Der Louvre bekommt eine Chefin – und nun?

Der Louvre bekommt eine Chefin – und nun?

Laurence des Cars wird neue Leiterin des Louvre. Woher kommt die Aufregung und was bedeutet das für das Pariser Museum? Eine Kunstkolumne über Frauen in Führungspositionen und Videodrehs zwischen Alten Meistern

Laurence des Cars wird neue Leiterin des Louvre. Woher kommt die Aufregung und was bedeutet das für das Pariser Museum? Eine Kunstkolumne über Frauen in Führungspositionen und Videodrehs zwischen Alten Meistern

Das Pariser Louvre-Museum bekommt eine Leiterin: Am 1. September wird Laurence des Cars den bisherigen Direktor Jean-Luc Martinez ablösen. Kaum verkündet, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Grund für die Jubelstürme in den sozialen Netzwerken? Die Kunsthistorikerin und Kuratorin ist die erste Chefin in der 228-jährigen Geschichte des Hauses.

Neben all den freudigen Reaktionen gab es aber auch hunderte negative Kommentare. „Wen juckt’s?“, war noch eine der harmlosesten Fragen. In kürzester Zeit wurden des Cars' Kompetenz und die Art und Weise, wie sie ihren Posten bekommen hatte, infrage gestellt. Und auch, wenn es einigen Kritiker*innen herzlich egal ist, ob ein Nashorn oder eine Frau den Louvre leitet, ist der Amtsantritt von Laurence des Cars ein wichtiges Zeichen. Und zwar aus mehreren Gründen:

Kurz zu den Hard Facts: Mit über 70.000 Quadratmetern Fläche und knapp 10 Millionen Besucher*innen im Jahr – das ist der Stand von vor Corona, also 2019 – ist der Louvre das größte und meistbesuchte Kunstmuseum der Welt. Durch die Pandemie fielen die Besuchszahlen um 72 Prozent, starke Einnahmeausfälle waren die Folge. Die Leitung des Louvre zu einem solchen Zeitpunkt zu übernehmen, kann also gut und gerne als Mammutaufgabe bezeichnet werden. Nicht nur deshalb, weil die Führung die Verantwortung für knapp 2.000 Beschäftigte trägt, ist es nicht ganz unwichtig, wer dort schaltet und waltet. Auch, wenn ein kuratierendes Nashorn sicher ebenfalls spannend wäre.

Wer ist Laurence des Cars?

Laut ehemaliger Mitarbeiter*innen von Laurence des Cars hat die französische Kunsthistorikerin „einen offenen Geist, ein Händchen für Menschen und Nerven aus Stahl.“ Das klingt erstmal alles ziemlich perfekt. Unwillkürlich fragt man sich, ob man erfolgreiche Personen nicht auch mal ein bisschen menschlicher beschreiben könnte: „Hat immer diesen einen, nervigen Ohrwurm, hortet Schokolade und zieht unter ihrem Schreibtisch heimlich die Schuhe aus.“ Oder so.

In Paris ist des Cars keine Unbekannte, im Gegenteil: Seit 2017 leitet sie das Musée d'Orsay und das Musée de l'Orangerie. Genau genommen muss sie also nur die Seine überqueren, um ihren neuen Arbeitsplatz zu erreichen. Des Cars ist auf die Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts spezialisiert, sie besuchte die Universität Sorbonne und die École du Louvre, an der sie später auch lehrte.

Und inhaltlich? Zwischen 2007 und 2014 war des Cars verantwortlich für die Entwicklung des Louvre Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Im Musée d'Orsay hat des Cars Ausstellungen mit Künstlerinnen wie Marlene Dumas, Tracey Emin und Isabella Rossellini realisiert. In aller Munde war auch die Ausstellung „Das schwarze Modell: Von Géricault bis Matisse“, die im Jahr 2019 stattgefunden hat. Die Schau untersuchte die Rolle Schwarzer Personen in der französischen Kunstgeschichte und ist in ihrer Ambivalenz ein Kapitel für sich. Dennoch hat sie, das ist wohl unumstritten, eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst, die in Frankreich längst überfällig war.

In Frankreich wird die Diskussion um geraubte Kunstwerke hitzig geführt. Auch hier scheint sich des Cars positioniert zu haben: Angeblich soll sie die treibende Kraft hinter der Rückführung eines der Hauptwerke des Musée d'Orsay gewesen sein: Gustav Klimts Gemälde „Rosiers sous les arbres“. Die Nationalsozialisten hatten das Bild 1938 von der in Wien lebenden Nora Stiasny gestohlen. Es soll nun an Stiasnys Erb*innen zurückgegeben werden. Des Cars ließ verlauten: „Ein großes Museum muss der Geschichte ins Gesicht schauen, auch der Geschichte der Institution selbst.“ Im Louvre dürfte sie dahingehend Einiges zu tun haben.

Wie verändert sich der Louvre?

Die Frage, die uns sicher alle interessiert, ist: Was hat des Cars für Pläne? Ihr Vorgänger Jean-Luc Martinez stand in der Vergangenheit oft dafür in der Kritik, dass er den Louvre zu einem „Instagram-Hotspot“ verkommen lassen habe. Marketing-Aktionen wie der Videodreh von Beyoncé und Jay-Z im Jahr 2018, Kooperationen mit Airbnb und anderen Firmen, stießen bei konventionellen Museumsgänger*innen häufig auf Unverständnis. Aber auch ewig lange Schlangen, überfüllte Säle und sogar ein Streik der Angestellten, die gegen die immer drohenderen Touristenmassen demonstrierten, fielen negativ auf.

Auf eine geplante Optimierung des Besuchssystems ging des Cars nicht ein. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass allein durch die Pandemie Hygienemaßnahmen und ausreichend Abstand eingehalten werden müssen. Außerdem plant des Cars eine neue Abteilung für Byzantinische und Koptische Kunst. Aktuell besitzt der Louvre 10.000 koptische Objekte und 1.000 byzantinische Kunstwerke, nur ein Bruchteil davon ist ausgestellt. Die überwiegend christlichen Objekte stammen aus Regionen in der heutigen Türkei, Ägypten und dem übrigen Mittelmeerraum.

Es ist sicher nicht naiv, zu hoffen, dass eine Direktorin auch automatisch mehr Frauen ausstellen wird. Im Louvre wird das gar nicht so einfach: Die Sammlung umfasst mehr als 380.000 Objekte, von denen etwa 35.000 Kunstwerke in der ständigen Sammlung gezeigt werden. Nicht mal 20 dieser Werke stammen von Künstlerinnen. Derzeit werden insgesamt acht Künstlerinnen ausgestellt, darunter Elisabeth Vigée-Lebrun und Marie-Guillemine Benoist.

Late Night Kunstbetrachtung im Universalmuseum?

Was wird sonst noch anders? „Ich möchte darüber nachdenken, was wir unter einem 'Universalmuseum' verstehen. Das Ziel ist es, universell zu sein“, so des Cars. Ein universelles Museum beinhaltet wohl, so neutral wie möglich zu sein, Kunst aus allen Teilen der Welt zu berücksichtigen und alle Menschen zu repräsentieren. Neutralität ist im Museum unerreichbar, aber zumindest was die multiplen Perspektiven angeht, ist noch Luft nach oben. Wir sind gespannt.

Bezüglich des Programms betonte des Cars, dass man zukünftig „voll und ganz zeitgenössisch“ sein wolle. Das Museum solle sich „der Welt von heute öffnen und uns gleichzeitig von der Vergangenheit erzählen – der Gegenwart durch den Glanz der Vergangenheit Relevanz verleihen.“ Das lässt auf weitere unkonventionelle Marketing-Aktionen und Videodrehs im Pariser Museum hoffen. „Der Louvre hat auch jungen Menschen viel zu sagen. Sie stehen im Mittelpunkt meiner Anliegen als Präsidentin des Louvre.“ Ich nehme mir mal kurz raus, für die Jugend zu sprechen – kommt auch nicht wieder vor, versprochen: Junge Menschen interessieren nicht nur die „großen Meister“, sie sind vor allem am Kontext interessiert: Warum ist dieses Gemälde besonders? Weshalb ist es so berühmt? Wieso hängt es im Louvre, ein anderes aber nicht?

Dann ist da noch die Sache mit den Öffnungszeiten: „Wir müssen später am Tag geöffnet sein, wenn wir wollen, dass junge Berufstätige kommen”, so des Cars. Late Night Kunstbetrachtung klingt gut, wenn man die arbeitende Bevölkerung einbeziehen möchte. Bis jetzt schließt der Louvre spätestens um 18 Uhr seine Pforten. Außerdem sollte unbedingt an den Preisen geschraubt werden – zumindest ein kostenfreier Tag im Monat sollte für alle Personen drin sein. Bisher gilt das Umsonst-Ticket nur für Menschen unter 25 Jahre, Arbeitssuchende und Menschen mit Behinderung.

Direktorinnen on the rise?

Ist die Ernennung einer Frau zur ersten Direktorin des Louvre also ein Zeichen für die französische Museumslandschaft? Wagen wir mal einen Blick in die Zahlen: Etwa 67 Prozent der Museen in Frankreich werden laut französischem Kulturministerium von Frauen geleitet, im Jahr 2019 war ein Anstieg von 27 Prozent zu verzeichnen. Auch im Louvre ist etwa die Hälfte der Abteilungsleiter*innen weiblich. Und international? Gucken wir uns die Teams der meistbesuchten Museen der Welt an: Auf Platz 1 ist der Louvre, danach folgen das Chinesische Nationalmuseum und das Metropolitan Museum of Art. Immerhin 4 der 10 meistbesuchten Museen der Welt werden von Frauen geführt, darunter die Vatikanischen Museen, die National Gallery of Art in Washington D.C. und die Londoner Tate Modern.

Und in Deutschland?
Eine Studie von 2017 macht deutlich, dass in Deutschland nur knapp ein Fünftel der Führungspositionen im Kulturbereich mit Frauen besetzt sind. In Italien, Großbritannien oder Schweden sind es immerhin knapp ein Drittel der Stellen. Anscheinend wird aber aktiv dagegen vorgegangen: 2018 wurden 8 von 10 Stellen im Kunstbetrieb mit Frauen besetzt. Verwundern tut das nicht: Wenn man sich den bloßen Frauenanteil im Kunstgeschichtsstudium anguckt, dürften eigentlich in jedem Museum ausschließlich Frauen arbeiten. Wo kommen also plötzlich die ganzen Männer her, die auf den Chefsesseln sitzen? Ein Grund dafür ist die sogenannte „Gläserne Decke“, die natürlich alle Geschlechter betrifft. Das Phänomen beschreibt die Problematik, dass bestimmte Personen eingeschränkte Aufstiegschancen haben. Trotz ausreichender Qualifizierung prallen sie irgendwann mit dem Kopf an die metaphorische Glasdecke, durch die sie zwar hindurchsehen, sie aber nicht überwinden können. Davon betroffen sind Menschen zum Beispiel aufgrund ihrer Ethnie, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Alters oder einer Behinderung.

Frauen sind außerdem oft dadurch daran gehindert, Führungspositionen zu ergreifen, dass sie theoretisch Kinder bekommen könnten. Mütter und potenzielle Mütter haben nachgewiesenermaßen schlechtere Chancen auf eine Beförderung oder sogar eine Einstellung. Da hilft es wenig, dass Laurence des Cars Anfang des Jahres eine Botschaft an Frauen gerichtet hat, in der sie diejenigen, die „zögern, sich für verantwortungsvolle Positionen zu bewerben“, ermutigt hat, „Vertrauen in sich selbst zu haben, ohne an ihrer Legitimität zu zweifeln“. Oft liegt es eben nicht nur an Selbstzweifeln und mangelndem Selbstbewusstsein, dass Frauen keine Leitungspositionen ausüben.

Der Kunstmarkt bleibt männlich dominiert

Wie ist die Kolumne jetzt plötzlich zu einem Rant über die Frauenquote geworden? Ach ja, richtig: Der Ausgangspunkt waren verschiedene Kommentator*innen, die der Meinung waren, man solle den „Feminismus-Hype“ nicht dermaßen überstrapazieren. Es sei schließlich egal, ob nun ein Mann, eine Frau oder ein Nashorn den Louvre leite. Dass Quoten und Genderfragen in der Kunstwelt nichts zu suchen haben, ist allerdings ein Trugschluss.

Obwohl es starke Tendenzen hin zu jungen und weiblichen Sammler*innen und Künstler*innen gibt, wie Kerstin Gold berichtet, ist der Kunstbetrieb noch immer männlich dominiert: Frauen erzielen auf dem Kunstmarkt niedrigere Preise, im Museum hängt hauptsächlich Kunst von Männern und die Ausstellungsbeteiligung ist auch geringer. Kunst muss immer im Zusammenhang mit Kulturgeschichte und Sozialpolitik gesehen werden und da zeigt sich ganz deutlich eine jahrhundertelange Benachteiligung im gesamten Kunstbetrieb – und natürlich nicht nur da, aber das ist ein anderes Bier.

In den letzten Jahrzehnten beginnt ein Umdenken, das weiter verfolgt werden muss: Ziel sollte es sein, durch eine höhere Diversifizierung leitender Positionen auch eine größere Vielfalt der gezeigten Kunstwerke zu ermöglichen. Natürlich lässt sich die (Kunst)Geschichte nicht umschreiben und vergangene Benachteiligung bleibt vergangen. Aber wir können heute aktiv eingreifen und zumindest die Zukunft verändern.

Wenn ich mich also zum Schluss doch noch mal auf die Kommentator*innen unter dem Instagram-Posting beziehen darf: Direktor*innen haben die Möglichkeit, mit ihrem Programm wichtige politische Debatten auszulösen. Wen und was sie zeigen, hat Einfluss darauf, wie Besucher*innen denken und die Welt sehen. Wen sie einladen, bestimmt, wer mitreden, mitdenken und mitdiskutieren darf.

Wenn man sich nach 230 Jahren männlicher Führung über eine weibliche Spitze freut, bedeutet das nicht, dass bald keine Männer mehr ins Museum dürfen und Leiterinnen auf dem Hexenbesen um die Glaspyramide fliegen. Es bedeutet hauptsächlich: Frischer Wind ist gut, Veränderungen sind super, Chancengleichheit wird angestrebt. Und wenn in altehrwürdigen Institutionen mal ordentlich durchgelüftet wird, ist das ganz im Sinne der Hygienemaßnahmen und der Besucher*innen.

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