Was ist guter Geschmack? Das Interview mit Stilleben

Was ist guter Geschmack? Das Interview mit Stilleben

In Kopenhagen trafen wir Jelena Schou Nordentoft, Designerin und Mitgründerin vom Kultstore Stilleben

In Kopenhagen trafen wir Jelena Schou Nordentoft, Designerin und Mitgründerin vom Kultstore Stilleben. Achtung, Spoiler: Ja, dank ihr haben wir das Geheimnis des guten dänischen Stils gelüftet!

Wie machen die Dänen das nur? Jedes Design ist ein Hit. Auch Lisa berichtete einst im Zuge der Kopenhagen Fashion Week über das legendäre dänische Design und versuchte herauszufinden, was ein Design zur einer Ikone macht. Sie hat eine ziemlich gute Antwort auf die Frage gefunden, mehr verrate ich aber nicht, das müsst ihr schon selbst nachlesen. Doch mir hat das Thema seitdem keine Ruhe mehr gelassen. Ich frage mich, nach meinen letzten zwei Kopenhagen-Reisen (eine davon war eine Pressreise mit der Rosendahl Design Group, die mich nachhaltig beeindruckte), wie eine ganze Nation so stilsicher sein kann – und das auch noch mühelos. Egal ob Möbeldesign, Geschirr, Speisekarten und Einrichtungen von Restaurant, Kunst oder jedes Fashion Brand. Die Dänen schütteln einfach einen Hit nach dem anderen aus dem Ärmel. Und ich liebe alles.

Ihr wollt Beispiele? Na gut, um es kurzzuhalten, gibt es hier Beispiele: Stine Goya entwirft einen Suit für Michelle Obama, Gubi und Louis Poulsen machen die schönsten Lampen auf der Welt, die Dänen designten Möbel mit Wiener Geflecht, da sagten wir noch „Bast Dingens“, die #GanniGirls sind mittlerweile eine Mode-Bewegung, Hvisk und Nunoo revolutionieren den Handtaschen-Markt, Poppy Kalas entwirft für Layered die coolsten Teppiche der Welt und Stilleben ist seit 2002 ahead of this game – und eröffnen den ersten Concept Store für Interior und Designer in Kopenhagen.

Genau von dem besagten Concept Store habe ich mir dann bei meiner letzten Kopenhagenreise mit der Rosendahl Design Group dann auch eine der zwei Gründerinnen geschnappt und ausgefragt. Denn keiner weiß besser, wie ein Design zu einer Ikone wird als Jelena Schou Nordentoft – sie hat für Kähler nämlich schon eine Ikone designt.

Die Omaggio Vase, kreiert 2007, ist seit 12 Jahren nicht mehr aus vielen dänischen Haushalten wegzudenken. Mit ihrem ikonischen (!) gestreiften Design, das jedes Jahr mit anderen Farben wieder aufgelegt wird, hat maßgeblich zum Erfolg der Marke Kähler nach dem Relaunch und der Bekanntheit des Stilleben Duos beigetragen.

Gerade mit ihrer Keramik feiern die beiden seitdem riesengroße Erfolge und nennen mittlerweile zwei Stores (wir haben einen davon auch schon in unserem Reiseguide vor einiger Zeit vorgestellt), einen Onlineshop, ein Designstudio, eine Keramikwerkstatt und ein Architektur- und Möbelstudio ihr Eigen. Ich habe Jelena ausgefragt über das Geheimnis des dänischen Erfolgs, ihre Liebe zur Keramik und wie sie all das in nur 24 Stunden jeden Tag bewältigt.

Was ist deine persönliche Geschichte mit Keramik?

Vor 20 Jahren habe ich an der The Royal Danish Academy of Fine Arts Keramik und Glas studiert – und das fünf Jahre lang! Danach habe ich sofort mit Ditte den Laden Stilleben eröffnet, der mittlerweile aus zwei Stores und einem Onlineshop besteht. Dann haben wir angefangen für verschiedene dänische Firmen Geschirr und Vasen zu entwerfen und mittlerweile haben wir auch unsere eigene Kollektion in unseren Läden. Wir sind zudem auch Teil einer Keramikfabrik auf Bornholm, in der wir hier in Dänemark unser eigenes Geschirr herstellen.

Warum hast du dich für Keramik entschieden, wie kam es dazu?

Ich weiß es wirklich nicht. Ich war als Kind nie der kreative Typ. Nachdem ich die High School beendet hatte, wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. In Dänemark gibt es sogenannte berufsbildende Schulen (Vocational Schools). Diese besucht man für ein halbes Jahr und kann dort verschiedene Berufe kennenlernen, es gibt kreative Schulen, aber auch welche für Medien oder Wirtschaft. Ich habe ein halbes Jahr in einer kreativen Schule gelebt und es war eine großartige Möglichkeit herauszufinden, was ich machen möchte. Dort habe ich viele verschiedene Künste ausprobiert und mich in die Keramik verliebt. In der Keramik war immer etwas los, es war dramatisch und voller Ärger, immer ging etwas schief und man musste von vorne anfangen. Bei Keramik geht es wirklich nur um das Material und das ist nichts: Es ist einfach brauner oder grauer Ton, man muss etwas erschaffen und sieht dann, wie etwas entsteht. Es ist eine großartige Verwandlung.

Töpferst du immer noch ab und zu selbst?

Ich habe keine Zeit mehr, es professionell zu betreiben, weil wir so viel zu tun haben. Aber ich habe mir vor einem Jahr, nachdem ich viele Jahre davon geträumt habe, ein eigenes Töpferstudio in mein Haus eingebaut mit einem kleinen Ofen, um mich dort auszutoben.

Und, zeig mal! Was hast du dort schon produziert?

Ich habe gerade das erste Mal etwas gebrannt und es ist wirklich abscheulich schlecht geworden (lacht). Das kann man niemandem zeigen. Aber ich habe Hoffnung, dass es bald besser wird.

„ „In der Keramik war immer etwas los, es war dramatisch und voller Ärger, immer ging etwas schief und man musste von vorne anfangen.“ “

Wie kam es dazu, dass ihr für Kähler entworfen habt?

Kähler ist ein sehr traditionsreiches Unternehmen und eine echte Institution in Dänemark. Als wir in der Designschule waren, sind wir auf Exkursionen zu Kähler gegangen, sie hatten auch ein altes Arbeitsstudio, das eher einem Museum glich. Dort hatten wir dann auch mal ein Event, als wir die Schule beendet hatten und sind mit dem Unternehmen dadurch in Kontakt gekommen. Als dann Kähler aufgekauft wurde von Holmegaard und sie die Marke relaunchen wollten, haben sie uns kontaktiert, weil wir in unserem Laden so viele verschiedene Keramikkünstler verkauft haben und uns damit gut auskannten. Also gaben wir ihnen eine Liste mit Namen und sagten aber auch, dass wir uns gerne selbst bewerben würden. So kam es, dass wir die Omaggio Vase designt haben. Das war die erste Vase, die wir für eine andere Firma als unsere eigene entworfen haben und sie haben sie sofort genommen. Sie ist seit dem Relaunch von Kähler im Jahr 2007 im Sortiment.

Ich kann mir das nicht vorstellen. Wie designt man eine Vase? Wie fängt man überhaupt an? Es gibt ja schon soooo viel da draußen...

Für uns war die Marke Kähler die Inspiration. Heute bei der Ausstellung wirst du sie selbst sehen, die handbemalten alten Vasen, die es schon seit soo vielen Generationen gibt. Wir haben sie schon immer geliebt und uns gedacht: Ok, genau so eine Vase wollen wir auch machen. Wir wollen, dass die Vase die Geschichte von Kähler zeigt, aber aus heutiger Sicht, beziehungsweise aus unserer Sicht im Jahre 2007. Sie sollte modern, clean und formschön sein. Außerdem wollten wir, dass sie handbemalt ist wie die alten Vasen von Kähler, aber grafischer, nicht romantisch, geblümt oder verspielt. Wir entschieden uns für Streifen, aber trotzdem sollten sie handbemalt aussehen, also platzierten wir die Streifen so auf der Vase, dass sie Form betonten. Es war eine sehr einfache Interpretation einer alten Tradition.

Die Vase ist seit 2007 ein echter dänischer Designklassiker und steht fast in jedem dänischen Zuhause. Wie kannst du dir den Erfolg erklären?

Ich denke, dass der große Erfolg vor allem in der Klarheit der Vase liegt. Wenn du sie in einen Raum stellst, dann kommuniziert sie sofort mit dir, du weißt sofort, dass da eine Vase im Raum ist. Sie ist sehr grafisch. Leute kaufen sie, stellen Sie in einen Raum und schon fühlt sich alles eingerichtet und dekoriert an. Weißt du, wenn ich manchmal mit dem Zug fahre, dann kann ich die Vase in einigen Fenstern entdecken. Man erkennt sie sofort. Ich denke, dass sie deshalb so beliebt ist. Ich mag auch, dass es eine Vase für alle ist und jeder kann sie sich leisten. Sie ist ein echtes One-Hit-Wonder, könnte man sagen. Wir arbeiten immer noch an ihr, kreieren jedes Jahr neue Farben, sie macht einfach Spaß. Diese Vase hat die Fähigkeit, sich zu ändern.

Verrate es mir: Was macht ein Produkt zu einem Designklassiker?

Ich denke, es darf nicht so kompliziert sein, es muss Klarheit mit sich bringen. Du darfst nicht erst überlegen, für was das Produkt eigentlich da ist und was es versucht zu sein. Und klar, es hilft, wenn das Design nicht aus der Mode kommt. Streifen, wie bei der Omaggio Vase, kommen immer wieder, nur in verschiedenen Stärken und Farben.

Was hat euch sofort nach der Uni dazu bewegt, einen eigenen Concept Store zu eröffnen?

Ich konnte keinen Ort finden, an dem ich meine eigenen Keramiksachen verkaufen konnte. So etwas wie Concept Stores gab es damals in Dänemark nicht. Niemand verkaufte Keramik. Keramik war nicht gerade begehrt, es war eher so: Urgh. Es gab nur ein paar Galerien, die heimlich im Hinterzimmer verkauften, aber die Öffentlichkeit hatte keinen Zugang. Wir wollten einen Ort schaffen, an dem wir unsere eigenen Sachen verkaufen konnten.

Ich habe in einem Interview gelesen, dass ihr jedes einzelne Stück und jedes Brand, was ihr verkauft, selbst auswählt. Wie und wo findet ihr sie?

Am Anfang waren wir auf vielen internationalen Messen unterwegs. Aber natürlich haben wir generell immer ein wachsames Auge, wenn es um Designnachwuchs in Dänemark geht. Mittlerweile schicken uns die Leute aber viele Portfolios zu und die sozialen Medien sind sehr wichtig für uns. Wir gehen eigentlich nicht mehr zu Messen, um Künstler zu finden, es dient eher zur allgemeinen Inspiration. Unser Konzept ist zu spitz, wir müssen unsere Brands woanders finden. Immer wachsam sein.

Ihr nutzt also auch viel Social Media, ja?

Ja, unser Instagram-Account ist sehr wichtig für uns und wir gehen von Anfang an sehr persönlich mit ihm um. Meine Partnerin Ditte macht in selbst, seitdem wir damit gestartet haben. Wir haben früh damit angefangen und konnten uns damit eine treue Followerschaft aufbauen. Wir nutzen Instagram als Fenster zur Welt, wo wir das, was wir vorher nur in unseren Stores zeigen konnten, jetzt der ganzen Welt übermitteln: Farben, Trends, Materialien. Dass man das jetzt in nur einem Bild vermitteln kann, ist doch fantastisch.

Wie groß ist euer Unternehmen denn?

Wir haben 22 Angestellte. Die meisten von ihnen arbeiten in den Läden, einige auch im Backoffice und im Designteam. Der Designanteil wächst gerade am schnellsten, aber das ist ja auch das, wo wir hinwollen.

Wie definierst du guten Geschmack?

Hochwertige Materialien. Das ist wirklich so wichtig für mich. Ich kann gutes Design erkennen, aber wenn das Material langweilig ist, dann berührt es mich nicht. Es muss Harmonie herrschen zwischen der Designidee und dem Material, das den Entwurf unterstreicht. Dort geht, glaube ich, momentan am meisten schief. Klar, Unternehmen wachsen heutzutage so schnell, dass sie viele Kompromisse mit Materialien eingehen. Wenn man also Dinge haben möchte, die langlebig sind und wo auch die Liebe langlebig bleibt und man sie für viele Jahre verwenden möchte, dann muss das Material sehr gut sein. Und natürlich braucht alles einen persönlichen Ansatz, bei dem man spüren kann, dass da eine Person dahintersteht. Man sollte Dinge miteinander kombinieren, die man zuvor noch nicht gesehen hat. Ich bin beeindruckt, wenn alles perfekt zusammenpasst, das bezeichnet ein Großteil der Menschen auch als guten Geschmack, aber wirklich berühren tut mich das nicht. Ich muss irgendwo einen Twist sehen und spüren.

Gerade ist Keramik ja wahnsinnig im Trend. Wie erklärst du dir das?

Vor 20 Jahren sah das noch ganz anders aus. Wir mussten beweisen, dass Keramik nicht nur schweres Steingut war. Man musste die Leute wirklich davon überzeugen, dass dazu euch feines Porzellan gehört, die Stücke leicht und modern sein können. Seit ca. acht Jahren ist Steingut wieder im Trend, ebenso wie bunte Farben. Immer mehr Leute töpfern, ich denke, das liegt am Material. Es ist so langlebig, seit der Antike gibt es das Thema.

„ „Ich bin beeindruckt, wenn alles perfekt zusammenpasst, das bezeichnet ein Großteil der Menschen auch als guten Geschmack, aber wirklich berühren tut mich das nicht.“ “

Ja, das stimmt. Sehr viele meiner Freunde machen gerade Keramik- und Töpferkurse. Es passt gerade zum Selfcare-Trend, ist modern und artsy.

Ja, das ist ein riesengroßer Trend. Ich glaube, das liegt am Material. Es ist ein echter Kampf, alles richtigzumachen, man beschäftigt sich mit allen Elementen: Feuer, Wasser, Erde. Ich denke, das ist das Gefühl, das die Leute mögen.

Abgesehen von der Omaggio Vase, was denkst du, könnte zum Designklassiker in 50 Jahren werden?

Wenn ich an die letzten Sachen denke, die wir gemacht haben, dann würde ich sagen das Geschirr für Skagerak. Roter Ton ist ein Material, das man nicht oft bei Geschirr sieht oder schon lange nicht mehr gesehen hat. Das ist etwas Besonderes und wird hoffentlich bald eine bleibende Ergänzung zur Geschichte des Geschirrs sein, das, wie die Omaggio Vase, zu einem Klassiker wird. Aber natürlich gibt es auch viele andere großartige Designer, die in Dänemark Keramik und Möbel herstellen und zu Klassikern werden könnten. Die Unternehmen in Dänemark hören gerade auch auf, immer neue Produkte zu produzieren und sich stattdessen mit den schon vorhandenen Designs beschäftigen. Ich denke, dass man so Klassiker kreiert: Man muss an sie glauben, sich auf sie fokussieren und sie immer weiterentwickeln.

„ „The Danes are known for great design. But in 2019, the famous Danish aesthetic has taken a decidedly fun turn, packing on prints, colour and fun — all mixed in with practicality, too.“ “

Vogue Living

Zu guter Letzt, die wichtigste Frage: Was ist das Geheimnis des dänischen Designs?

Ich glaube, Ästhetik liegt uns im Blut. Aber wir sind zum Beispiel ganz anders als die Japaner, sie haben eine ganz andere Art der Ästhetik, mit der sie alles tun. Wir sind aber nicht so fein und unverwechselbar. Aber wir haben die Fähigkeit, Bedürfnisse zu erkennen und sie ästhetisch umzusetzen. Wir reduzieren alles in einer einfachen, verständlichen Sprache. In Dänemark hat diese Analyse seit den 60er-Jahren Tradition. Von da an war alles funktional, das ist das, was das dänische Design auszeichnet. Ich denke nicht, dass wir uns heute nur noch auf diese Funktion konzentrieren. Ich mache das zumindest nicht. Wir sind von Hause aus aber einfach keine Romantiker, wir wollen einfach authentisch sein.

Das hat sich aber in den letzten zwei Jahren schon sehr verändert. Das sieht man nicht nur an den Interior-Trends, sondern auch an der Kopenhagener Fashion Week.

Das glaube ich auch. Es ist nicht mehr so minimalistisch wie zuvor. Es wird gerade alles wilder, aber man erkennt immer noch eine einfache Idee dahinter. Man wird nicht total verrückt. Das Rückgrat eines jeden Designs ist immer noch funktional. Das ist das Geheimnis des dänischen Stils und das ermöglicht es einer ganzen Nation, so viele Klassiker zu produzieren.

Vielen Dank für das interessante Interview, liebe Jelena!

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