Wie ich auszog, das Internet auf dem Land zu finden

Wie ich auszog, das Internet auf dem Land zu finden

Da sind wir nun, einen Monat später, 600 Kilometer von Berlin entfernt. In einem Kaff nahe Bonn. Mit Garten, aber ohne Internet

Da sind wir nun, einen Monat später, 600 Kilometer von Berlin entfernt. In einem Kaff nahe Bonn. Mit Garten, aber ohne Internet

Die ersten Wochen in der neuen alten Heimat (hier könnt ihr nochmal nachlesen, warum ich mich dazu entschied, Berlin zu verlassen) sind wie im Flug vergangen. Und es ist so viel passiert. Zu viel für vier Wochen eigentlich. So viel, dass ich abends einfach mal mit der momentanen Lieblingsserie auf Netflix abschalten will. Tja, was soll ich sagen? In meinen schlimmsten Albträumen konnte ich mir keine so schlechte Internetverbindung vorstellen!

Bye, bye Serien-Binge-Watching

Drei Abende hintereinander habe ich versucht, eine Serie zu gucken. Der erste Abend lief sogar noch richtig gut und die Folge ist nur einmal in der Mitte abgebrochen. Ich habe den Browser neu geladen und es ging weiter. Am nächsten Tag bufferte die neue Folge gefühlt alle 20 Sekunden und am dritten Tag habe ich Netflix nur angeschaltet, um sicherzugehen, dass das schlechte Internet kein Zufall war. Ich habe es noch nicht mal auf die Startseite geschafft.

Nach ein paar Tests, kann ich jetzt ganz genau sagen, wo in unserem Haus es WLAN gibt: etwa in einem 1-Meter-Radius vom WiFi-Verstärker-Stecker im Esszimmer. Super! Ich wollte schon immer auf dem Fußboden kauernd arbeiten, lesen und Serien gucken. Das Öffnen von zwei Tabs dauert ungefähr so lange wie die Fahrt von Berlin nach Bonn. Mit dem Auto, plus Stau. 

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Mein neuer Arbeitsplatz

Was war ich da dankbar, dass meinen regelmäßigen Marie-Kondo-Aktionen noch nicht alle DVDs zum Opfer gefallen waren. Die ersten zwei Wochen habe ich nämlich allein mit den Kindern im neuen Zuhause verbracht, weil der Herzmann noch seine Arbeit in Berlin beenden musste. Da geht abends einfach nichts mehr, außer Sofakartoffel spielen und auf die Glotze starren. 

Aber für meine Verhältnisse war ich doch sehr gelassen und habe die Internetfreiheit als Chance gesehen. Wie lange sage ich mir schon, dass ich echt mal weniger netflixen und dafür mehr schaffen sollte. Ich habe sogar Instagram für eine Woche von meinem Handy verbannt! Wenn schon, denn schon! Diese Zwangspause kam mir gar nicht so ungelegen. Im Haus gibt es genug zu tun. Neben Kisten auspacken und putzen mussten auch neue Orte für alte Dinge gefunden werden. Und ganz nebenbei räumen wir noch die Hinterlassenschaften von meinem Vater aus, die er uns netterweise nach seinem Auszug überlassen hat, weil „Ist ja genug Platz im Haus“ – ist klar.

So haben wir in der internetfreien Zeit die Umzugskisten in Rekordgeschwindigkeit ausgeräumt. Sogar meine Bücher sind jetzt thematisch, die CDs und Platten nach Alphabet geordnet. Mein innerer Monk tanzt seit Tagen Polka! Auch wenn noch nicht alles seinen endgültigen Platz gefunden hat, können wir das Haus doch schon wohnlich nennen und es sieht langsam immer mehr nach unserem aus. Natürlich kam Corona auch uns dazwischen und dem ganzen Tatendrang folgt nun für eine kleine Weile Stillstand. 

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Zum Glück haben wir den Garten

Mir tut diese internetfreie Zeit gut. Ich bin nicht vollkommen offline. Mein Handy braucht zum Glück kein WLAN, um Instagram und Spotify zu öffnen, aber meine Bildschirmzeit hat sich um Längen verkürzt. Der einzige Makel an der ganzen Sache: es ist gar nicht so einfach, mit schlechtem Internet Dinge zu erledigen. Da merkt man erst mal, wie abhängig wir alle davon sind. Denn gefühlt läuft alles übers Internet. Strom- und Gasanmeldung, Tagesmuttersuche, Kinderarztsuche, behördliche Fragen, Versicherungsfragen und Mülltonnenregelung (wir können über unsere eigenen Mülltonnen verfügen, wie cool ist das?!). Das mache ich jetzt meistens fluchend, weil es so ewig dauert, bis irgendetwas sich lädt. Sogar meine Startseite braucht oft mehr als zehn Sekunden. In Zeiten von Highspeed wirklich nervenaufreibend. Aber da gerade alles in Zeitlupe läuft, wenn es überhaupt noch läuft, schwimme ich einfach auf der Welle der Entschleunigung mit. Es tut gut, im Hier und Jetzt zu sein. 

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Zeit für Aussaat

Sogar mein Verhalten gegenüber meinen Kindern hat sich verändert!

Vor meiner Zwangspause war ich oft ungehalten, wenn meine Kinder etwas von mir brauchten, obwohl ich eigentlich gerade halb versteckt am Handy hing und doch nur noch diese eine Insta-Story gucken wollte. Diese Zeiten sind total passé. Ich lechze nicht mehr dem Abend entgegen, weil Netflix eine neue True-Crime-Serie rausgebracht hat, die ich am liebsten in einem Tag durchgucken würde. Ich merke richtig, wie ich entspannter mit meinen Kindern umgehen kann, weil ich keine "Verpflichtungen" im Internet habe. Ganz schön erschreckend!

Wenn meine Kinder mal gleichzeitig schlafen, lese ich ein Buch, einen richtig echten Roman, den ich sogar fast schon ausgelesen habe. Ich verliere mich nicht mehr so oft ins zombiehafte Instagram-Scrollen wie früher. Und wenn doch, dann wenigstens nicht mehr so lange. Vielleicht mache ich irgendwann mal richtig Digital Detox, einen Monat ohne, oder so. Aber das erfahrt ihr dann sicher auf Beige. Jedenfalls tut diese Erkenntnis wahnsinnig gut, dass es auch ohne Social Media und Streamingdienste geht. Zumindest zeitweise.

Was ich noch vorhabe in der internetfrei(er)en Zeit? Pflanzen umtopfen, Gemüse aussäen, noch mehr lesen, ein neues Strickprojekt beginnen, mit einem Glas Wein am Kamin sitzen und den Moment genießen, Tee oder Kaffee in Ruhe trinken, ohne aufs Handy zu starren, den Garten auf Vordermann bringen, mit meiner Tochter basteln, spazieren gehen. So ist die Zeit auf jeden Fall besser genutzt, als zum mehrmals wiederholten Mal die Lieblingsserie zu gucken oder das 87. Like auf Instagram zu verteilen.

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