerlebnis dank Plexiglaswänden, gesperrten Umkleiden und Gesichtsmasken? Um diese Frage zu beantworten und auch zu klären, ob die Corona-Krise das Store Design von Morgen nachhaltig verändert hat, habe ich mir eine Expertin an die Seite geholt, die mir genau diese Fragen beantworten kann.

Silvia Talmon ist Executive Creative Director für Interior und Retail Design, Retail Strategie und Konzeptentwicklung am Point of Sale. 2004 hat sie in Köln das Designbüro The Store Designers mit dem Schwerpunkt Retail Beratung, Design und Innenarchitektur gegründet und berät seitdem Kunden wie Ikea, Rewe, Fraport, WMF, Porsche, Hugo Boss und Daimler. 2014 folgte die Gründung der Retail Academy, eine freie Bildungsinstitution für Aus- und Weiterbildung, Unternehmensberatung bis hin zur Gründung des Studiengang „B.A. Retail Management“.

Wenn sich also einer mit der aktuellen Marktsituation und den Herausforderungen der Zukunft auskennt, dann Silvia. Und das hat sie bei unserem Interview am Telefon auch unter Beweis gestellt.

Hallo liebe Silvia, wie geht es dir gerade?

Den Umständen entsprechend. Für uns ist die Corona-Krise natürlich der absolute Supergau. Wir arbeiten in der Retail Experience und haben zwei Unternehmen, einmal die The Store Designers, das heißt, wir designen Store Konzepte … der Einzelhandel hatte bis vor Kurzem geschlossen. Und unser anderes Standbein ist The Retail Academy, dort machen wir im Akademie-Bereich Veranstaltungen, Events, Reisen und Store Touren, das hat sich ja auch alles erledigt. Corona hat gleich beide Standbeine komplett zerlegt. Aber so ist das nun mal. Jetzt geht es darum, sich zu fragen, wofür das alles gut ist. Denn am Ende wird es schon für irgendetwas gut sein.

Wie sieht dein Arbeitsalltag denn gerade aus?

Wir sind ein Team von 15 Leuten. Und von diesen 15 Leuten sind jetzt 14 in Kurzarbeit, zu Hause und total frustriert. Ich sitze hier alleine im Academy Loft in Köln und entwickle gerade neue Programme, neue Inhalte und mache vor allem Krisenmanagement: Anträge stellen, Fördergelder und Stundungen beantragen. Aber ich setze auch für die zweite Jahreshälfte neue Programme auf und speziell bei unserer Retail Academy fragen wir uns, wie wir bald wieder Store Touren anbieten können, wahrscheinlich erstmal nur im Inland, New York ist gerade nicht so angesagt.

Was sieht dein Programm für die zweite Jahreshälfte aus?

Ich arbeite gerade auch viel an Beratungen, Coachings und Seminaren, die auf die Krise jetzt abgestimmt sind. Was brauchen Einzelhändler jetzt? Gerade sie stehen ja vor einer riesigen Herausforderung und haben so viele Fragen: Wie mache ich das jetzt alles? Wie stelle ich meinen Laden um? Wie muss ich Layouts umplanen? Wie kommuniziere ich mit meinen Kunden? Wie mache ich Marketing – mache ich überhaupt Marketing? Braucht der Endverbraucher überhaupt neue Produkte? Welche Produkte werden gerade gebraucht außer Toilettenpapier? Gerade herrscht sehr viel Unsicherheit und wir müssen unser Sortiment an die Retailer anpassen, die ihre Sortimente gerade wiederum an die Endkonsumenten anpassen.

Also spezialisierst du dich gerade neben dem Krisenmanagement deiner eigenen Firma auf das Krisenmanagement für deine Kunden, richtig?

Genau. In den letzten zwei Monaten bekomme ich tagtäglich bestimmt so um die vier bis fünf Anrufe, Mails oder Anfragen von Kunden, die diverse Fragen haben. Man darf auch nicht vergessen, was für eine Industrie hinter dem Retail steht: Materialhersteller, Verkaufsregalhersteller, Beleuchtungshersteller, Kommunikationsschildaufsteller, Schaufensterfiguren-Hersteller, das alles liegt jetzt brach. Ich weiß, man macht sich oft keine Gedanken über die Infrastrukturen und die Logistik hinter den Kulissen, aber der klassische Handel ist ein riesiger Wirtschaftszweig, einer der größten neben dem Engineering in Deutschland.

„ „Das Top-Thema ist gerade: Wie müssen wir die Stores auf das neue Normal vorbereiten? Ich würde das aber eher so betiteln: das neue Normal oder endlich Service!“ “

Gibt es denn gerade auch Anfragen von mutigen Händlern, die neue Läden eröffnen wollen?

Nein, was man aber merkt, ist, dass die meisten Firmen gerade umdenken. Hugo Boss ist einer unserer Kunden und jedes Jahr gibt es dort eine Retail Conference, bei der alle Retail Manager und Architekten in den Flagship Store irgendwo auf der Welt eingeflogen werden und dort Workshops, eine Store Tour und eine Sortimentspräsentation bekommen – diesmal findet diese Konferenz digital statt. Man merkt also schon, dass jedes Unternehmen auf online umstellt, sei es Online-Kommunikation oder Onlineshopping. Das Top-Thema ist gerade: Wie müssen wir die Stores auf das neue Normal vorbereiten? Ich würde das aber eher so betiteln: das neue Normal oder endlich Service!

Wie meinst du das?

Sind wir doch mal ehrlich, das ist doch schon echt geil gerade, wenn du endlich mal Zeit mit deiner*m Verkäufer*in hast. Das ist doch wie Personal Shopping. Du hast einen Termin, du kommst zu einer festen Uhrzeit, du hast Zeit, die*der Verkäufer*in setzt dich mit dir hin, berät dich, fragt, was du suchst und macht Vorschläge. Und im mittleren bis oberen Preissegment ist das im Moment ja genau das Szenario.

Und wie sieht es bei der High Street aus?

Im Niedrigpreissektor dürfen gerade nicht mehr so viele Kunden gleichzeitig in den Laden. Das heißt, früher hast du dir eine*n Verkäufer*in gesucht und wenn du dann endlich jemanden gefunden hast, musste die Verkäufer*innen ständig auch andere Kund*innen bedienen, die nur kurz gesagt haben: „Entschuldigung, wo finde ich denn das? Nur ganz schnell …“ Die Verkäufer*innen mussten ständig andere Kund*innen abwehren und ist auf dem Weg zum Lager, wo er dir deine Schuh- oder Kleidergröße holen wollte, ständig abgefangen worden. Jetzt ist es so, dass nicht mehr 100 Kund*innen im Laden sind, sondern vielleicht noch 20. Auf einmal haben die Verkäufer*innen auf einmal Zeit. Du hast Ruhe und kannst dich auf die Sache einlassen.

Sollte das im Idealfall nicht immer so sein?

Ja, das sollte der Normalzustand sein, dass ich eine*n Verkäufer*in finden kann, die*der sich auf mich einlässt und Zeit für mich hat. Alles andere kann man sonst schlicht als Warenversorgung betiteln. Und das kann man dann online besser. Wenn es nur darum geht, dass Verkäufer*innen für mich ins Lager rennen, dann geht es nicht mehr um die Rolle von Gastgeber*innen oder Berater*innen. Und genau das sollten Verkäufer*innen in Zukunft sein: Gastgeber*innen. Sie empfangen dich an der Tür, führen dich herum, beraten dich und sind dir zugewandt.

Was ist also der Vorteil eines Ladens im Vergleich zum Onlineshop?

Verkaufsräume funktionieren in Zukunft wie Showrooms. Dort kann ich die Materialien spüren, die original Farben sehen, das Teil mal in der Hand halten. Ein Store hat die Aufgabe, mich zu beraten. Die Produkte werden dann zu mir nach Hause geliefert, dort kann ich sie anprobieren und dann gegebenenfalls im Laden wieder zurückgeben. Das nennt man eine Verknüpfung von allen Kanälen, ein sogenanntes Multi-Channel-Konzept oder auch Click and Collect. Daran wird gerade überall mit Hochdruck gearbeitet. Du brauchst kein riesiges Warenlager in der Innenstadt, dafür gibt es Onlineshops.

Hat der stationäre Handel die Schließungen denn auch genutzt, um an Neuerungen zu arbeiten?

Ja, die meisten haben ja schon einen Onlineshop, aber sie wissen noch nicht, wie sie diesen mit ihrem Laden verknüpfen können. Der Handel hat die Schließungen dahingehend genutzt, dass die Onlineshops verbessert wurden: Sie liefern jetzt punktgenauer und schneller und du kannst viele Sachen im Laden zurückgeben oder umtauschen. Auch Social Media wurde einbezogen. Von Instagram über den Onlineshop bis hin zum Store muss ein geschlossener Kreis entstehen. Und das hat Corona wie ein Brandbeschleuniger angeheizt: Marken wollen jetzt ihre Kund*innen und die Costumer Journey verstehen.

Was wollen Kund*innen denn gerade?

Sie wollen auf jeden Fall nicht noch eine Blue Jeans. Im Moment braucht das keiner, weil alle sagen: kein Geld, Krise, ich kann mich in den Läden anstecken, das letzte, was ich jetzt kaufen möchte, ist eine Jeans. Aber viele wollen andere Dinge kaufen: ein Paar Sommersandalen für Balkonien. Oder systemrelevante Produkte: Alle gehen joggen, wie wäre es also mit Laufschuhen? Oder was fürs Wohlfühlprogramm wie Schaumbäder und Bodylotions. Was braucht der Mensch jetzt? Sicherheit, Stabilität, Wohlfühlprogramm. „Tu dir was Gutes“, das ist gerade der Themenschwerpunkt.

Gab es etwas Vergleichbares schon mal?

Wenn man die Situation historisch vergleicht, dann war 9/11 die letzte existenzielle Bedrohung unserer Menschheit. Keiner ist mehr herausgegangen, alle haben nach den Terroranschlägen große Menschenmengen gemieden. Ikea hat in dieser Zeit die höchste Anzahl an Wolldecken verkauft. Einfach, weil das Thema Cocooning aufkam. Zeit mit der Familie verbringen, sich einkuscheln, Gesellschaftsspiele miteinander spielen. So ist zum Beispiel auch die Couch mit der Liegelounchfunktion entstanden, wo die ganze Familie auf dem Sofa kuscheln kann. Es gab also schon einmal eine Sortimentsanpassung in diese Richtung.

Und wann glaubst du, wird die Situation sich normalisieren?

Meine Prognose ist, dass der Einzelhandel bis September braucht, um wieder einigermaßen in Bahnen zu laufen. Die Läden sind jetzt schon seit zwei oder drei Wochen auf, aber leer. Man hat sich das Shopping regelrecht entwöhnt und nur systemrelevante Produkte sind in unseren Köpfen. Keiner macht Impulsshopping, flaniert oder bummelt. Das muss peu à peu wiederkommen. Der Handel muss erst das Vertrauen wiedergewinnen. Wir alle brauchen nichts mehr. Der Konsum, den wir vorher hatten, war völlig absurd. Und einkaufen, shoppen und sich etwas gönnen, das tut man für die Seele. Also musst du es mit etwas positivem verbinden. Gerade lauert da draußen aber nur Ansteckung und Gefahr.

September das ist ja relativ lang. Wie viele Geschäfte überleben das denn?

Wenn bis zum Herbst keine Impfung gefunden ist, kommt der Winter und damit eine zweite Infektionswelle. Das könnte dann zu einem richtigen Shutdown führen und das wäre dann für die Wirtschaft in Deutschland eine Vollkatastrophe. Für jeden dritten Laden in Deutschland wäre es das Aus. Und es können gar nicht alle von einem Onlineshop leben, das geht von der Logistik gar nicht. Wir haben nicht so viele LKWs, so viele LKW-Fahrer*innen, so viele Logistik-Zusteller und Versandunternehmen. Erst wenn die Impfung kommt, werden die Endverbraucher*innen wieder volles Vertrauen und Zuversicht haben.

Wie wirkt sich die Corona-Krise denn auf das Store Design aus? Werden in den Kassenbereichen die Abstände größer? Oder wird es weniger oder keine Umkleiden mehr geben?

Die Anzahl der Besucher wird gerade ja streng reguliert. Das bedeutet für alle mehr Platz und auch mehr Service. Über das Showrooming-Prinzip hatten wir ja auch schon gesprochen, Umkleiden braucht es bald nicht mehr, weil die Leute ihre Sachen zu Hause in Ruhe anprobieren. In Zukunft wird noch mehr bargeldlos bezahlt – und vielleicht gar nicht mehr im Store, sondern mit der Kreditkarte zu Hause. H&M testet das schon.

Das Zuhause-Anprobieren funktioniert ja aber nicht für Touristen …

Die Kunst ist es, eine Strategie zu entwickeln, dass man seine Kundschaft generell entzerrt. Wenn ich 100 Deutsche in meinem Store habe und zehn Touristen und ich habe die Möglichkeit, die Umkleide-Logistik für die 100 Deutsche auszulagern, dann ist das ja völlig ausreichend. Es geht nur darum, den Kund*innen ein neues Verhalten anzutrainieren.

Welche Läden oder Marken sind für dich absolute Vorreiter?

Das KaDeWe ist schon extrem gut und es wird gerade immer besser. Wenn es um Concierge Service und Personal Shopping geht, dann muss ich sagen, gibt es keinen besseren Service als im KaDeWe in Deutschland. Sie bauen jetzt ja auch noch um, das heißt das Einkaufserlebnis an sich wird noch besser und bald gibt es auch einen Onlineshop. Im KaDeWe gibt es keinen Wunsch, der dir nicht von deinen Augen abgelesen werden kann.

Und wer hat die besten Store Konzepte?

Da ist die H&M Group ganz weit vorne, dazu gehört ja nicht nur H&M, sondern auch COS, & Other Stories, Arket, Monki und Weekday. H&M hat es sehr gut geschafft, dass sie auf individuelle Zielgruppen-Bedürfnisse eingehen. Das alles unter einem Dach bei H&M zu machen, war nicht möglich, das wäre nicht individuell genug gewesen. Also haben sie einzigartige, kleine Konzepte wie COS und & Other Stories entwickelt, die beide sehr stimmig sind: von der Wegführung, von der Sortimentsauswahl, von der Kommunikation, von der Inspiration und der Dekoration.

Wer ist ganz weit vorne in Sachen Digitalisierung?

Die Nike Experience Stores, es gibt auch einen in Berlin. Wie die Kassenschlangen in der Zukunft aussehen? Es gibt keine mehr. Bei Nike sind schon 50 Prozent der Kassen abgebaut, es gibt zwar noch eine Hauptkasse, aber du kannst jederzeit und egal wo du gerade bist, bei deiner*m Verkaufsberater*in bezahlen. Die haben ein kleines Kartengerät in der Hosentasche und Bargeldkassen sind überall im Store unauffällig versteckt.

Bargeld? Ist das nicht überholt?

Das Ziel langfristig ist es, überhaupt kein Bargeld mehr zu haben, alles soll mit Karte bezahlt werden. Man möchte im deutschen Einzelhandel das skandinavische Konzept einführen, in Schweden bezahlt kein Mensch mehr mit Bargeld. Apple Pay gibt es ja mittlerweile auch.

Vielen Dank, liebe Silvia, für das tolle Interview!

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