Don't Call Them Coffee Table Books
Diese Bücher können mehr als nur schön aussehen
Mit wenig Text, schönem Design und vielen Fotos sind Coffee Table Books die Statussymbole für unser Wohnzimmer. Julia zeigt euch ihre Favoriten, die ganz nebenbei auch noch tolle Inhalte haben
Wenn ich mir Ende letzten Jahres eine Sache vorgenommen habe, dann war das, zukünftig wieder mehr zu lesen. Wie ein Großteil meiner Freund*innen wollte ich 2021 meinen Quarantäne-Bücherstapel abarbeiten, Literatur-Abos abschließen und vielleicht sogar Teil eines digitalen Lesezirkels werden. Ihr wisst schon, die, in denen man sich gegenseitig seine Lieblingsbücher schickt und anschließend im Zoom-Meeting darüber diskutiert. Und dann verstrich der Januar. Jetzt ist bereits Mitte Februar und der Bücherberg türmt sich noch immer neben meinem Bett. Ich habe, wenn es hochkommt, eine kümmerliche zweistellige Zahl an Seiten gelesen. Mein Gehirn hat einfach keine Lust auf Lektüre und die guten Vorsätze sind längst verflogen.
Coffee Table Was?
Für Menschen wie mich hat sich die Buchbranche etwas ganz Schlaues ausgedacht: Coffee Table Books. Das Konzept lautet: wenig Text, tolles Design und viele Fotos zum Angucken. Eigentlich, das schwingt zumindest im Namen mit, sind sie das Statussymbol für unser Wohnzimmer. Wenn neue Besucher*innen den Raum betreten, wissen die gleich, dass man sich gerne mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigt. Und zumindest ein bisschen Wert auf Literatur in den eigenen vier Wänden legt.
Gleichzeitig schwingt bei der Bezeichnung „Coffee Table Books“ aber auch immer das unterschwellige Vorurteil mit, dass diese Bücher sich zwar super auf deinem Sofatisch machen, aber eben hauptsächlich schön aussehen. Und während sie so ihr Dasein neben der Couch fristen, stellt auch mal eine*r eine Tasse darauf ab oder das gute Stück staubt ein bisschen ein. Sind Coffee Table Books also zur Oberflächlichkeit verdammt?
Irgendwo zwischen Klo- und Urlaubslektüre?
Allein die Bezeichnung „Coffee Table Books“ spricht den Büchern ihre Deepness ab: Mir kommt da sofort die sogenannte „Klolektüre“ in den Sinn - Bücher, die nur an einem bestimmten Ort anzutreffen sind - auf dem Pott - und damit implizit als für den Ar*** eingestuft werden. Ähnlich ist es bei der Urlaubslektüre: Sie ist seicht und lässt sich prima mal nebenbei lesen, während die Sonne brezelt und die Gedanken eigentlich beim nächsten Ausflug an den Strand sind. Woher kommt dieser Kategorisierungswahn? Und weshalb sprechen wir zum Beispiel nicht von Bahnfahrt-Büchern oder Einschlaf-Wälzern? Was ist mit Badewannen-Literatur oder Mittagspausen–Schmökern? Warum sollten schön gestaltete Bücher nur auf den Sofatisch gehören?
Wenn es euch auch wie mir geht und ihr eine eigene To-do-Liste nur für Bücher habt, glaubt mir: Solange sie euch gefallen, könnt ihr Kategorien wie „gute“ und „schlechte“ Bücher in den Wind schlagen und besten Gewissens das lesen, was euch gefällt – auch dann, wenn ihr nur schnell durchblättern und euch ein wenig Inspiration holen wollt. Doppelt schön ist es übrigens, wenn Coffee Table Books gleich beides können: Schön aussehen und tolle Inhalte aufweisen. Meine aktuellen Durchblätter-Favoriten habe ich euch hier zusammengestellt:
1) Wes Anderson für Zuhause
Damals, ich war 11 Jahre alt, guckte ich „The Life Aquatic With Steve Zissou“ und war direkt fasziniert von der Bildsprache des Films. Das war der Anfang meiner großen Liebe, für die von Regisseur Wes Anderson kreierten Filme, voller fantastischer Orte, Pastellfarben und liebenswerter Charaktere. Und damit bin ich offensichtlich nicht allein: Unter dem Hashtag #AccidentlyWesAnderson finden sich auf Instagram hunderttausende Posts, die Andersons Stil nacheifern. Auch die Publikation „Accidently Wes Anderson“ versammelt Orte, die an die interessanten und eigenwilligen Szenen in den Filmen des Kult-Regisseurs erinnern und liefert spannende Hintergrundgeschichten zu den verschiedenen Locations auf der ganzen Welt. Dieses Buch ist wirklich die beste Inspiration für kommende Urlaubsreisen!
2) Viva Napoli!
Apropos Urlaub: Wie ihr hier schon lesen konntet, habe ich dieser Tage eine unheimliche Sehnsucht nach Neapel. Da kam mir dieses Buch gerade recht: „Napoli - Super Modern“ ist eine wundervolle Hommage an die Architektur der italienischen Metropole. Das Architekturbüro LAN widmet sich in diesem Band dem Städtebau der Moderne und nimmt Bauprojekte in den Blick, die zwischen 1930 und 1960 in der Stadt am Vesuv verwirklicht wurden. Ich träume dann mal weiter von einem Spritz an der Uferpromenade...
3) Mehr queere Perspektiven
Auch, wenn es mir in meiner Bubble oft so vorkommt, als wäre Queerness gesellschaftlich größtenteils akzeptiert, werde ich immer wieder eines Besseren belehrt: Immer noch werden queere Personen auf der ganzen Welt ausgegrenzt, marginalisiert oder unterdrückt. Die Publikation „New Queer Photography“ zeigt eine Auswahl junger und queerer Fotograf*innen, die so viele verschiedene Perspektiven auf ihren Alltag, den Umgang mit Homosexualität und Geschlechterrollen bieten, dass ich kurz sprachlos war. Etwa 40 Positionen werden in diesem toll gestalteten Buch vorgestellt und es lohnt sich wirklich jeder Blick!
4) Schöner Gesetzesbruch
Trivia-Fans aufgepasst: Wusstet ihr, dass es im US-Staat Kentucky illegal ist, Kröten abzulecken? Die Fotografin Olivia Locher hat skurrile Gesetze aus jedem der 50 US-Bundesstaaten in dem Buch „I Fought The Law“ dargestellt. Einige wurden mittlerweile (zum Glück) aufgehoben, andere sind immer noch in Kraft – und wieder andere sind kaum zu glauben. Eins steht fest: Ob Hypnose, Apfelkuchen mit Käse oder Eis in der Po-Tasche – Gesetzesbrüche haben noch nie so gut ausgesehen.
5) Ein bisschen Voyeurismus
Die klassischen Coffee Table Books sind Kunstbücher von Banksy oder Matisse. Darf's etwas ausgefallener werden? Dann kann ich euch Sophie Calle nur ans Herz legen. Die französische Künstlerin hat unter anderem in einem venezianischen Hotel als Zimmermädchen angeheuert und heimlich die Zimmer und Hinterlassenschaften der Gäst*innen fotografiert oder einen Privatdetektiv engagiert, der sich einen Tag lang an ihre Fersen heftete. Ich bin größter Fan ihrer Arbeit und würde die Person, bei der „Did you see me?“ von Sophie Calle auf dem Sofatisch liegt, vermutlich vom Fleck weg heiraten!